Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rekrutierungsmaßnahmen der Taliban (Zwang bzw. Ausübung von Druck; Rekrutierung in Schulen; Drohbriefe und Social Media; Konsequenzen einer Weigerungen) [a-10677]

13. August 2018

 

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Zwang bzw. Ausübung von Druck

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Umsetzung der praktischen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Asylbereich, führt in seinen Leitlinien zu Afghanistan im Juni 2018 an, dass die Taliban keinen Mangel an Freiwilligen/Rekruten hätten und sich nur in Ausnahmefällen der Zwangsrekrutierung bedienen würden. So werde beispielsweise berichtet, dass die Taliban versuchen würden, Personen mit militärischem Hintergrund, wie Mitglieder der nationalen Sicherheitskräfte (Afghan National Security Forces, ANSF), zu rekrutieren. Die Taliban würden zudem Zwangsrekrutierung in Situationen, die von akutem Druck gekennzeichnet seien, nutzen. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, seien nicht immer von gewalttätiger Natur und würden je nach örtlichen Gegebenheiten oft durch die Familie, den Clan oder das religiöse Netzwerk ausgeübt:

„The Taliban have no shortage of volunteers/recruits and only make use of forced recruitment in exceptional cases. It is, for example, reported that the Taliban try to recruit persons with a military background, such as members of the ANSF [Afghan National Security Forces]. The Taliban also make use of forced recruitment in situations of acute pressure.

Pressure and coercion to join the Taliban are not always violent and would often be exercised through the family, clan or religious network, depending on the local circumstances.” (EASO, Juni 2018, S. 46)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, veröffentlichte im Juni 2017 einen Bericht zum Thema Rekrutierung für die Taliban. In der englischen Zusammenfassung des Berichts schreibt Landinfo, dass Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert seien, diese aber Ausnahmen darstellen würden. Die Rekrutierung der Taliban sei nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet:

Cases of forced recruitment have been documented, but are exceptional. Recruitment to Taliban is not characterized by coercion, threats and violence.” (Landinfo, 29. Juni 2017, S. 4)

EASO bezieht sich in einem Bericht zu Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen in Afghanistan vom September 2016 auf ein im April 2016 geführtes Telefoninterview mit Borhan Osman, einem Beobachter des Afghanistan Analyst Network (AAN), dem zufolge es einen proportionalen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Zwangsrekrutierungsstrategien und dem Druck, dem eine bewaffnete Gruppe ausgesetzt sei, gebe. In vielen Gebieten würden die Taliban als militärisch erfolgreich gelten („victorious force“) und hätten viele freiwillige Kämpfer zur Verfügung, sodass sie bei der Rekrutierung nicht auf Zwang angewiesen seien. In anderen Gebieten sei der Bedarf der Taliban, neue Kämpfer zu finden, dringlicher, obwohl die Anwendung von Gewalt und Zwang zur Rekrutierung die Ausnahme darstelle:

Borhan Osman says the prevalence of forced recruitment strategies is directly proportionate to the level of pressure an armed group is facing. In many areas the Taliban is seen as the victorious force and has a lot of volunteering fighters available, so it does not have to rely on coercion for recruitment. In other areas the Taliban need to find extra fighters might be more pressing, though the use of force or coercion for recruitment is exceptional.” (EASO, September 2016, S. 22)

Bezugnehmend auf Dr. Antonio Giustozzi, einem Gastprofessor am Institut für Kriegsforschung des Kings College in London, die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) und die bereits zitierten Berichte von Landinfo und EASO fasst Friederike Stahlmann vom Max-Planck-Institut für Sozialanthropologie in ihrem Afghanistan-Gutachten vom März 2018 zur Mobilisierung der Taliban das Folgende zusammen:

„Grundsätzlich beruht die Mobilisierung lokaler Unterstützung auf einer Kombination aus Drohung und Einbindung. Wie Giustozzi betont sind die Taliban mit zunehmender militärischer Stärke in der Übernahme von Gebieten weniger auf gute Beziehungen zur lokalen Bevölkerung angewiesen (Giustozzi 23.08.2017a: 22). Das macht die Drohung, die mit einer Verweigerung den Herrschaftsanspruch der Taliban anzuerkennen einhergeht, umso größer. Der Überfall auf Mirza Olang, wo es nach dem Sieg der Taliban zu einer Massenhinrichtung an ‚der widerständigen Bevölkerung‘ kam (UNAMA August 2017), zeigt, dass auch die Verweigerung der Kooperation durch mächtigere Mitglieder der Gemeinschaften genügt, um kollektive Haftung beziehungsweise Vergeltung zu begründen. Die Vorteile für die Gemeinschaften liegen jedoch nicht nur darin, möglicher Vergeltung zu entgehen, sondern auch vor anderen Gewaltakteuren geschützt zu sein. Ob lokalen Autoritäten sich aus Überzeugung, Zwang oder Pragmatismus handeln, ist daher oft nicht abschließend zu klären – muss jedoch auch nicht unbedingt ein Widerspruch sein, angesichts der Gefahr, die in einer Verweigerung begründet wäre und dem Einfluss, den sie durch eine Assoziation mit den Taliban bekommen können – sei es Hilfe gegen lokale Konkurrenten, Schutz vor kriminellen Banden, Schutz von Schmugglerouten und lokalem Handel, oder einen individuellen Machtgewinn in der eigenen Gemeinschaft (vgl. Landinfo 29.06.2017: 14). Weitere Gründe für Gemeinschaften, lokale Machthaber oder auch Familienoberhäupter, zu kooperieren und z. B. ihre Söhne als Kämpfer zu listen sind ökonomische Not, aber auch ideologische Überzeugung.

Erleichtert wird diese Entscheidung dadurch, dass die Taliban, im Vergleich zu ihrer ersten Herrschaft bemühter sind, soziale Verankerung innerhalb der lokalen Gemeinschaften zu erreichen (vgl. Giustozzi 23.08.2017a: 19). Das zeigt sich unter anderem daran, dass mit der Ausnahme von Richtern, lokale Akteure auch als Funktionäre aktiv eingebunden werden. Sofern ihr grundlegender Machtanspruch akzeptiert wird, gibt es mitunter auch Spielraum für Verhandlungen, wenn sich Forderungen glaubwürdig als nicht erfüllbar oder existenzbedrohlich herausstellen. Entscheidende Rolle in dieser Vermittlung spielen hierbei lokale Autoritäten und Mullahs, wobei Verhandlungen in impliziter Vertretung der Betroffenen geführt werden (vgl. EASO September 2016: 22, Giustozzi 23.08.2017a). Beispiel hierfür ist die regelmäßige Forderung Rekruten zur Unterstützung der mobilen Einheiten und zur Absicherung von eroberten Gebieten zu stellen.“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 32-33)

„Während die Opfer von Körperstrafen und Ermordungen z. B. durch die Paralleljustiz der Taliban in der UNAMA-Zusammenstellungen gelistet sind, werden andere Menschenrechtsverletzungen von UNAMA zwar teilweise vorgestellt, jedoch nicht gezählt, solange sie nicht nachweislich zu physischen Verletzungen oder dem Tod führen – darunter Zwangsrekrutierung und Entführungen. Auch wenn die Androhung von Gewalt an den Betroffenen oder ihren Angehörigen als Gewaltform Folter entspricht, sind somit jene ganz systematisch nicht in die UNAMA Statistiken aufgenommen, die sich unter Androhung von Gewalt den Forderungen militanter oder krimineller Gruppierungen beugen mussten, oder gezwungen waren zu fliehen. Sofern die Betroffenen sich der Drohung beugen, sind die Gewalt und den Gefahren, nicht mehr Teil der Listung, da sie dann offiziell als Kombattanten oder Kriminelle gewertet werden. Prominentestes Beispiel ist wohl die Taliban-Kriegsstrategie mit Hilfe von systematischer Überwachung und unter Androhung von Gewalt Gefolgschaft zu erzwingen. Das betrifft nicht nur all jene, die in Taliban-kontrollierten Gebieten leben und ihrer direkten Herrschaft unterworfen sind, sondern auch diejenigen, die sich in offiziell regierungskontrollierten Gebieten Erpressung beugen müssen, um ihr Leben oder das ihrer Familien nicht in Gefahr zu bringen (vgl. 3). Je größer die Macht der Taliban und je unausweichlicher die Zwangslage der Betroffenen, nicht zuletzt durch die eingeschränkten Optionen auf Flucht, desto umfassender wird diese Form der Gewalt.“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 183)

Stahlmann verweist im genannten Bericht auf eine im Februar 2015 veröffentlichte Anfragebeantwortung des kanadischen Verwaltungsgerichts, das sich mit Fällen von Asyl und Migration befasst, (Immigration and Refugee Board, IRB) und gibt hinsichtlich besonderer Ziele der Taliban-Rekrutierung an:

„Besondere Zielgruppe in der Rekrutierung von Informanten sind jedoch Angehörige der Sicherheitskräfte und der Polizei, Regierungsmitarbeiter, des NDS [National Directorate of Security], und jener die Zugang zu kritischen Zielen haben. Da Sicherheitskräfte meist das erste Ziel derartiger Unterwanderung sind, ist es gleich in mehrerlei Hinsicht gefährlich, der Polizei Taliban-Drohungen anzuzeigen – einerseits, weil es die Veröffentlichung der Verweigerung der Kooperation darstellt, andererseits, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es in der Polizei Spitzel gibt, die diesen Verrat direkt den Taliban melden. (Immigration and Refugee Board of Canada 10.02.2015) In 2015 sollen die Taliban allein 900 Informanten in den Sicherheitskräften und der Regierung gehabt haben.“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 48)

In einer Entscheidung des Upper Tribunal des Vereinigten Königreichs vom April 2018 wird auf die Experteneinschätzung zum Risiko einer Rekrutierung durch bewaffnete Gruppierungen von Emily Winterbotham, einer Forschungsbeauftragten am Royal United Services Institute, und von Dr. Antonio Giustozzi verwiesen. Im afghanischen Kontext scheine es keine Einigung über die Bedeutung von Zwangsrekrutierung durch bewaffnete Gruppen zu geben. Berichterstatter würden stattdessen auf die Mobilisierung von Kämpfern und die Rekrutierungsvereinbarungen innerhalb sozialer Strukturen („agreement within social structures for recruitment“), wenn auch in einigen Fällen unter Anwendung von Zwang, Nötigung oder Gewalt, verweisen. Es bestehe zudem die Möglichkeit, den Begriff Zwangsrekrutierung immer in Zusammenhang mit Kindern zu verwenden, nicht aufgrund einer tatsächlichen Anwendung von Gewalt zum Zweck der Rekrutierung, sondern weil diese noch nicht alt genug seien, um eine fundierte Entscheidung zu treffen.

Dr. Giustozzi und Frau Winterbotham hätten zur traditionellen Methode der Taliban-Rekrutierung ausgesagt, dass diese über religiöse Netzwerke von Familien, Stämmen und ethnischen Gruppen vor Ort funktioniere und auch lokale spezialisierte Zellen in Afghanistan und bedeutende Rekrutierungspools in Pakistan umfasse. Die Rekrutierung erfolge in der Regel, weil jemand Mitglied einer Stammes- oder Verwandtschaftsgruppe sei und von Ältesten angewiesen werde, sich anzuschließen. Die Rekrutierung erfolge nicht notwendigerweise auf ideologischer Basis, sondern könne durch Anreize für Einzelpersonen (wie Schutz, Bargeld, Motorräder, Mobiltelefone und Kredite) sowie durch Zwang oder direkte Drohungen erfolgen. Personen würden am ehesten durch Stammes-, Clan- oder Familienbande rekrutiert. Frau Winterbotham habe zugestimmt, dass es nur begrenzte Beweise dafür gebe, dass bewaffnete Gruppen Drohungen und Zwang anwenden würden, um Einzelpersonen zu zwingen, sich ihnen in Kabul anzuschließen, und dass es auch anderswo nur begrenzte Beweise dafür gebe. Frau Winterbotham habe allerdings angemerkt, dass es in Afghanistan an Überwachungsinformationen mangle, was bedeute, dass das Fehlen dokumentierter Fälle nicht die Schlussfolgerung rechtfertige, dass diese nicht stattgefunden hätten.

Eine Alternative zu Zwangsrekrutierung oder –mobilisierung betreffend habe Frau Winterbotham ausgesagt, dass Einzelpersonen sich verpflichtet fühlen würden, sich bewaffneten Gruppen anzuschließen, die sich nicht auf die Taliban beschränken würden. Sie habe auf eine erhebliche Sammlung an Werken über die Radikalisierung und Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen verwiesen, die sich sowohl auf entwickelte Länder als auch auf Entwicklungsländer beziehen würde. Die Theorien seien nicht notwendigerweise auch im Kontext anderer Ländern oder unter anderen Bedingungen anwendbar. Insgesamt stelle sie fest, dass die Frage, ob eine Person sich gezwungen fühle, sich einer bewaffneten Gruppe anzuschließen, keine lineare Einschätzung, sondern ein komplexer nicht geradliniger Prozess sei, wofür keine Profile von Individuen erstellt werden könnten. Stattdessen gebe es eine Reihe von Faktoren oder Antriebskräften für Rekrutierung, die relevant sein könnten, darunter soziale und wirtschaftliche Faktoren, wirtschaftliche Anreize, der persönlicher Status und die Gelegenheit, Ruhm zu erlangen:

84. In the Afghan context, there appears to be no agreement about the meaning of forced recruitment to armed groups, instead commentators refer to mobilisation of fighters and agreement within social structures for recruitment, albeit with the use of coercion, duress or force in some cases. There is also the possibility that the term forced recruitment necessarily applies to children because they’re not old enough to make an informed choice as opposed to a more literal use of force for their recruitment.

85. Dr Giustozzi and Ms Winterbotham gave evidence as to the traditional method of Taliban recruitment, which works through family, tribal and ethnic local religious networks, also using local specialised cells in Afghanistan and significant recruitment pools in Pakistan. Recruitment would usually be because someone is a member of a tribal or kinship group and is instructed to join by elders. Recruitment is not necessarily on an ideological basis but can be through incentives for individuals (such as protection, cash, motorcycles, mobile phones and credit for them) as well as through coercion or direct threats. A person is most likely to be recruited through tribal, clan or family ties. Ms Winterbotham accepted that there was limited evidence of armed groups using threats and coercion in order to force individuals to join them in Kabul and limited evidence of this elsewhere as well, albeit noting that there was a lack of monitoring information in Afghanistan which meant the absence of documented instances should not itself justify the conclusion that they did not occur.

86. In the alternative to forced recruitment or mobilisation, Ms Winterbotham gave evidence as to individuals feeling compelled to join armed groups, not limited to the Taliban. She referenced a significant body of work relating to both developed and developing countries on radicalisation and recruitment by armed groups albeit noting that the theories do not necessarily apply in the context of different countries or conditions. Overall, she stated that whether a person feels compelled to join an armed group is not a linear assessment but a complex nonlinear process for which it is not possible to profile individuals. Instead there are a number of factors or drivers for recruitment which may be relevant, including social and economic factors (such as lack of social structures, lack of housing, lack of employment, issues of achieving manhood and desirability of marriage), economic incentives, status for an individual and an opportunity to seek glory.” (Upper Tribunal, 16. April 2018, S. 27-29)

EASO nimmt im bereits zitierten Bericht vom September 2016 Bezug auf Patricia Gossman von Human Rights Watch (HRW), die zur Rekrutierung von Kindern durch die Taliban angebe, dass diese Form der Rekrutierung im Allgemeinen nicht die Entführung von Kindern mit vorgehaltener Waffe beinhalte, sondern durch andere Druckmittel auf die Familie, darunter Drohungen, erfolge. Wenn die Taliban beispielsweise unter Druck stehen oder eine Großoffensive planen würden, wie den Angriff auf Kundus im Jahr 2015, könnte es sein, dass sie auf Zwangsrekrutierung zurückgreifen würden, um ihre militärische Stärke zu verbessern. UNAMA habe sich in ihrem Bericht über die Ereignisse in Kundus von September bis Oktober 2015 auf glaubwürdige Quellen bezogen und berichtet, dass viele der Jungen beklagten, dass sie von den Taliban gezwungen worden seien, sich zu bewaffnen, und dass die Taliban gedroht hätten, ihren Familien Schaden zuzufügen, wenn sie sich weigern würden. Berichten zufolge seien die Taliban von Tür zu Tür gegangen und hätten kleine Jungen aus jeder Familie als eine Form der Zwangsrekrutierung mitgenommen. Ein ortsansässiger Lehrer aus dem Bezirk Chanabad in Kundus habe dem UNO-Nachrichtendienst Integrated Regional Information Network (IRIN) kurz vor dem Fall von Kundus Ende September 2015 gesagt, dass sich die Taliban oft besser verhalten würden als lokale Milizen, die an der Seite der Regierung kämpfen würden. Er habe bekräftigt, dass die Taliban Nahrungsmittel, Steuern und Rekruten fordern würden, aber Forderungen nicht unter Einsatz von Gewalt durchsetzen würden. Borhan Osman, ein Taliban-Experte des Afghanistan Analysts Network (AAN), habe gesagt, dass dort, wo – unter Verstoß gegen die internen Regeln der Taliban – Rekrutierung von Kindern stattfinde, minderjährige Freiwillige üblicherweise nicht abgelehnt würden. Dennoch, habe er angegeben, dass Fälle bekannt seien, in denen Kinder gezwungen würden, Selbstmordattentäter zu werden:

„Patricia Gossman (HRW) states that the recruitment of children into the Taliban generally does not involve Taliban commanders removing children from their homes at gunpoint, but through other means of pressure on the family, including threats. For example, when under pressure or planning a major offensive, such as the attack on Kunduz in 2015, the Taliban may revert to coercion to boost manpower. UNAMA stated in December 2015 in its report on the events in Kunduz in September–October 2015: ‘Credible sources reported that many of the boys complained that they had been forced to take up arms by Taliban who threatened that their families would be harmed if they refused’. Some of these minors have been in the media, telling they were forced to fight. The Taliban reportedly went door-to-door ‘taking young boys from every family as a form of forced recruitment’.

However, a local schoolteacher from Khanabad district in Kunduz told the Integrated Regional Information Networks (IRIN) shortly before the fall of Kunduz at the end of September 2015 that the Taliban often behaves better than local militias fighting alongside the government. He confirmed that the Taliban asks for food, tax and recruits, but does not impose demands by force.

Expert on the Taliban in the Afghanistan Analysts Network, Borhan Osman, says that where child recruitment occurs, in breach of the Taliban’s own internal rules, it usually does not reject minor volunteers. Still, he said, cases are known of children being forced to become suicide bombers.” (EASO, September 2016, S. 43-44)

Dr. Antonio Giustozzi erwähnt in seinem Bericht zur Organisationsstruktur der Taliban in Afghanistan vom August 2017, dass Taliban-Gruppen typischerweise nach Absprache mit den Gemeindeältesten und Vermittlung durch den Mullah des Dorfes rekrutiert würden:

„Typically, Taliban teams are recruited in the villages following agreements with local elders, mediated by the village’s mullah.” (Giustozzi, 23. August 2017, S. 18)

Rekrutierung in Schulen

In seinen Leitlinien zu Afghanistan schreibt das EASO im Juni 2018, dass die verfügbaren Informationen darauf hinweisen würden, dass die Rekrutierung von Kindern, insbesondere von Jungen nach der Pubertät, vorkomme, obwohl die internen Regeln der Taliban die Rekrutierung von Kindern nicht vorsehen würden. Kinder könnten von aufständischen Gruppen auf vielfältige Weise einer Gehirnwäsche unterzogen, in Madrassas indoktriniert und zum Training nach Pakistan gebracht werden:

„Although the Taliban has an internal policy of not recruiting children, available information indicates that child recruitment, in particular of post -puberty boys, occurs [Recruitment by armed groups, 5.2]. Children may be brainwashed by insurgent groups in many different ways and can be indoctrinated in madrassas, including being taken to Pakistan for training [Recruitment by armed groups, 5.2.1.2].” (EASO, June 2018, S. 46)

In seinem Bericht an den UNO-Sicherheitsrat (UN Security Council) zum Thema Kinder und bewaffneter Konflikt in Afghanistan vom Mai 2015 schreibt der UNO-Generalsekretär, dass die Länderarbeitsgruppe weiterhin Berichte erhalten habe, wonach die Taliban und andere bewaffnete Oppositionsgruppen sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan religiöse Schulen für die Rekrutierung von Kindern und die militärische Ausbildung nutzen würden. In vielen Fällen hätten die Eltern der Kinder angegeben, nicht gewusst zu haben, dass ihre Kinder eine militärische Ausbildung durchlaufen hätten:

„The country task force continued to receive reports alleging the use of religious schools in both Pakistan and Afghanistan for child recruitment and military training by the Taliban and other armed opposition groups. In many cases, the children’s parents claimed to be unaware that their children had undergone military training.” (UNO-Sicherheitsrat, 15. Mai 2015, S. 6)

Dr. Antonio Giustozzi erwähnt im bereits zitierten Bericht vom August 2017, dass die Taliban neben der Vereinnahmung von Gemeinschaften auch versuchen würden, die Bevölkerung, insbesondere die junge Generation, wenn immer es möglich sei, direkt zu beeinflussen. Zu diesem Zweck würden sie zusätzlich zur Finanzierung ihrer eigenen zahlreichen Madrassas Lehrer in Schulen und in Madrassas rekrutieren:

„Aside from co-opting communities, the Taliban also try to influence the population directly, particularly the young generation wherever they can. For this purpose, they recruit teachers in schools and in madrasas, on top of funding their own madrasas in the hundreds.” (Giustozzi, 23. August, 2017, S. 19)

Das EASO schreibt in seinem Bericht vom September 2016, dass die Rekrutierung von Minderjährigen und Jugendlichen abgesehen von Madrassas auch im regulären Schulsystem erfolgen könne. EASO verweist auf eine Studie von Dr. Antonio Giustozzi und Ali Mohammad Ali vom Oktober 2015, die den politischen Aktivismus an höheren Schulen in Afghanistan untersucht habe. Die Studie führe Beispiele aus Parwan, Laghman, Balch, Paktia, Ghazni, Nangarhar, Wardak und Zabul an, wo junge Männer die Schule verlassen hätten, um sich dem Aufstand anzuschließen. Einer der Hauptgründe dafür sei ihre Enttäuschung über das Bildungssystem gewesen. Offenbar seien all diese Minderjährigen freiwillig beigetreten oder von Gleichaltrigen rekrutiert worden:

„Apart from madrassas, recruitment of minors and youngsters can also happen in the regular school system. A study by Antonio Giustozzi and Ali Mohammad Ali from October 2015 researched political activism in high schools in Afghanistan. In this report, examples from Parwan, Laghman, Balkh, Paktia, Ghazni, Nangarhar, Wardak and Zabul are given of young men leaving school to join the insurgency. One of the main reasons why they join the insurgency is their disappointment with the educational system. It seems all of these minors joined voluntarily or were recruited ‘horizontally’ by peers.” (EASO, September 2016, S. 43)

Drohbriefe und Social Media

Zu sogenannten Nachtbriefen („night letters“) erwähnt das EASO im Bericht vom September 2016, dass die Taliban Nachtbriefe benutzen würden, um die Bevölkerung zu warnen, zu bedrohen und für sich zu gewinnen. UNHCR habe beispielsweise im April 2015 über Nachtbriefe der Taliban in Maidan Wardak berichtet, in denen die Taliban die AnwohnerInnen aufgefordert hätten, ihre Zusammenarbeit mit der Regierung einzustellen und Männer ermutigt hätten, sich ihnen im Kampf gegen die Regierungstruppen anzuschließen:

„The Taliban uses night letters to warn, threaten and to try to win over the population. For example in April 2015, UNHCR [UN High Commissioner for Refugees] reported on night letters issued by the Taliban in Maidan Wardak in which it asked ‘local residents to cease their cooperation with the Government and encouraging men to join them in combat against Government forces’.” (EASO, September 2016, S. 17)

In der bereits von Friederike Stahlmann zitierten Anfragebeantwortung des IRB vom Februar 2015 wird auf einen Professor des Programmes für Kultur und Konflikt an der Naval-Postgraduate-School in Kalifornien verwiesen. Dieser bezeichne Nachtbriefe als die primäre Kommunikationsmethode der Taliban mit der ländlichen Bevölkerung Afghanistans, aber auch mit der Bevölkerung im städtischen Gebiet. Die Briefe würden verwendet, um Wünsche und Forderungen der Taliban zu übermitteln. Der Professor habe auch darauf hingewiesen, dass im Fall, dass Forderungen nicht eingehalten würden, durch Nachtbriefe oft Gewalt oder Tod angedroht würden, und dass die Briefe die Empfänger (die einen ganzen Distrikt, ein Dorf oder eine Gemeinde umfassen könnten) über bevorstehende Angriffe oder über Verhaltenserwartungen informieren könnten. Ein unabhängiger Afghanistan-Beobachter habe angegeben, dass die Absicht eines Nachtbriefes normalerweise darin bestehe, Angst zu verbreiten, und es generell das Ziel der Botschaften sei, zu drohen und die Einhaltung der Anweisungen der Taliban anzuregen, oft um sicherzustellen, dass sich die lokale Bevölkerung in keiner Weise mit der afghanischen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft einlasse:

„According to the Professor, night letters are a ‘primary method of Taliban communication’ to rural populations in Afghanistan, as well as in urban areas, to express the group's ‘desires and demands’ (Professor 19 Jan. 2015). The Professor also indicated that night letters ‘often threaten violence or death if demands are not met’ and may also ‘advise’ the audience (which can include an entire district, village, or community leaders) about forthcoming attacks or about expectations of conduct and behaviour (ibid.). In correspondence with the Research Directorate, an independent analyst on Afghanistan explained that the intention of a night letter is usually to ‘spread fear’ and that the purpose of the messages is ‘generally to threaten or to encourage compliance with Taliban instructions, often to ensure the local populace do not engage in any way with the Afghan government or international community’ (Independent analyst 9 Jan. 2015).” (IRB, 10. Februar 2015)

Unter Bezugnahme auf die obige Anfragebeantwortung des IRB sowie auf Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) und UNAMA fasst Friederike Stahlmann zu Drohbriefen in ihrem Gutachten vom März 2018 Folgendes zusammen:

„Die Aufforderung zur Kooperation und damit dem Beweis der Loyalität, der die ansonsten drohende Verfolgung abwenden kann, kommt meist in Form eines sogenannten ‚Nachtbriefes‘ (shabnameh), der spezifiziert welche Forderungen die Taliban haben. Derartige ‚Nachtbriefe‘ wurden auch schon von den Mujahedin im Kampf gegen die sowjetische Besatzung genutzt, sind auch von anderen militanten Jihadisten, lokalen Milizen oder der organisierten Kriminalität bekannt und werden mitunter auch in privaten Auseinandersetzung eingesetzt. Bei den Taliban gehören sie jedoch zum alltäglichen Repertoire der Regierungsführung, wobei sie in Gebieten, die unter Taliban-Kontrolle stehen, durchaus auch tagsüber zugestellt werden. ‚Nachtbriefe‘ sind somit insbesondere ein Synonym für Drohbriefe, die eine Forderung enthalten. Die Formate reichen von handgeschriebenen Notizen, bis hin zu bürokratisch elaborierten Schriftstücken mit Briefkopf, Aktennummern und Stempel. Manchmal werden derartige Forderungen aber auch am Telefon, per SMS, persönlich oder durch Bekannte und Verwandte übermittelt, oder im Zuge einer Entführung gestellt. Zur Erpressung werden auch Folter oder Verschleppung von Verwandten und Bekannten genutzt. (SFH 04.03.2016, Immigration and Refugee Board of Canada 10.02.2015, UNAMA July 2017: 43)

Ist das Interesse an der zu erbringenden Leistung groß oder steht in der lokalen Strategie nicht die Abschreckung durch Gewalt im Vordergrund, sondern die Hoffnung, denjenigen doch noch unter Kontrolle zu bekommen, kann es auch zu mehrfachen Warnungen/Drohbriefen kommen (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada 10.02.2015).“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 46)

In einem Artikel von Gandhara, einem regionalen Dienst des vom US-Kongress finanzierten Rundfunkveranstalters Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) vom Juli 2017 zur Propaganda der Taliban wird erwähnt, dass sich die „Taliban-Propaganda-Maschine“ im Verlauf der letzten 15 Jahre von handgeschriebenen „Schabnamans“ oder in der Nacht zugestellten Drohbriefen und Gesängen auf Audiokassetten hin zu einer soliden Präsenz in sozialen Medien, einem Netzwerk mehrsprachiger Webseiten und der Verwendung einer informellen Android-App entwickelt habe. Majeed Qarar, ein Schriftsteller, der derzeit als Kulturattaché an der afghanischen Botschaft in Washington arbeite, verfolge seit Jahren die Online-Präsenz der Taliban und habe gegenüber Radio Free Afghanistan angegeben, dass die Taliban neben Propaganda auch soziale Medien als Rekrutierungsinstrument nützen würden. Majeed Qarar habe angegeben, dass die Taliban jeden in seiner Gegend kennen würden. Sie würden wissen, wer mit wem verwandt sei und wo man arbeite. Sie würden den Personen auf Facebook folgen und ihnen Nachrichten senden, um sie aufzufordern, sich ihrer Autorität zu ergeben und mit ihnen zusammenzuarbeiten. In Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle würden die Taliban in Moscheen gehen, um Rekruten zu finden. Aber in Städten, in denen die Taliban nicht persönlich an die Menschen herantreten könnten, würden sie soziale Medien nutzen, um ihre Botschaft zu verbreiten oder potenzielle Rekruten zu finden:

Over the past 15 years, the Taliban propaganda machine has evolved from handwritten shabnamans, or threatening letters delivered at night, and chants on audio cassettes to a robust social media presence, a network of multilingual websites, and an informal android app after a botched attempt to launch a formal one.

Majeed Qarar, a writer currently serving as a cultural attaché at the Afghan Embassy in Washington, has followed the Taliban’s online presence for years. He told Radio Free Afghanistan that in addition to propaganda the Taliban are using social media as a recruitment tool.

‘They know everyone in our area. They know who is related to whom and where one works,’ he said. ‘They follow that person on Facebook and send messages to ask him to surrender to [their authority] and cooperate with them.’ […] ‘In areas outside the government control, the Taliban go to mosques to find recruits,’ he said. ‘But in cities where the Taliban cannot approach people face to face, they use social media to either spread their message or find potential recruits.’” (Gandhara, 10. Juli 2017)

Dr. Giustozzi führt in seinem bereits erwähnten Bericht vom August 2017 an, dass die Taliban auch Mullahs in den Moscheen bezahlen würden, während ein großer Teil der Bemühungen der lokalen Taliban-Milizen darauf abziele, die Bevölkerung zu beeinflussen und zu kontrollieren. Auch soziale Medien und das Internet würden genutzt, würden aber insgesamt eine sekundäre oder untergeordnete Rolle in der Propagandakampagne der Taliban spielen:

They also pay mullahs in the mosques, while much of the efforts by the local Taliban militias is about influencing and controlling the population. Social media and internet are also used, but overall play a secondary or subsidiary role in the Taliban’s propaganda campaign.” (Giustozzi, 23. August 2017, S. 19)

Konsequenzen einer Weigerung

In seinen Leitlinien zu Afghanistan schreibt das EASO im Juni 2018 zum Thema Zwangsrekrutierung durch die Taliban, dass die Konsequenzen der Nichtbefolgung generell schwerwiegend seien, und verweist auf Berichte über Drohungen gegen die Familie der angesprochenen Rekruten, schwere Körperverletzungen und Morde. Die Folgen einer Verweigerung der (Zwangs-)Rekrutierung könnten bis hin zur Verfolgung (z.B. schwere Körperverletzung, Tötung) gehen:

„It can be said that the consequences of not obeying are generally serious, including reports of threats against the family of the approached recruits, severe bodily harm and killings [Recruitment by armed groups, 1.5, 5.2.1.3, and 5.2.1.4].

The consequences of refusal of (forced) recruitment could amount to persecution (e.g. severe bodily harm, killing).” (EASO, June 2018, S. 46)

Im EASO-Bericht vom September 2016 wird erwähnt, dass die Quellen hinsichtlich der Frage, ob ein Kind eine Rekrutierung verweigern oder vermeiden könne, gespalten seien. Sowohl Borhan Osman als auch Dr. Antonio Giustozzi würden die Möglichkeit einer Geldzahlung erwähnen, um die Rekrutierung zu verhindern. Es gebe jedoch Quellen, die darauf hinweisen würden, dass Verweigerung keine Option sei. EASO bezieht sich auf Berichte von UNAMA, laut denen ein Junge in Kundus, der von den Taliban aufgefordert worden sei, einen Sack Munition zu tragen, weggelaufen und von den Taliban erschossen worden sei. UNAMA habe zudem berichtet, dass die Taliban in Kundus angedroht hätten, den Familien Schaden zuzufügen, sollten sich angesprochene Rekruten weigern, sich ihnen anzuschließen. Im Jänner 2016 hätten die Taliban Berichten zufolge die Einheimischen im Distrikt Shinwari (Provinz Parwan) aufgefordert, sich mit Waffen gegen die Regierung zu erheben. Die Bewohner hätten sich geweigert und die Taliban hätten ein Fahrzeug mit sieben Personen in ihre Gewalt gebracht und den Insassen in die Hände und Beine geschossen. Borhan Osman habe angegeben, dass es in Notfällen, zum Beispiel bei einem bevorstehenden Angriff, schwierig sei, die Mobilisierung von Kämpfern in einem Gebiet, Dorf oder Stamm abzulehnen. Die Rekrutierung könne vermieden werden, wenn die Familie ein „Bußgeld“ zahle. Wenn die lokale Gemeinschaft sich bereit erkläre, die Taliban zu unterstützen, ziehe eine solche Weigerung „hohe politische Kosten“ nach sich. Osman habe berichtet, dass Stämme, Gemeinschaften, Dörfer oder Gebiete in der Nähe von Taliban-Hochburgen von letzteren angegriffen werden würden, würden sie sich weigern, die Taliban generell zu unterstützen, mitunter durch die Rekrutierung von Kämpfern. Die Taliban würden versuchen, in diese Gebiete einzudringen, die Menschen zu überzeugen, ihre Loyalität auf die Probe zu stellen und sie schließlich auf die Seite des Aufstands zu zwingen:

„Sources are divided on whether a child could refuse or avoid recruitment. Both Borhan Osman and Antonio Giustozzi mention the possibility of paying to avoid enrollment. However, there are sources that indicate that refusing is not an option (see section on Taliban, local Taliban fronts and consequences in case of refusal).” (EASO, September 2016, S. 44)

„UNAMA reported on the case of a boy in Kunduz (events 28 September – 13 October 2016) who was told by the Taliban to carry a bag of ammunition. The boy ran away and was shot by Taliban fighters. UNAMA also reported that Taliban in Kunduz threatened to harm the family in case approached recruits would refuse to join its ranks. […]

In January 2016, the Taliban reportedly asked locals in Shinwari district (Parwan) to wage an armed uprising against the government. The people refused and the Taliban seized a vehicle with seven people and shot them in the hands and legs.

Borhan Osman says in cases of emergency, for example when facing an imminent attack, refusing mobilisation of fighters within a local context, village or tribe, would be difficult. It could be avoided by the family paying a ‘fine’. When the local community agrees to support the Taliban, such refusal would invoke a ‘high political cost’.

Osman says that tribes, communities, villages or areas located in regions where the Taliban has strongholds nearby who refuse to support the Taliban in general, including the recruitment of fighters, will be targeted by the Taliban. The Taliban will try to penetrate those areas, convince them, test loyalties, and finally force them into siding with the insurgency.” (EASO, September 2016, S. 24)

Unter Bezugnahme auf einen unabhängigen Beobachter gibt das IRB in der bereits erwähnten Anfragebeantwortung vom Februar 2015 an, dass in „Nachtbriefen“ Strafen angedroht und dann auch umgesetzt würden. Die Ankunft solcher Briefe könne viel Angst und Stress in einer lokalen Gemeinschaft auslösen. Die Konsequenzen des Ignorierens eines „Nachtbriefes“ würden vom spezifischen Fall abhängen. Sehr oft würden die genannten Drohungen ausgeführt und Menschen könnten getötet werden; andernfalls würden die Aufständischen schnell ihre Glaubwürdigkeit verlieren:

„[A]ccording to the independent analyst, ‘punishments are threatened [in night letters] and often acted upon. The arrival of such letters ... can cause much fear and stress within a local community’ (Independent analyst 9 Jan. 2015). The same source indicated that, while the consequences of ignoring a night letter depend on ‘specific circumstances ... very often the stated threats are carried out’ and people can be killed; otherwise, the source notes, ‘the insurgents would quickly lose their credibility’ (ibid.).” (IRB, 10. Februar 2015)

Friederike Stahlmann verweist in ihrem Gutachten vom März 2018 erneut auf Dr. Giustozzi, auf einen Bericht von BBC sowie auf Informationen des IRB und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) aus dem Jahr 2016 und fasst in Bezug auf das Vorgehen der Taliban bei Nicht-Befolgung ihrer Forderungen Folgendes zusammen:

„Offiziell müssten es zwei Warnungen sein, bevor der Betroffene zur Hinrichtung freigegeben wird (Giustozzi 23.08.2017b: 16). Meistens sind die Drohungen bei Nicht-Erfüllung der Forderungen offen benannt, manchmal jedoch auch implizit - was sie nicht weniger bedrohlich macht, denn der Wille der Taliban zur auch gewaltsamen Durchsetzung ihrer Forderungen ist hinlänglich bekannt. Die praktischen Konsequenzen der Verweigerung reichen hierbei von Entführungen über Verstümmelungen (z. B. dem Amputieren der mit Farbe markierten Finger von Wählern, Bsp.: BBC News 15.06.2014), bis hin zu Mord an den Betroffenen oder ihren Verwandten (s. u.). (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada 22.02.2016, SFH 04.03.2016).

Grundsätzlich gilt, dass wer nach einer derartigen Aufforderung bewusst die Wahl trifft, nicht zu kooperieren, sich damit auf die Seite der Ungläubigen und gegen die Taliban stellt. Wer diese Wahl hatte, ist damit zwar nicht von Takfirismus, allerdings von dem ebenfalls potenziell tödlichen takfir bedroht – wenn auch ohne den Schutz einer klassisch islamischen Strafprozessordnung. Ein Gutteil der Bedrohung, die von dieser Verfolgungspraxis ausgeht, liegt jedoch eben in der Unsicherheit, ob man die Wahl überhaupt noch bekommt, und wann aufgrund welcher Warnung die Verfolgung gewalttätige Konsequenzen hat.“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 46-47)

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 13. August 2018)

·      EASO – European Asylum Support Office: Afghanistan; Recruitment by armed groups, September 2016
https://www.ecoi.net/en/file/local/1131093/90_1474353951_2019-09-easo-afghanistan-recruitment.pdf

·      EASO – European Asylum Support Office: Country Guidance: Afghanistan; Guidance note and common analysis, Juni 2018
https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf

·      Giustozzi, Antonio: Afghanistan: Taliban’s organization and structure, 23. August 2017 (veröffentlicht von Landinfo)
https://www.ecoi.net/en/file/local/1406310/1226_1504616422_170824550.pdf

·      IRB – Immigration and Refugee Board of Canada: Afghanistan: Night letters [Shab Nameha, Shabnamah, Shabnameh], including appearance (2010-2015) [AFG105047.E], 10. Februar 2015
https://www.ecoi.net/de/dokument/1042482.html

·      Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Afghanistan: Rekruttering til Taliban, 29. Juni 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1404573/1226_1500894367_3579-1.pdf

·      Gandhara: Taliban Propaganda Meets The Digital Age, 10. Juli 2017
https://gandhara.rferl.org/a/taliban-propaganda/28606576.html

·      Stahlmann, Friederike: Gutachten Afghanistan, Geschäftszeichen: 7 K 1757/16.WI.A, 28. März 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1431611/90_1527075858_gutachten-afghanistan-stahlmann-28-03-2018.pdf

·      UNO-Sicherheitsrat: Report of the Secretary-General on children and armed conflict in Afghanistan [S /2015/336], 15. Mai 2015
https://unama.unmissions.org/sites/default/files/may_2015_-_report_of_the_secretary-general_on_children_and_armed_conflict_in_afghanistan.pdf

·      Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (UK): AS (Safety of Kabul) Afghanistan CG [2018] UKUT 00118 (IAC), 16. April 2018
https://moj-tribunals-documents-prod.s3.amazonaws.com/decision/doc_file/58824/00118_ukut_iac_2018_as_afghanistan_cg.doc