Anfragebeantwortung zu Somalia: Informationen zur Behandlung von Angehörigen der Ashraf [auch: Asharaf]; Aktivitäten der al-Schabaab im Gebiet Jubbaland (Gedo, Middle Juba, Lower Juba) [a-10438]

8. Jänner 2018

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Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Das schweizerische Staatssekretariat für Migration (SEM) erwähnt in einem Bericht vom Mai 2017 Folgendes bezüglich der Gruppe der Ashraf:

„Teilweise werden auch die Ashraf und die Sheikal (Sheikash) zu den ethnischen Minderhei-ten gezählt. In kultureller und sprachlicher Hinsicht sind sie aber schwerer von der somali-schen Mehrheitsbevölkerung zu unterscheiden. Stattdessen haben sie einen speziellen reli-giösen Status (u.a. Durchführung von Riten) und spielen traditionell eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung. Beide Gruppen unterhalten Sheegad-Verhältnisse (siehe Kapitel 5.1.1) mit verschiedenen Mehrheits- und Minderheitsclans, abhängig von ihrer Region. Manche Sheikhal-Gruppen sind so gut in die Hawiye-Clanfamilie integriert, dass sie Hawiye-Sitze im somalischen Parlament einnehmen.” (SEM, 31. Mai 2017, S. 14)

Markus Höhne, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie an der Universität Leipzig, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 20. Februar 2015 Folgendes zur Lage der Asharaf:

„[…] generell denke ich, sind Asharaf immer noch mit eine der schwächsten Gruppen in Somalia. Sie werden sicher nicht mehr systematisch verfolgt. Aber im allgemeinen sozialen, politischen, ökonomischen und militärischen Gefüge des Südens, der immer noch weit von Stabilität und Frieden entfernt ist, sind Asharaf anfällig gegenüber Ausbeutung, Übergriffen, Kriminalität, sexueller Gewalt etc. Sie haben keine Miliz, die sie verteidigt. Die Regierung ist bei weitem nicht stabil genug, die Sicherheit Ihrer BürgerInnen zu garantieren. Und noch immer operieren Al Shabaab und Kriminelle sowie undisziplinierte Soldaten in Teilen Südsomalias. Mein Fazit ist: Mitglieder dieser Gruppe sind einer erhöhten Gefahr ausgesetzt. Diese ist aber eher allgemeiner Natur und dadurch bedingt, dass Asharaf politisch und vor allem militärisch nicht stabil verankert sind.“ (Höhne, 20. Februar 2015)

Ein von ACCORD im Dezember 2009 veröffentlichter Bericht zu Clans in Somalia (basierend auf einem Vortrag von Dr. Joakim Gundel) geht folgendermaßen auf die Asharaf ein:

„Die Asharaf werden häufig als Minderheit kategorisiert. Hier wird in erster Linie auf die Digil-Mirifle-Asharaf Bezug genommen und nicht auf die Benadiri-Asharaf. Weitere Asharaf-Gruppen leben zusammen mit anderen somalischen Clans in verschiedenen Regionen des Landes. Die Asharaf gelten allgemein als religiös bzw. als religiöse Lehrer, die von der Tochter des Propheten Mohammed, Fatima, abstammen. Meist sind sie in die Gruppen, mit denen sie zusammen siedeln (Digil-Mirifle oder Benadiri) integriert und werden normalerweise von diesen wegen ihres besonderen religiösen Status als Nachkommen des Propheten beschützt. Sie werden daher nicht als Minderheit im engeren Sinne angegriffen, doch können sie an den selben Problemen, mit denen ihre ‚Gastgeber‘- Clans konfrontiert sind, leiden. So wurden sie in den frühen Bürgerkriegsjahren zusammen mit den Benadiri zum Ziel von Angriffen. Heute ist einer der wichtigsten Minister und Verbündeten von Präsident Sheikh Sharif, Sharif Hassan, ein Angehöriger der Asharaf. Derzeit können die Digil-Mirifle-Asharaf zum Ziel von Übergriffen durch die islamistische Gruppe Al-Shabaab werden, da letztere den religiösen Status der Asharaf nicht anerkennen und Sharif Hassan, der zusammen mit Präsident Sheikh Sharif die treibende Kraft hinter dem Dschibuti-Abkommen von 2008 war.” (ACCORD, 15. Dezember 2009, S. 22)

Die Norwegian Organisation for Asylum Seekers (NOAS), eine NGO, die sich für die Interessen von AsylwerberInnen in Norwegen einsetzt, erwähnt in einem Bericht zu einer Fact-Finding-Mission vom April 2014, mehrere Quellen hätten angegeben, dass unter anderem die Ashraf zu den besonders gefährdeten Minderheiten („particularly vulnerable minorities“) in Somalia zählen würden:

„Several sources stated that particularly vulnerable minorities in Somalia include Midgan/Gaboye, Bantu, Tumal, Reer Hama, Ashraf and Yibir. VOSOMWO [Voices of Somaliland Minority Women Organisation] added Bajuni, Eyle, and Tunni, and INGO (G) also included Madhiban.” (NOAS, April 2014, S. 46)

Die Minority Rights Group International (MRG), eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, zählt die Asharaf in einem Bericht vom Jänner 2015 zu den ethnischen Minderheiten Somalias:

„Among other groups, Somalia’s ethnic minorities include the Bantu, Benadiri (or Reer Xamar), as well as the Asharaf and Bravanese, who are based in Southern Somalia.” (MRG, 29. Jänner 2015)

[Textpassage entfernt]

 

Die Nachrichtenagentur Reuters erwähnt in einem Artikel vom Februar 2017, dass al-Schabaab-Kämpfer im Distrikt Jamame in der Region Lower Juba vier Männer der Spionage beschuldigt und enthauptet hätten:

„Al Shabaab militants in Somalia publicly beheaded four men accused of spying for the country’s Western-backed government, the United States and neighboring Kenya, residents in the south of the Horn of Africa country said. The al Qaeda-linked group confirmed the executions, which took place on Sunday after the men were found guilty by an al Shabaab court in Jamame district of lower Jubba region, some 70 km (43 miles) north of Kismayu.“ (Reuters, 6. Februar 2017)

Der in Doha ansässige arabische Nachrichtensender Al Jazeera berichtet im März 2017, dass bei einem Angriff von Truppen der Afrikanischen Union und von Somalia in der Region Juba nahe Afmadow mindestens 57 al-Schabaab-Kämpfer getötet worden seien:

„At least 57 al-Shabab fighters were killed after African Union and Somali forces attacked one of the armed group's camps in the southern region of Juba, according to the AU's peacekeeping mission in Somalia (AMISOM). In a post on Twitter, AMISOM said that vehicles and equipment were destroyed in Thursday's morning assault on the al-Shabab base outside Afmadow, a town about 100km inland from the Somali port of Kismayo. The AU force said ‘a large cache of weapons’ had also been captured in the operation, which was backed by helicopter gunships.“ (Al Jazeera, 2. März 2017)

Die Nachrichtenagentur Garowe Online mit Sitz in Puntland, Somalia, berichtet im Juli 2017, dass die al-Schabaab vier Soldaten zur Schau gestellt habe, die laut Angaben der Gruppe von den Streitkräften Jubbalands in der Region Middle Juba desertiert seien und sich der al-Schabaab angeschlossen hätten:

„The Militant group al-Shabaab has paraded four soldiers it said they have defected from Jubbaland state forces in its stronghold Jilib town in Middle Juba region on Thursday, Garowe Online reports. The group al-Shabaab released several photos of the soldiers, with AK47 rifles and clad in military uniform standing side by side in a public square in Jilib town, on its affiliated websites. In statement, the group said an army officer Colonel Yasin Farah known as (Fiilo), and his bodyguards have joined al-Shabaab, after failing to tolerate the Kenyan Defence Forces (KDF) massacre against civilians in Kismayo and nearby areas.” (Garowe Online, 20. Juli 2017)

Reuters berichtet im September 2017, dass Al-Schabaab-Kämpfer eine Militärbasis nahe Kismayo angegriffen hätten. Die al-Schabaab habe sich zu dem Angriff bekannt und habe behauptet, dass bei dem Vorfall 26 somalische Soldaten getötet worden seien:

„Al Shabaab militants attacked a military base near Somalia’s southern port city of Kismayu early on Sunday, a Somali army officer said, adding that he did not immediately have details of any casualties. Al Shabaab claimed responsibility for the attack and said 26 Somali soldiers had been killed in the incident, but that could not be confirmed by other sources.” (Reuters, 3. September 2017)

Der von IHS, einem in den USA ansässigen Unternehmen, das unter anderem Analysen zum Thema Sicherheit erstellt, veröffentlichte Jane's Terrorism Watch Report erwähnt im Oktober 2017, dass ein Parlamentsabgeordneter namens Abdihakim Jama Elmi in der Region Lower Juba (Jubbada Hoose) erschossen worden sei. Bislang habe sich keine Gruppe zu dem Angriff bekannt, jedoch würden die Behörden die al-Schabaab verdächtigen:

„ONE Member of Parliament - identified as Abdihakim Jama Elmi - was shot dead near his home in Alanley village in Kismayo Somalia's Jubbada Hoose region on 19 October, Garoweonline reported. No group immediately claimed responsibility for the attack, but authorities suspected the involvement of Harakat al-Shabaab al-Mujahideen.“ (IHS Jane's Terrorism Watch Report, 26. Oktober 2017)

Bloomberg, eine US-amerikanische Zeitschrift mit Fokus auf Wirtschaftsthemen, berichtet im Oktober 2017, dass Christian Ani, ein Experte des Institute for Security Studies in Äthiopien, angegeben habe, dass die al-Schabaab in Somalia weiterhin eine starke Kraft sei. Die Gruppe sei rund um das Juba-Tal stark präsent und in der Umgebung von Mogadischu. Er habe weiters angegeben, dass seit 2015 keine größeren Offensiven durch die somalische Regierung und die Afrikanische Union erfolgt seien:

The attacks are a predictable consequence of the government and African Union scaling back their fight against the militants, mainly because of limited funding, according to Christian Ani, an Ethiopia-based analyst with the Institute for Security Studies. The forces haven’t engaged in any major offensives since 2015, he said. ‘Al-Shabaab continues to be a strong force in Somalia,’ he said by phone. ‘It has a heavy presence around the Juba Valley and the outskirts of Mogadishu. It continues to pose a significant threat to the security of the country.’” (Bloomberg, 31. Oktober 2017)

Garowe Online berichtet im Dezember 2017, dass der Präsident von Jubbaland, Ahmed Madobe, bei einem Treffen in Mogadischu hochrangige politische AnführerInnen dazu aufgerufen habe, die al-Schabaab ideologisch zu vernichten und eine letzte Militäroffensive zu starten:

„The President of Jubbaland State, Ahmed Madobe has called for a united front to defeat extremist groups in the country, including Al Shabaab, Garowe Online reports. In his keynote speech at the high-level meeting in Mogadishu, President Madobe urged the leaders to defeat the Al Qaeda-linked militants ideologically and launch a combined final military offensive. He added that the war against Al-Shabaab can only be won if Somali government and the Federal Member States, along with AMISOM forces put their minds and resources towards eliminating the extremist group.” (Garowe Online, 5. Dezember 2017)

Francisco Madeira, der Sonderbeauftragte des Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union für Somalia, habe laut einem Artikel der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua vom Dezember 2017 angegeben, dass die Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) Unterstützung benötige, um weiterhin unter Kontrolle der al-Schabaab stehendes Territorium einzunehmen. 2018 würden Einsätze hauptsächlich im Jubba-Tal, in der Region Gedo und der Region Middle Juba stattfinden, wo sich weiterhin al-Schabaab-Kämpfer aufhielten. Aufgrund von Einschränkungen hinsichtlich Personal, Logistik und weiterer Gründe hätten kürzlich keine Militäreinsätze erfolgen können:

„Francisco Madeira, Special Representative of the Chairperson of the AU Commission for Somalia and Head of AMISOM [African Union Mission in Somalia], said the inadequate funding threatened the operations of peacekeepers and the Somali security forces. […] Madeira said AMISOM needs support to conduct the last leg of military operations to recover territory that remains under the control of Al-Shabaab militants. ‘We are planning elaborate offensive operations next year mainly in the Jubba valley, Gedo region and Middle Juba regions, areas that still harbor pockets of Al-Shabaab militants,’ said Madeira. He revealed that AMISOM has been unable to undertake military operations in the recent past due to limitations in personnel, logistics and others.“ (Xinhua, 21. Dezember 2017)

Informationen zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in der Region Jubbaland entnehmen Sie bitte auch folgendem Dokument:

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Somalia, 2. Quartal 2017: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 14. September 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1506340588_2017q2somalia-de.pdf

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 8. Jänner 2018)

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Clans in Somalia - Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15. Mai 2009 (überarbeitete Neuausgabe), 15. Dezember 2009 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Somalia, 2. Quartal 2017: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 14. September 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1506340588_2017q2somalia-de.pdf

·      Al Jazeera: AMISOM: 57 al-Shabab fighters killed in Juba raid, 2. März 2017
http://www.aljazeera.com/news/2017/03/amisom-57-al-shabab-fighters-killed-juba-raid-170302193125629.html

·      Bloomberg: Deadly Somalia Bombings Highlight Failed Bid to Quash Al-Shabaab, 31. Oktober 2017
https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-10-31/deadly-somalia-bombings-highlight-failed-bid-to-quash-al-shabaab

·      Garowe Online: Somalia: Jubbaland state soldiers defect to al-Shabaab, 20. Juli 2017
https://www.garoweonline.com/en/news/somalia/somalia-jubbaland-state-soldiers-defect-to-al-shabaab

·      Garowe Online: Somalia: Jubbaland leader calls for united front against Al Shabaab, 5. Dezember 2017
https://www.garoweonline.com/en/news/somalia/somalia-jubbaland-leader-calls-for-united-front-against-al-shabaab

·      Höhne, Markus: E-Mail-Auskunft, 20. Februar 2015

·      IHS Jane's Terrorism Watch Report: Suspected Al-Shabaab militants shoot dead one MP in Somalia's Jubbada Hoose, 26. Oktober 2017
http://www.janes.com/article/75238/suspected-al-shabaab-militants-shoot-dead-one-mp-in-somalia-s-jubbada-hoose

·      MRG - Minority Rights Group International: Looma Ooyaan – No One Cries for Them: The Predicament Facing Somalia’s Minority Women, 29. Jänner 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1422888544_mrg-report-somalia-jan2015.pdf

·      NOAS - Norwegian Organisation for Asylum Seekers: Persecution and Protection in Somalia, April 2014
http://www.noas.no/wp-content/uploads/2014/04/Somalia_web.pdf

·      Reuters: Somalia's al Shabaab executes four men accused of spying, 6. Februar 2017
https://www.reuters.com/article/us-somalia-violence/somalias-al-shabaab-executes-four-men-accused-of-spying-idUSKBN15L0H0

·      Reuters: Al Shabaab attacks military base near Somalia's Kismayu: military, 3. September 2017
https://www.reuters.com/article/us-somalia-security/al-shabaab-attacks-military-base-near-somalias-kismayu-military-idUSKCN1BE07V

·      SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (ehemals: Bundesamt für Migration): Focus Somalia; Clans und Minderheiten, 31. Mai 2017
https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

·      Xinhua: AU says insufficient funding threatens peacekeeping in Somalia, 21. Dezember 2017
http://www.xinhuanet.com/english/2017-12/21/c_136843041.htm