Anfragebeantwortung zu Nicaragua: Lebensmittelversorgung [a-10848-1]

30. Jänner 2019

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Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), eine Hilfs- und Wohlfahrtsorganisation, veröffentlichte im August 2018 eine Analyse seines Regionalbüros Lateinamerika zur Dürre 2018 und der absehbaren Ernährungskrise im zentralamerikanischen Trockenkorridor:

„Der Trockenkorridor bezeichnet ein Gebiet in Mittelamerika, das jährlich von einer extremen Trockenheit zwischen November und April gekennzeichnet ist. Normalerweise ist der Anbau von Grundnahrungsmitteln (Mais und Bohnen) von dieser Trockenperiode nicht betroffen, da in der Regenzeit, zwischen Mai und Oktober, angebaut wird. In diesem Gebiet leben etwa 10,5 Millionen Menschen, von denen etwa 60 Prozent als arm bezeichnet werden können.

Die ‚Canícula‘ ist in Zentralamerika eine alljährige kurze Trockenzeit während der Regensaison, die normalerweise Anfang Juli beginnt und nicht länger als 10-14 Tage andauert. Aufgrund der kurzen Dauer und der ausreichenden Bodenfeuchtigkeit, die die Niederschläge der zweiten Junihälfte mit sich bringen, hat diese kurze Trockenzeit in der Regel auf die Entwicklung der Mais- bzw. Bohnenpflanzen der ersten Pflanzsaison, keine gravierenden Auswirkungen, auch wenn sich die Pflanzen in diesem Moment mitten in der vegetativen Wachstumsphase befinden.

El Niño und Klimawandel. In den letzten Jahren hat sich diese kleine Trockenperiode zum Teil erheblich verlängert, was auf das Klimaphänomen El Niño und die Auswirkungen des Klimawandels zurückgeführt wird. Das Ausbleiben der erforderlichen Niederschläge während der Regenzeit wird als Dürre bezeichnet und beeinträchtigt, je nach Ausmaß, die Erträge des Grundnahrungsmittelanbaus zur Selbstversorgung kleinbäuerlicher Familien. Gleichzeitig breitet sich der Trockenkorridor immer weiter aus.

Dürren in drei aufeinanderfolgenden Jahren. In 2013, 2014 und 2015 verzeichnete der zentralamerikanische Trockenkorridor unregelmäßige und ungenügende Niederschläge während der ersten Hälfte Regenzeiten (Mai bis Juli) in den jeweiligen Jahren. Somit kam es in drei aufeinanderfolgenden Jahren zu Verlusten bei den Erträgen in der Grundnahrungsmittelproduktion.

In 2015 erreichte die Dürre extreme Ausmaße, die zu einer humanitären Ernährungskrise führte. Es war eine der schwersten Dürren der Geschichte Zentralamerikas. Etwa 3,5 Millionen Bewohner des Trockenkorridors waren von unregelmäßigen und ungenügenden Niederschlägen betroffen. Sie verloren etwa 75-100% der Ernten von Mais und Bohnen.

Schädlinge und übermäßig starke Niederschläge in 2017. Die Erträge des Anbaus von Grundnahrungsmittel der zweiten Pflanzsaison 2017 (September bis November) verzeichneten ebenfalls Verluste bis zu 40%, diesmal jedoch aufgrund von Schädlingen und stark erhöhten Niederschlägen, sodass die Vorräte von Grundnahrungsmitteln auf Haushaltsebene seit Jahresbeginn 2018 geringer sind als normal sind.

Weitere Faktoren, die die Ernährungssicherheit in Zentralamerika beeinflussen, sind der Öl- und Kraftstoffpreis, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen Preisspekulation von Mais und Bohnen und die Verfügbarkeit von Saisonarbeit in der Kaffeeernte, die wichtigste Cash-Einkommensquelle der kleinbäuerlichen Familien des Trockenkorridors.

3. Ausmaß der Dürre 2018

Die alljährliche Canícula, die kurze Trockenzeit während der Regensaison, hat dieses Jahr wesentlich länger als normal (bis zu 40 Tagen) angehalten und somit starke Verluste im Anbau von Grundnahrungsmittel (Mais und Bohnen) im mittel-amerikanischen Trockenkorridor verursacht. Unter Berücksichtigung verschiedener Quellen kann das Ausmaß der Dürre 2018 bislang wie folgt beschrieben werden: […]

Nicaragua:

 Bislang liegen keine offiziellen Informationen zum Ausmaß und Schweregrad der Auswirkungen der Dürre 2018 in Nicaragua vor.

 Jedoch kann man auf Basis der Informationen aus den drei nördlichen Nachbarländern und von Schlüsselinformanten des ASB in Nicaragua annehmen, dass die Auswirkungen der Dürre im nicaraguanischen Trockenkorridor ähnliche Ausmaße annimmt. Somit sind schätzungsweise ca. 50.000 kleinbäuerliche Familien (rund 250.000 Menschen) von der Dürre betroffen. Verluste im Anbau von Grundnahrungsmitteln von über 70% in bestimmten Gemeinden/Bezirken des Trockenkorridors sind zu erwarten.

4. Bisher ausgerufene Not - und Alarmzustände / Hilfeaufrufe […]

Nicaragua: Die Regierung ignoriert bislang die Dürre und die absehbare Ernährungskrise. Im Gegenteil, der Agrarminister hat am 26. Juli in einem Interview die Regenfälle als „normal“ eingestuft und „ermutigende“ Ernteprognosen verkündigt. […]

Die aufgrund der Dürre geringer ausfallenden Erträge der ersten Pflanzsaison 2018, die ebenfalls geringen bzw. bereits erschöpften Vorräte an Grundnahrungsmitteln, die niedrige Resilienz und der Preisanstieg von Mais und Bohnen stützen die Annahme, dass die diesjährige Dürre zu einer Nahrungsmittelknappheit und darüber hinaus zu einer akuten Ernährungskrise (IPC Stufe 3) von zehntausenden kleinbäuerlichen Familien in Zentralamerika führen wird.“ (ASB, 7. August 2018, S. 1-4)

FEWS NET (Famine Early Warning System Network), ein Netzwerk aus Analysten, das in über 35 Ländern tätig ist und Daten und Karten über die Ernährungssicherheit in Nicaragua veröffentlicht, arbeitet seit März 2011 mit der aktualisierten Version einer ernährungssicherheitsbezogenen Klassifizierung, der sogenannten Integrated Food Security Phase Classification (IPC) Version 2.0 (FEWS NET, ohne Datum). Die Klassifizierung setzt sich aus fünf Phasen von Ernährungsunsicherheit zusammen, die von minimal (Phase 1) über angespannt (Phase 2) und krisenhaft (Phase 3) bis hin zu einem Notfall (Phase 4) und einer Hungersnot (Phase 5) reichen. Während bei Phase 1 mehr als vier von fünf Haushalte in der Lage seien, den Bedarf an Grundnahrungsmitteln und nicht nahrungsbezogenen Gütern zu decken ohne atypische, nicht nachhaltige Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen anzuwenden, habe in Phase 2 bereits mindestens jeder fünfte Haushalt trotz humanitärer Hilfe nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch und sei nicht in der Lage sich wesentliche nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. In Phase 3 weise trotz humanitärer Hilfe mindestens jeder fünfte Haushalt Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung auf oder sei nur geringfügig unter der Voraussetzung eines vorzeitigen Abbaus jener Güter, die die Lebensgrundlagen schaffen, in der Lage, den Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken, was zu Lücken im Nahrungsmittelkonsum führe. Phase 4 sei davon gekennzeichnet, dass trotz humanitärer Hilfe mindestens jeder fünfte Haushalt mit großen Lücken im Nahrungsmittelkonsum zu kämpfen habe, die zu sehr hoher akuter Unterernährung und erhöhter Sterblichkeit führen würden, oder zu einem sehr starken Verlust jener Güter, die die Lebensgrundlagen schaffen, was in naher Zukunft zu Lücken im Nahrungsmittelkonsum führe. Phase 5 bedeute, dass trotz humanitärer Hilfe mindestens jeder fünfte Haushalt einen extremen Mangel an Nahrung und anderen Grundbedürfnissen, bei denen Hunger, Tod und Not offensichtlich sind, aufweise. (FEWS NET, ohne Datum)

 

Laut Angaben von FEWS NET vom Dezember 2018 befinde sich Zentralamerika in Phase 2 der oben beschriebenen Klassifizierung.

Die ärmsten Haushalte im Trockenkorridor („Corredor Seco“) seien wegen der Verschlechterung der Lebensgrundlage aufgrund der regelmäßigen Verluste bei der Produktion, der Einschränkungen bei den Einkünften und steigender Preise von grundlegenden Konsumgütern in einer angespannten Lage. Gefährdete („vulnerables“) Haushalte, die sich im Trockenkorridor einer der drei Länder befinden würden, keine Nahrungsmittelreserven und keine Arbeit hätten, und sowohl bei der Ernte der ersten Pflanzphase (Primera) als auch bei der zweiten Pflanzphase (Postrera) Verluste hätten, befänden sich bezüglich der Ernährungsunsicherheit in einer angespannten Lage. Zwischen Dezember 2018 und Mai 2019 könne sich eine kleine Anzahl von Haushalten in einer

krisenhaften Lage (Phase 3) befinden:

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„Key Messages

Los hogares más pobres ubicados en el Corredor Seco de la región se encontrarán en Estrés debido al deterioro en los medios de vida por pérdidas de producción recurrentes, limitaciones en el ingreso y alzas en los precios de los productos de consumo básicos. […]

Hogares vulnerables en el Corredor Seco de los tres países que se encuentran sin reservas alimentarias ni empleo y con pérdidas de las cosechas de Primera y de Postrera, estarán en inseguridad alimentaria en Estrés (Fase 2, CIF), de diciembre a mayo 2019, no obstante, un número reducido de hogares podría encontrarse en Inseguridad Alimentaria Aguda en Crisis (Fase 3, CIF).” (FEWS.NET, Dezember 2018)

Bezugnehmen auf Angaben von FEWS.NET vom Juli 2018 sowie von davor schreibt der ASB:

„Um genauer die Anzahl von Personen je Schweregrad, die ab September 2018 im mittelamerikanischen Trockenkorridor von der Ernährungsunsicherheit betroffenen sein werden, vorhersagen zu können, wurde die Juli 2018 sowie vorherigen FewsNet-Vorhersagen unter Berücksichtigung der in der zweiten Julihälfte bestätigten Verluste des Anbaus der Grundnahrungsmittel aktualisiert. Diese ASB angepasste FewsNet-Vorhersage wird in der folgenden Tabelle präsentiert:

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 (ASB, 7. August 2018, S. 5-6)

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) schreibt in einer Kurzübersicht zu Nicaragua vom August 2018, dass Nicaragua trotz des beträchtlichen Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahre weiterhin ein Land sei, in dem es ein Lebensmitteldefizit gebe. Zudem sei es nach wie vor eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Der Anteil der Unterernährten habe zwar abgenommen, dennoch liege der Anteil der chronisch Unterernährten bei 17 Prozent, und in Madriz (30%), Jinotega (28%) und Nueva Segovia (28) seien die Zahlen höher. Nicaragua sei anfällig für auftretende Naturkatastrophen. Die Ernährungsunsicherheit im Land stehe in einem engen Zusammenhang mit Armut, auftretenden Naturkatastrophen und den Auswirkungen des Klimawandels:

„Whilst Nicaragua has achieved sustained economic growth and human development in recent years, it continues to be a food deficit country (FAO 2016) and one of the poorest countries in Latin America. Undernourishment has improved, yet the prevalence of chronic undernutrition is 17 per cent and rates are higher in Madriz (30 per cent), Jinotega, and Nueva Segovia (28 per cent). Additionally, obesity and overweight are on the rise.

Nicaragua is vulnerable to recurrent natural disasters, ranking fourth in the Long-Term World Climate Risk Index (Germanwatch, 2016). Food insecurity is closely related to poverty, recurrent natural disasters and the effects of climate change.“ (WFP, August 2018, S. 1)

Die internationale Nachrichtenagentur Reuters schreibt in einem Artikel vom September 2018, dass laut Angaben des World Food Programme (WFP) die Dürre in Teilen Zentralamerikas dazu führen könne, dass mehr als zwei Millionen Menschen von Hunger betroffen sein könnten. Unterdurchschnittliche Regenfälle im Juni und Juli hätten im Trockenkorridor, der sich unter anderem durch Nicaragua ziehe, zu größeren Ernteverlusten bei Kleinbauern, die Mais und Bohnen anbauen würden, geführt. Dies bedeute, dass Subsistenzbauern in den kommenden Monaten nicht genug Essen zum Verzehren oder Verkaufen hätten und keine Vorräte für die Zeit zwischen den Ernten hätten. Laut den Vereinten Nationen sei Zentralamerika eine der am stärksten gefährdeten Regionen bezüglich extremer mit dem Klimawandel in Verbindung stehender Wetterbedingen. Die Region sei stark von aufeinanderfolgenden Dürreperioden in den Jahren 2014 bis 2016 getroffen worden, wodurch Millionen auf Hilfe angewiesen gewesen seien. Ein Vertreter der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) habe angegeben, dass die Menschen in den armen Gebieten, die dem Trockenkorridor entsprechen würden, ihre Lebensmittelvorräte bereits aufgebraucht hätten. Es werde Menschen im Trockenkorridor geben, die Probleme mit der Ernährungssicherheit haben würden. Als Reaktion habe El Salvador im Juli Alarmstufe rot ausgerufen, Honduras habe im August in seinen Gebieten des Trockenkorridors, wo etwa 80 Prozent der Mais- und Bohnenernte zerstört worden seien, den Notstand ausgerufen. Ein Vertreter von Action Against Hunger in Zentralamerika habe angegeben, dass die schlechten Ernten dazu geführt hätten, dass gefährdete Familien in eine Spirale aus Schulden und Landverkauf geraten seien. Der Ernteausfall habe in vielen Fällen dazu geführt, dass Familien ihr Land verloren und andere Vermögenswerte verkauft hätten. Man gehe davon aus, dass das Wetterphänomen des El Niño Zentralamerika gegen Ende des Jahres 2018 treffen werde:

„Poor harvests caused by drought in parts of Central America could leave more than two million people hungry, the World Food Programme (WFP) said on Friday, warning climate change was creating drier conditions in the region. Lower than average rainfall in June and July has led to major crop losses for small-scale maize and bean farmers in Central America’s ‘Dry Corridor’, which runs through Guatemala, El Salvador, Honduras and Nicaragua. This means subsistence farmers will not have enough food to eat or sell in the coming months, and have no food supplies to see them through the lean time between harvests.

‘Climate-related disasters are clearly becoming more frequent and causing more damage,’ Miguel Barreto, WFP’s regional director for Latin America and the Caribbean, told the Thomson Reuters Foundation by email. ‘Projected temperature increases and rainfall shortages in the Dry Corridor are of particular concern.’ The United Nations says Central America is one of the regions most vulnerable to extreme weather linked to climate change.

The region was hit hard by consecutive years of drought from 2014 to mid-2016, which left millions in need of food aid.

‘The warning this year is that in the poor areas, that is the dry corridor, people have already used their (food) stock,’ said Oscar Rojas, natural resources officer with the U.N. Food and Agriculture Organization (FAO). ‘There will be people in the dry corridor that will have problems in terms of food security.’

In response, El Salvador declared a red alert in July, and Honduras declared an emergency in its Dry Corridor in August where about 80 percent of maize and bean crops have been lost. The governments of Guatemala, El Salvador and Honduras, have reported losses of 281,000 hectares of bean and maize crops.

Miguel Angel Garcia, regional director in Central America for Action Against Hunger, said poor crop harvests caused already vulnerable families to incur a spiral of debt and sell off land. ‘The loss of harvests is linked in many cases to the loss of land or the sale of other assets that families have,’ he said.

The El Nino weather phenomenon - a warming of the Pacific Ocean’s surface that causes hot and drier conditions - is expected to hit Central America by the end of the year.“ (Reuters, 7. September 2018)

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) schreibt im November 2018, dass die offizielle Vorhersage des Internationalen Forschungsinstituts für Klima und Gesellschaft der Columbia University bezüglich des El Niño darauf hinweise, dass es eine 80-prozentige Chance gebe, dass sich dieser im Winter 2018/2019 in der nördlichen Hemisphäre entwickeln werde und eine 50- bis 60-prozentige Chance, dass er bis zum Frühling 2019 andauere. Auch die Weltorganisation für Meteorologie (World Meteorological Organization, WMO) und das Australische Büro für Meteorologie würden bestätigen, dass es in den nächsten Monaten eine hohe Wahrscheinlichkeit für El Niño gebe. Laut dem Zentrum für Klimavorhersage (Climate Prediction Centre) führe El Niño üblicherweise zu unterdurchschnittlichen Regenfällen in Zentralamerika. In den nördlichen Regionen des südamerikanischen Kontinents würden normalerweise trockene Verhältnisse herrschen.

Zu den möglichen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit schreibt die FAO, dass es zwischen Juni und Mitte August in Zentralamerika, insbesondere im Trockenkorridor, längere und ausgeprägtere trockene Verhältnisse (Canícula genannt) als sonst im Durchschnitt geherrscht hätten. Dies habe der ersten Pflanzphase geschadet. Man gehe davon aus, dass 2,1 Millionen Menschen davon betroffen seien, wobei die Ernteeinbußen, je nach Region, zwischen einem Verlust von 20 Prozent und einem kompletten Verlust gelegen hätten.

In Nicaragua hätten sich die trockenen Verhältnisse nur begrenzt auf den Anbau von Kulturpflanzen ausgewirkt. Allerdings seien in den Gebieten Madriz und Chinandega Verluste gemeldet worden. Darüber hinaus erlebe das Land seit April 2018 weit verbreitete politische Unruhen. Wegen der geringen Exporte, des begrenzten Tourismus, des Mangels an Arbeit und ausländischen Investitionen sei das durchschnittliche Haushaltseinkommen beträchtlich gefallen. Die Auswirkungen anhaltend trockener Verhältnisse auf die Landwirtschaft könnten in den kommenden Monaten zu einer sich verstärkenden Krise bei der Ernährungssicherheit beitragen:

The November 2018 official El Niño forecast, released by the International Research Institute (IRI) for Climate and Society of Columbia University, points to a 80 percent chance of El Niño developing through 2018/19 northern hemisphere winter, with a probability of 55–60 percent into the spring of 2019. A high probability of an El Niño event occurring in the coming months is also confirmed by the World Meteorological Organization (WMO) and the Australian Bureau of Meteorology (BOM).” (FAO, November 2018, S. 1-2)

„According to the Climate Prediction Centre, El Niño is typically associated with below-average rainfall in Central America. The event is typically associated with dry conditions over the northern part of the South American continent, including Venezuela and Colombia. […]

Potential impact on agriculture and food security

Central America, particularly the Dry Corridor (El Salvador, Guatemala, Honduras and Nicaragua), have experienced longer and more pronounced than average dry conditions – the socalled Canícula – between June and mid-August 2018. This has damaged the primera season, with planting starting in the middle of April and harvest ending in July-early August. The Canícula is estimated to have affected 2.1 million people, with a production decrease ranging from 20 percent to a total loss of crops, depending on the area. […]

In Nicaragua, dry conditions had a reduced impact on crop production. However, some losses were reported in the departments of Madriz and Chinandega. In addition, the country is experiencing widespread political unrest since April 2018. Due to low exports, limited tourism, lack of employment and foreign investment, the average household income has decreased significantly. The impact of continuing dry conditions on agriculture could contribute to a deteriorating food security crisis over the coming months. The region is experiencing increased migration flows, including because of political instability in Nicaragua. Persisting political instability, coupled with dry conditions in the region, could exacerbate these regional migration flows over the coming months.” (FAO, November 2018, S. 10)

Das Assessment Capacities Project (ACAPS), eine von einem Konsortium aus zwei NGOs gegründete Initiative mit Sitz in Genf, die Bedarfsanalysen für humanitäre Entscheidungsträger erstellt, schreibt in einem Bericht vom Dezember 2018 zu Nicaragua unter Bezug auf unterschiedliche Quellen, dass die politische Krise zu wirtschaftlichen Turbulenzen geführt habe, und das Land am 1. Oktober 2018 offiziell in eine Phase der Rezession eingetreten sei. Es gebe keine aktuellen Daten zu wirtschaftlichen Aktivitäten, da die Zentralbank von Nicaragua seit Juni 2018 keine Updates veröffentlicht habe und die Regierung die Wirtschaftskrise nach wie vor herunterspiele und die Zahlen bestreite. Allerdings sei seit April 2018 ein starker Rückgang bei wirtschaftlichen Aktivitäten, Nachfrage nach Konsum und Investitionen beobachtet worden. Die Menschen hätten seit dem Beginn der Unruhen ihre Rücklagen aus dem nationalen Finanzsystem abgezogen, und im November habe die Regierung Online-Dollar-Käufe durch Banken gestoppt und versuche damit, das Abheben von Geld zu kontrollieren. vor den Ereignissen im April 2018 sei erwartet worden, dass die Wirtschaft Nicaraguas 2018 um 4,3 Prozent wachse, aber laut Angaben der nicaraguanischen Stiftung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (FUNIDES) könnte die Wirtschaft 2018 im Vergleich zu 2017 um bis zu vier Prozent geschrumpft sein. Die Arbeitslosigkeit sei angestiegen. Es werde geschätzt, dass 417.000 Personen seit April 2018 ihre Jobs verloren hätten. Die Regierung streite die Wirtschaftskrise ab und behaupte, die Wirtschaft werde 2018 um ein Prozent wachsen. Die sich verschlechternde Wirtschaft werde vermutlich andere Bedürfnisse verschlimmern, insbesondere die Ernährungssicherheit. Man erwarte, dass sich die Ernährungssicherheit in den kommenden Monaten verschlechtern werde und etwa 300.000 NicaraguanerInnen direkt betroffen seien, die in Gebieten leben würden, die für Dürre anfällig seien. Während die Mais-Preise in der Region nach dem Ende der ersten Erntephase im September saisonbedingt zurückgegangen seien, habe ein durch die politische und wirtschaftliche Krise bedingter Zusammenbruch des Marktes zu einem beträchtlichen Anstieg der Mais-Preise in den darauffolgenden Monaten geführt. Inmitten einer andauernden wirtschaftlichen Rezession sei es wahrscheinlich, dass die Nahrungsmittelpreise weiter steigen würden, wodurch der Zugang zu Nahrung eingeschränkt werde und sich die Ernährungssicherheit verschlechtere. Außerdem würden aktuelle Vorhersagen von einer 80-prozentigen Wahrscheinlichkeit von El Niño ausgehen, was zu unterdurchschnittlichen Regenfällen zwischen November 2018 und Jänner 2019 in Süd-Nicaragua und zwischen Jänner und März 2019 in Ost-Nicaragua führen könne. Der Zugang zu Nahrungsmitteln sei wahrscheinlich während der zweiten Pflanzphase, die im August 2018 begonnen und im November 2018 geendet habe, sowie während der ersten Pflanzphase 2019, wen die Auspflanzung von Mais beginne, beeinträchtigt:

„The political crisis has led to economic turmoil, and on 1 October 2018, Nicaragua formally fell into recession for the first time since the global financial crisis of 2009. Current data on economic activity is missing because the Central Bank of Nicaragua (BNC) has not provided updates since June 2018, and the Nicaraguan government is still downplaying the economic crisis and contesting the figures. However, sharp declines in economic activity, demand for consumption, and investment have been observed since April 2018 (Confidencial 02/10/2018). People have been taking their deposits out of the national financial system since the unrest began, and in November, the government stopped online dollar purchases by banks in an attempt to control withdrawals (100% Noticias 03/12/2018; Rabble 14/11/2018).

Prior to the events in April, the economy was expected to grow by 4.3% in 2018; however, according to FUNIDES (Fundacion Nicaraguense para el Desarrollo Economico y Social), the economy in 2018 could have contracted by as much as 4% compared to 2017 (FUNIDES 11/11/2018; VOA 14/08/2018). Unemployment has spiked, with an estimated 417,000 people losing their jobs since April, most in the commerce, hostels and restaurants, agriculture, forestry, fishing and construction sectors (DG ECHO 07/11/2018). The government denies the economic crisis, claiming the economy will grow by 1% in 2018, and introduced a national budget reform in August 2018 that significantly reduced spending on health and education. The government blamed the reduction on protesters, accused of staging a coup and destabilising the economy as a result (VOA 14/08/2018). […]

In addition to the immediate protection concerns as a result of increasingly repressive government tactics, the deteriorating economy is likely to exacerbate other needs, primarily food security. In the upcoming months the food security situation is expected to deteriorate, directly impacting some 300,000 Nicaraguans currently living in areas susceptible to the drought (Aid Forum 21/08/2018). While maize prices across the region have been experiencing a seasonal decrease since the end of the primera harvest in September, market disruption due to the political and economic crisis led to a significant increase in maize prices in the months that followed (FEWSNET 16/12/2018). Amid a persistent economic recession, food prices are likely to keep increasing, limiting food access and ultimately worsening food security. In addition, current forecasts predict an 80% chance of an El Niño episode materialising, leading to below average rains between November 2018 and January 2019 in southern Nicaragua, and January to March 2019 in eastern Nicaragua (FAO 20/11/2018). Food access and availability will likely be impacted during the postrera season (planting started in August, and harvest began in November) as well as the 2019’s primera season, when the planting season for maize begins (mid-April) (FAO 20/11/2018).“ (ACAPS, 18. Dezember 2018, S. 14-18)

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), eine staatliche Entwicklungszusammenarbeitsorganisation der Bundesrepublik Deutschland, schreibt auf ihrem Länderinformationsportal mit Stand Dezember 2018 Folgendes allgemein zur wirtschaftlichen Lage und Entwicklung in Nicaragua:

„Die Wirtschaft Nicaraguas hat seit dem Jahr 2010 ein kräftiges Wachstum mit 4-5% pro Jahr aufzuweisen gehabt. 2015 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) inflationsbereinigt um 4,8%, 2016 um 4,7%, und 2017 um 4,9%. Anzumerken ist, dass das Wachstum inzwischen nicht mehr von der Bevölkerungszunahme aufgezehrt wird; das BIP pro Kopf wuchs 2015 um 5,7%, 2016 um 3,5 und 2017 um 3,7%. Auch die Armutsindikatoren haben sich in den letzten Jahren verbessert (obwohl Nicaragua dennoch eines der ärmsten Länder in Lateinamerika geblieben ist). Die Prognose für das reale Wachstum des BIP war bis vor kurzem auch für das laufende Jahr 2018 günstig: Erneut wurden 4,7% erwartet. Doch die Protestbewegung, die seit dem 19. April das ganze Land erfasst hat […], hat schon jetzt zu wirtschaftlichen Verlusten geführt, deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist.

Die Erwirtschaftung des Bruttoinlandsproduktes teilt sich in folgende Wirtschaftssektoren auf: Landwirtschaft: 17%; Bergbau 3%; Handwerk und Industrie: 25%; Dienstleistung: 55%. Der Anteil der Landwirtschaft ist der höchste in Zentralamerika. Nicaragua ist seit der Kolonialzeit ein Agrarland, und das ist es bis heute geblieben. […]

Problem Armut

Nach Angaben der unabhängigen und angesehenen Stiftung Fundación Internacional para el Desafío Económico Global (FIDEG) hat es von 2005 bis 2009 eine erste Reduzierung des Anteils der Armen und extrem Armen in Nicaragua gegeben. Danach ging der Anteil der Menschen in Armut von 48,3% (2005) auf 44,7% (2009) der Bevölkerung zurück, der Anteil von extrem Armen im selben Zeitraum sogar von 17,2% auf 9,7%. In weiteren Studien hat FIDEG festgestellt, dass sich der Rückgang der Armut im Zeitraum 2009-2017 fortgesetzt hat. Nach der letzten Encuesta de Hogares lag der Anteil der Armen 2017 bei 41,2%, der Anteil extrem Armer bei 8,4%. Auf dem Land ist das Problem schon immer dramatischer als in der Stadt gewesen, und hier sehen die Zahlen entsprechend schlechter aus: 2017 waren von 100 Menschen auf dem Land 55,9 arm und 14,5 extrem arm.

Das staatliche Statistikinstitut INIDE hat unterdessen eigene Erhebungen durchgeführt und kommt zu anderen Ergebnissen als FIDEG. Danach ging die Armut von 42,5% (2009) auf 29,6% (2014) und 24,9% (2016) zurück. Der Prozentsatz der extrem Armen reduzierte sich gleichzeitig von 14,6% (2009) auf 8,3% (2014) und 6,9% (2016).

Obwohl FIDEG und INIDE denselben Ansatz bei der Erfassung der Armut haben (Messgrundlage: Kalorienkonsum und familiärer Verbrauch), fallen die Differenzen schon sehr ins Auge. Methodisch erklären sie sich u.a. daraus, dass FIDEG die Armutsgrenze bei 2,40$/Tag ansetzt, das INIDE aber erst von Armut spricht, wenn nicht mehr als 1,71$/Tag zur Verfügung stehen; dementsprechend gelangt es zu niedrigeren Zahlen. Die politische Brisanz der Armutszahlen liegt auf der Hand, und die Politik hat natürlich ein Interesse an niedrigen Zahlen. FIDEG musste z.B. im August 2017 die Präsentation seiner neuen Zahlen auf unbestimmte Zeit verschieben. Nach einem Bericht des Magazins ‚Confidencial‘ war der Hintergrund, dass FIDEG für 2016 einen vorübergehenden Wiederanstieg der Armut bekanntgeben wollte und die Regierung intervenierte, um das zu verhindern. […]

Entsprechend besorgniserregend sind die Aussichten in der aktuellen Krise seit April 2018. Nach einer aktuellen Studie der FIDEG könnte sich die allgemeine Armut im Land wieder auf Werte der Zeit vor 2009 stellen. Bei einem angenommenen Rückgang des familiären Verbrauchs um 10% würde der Anteil der Bevölkerung in Armut auf 46,6% ansteigen. Sollte der Verbrauch um 30% zurückgehen, würde der Anteil der Armen sogar auf 57,3% zunehmen. Die extreme Armut würde entsprechend auf 10,6 bzw. auf 15% hinaufgehen.

Auf der Liste des Human Development Index 2018 rangiert Nicaragua auf der miserablen Position 124 (von insgesamt 189 untersuchten Ländern) und landet im zentralamerikanischen Vergleich knapp vor Guatemala und Honduras. Nach Angaben von UNICEF leiden 22% aller nicaraguanischen Kinder unter chronischer Mangelernährung. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich nicht nur Hunger und Verzweiflung; man muss weiterhin von einer dramatischen Lähmung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung sprechen.“ (GIZ, Dezember 2018)

Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) zitiert in einem Artikel vom Dezember 2018 eine Marktverkäuferin, der zufolge die Preise gestiegen seien, da weniger gepflanzt worden sei, weil die Banken den Bauern weniger Kredite gegeben hätten. Diese Knappheit habe zu steigenden Preisen geführt:

„Veronica Guzman Pavon stood at her produce stand bagging fat carrots. She had a big basket of onions on offer, but said it now took four days to sell out whereas before it took two. ‘And they complain because it’s expensive,’ she said. Prices are up because fewer crops were planted because banks were lending less to farmers, she said. That scarcity has driven up costs, which she has to pass on to her customers.

Nicaragua’s private business umbrella organization COSEP issued a report this month saying that instead of the forecast 5 percentage-point growth in Nicaragua’s economy this year, it will finish with a 4-point contraction.“ (AP, 23. Dezember 2018)

Esmerk Latin American News, eine von dem Informations-,Technologie- und Beratungsunternehmen M-Brain zusammengestellte Zusammenfassung von Wirtschaftsnachrichten aus Zentral- und Südamerika, vom 16. Jänner 2019 ist zu entnehmen, dass die Kosten eines Basis-Warenkorbes in Nicaragua laut Angaben der Zentralbank 2018 um 4,3 Prozent gestiegen seien. Im Jahr 2017 sei ein Anstieg um 2,34 Prozent zu verzeichnen gewesen. Die steigenden Kosten des Basis-Warenkorbes seien parallel zur Abwertung der nationalen Währung, die 2018 bei fünf Prozent gelegen habe, sowie der Inflation, die 3,89 Prozent im Jahr 2018 erreicht habe, verlaufen:

„The cost of a basic basket of goods in Nicaragua experienced a year-on-year increase of 4.3% in 2018, to stand at NIO 13,564.66 (EUR 365.26 USD 421.31), according to figures from the Central Bank, Banco Central de Nicaragua (BCN). This increase compares to the 2.34% rise reported in 2017. BCN figures show that 23 of the 53 goods and services comprising the basic basket saw an increase in 2018. For instance, the cost of food items increased by NIO 423, to stand at NIO 8,922.2. Meanwhile, clothing costs went up by NIO 49.8, to NIO 1,613.5, and the cost of household items rose by NIO 103.2, to NIO 2,899.1. This increasing cost in a basic basket of goods run parallel to the devaluation of the national currency, which stood at 5% in 2018. Meanwhile, the inflation rate reached 3.89% in 2018.” (Esmerk Latin American News, 16. Jänner 2019)

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 30. Jänner 2019)