a-3770 (ACC-SOM-3770)

Nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Situation der Madhiban
In einer Anfragebeanwortung vom 16. 10.1998 hält das Canadian Immigration and Refugee Board (IRB) unter Berufung auf einen Soziologieprofessor von der Central Michigan University fest, dass „Madhiban“ ein abwertender Begriff ist, der für eine Gruppe von Menschen verwendet wird, die sich mit Jagen, Sammeln sowie Metall- und Lederarbeiten befassen. Die Mehrheit der Somalis würden die Tätigkeiten, die von den Madhiban ausgeübt werden, meiden und verachten und die Madhiban als „Unberührbare“ behandeln. Als weitere Bezeichnung für die Madhiban wird der Begriff „Migdan“ angeführt. (IRB, 16. Oktober 1998)
 
Nach Angaben des Danish Immigration Service sind die Madhiban eine von zwei Untergruppen der Midgan. (DIS, Dezember 2000, S. 49)
 
Wie UNHCR in einer genealogischen Auflistung der somalischen Klans festhält, gehören die Madhiban den Minderheitengruppen an. (UNHCR, November 2000)
 
Auch das US Department of State hält in seinem jüngsten Bericht zur Menschenrechtslage im Sudan vom Februar 2004 fest, dass die Madhiban zu den Minderheitengruppen gehören. Diese Gruppen hätten eingeschränkten Zugang zu vorhandenen sozialen Diensten, einschließlich Bildung und Gesundheit. Mitglieder von Minderheitengruppen wären weiterhin Tötungen, Schikanen, Einschüchterung und Misshandlung durch Bewaffnete jedweder Zugehörigkeit ausgesetzt. (USDOS, 25. Februar 2004, Sek. 5)
 
Amnesty International (AI) stellt in seinem Jahresbericht 2003 fest:
„Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Clans und Gruppierungen im Süden des Landes forderten nicht nur unter den Kombattanten, sondern auch in der Zivilbevölkerung eine große Zahl von Opfern. […] Mitglieder von Clan-Milizen und andere Bewaffnete vergewaltigten Frauen und Mädchen aus feindlichen Clans und aus anderen, schutzlosen Bevölkerungsgruppen. Dazu gehörten insbesondere Menschen, die im Land auf der Flucht waren, sowie die stark unterprivilegierten ethnischen Minderheiten wie Bantu (auch Jarir), Midgan, Tumal, Yibir oder Bravanese und auch die wohlhabendere Gruppe der Benadir.“ (AI, 28. Mai 2003)
Das Danish Immigration Service bezieht sich in seinem Bericht über eine Fact-Finding Mission im Jahr 2002 auf Gary P. Jones, den Resident Representative von Norwegian People's Aid, dem zufolge die Midgan oder Madhiban immer am unteren Ende der Somalischen Gesellschaft gestanden hätten. Ihre Position würde sich aber in Zeiten von Stabilität und Erholung bessern. In einigen Gebieten könne laut Jones ihre Position sogar etwas besser sein als jene sogenannter „nobler“ Somalischer Klans. Midgan könnten frei Handel treiben, obwohl sie in der Regel kein Eigentum und Vieh besitzen könnten. (DIS, 25. Juli 2002, para 296)
 
Weiters hält das Danish Immigration Service in seinem Bericht zu Minderheitengruppen von Dezember 2000 unter Berufung auf Yassin Hersi Jama, einem Vertreter der Madhiban fest, die Madhiban würden, seit sie vor Jahrhunderten  in die nördlichen Teile Somalias eingewandert seien, nicht über eigenes Territorium verfügen. (DIS, Dezember 2000, S. 50)
 
Die Madhiban hätten laut Yassin Hersi Jamawährend des Bürgerkrieges sehr gelitten. 1990 hätten die Hawiye (Anm.: einer der wichtigsten Somalischen Klans) in Mogadishu die Madheban töten wollen, viele Madheban wären daraufhin aus der Stadt geflohen. In Nordostsomalia (Puntland) stünden die Madhiban in einem Klientel-Patronage-Verhältnis mit dem dominanten Majerteen-Klan und würden auch für sie kämpfen. Ihre Position wäre dennoch nicht sehr stark. Sie könnten leicht getötet werden, da für sie kein „diya“ (Anm: Blutgeld, finanzielle Kompensation) bezahlt werden müsste. 1994 verjagten in Hargeisa die Isaaq (Anm.: weiterer wichtiger Klan)  die Madheban nach Puntland und Äthiopien. (DIS, Dezember 2000, S. 50)
 
Nach Angaben des Danish Immigration Service ist wenig spezifische Information über die Menschenrechts- und Sicherheitssituation der Midgan und anderer Berufskasten verfügbar. Es gäbe keine Hinweise, dass die Sicherheit der Midgan durch gezielte Aktionen anderer Klans gefährdet sei. Gleichzeitig gäbe es Hinweise, dass sich ihre Beziehungen mit den größeren Somalischen Klans nicht wesentlich verbessert hätten und dass sie im sozialen und wirtschaftlichen Bereich weiterhin diskriminiert würden. (DIS, Dezember 2000, S. 52, 53)
 
Laut UN OCHA sind die meisten intern Vertriebenen im Norden Somalias Angehörige von Unterklans vom Süden Somalias. Zu dieser Gruppe rechnet UN OCHA auch die Madhiban. Weiters heißt es, diese intern Vertriebenen hätten keinen Zugang zu Macht, Willensbildung und Einkommensmöglichkeiten. Sie ständen nicht unter dem Schutz von dominanten Unterklans des Nordens. Zusätzlich wären geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt, insbesondere die Vergewaltigung junger Mädchen und Frauen, weit verbreitet. Frauen würden oft angegriffen, wenn sie ausgehen würden, um Holz zu sammeln oder den Unterhalt für ihre Familien zu verdienen. Frauen seien gefährdet, Opfer von Angriffen männlicher Angehöriger innerhalb ihres Klans als auch anderer Klans zu werden. (UN OCHA, 01. August 2002)
 
Generell gilt, dass eine Person dort am meisten geschützt ist, wo der Clan, dem sie angehört, die Kontrolle ausübt. Politisch schwache Gruppen wären weniger in der Lage, Schutz vor Erpressung, Vergewaltigung und anderen durch von bewaffneten Milizen verübten Menschenrechtsverletzungen zu suchen. Wie in ganz Somalia würde ein Individuum in Mogadishu am sichersten in jenem Gebiet sein, in dem sein Klan ihm Schutz bieten könne. Mitglieder von kleinen Klans und Minderheitengruppen wären zwangsläufig einem größeren Risiko ausgesetzt. Einige Minderheitengruppen wie die Angehörigen niedriger Kasten, darunter auch die Midgan, dürften in ländlichen Gebieten Schikanen seitens der Somalischen Klans ausgesetzt sein, sie würden aber in Mogadishu nicht unbedingt mit Menschenrechtsverletzungen oder Sicherheitsproblemen konfrontiert sein. Das UK Home Office bemerkt weiters, Mitglieder der Midgan Minderheit würden sich nicht automatisch ausschließlich auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit für Asyl qualifizieren. (UK Home Office, Oktober 2003, para 6.82, 6.89, 6.90; UK Home Office, Oktober 2002)
 
Das Danish Immigration Service hält unter Berufung auf Dr. Mofi fest, Angehörige von Minderheitengruppen hätten keinen Zugang zum Justizsystem. Das Recht auf Eigentum, das Recht, sich gegen Tötungen, physische Misshandlung und andere Menschenrechtsverletzungen zu wehren, würde für Mitglieder von Minderheitengruppen in Somalia nicht existieren. Die einzige Möglichkeit, einen gewissen Grad von Schutz zu erlangen, bestände darin, eine Allianz mit einem dominanten Klan in dem Gebiet herzustellen. Dr. Mofi meint weiters, es gäbe keine fairen Gerichtsverfahren für Mitglieder von Minderheitengruppen. (DIS, März 2004, S. 30)
 
Weiters haben wir eine Stellungnahme des UNHCR, Zweigstelle Nürnberg, vom 10.September 2001 zur Rückkehrgefährdung somalischer Staatsangehöriger beigelegt. 
Situation bei Mischehen
Was die Frage von Mischclan-Ehen betrifft, zitiert das DIRB in einer Anfragebeantwortung SOM30919.E den Koordinator des War-Torn-Societies-Project, der gegenüber dem Danish Immigration Service angegeben hatte, dass solche Ehen generell keinen Grund für Verfolgung darstellten. Cassanelli schreibt in seinem Bericht vom März 1995, dass solche Verheiratungen auch der Friedenssicherung dienen sollten. Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges hätte sich die Lage für solche Frauen aber verheerend verschlechtert: sie würden von keiner Seite der Verwandtschaft mehr geschützt; die Männer würden von ihren Clanangehörigen gezwungen, sich scheiden zu lassen. Das UK Home Office wiederum sieht keine Probleme für Personen aus solchen Mischehen. Auch die GesprächspartnerInnen des Danish Immigration Service sagten übereinstimmend, dass generell anzunehmen ist, dass Leute von ihrem Clan geschützt werden. Cassanelli betont an anderer Stelle im Bericht vom März 1995, dass Personen und vor allem Frauen ohne Familie, oder deren Familie mit ihnen gebrochen hätte, extrem gefährdet wären, sollten sie nach Somalia zurückkehren (3.1 Major Clans). Vergewaltigungsopfer könnten nicht auf staatlichen Schutz hoffen (Danish Immigration Service, 1999)
 
Das Danish Immigration Service bezieht sich weiters auf Lewis, dem zufolge die „sab“, denen auch die Midgan angehören, keine legitime Heirat mit Somalis eingehen könnten, da sie als rituell unrein gelten würden. Die Informationen Lewis beziehen sich nach Angaben des Danish Immigration Services auf die Zeit vor Siad Barre, Restriktionen gegenüber den „sab“ würden allmählich verschwinden. (DIS, Dezember 2000, S. 51) In einem späteren Bericht des DIS heißt es, die Hochzeit zwischen dem Mitglied einer Minderheitengruppe und dem Mitglied eines größeren Klans stelle eine Möglichkeit für eine Minderheitengruppe dar, Schutz durch einen größeren Klan zu erlangen. In dem Bericht äußert sich ein vom DIS konsultierter Anwalt dahingehend, dass Heiraten zwischen Mehrheitsklans und Mindheitenklans selten seien, im islamischen Recht aber auch nicht verboten seien. Zwischen diesen Gruppen würden nur wenige Heiraten geschlossen werden. So sei es für den Mann von einem Mehrheitsklan möglich, eine Frau von einer Minderheitengruppe zu heiraten, was umgekehrt nicht zutreffe. Hier wird das Beispiel eines Paars angeführt, bei dem der Mann der Midgan Minderheit angehörte und eine Frau von einem größeren somalischen Klan heiratete. Nach ihrer Hochzeit in Schweden sei die Braut bei ihrer Heimkehr nach Somalia schwer geschlagen und von ihrem Vater verleugnet worden. Das Paar hätte nicht länger in Somalia leben können. (DIS, März 2004, S. 30)
 
Das US Department of State berichtet, dass Heiraten zwischen Minderheitengruppen beziehungsweise Klans niedriger Kasten, darunter auch den Madhiban, und den etablierten Klans beschränkt wären. (USDOS, 25. Februar 2004) 
Gewalt gegen Frauen
Das US Department of State stellt fest, dass es in Somalia keine Gesetze gäbe, die häusliche Gewalt zum Gegenstand hätten. Familienstreitigkeiten würden durch die Sharia und Gewohnheitsrecht geregelt. Wie das DIS festhält, bestimme im Gewohnheitsrecht der Vater, wen eine Frau zu heiraten habe. Häusliche Misshandlung würde im Gewohnheitsrecht geduldet, Vergewaltigung oft nicht bestraft. Die Regelungen der Scharia wären für Frauen günstiger als das Gewohnheitsrecht. (DIS, März 2004) Das US Department of State berichtet weiters von Vergewaltigungen von Frauen durch die Polizei und Milizen, zu Vergewaltigungen käme es auch bei Konflikten zwischen Klans. Das gesetzliche Verbot von Vergewaltigung würde nicht vollstreckt, es gäbe auch keine Berichte, dass im Laufe des Jahres 2003 Fälle von Vergewaltigung verfolgt worden wären. (USDOS, 25. Februar 2004, Sek. 5) Diese Informationen werden auch von der UN Commission on Human Rights bestätigt. (UN Commission on Human Rights, 27. Februar 2003)
 
Das Danish Immigration Service schreibt in seinem Bericht vom März 2004 unter Berufung auf UN-Quellen, dass geschlechtsspezifische Gewalt, inklusive Vergewaltigung, weiblicher Genitalverstümmelung und häuslicher Gewalt, verbreitet ist. Kulturelle Haltungen der traditionellen Älteren und Strafverfolgungsorgane würden routinemäßig dazu führen, dass Frauen der Zugang zum Recht und die ihnen zustehenden Rechte im Prozess verweigert würden und sie in Haft unmenschlich behandelt würden.
Auch nach Angaben von UNIFEM würden Vergewaltigungen als Mittel eingesetzt werden, um andere Klans zu attackieren, kämen aber auch innerhalb desselben Klans oder Sub-Klans vor. (DIS, März 2004, S. 41)
[Passage entfernt]
Laut UK Home Office sind jene Frauen am verwundbarsten, die in Somalia intern vertrieben sind, die nicht unter dem Schutz eines mächtigen Klans stehen und jene Frauen, die Minderheitenklans und ethnischen Minderheiten angehören. (UK Home Office, Oktober 2003, para 6.105) Unter Bezugnahme auf einen Bericht von UNICEF aus dem Jahr 2000 hält das Global IDP Project des Norwegischen Flüchtlingsrats fest, dass Binnenvertriebene Frauen besonders gefährdet seien, Opfer von sexueller Gewalt zu werden. Dies gelte insbesondere für Angehörige von rivalisierenden Klans und Minderheiten. (NRC – Global IDP Project, Juni 2003)
 
In dem Bericht „Somali between Peace and War“ wird festgestellt, dass die direkte Wirkung des Krieges auf die Frauen dramatisch war und dazu geführt hat, dass tausende von Frauen intern vertrieben wurden und jetzt ohne familiäre Unterstützung die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen müssten. Die Feminisierung der Armut sei daher am zunehmen. Vergewaltigung sei zu einer regulären Praxis geworden und habe sich von einer gelegentlichen kriminellen Übertretung zu einem systematischen Instrument der Gewalt und Erniedrigung zwischen Gruppen entwickelt. Weiters wird erwähnt, Vergewaltigungen hätten sich disproportional gegen militärisch schwache Minderheitengruppen gerichtet. (Matt Bryden/Martina Steiner, 1998, S. 49, 50)
 
Der UNHCR hält in seiner jüngsten Position zur Rückkehr abgewiesener Asylwerber nach Somalia fest, nur 5% aller Rückkehrer könnten sich drei Mahlzeiten am Tag leisten, 64% würden mit einem Mahl oder weniger leben. Der tägliche Kampf um das Überleben würde Mädchen und Frauen verwundbarer für Missbrauch machen.
Frauen, die erfolglos, aber glaubwürdig ihren Asylantrag mit geschlechtsspezifischer Verfolgung begründen haben, sollten nicht unfreiwillig nach Somalia rückgeführt werden. Die Behörden in Somaliland und Puntland versuchten Frauenrechte zu fördern, sie hätten aber keine wirklichen Möglichkeiten, dies auch durchzusetzen. (UNHCR, 27. Jänner 2004, S. 10)
 
Nach Angaben von IRIN in einem Artikel vom 27. Jänner 2004 verurteilte der „United Nations Resident and Humanitarian Coordinator for Somalia“ die jüngsten Tötungen von Frauen und Kindern im Süden, darunter die Ermordung von 10 Frauen durch Milizen. Auch weitere Fälle von Entführung und Vergewaltigungen von Kindern und Frauen seien an UN und lokale Menschenrechtsorganisationen berichtet worden. (IRIN, 27. Jänner 2004)
 
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Die Antwort stellt keine abschließende Meinung zur Glaubwürdigkeit eines bestimmten Asylansuchens dar.
 
 
Quellen: