Anfragebeantwortung zum Irak: Aktuelle Lage in Bagdad: Überblick Gebietskontrolle; Sicherheitslage aktuell und Entwicklungen seit 2016; Lage von Sunniten [a-10082]

27. März 2017

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Überblick Gebietskontrolle

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schreibt in einem Bericht zur Lage der Infrastruktur in verschiedenen Provinzen des Irak und deren Wiederherstellung vom Jänner 2017, dass die Provinz Bagdad die zweitgrößte Ansammlung von Binnenvertriebenen, insgesamt 15 Prozent der Gesamtanzahl, aufgenommen habe. Viele Familien seien in Bagdad durch den konfessionell motivierten Konflikt dazu gezwungen worden, ihre Häuser zu verlassen. Viele von ihnen hätten sich entlang konfessioneller Grenzen wieder angesiedelt. Somit seien separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Die Stadt sei weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten, insbesondere nachdem um das mehrheitlich von Sunniten bewohnte Viertel Adhamiya eine Mauer gebaut worden sei, um es von den umliegenden schiitischen Vierteln zu isolieren. Trotzdem gebe es weiterhin noch einige Viertel, in denen sunnitische und schiitische Familien friedlich koexistieren würden. Seit Beginn der Krise im Irak am Ende des Jahres 2013 habe man erhebliche Vertreibungsbewegungen in Bagdad festgestellt. Viele Personen seien durch die von den USA durchgeführten Luftangriffe in den Provinzen Anbar, Salahuddin und Ninawa im Juni 2014 vertrieben worden:

„The governorate hosts the second largest IDP concentration in Iraq, with 15% of the total IDP population. Many families were forced to leave their homes in Baghdad due to the sectarian conflict. Many families resettled along sectarian lines, creating separated Sunni and Shi’a neighborhoods. The city remained divided along these lines, particularly after a wall was built around the predominantly Sunni neighborhood of al- Adhamia in Baghdad to isolate it from the Shi’a neighborhoods, reinforcing the sectarian rift in the governorate. However, there are some neighborhoods where Shi’a and Sunni families peacefully coexist. […]

As of 15 September 2016, a total of 78,154 displaced families (468,924 individuals) were identified in Baghdad. Of these families, 54,294 displaced from Anbar. Since the beginning of the ongoing crisis in Iraq in late 2013, significant displacement movements have been observed in Baghdad. Many people were displaced during the “Inherent Resolve” US-led operation in June 2014, as many areas of Anbar, Salah al-Din and Ninewa were targeted by airstrikes.” (IOM, 19. Jänner 2017, S. 50-51)

Auf dem Weblog „Informed Comment“ des US-amerikanischen Historikers und Nahostanalysten Juan Cole findet sich ein Beitrag eines für die Website Niqash schreibenden Autors namens Mustafa Habib vom Jänner 2017, in dem berichtet wird, dass Freiwilligenmilizen, die ursprünglich entstanden seien, um die Gruppe Islamischer Staat (IS) zu bekämpfen, nun in den Stadtvierteln von Bagdad die Polizeiarbeit verrichten würden. Dadurch würden sie jedoch mit der echten Polizei konkurrieren, die Gesetze missachten und sich oft eher wie eine Mafia verhalten. Die meisten Stadtviertel von Bagdad hätten nun eine Basis, zumeist in Form eines Büros, das zu derjenigen Miliz gehöre, die in dem Teil der Stadt präsent sei. Die Milizen seien für die Sicherheit verantwortlich und würden die lokale Polizei unterstützen, andererseits würden sie aber auch verdeckt arbeiten, indem sie oder ihre Informanten sich auf den Straßen, Märkten und in Wohnvierteln in ziviler Kleidung bewegen würden, um nach terroristischen Aktivitäten Ausschau zu halten. Da die Milizen in den vergangenen zwei Jahren ein integraler Bestandteil des Kampfes gegen den IS gewesen seien, seien sie, insbesondere bei jungen Männern, sehr beliebt. Da es sehr schwierig sei, der Armee oder der Polizei beizutreten und man sich oft die Posten mit Schmiergeld erkaufen müsse, würden junge erwerbslose Männer lieber einer Miliz beitreten. Seit 2006 sei das sogenannte „Baghdad Operations Command“ (BOC) für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Es umfasse 70.000 Mitglieder, die aus Soldaten der regulären Armee, der Militärpolizei und der normalen Polizei sowie aus Geheimdiensten bestehen würden. Viele Bewohner hätten jedoch den Eindruck, dass das BOC nicht in der Lage sei, seine Arbeit zu machen. Ein führendes Mitglied der Badr-Organisation, die eine der größeren Milizen unterhalte, habe behauptet, dass die Sicherheitskräfte in Bagdad vom „Feind“ (gemeint sind Extremisten und Terroristen) unterlaufen seien und das BOC nicht verfassungsgemäß sei. Er habe die irakische Regierung deshalb aufgefordert, das Sicherheitskonzept für die Stadt zu überdenken und schiitische Freiwilligenmilizen stärker beim Schutz von Bagdad einzusetzen. Im September 2016 sei es sogar zu direkten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Milizen und der lokalen Polizei im Zaafaraniya-Viertel gekommen. Die Miliz habe Mitglieder der Polizei verhaften wollen, die ihren Angaben zufolge mit dem IS kooperiert hätten, die Polizei habe diese Anschuldigungen zurückgewiesen. Andererseits würden Milizen zunehmend lokalen Polizeikräften die Arbeit erschweren. Führungskräfte der Polizei seien gezwungen, mit den führenden Vertretern der Milizen, die in ihrem Stadtteil operieren würden, zu kooperieren, gesetzt den Fall, die Viertel befänden sich überhaupt unter Polizeikontrolle. Ein Polizist aus dem Stadtviertel Karch habe gesagt, dass die Polizeistation sich mit den Büros der Milizen in allen Fällen, die die Sicherheit betreffen würden, absprechen müsse. Der Polizeichef sei sonst nicht in der Lage, zu arbeiten. In Manchen Stadtvierteln gebe es mehr als nur eine Miliz und die Polizei müsse daher versuchen, mit mehreren unterschiedlichen Gruppen zusammenzuarbeiten. Laut Angaben des Polizisten könne man mögliche Rechtsverletzungen der Milizen auch nicht ahnden. Die Milizen würden sich in Autos mit abgedunkelten Scheiben und ohne Nummernschildern bewegen. Sie besäßen Personalpapiere, die wahrscheinlich gefälscht seien und die Polizei könne die Milizen ohnehin nicht einfach anhalten. Bisweilen würden Milizen in einem Stadtviertel sich gegenseitig bekämpfen und die Polizei müsse neutral bleiben und würde daher nicht in die Kämpfe eingreifen. Daher würden sich manche Milizkämpfer verhalten, als stünden sie über dem Gesetz. Die Anführer der Milizen würden selbst behaupten, dass sie das Gesetz respektieren würden, es aber schwer sei, ihre Männer zu kontrollieren, die über ganz Bagdad verteilt eingesetzt würden:

„The volunteer militias formed to fight the Islamic State group are now policing Baghdad’s neighbourhoods. But as they do, they compete with the real police, ignore the real laws and often act more like a mafia. […]

Most neighbourhoods in Baghdad now have a base – usually an office – belonging to whichever militia is present in that part of the city. This is also true for other southern provinces in Iraq. The militias sometimes work security and directly help local police, or they do other, more undercover work, where they and their informants roam streets, markets and residential areas in civilian clothing, watching out for terrorist activity. The fact that the militias have played such an essential part in the fight against the extremist Islamic State, or IS, group over the past two years has made the groups very popular, especially among young local men. It is hard to join the army or the police and often requires that candidates bribe their way in to the regular wages. So it’s become more popular for young, unemployed men to join a militia instead. […]

Since 2006 security in Baghdad has been in the hands of the so-called Baghdad Operations Command. This body is tasked with keeping Baghdad secure and is composed of around 70,000 members drawn from the regular Iraqi army, military police and regular police as well as intelligence services. However not many locals appear to think they are up to the job. Last week Mohamed al-Bayyat, a senior member of the Badr organization which is responsible for one of the larger militias, said that Baghdad’s official security forces had been infiltrated by ‘enemies’ – by this he means extremists and terrorists. ‘The Baghdad Operations Command is unconstitutional,’ al-Bayyat said in an official statement that called upon the Iraqi government to rethink the capital’s security and ‘to involve the Shiite Muslim volunteer militias more in protecting Baghdad’. This is not the first of these kinds of criticisms and doubtless it will not be the last time the two forces clash. In September 2016, there was even a physical clash. Shiite Muslim militias fought a battle against the local police in the Zafaraniyah area. The militias’ aim was to arrest police who were supposedly helping the Islamic State group, even though the local police denied this. […]

On the other side of the situation, the militias are making it increasingly difficult for local policemen to do their jobs properly. Senior police officers are forced to cooperate with the senior members of the militias that work in their areas, if those areas are under the police’ control at all. ‘With any security-related issues, the police station has to coordinate with the militia offices in its area,’ says Asaad al-Taei, a police officer working in the Karkh neighbourhood in western Baghdad. ‘The police commander cannot work if he doesn’t do this. And there are many other reasons why we cannot do our work properly.’ For instance, in some neighbourhoods there is more than one militia present and the police have to try and work with several different groups, al-Taei said. ‘We cannot hold them accountable for any violations they may commit either,’ he told NIQASH. ‘They move around in cars with tinted windows and without license plates. They carry personal IDs that may well be fake and the police at the checkpoints cannot just stop them. […]

Sometimes the militias in one neighbourhood even fight one another and the police have to remain neutral – meaning they don’t stop the fighting. This is yet another sign of the waning power and prestige of local police and the waxing of the militia clout. The imbalance is such that some of the militia fighters appear to believe themselves above the law. Among the militias themselves the leaders say they respect the rule of law but that it is difficult to monitor their men, who are deployed all around Baghdad, let alone the men from other militias.” (Informed Comment, 21. Jänner 2017)

Al-Monitor, eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform, erwähnt in einem Artikel des im Irak tätigen Journalisten Omar Sattar vom Februar 2016, dass die irakische Regierung begonnen habe, eine Mauer um Bagdad zu errichten, um die Hauptstadt vor Terrorattacken zu schützen. Sunniten würden gegen diese Maßnahme Einwand erheben, da sie fürchteten, dass die Mauer interne Spaltungen vertiefen könnte. Ein Parlamentsabgeordneter für die Provinz Anbar habe angegeben, dass die eigentliche Absicht des Mauerbaus darin bestehe, Bagdad von seinen sunnitischen Gebieten zu isolieren, um die Stadt einer schiitischen Region anzugliedern, sollte ein föderales System umgesetzt werden. Der irakische Verteidigungsminister Khaled al-Obeidi habe erklärt, dass das Ziel der Mauer sei, die Einheiten rund um Bagdad zu schützen und Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten. Sie schränke nicht die Bewegung der Bürger ein oder isoliere gewisse Gebiete. Jedoch habe Obeidis Einwand die Überzeugung des sunnitischen parlamentarischen Blocks nicht geändert. Die meisten umliegenden Gebiete von Bagdad würden von Sunniten bewohnt, die somit ihrer Ansicht nach isoliert würden:

„The Iraqi government has embarked on the construction of a wall around Baghdad to protect the capital from terror attacks that have been ongoing since 2003 and to isolate it from hotbeds in the northern and western parts of the country. Sunnis object to the move, fearing the wall will deepen internal divisions. […]

Mutlaq, a parliament member for Anbar province, added, ‘The real objective behind the construction of the wall is to isolate Baghdad from Sunni areas in preparation for annexing it to a Shiite region in case a federal system or partition is implemented. It is also designed to restrict a particular sect. Therefore, the other party is the one that started with partition, not the people in the Sunni provinces.’ For his part, Iraqi Defense Minister Khaled al-Obeidi, another member of the Union of Nationalist Forces, had confirmed in a Feb. 9 statement that the objective behind the wall is ‘to protect and secure the units scattered in the vicinity of Baghdad and bring about security in the capital,‘ saying, ‘It will not affect the movement of citizens, isolate some areas or result in the bulldozing of orchards.‘ […]

Obeidi’s remarks did not affect the conviction of the Sunni blocs. Mutlaq said, ‘Most of the areas surrounding Baghdad are inhabited by a Sunni Muslim majority. This majority lives in areas stretching between Baghdad and Anbar to northern Babil, which will be isolated.’” (Al-Monitor, 22. Februar 2016)

National Geographic Magazine, die monatlich erscheinende Zeitschrift der US-amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften, Geographie und Weltkultur, beschreibt in einem Artikel vom August 2014 die Aufspaltung des irakischen Selbstverständnisses in ethnische und religiöse Identitäten am Beispiel von konfessionellen Vierteln in Bagdad. Laut dem Artikel sei es in vielen Stadtvierteln üblich, dass man einen Nachweis des Wohnsitzes am Checkpoint vorzeigen müsse, um eingelassen zu werden. Die Personaldokumente von Fahrern, die diesen Nachweis nicht hätten, würden eingezogen, bis sie das Viertel wieder verlassen würden. Ein Bewohner des sunnitischen Viertels Adhamiya habe erklärt, dass er sich nicht mehr zu seinen schiitischen Freunden in das schiitische Viertel Kadhimiya traue, da die Schiiten die Kontrolle über die Regierung hätten und über schiitische Milizen verfügen würden. In dem von Sunniten und Schiiten bewohnten Viertel Ghazaliya würden Betonbarrieren sunnitische von schiitischen Straßen abtrennen. Bisweilen sei die eine Straßenseite schiitisch, die andere sunnitisch:

„Many of Baghdad's Sunnis are afraid. Perhaps nowhere is that more evident than in the neighborhood of Adhamiya, along the Tigris River. […]

To enter many neighborhoods in Baghdad now, proof of residence must be provided at security checkpoints. Drivers without such proof have their ID and car registration papers held until they leave the area, a security measure that also reinforces neighborhood identity.

Adam stood in his room, which was bare but for a thin mattress covered with mismatched sheets. The window, minus glass, offered a view across the river of the Shiite neighborhood of Kadhimiya. For Adam, Kadhimiya might as well be another country. He had Shiite friends there who visit him, but he didn't dare go to their homes. ‘If I go there, I can't be certain I'll come back. They have militias and control the government. We don't.’[…]

In the mixed neighborhood of Ghazaliya, thigh-high concrete barriers partition Sunni and Shiite streets. In places, the left side of a street is Shiite, the right Sunni, or vice versa.” (National Geographic Magazine, 1. August 2014)

Dr. Michael Izady, ein für das Gulf 2000 Project an der US-amerikanischen Columbia University tätiger Kartograf, hat eine Reihe Karten von Bagdad erstellt, die die demographische Entwicklung der Stadt hin zu konfessionell getrennten Stadtvierteln abbildet. Unten eingefügt ist die neueste Karte für das Jahr 2015. Mehrheitlich schiitische Viertel sind dunkelgrün, mehrheitlich sunnitische Viertel hellgrün eingefärbt:

[Bild entfernt]

(Gulf/2000, vermutlich 2016)

Sicherheitslage aktuell und Entwicklungen seit 2016

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Menschenrechtslage vom März 2017 (Berichtszeitraum: 2016), dass es im ganzen Verlauf des Jahres 2016 weiterhin terroristische Aktivitäten gegeben habe, darunter seien insbesondere Angriffe der Gruppe Islamischer Staat (IS) auf Städte gewesen. Bagdad sei am meisten zum Ziel dieser Angriffe geworden und mehr als die Hälfte der aller Getöteten seien in Bagdad verzeichnet worden. Laut einem Bericht der UNO-Unterstützungsmission im Irak (UN Assistance Mission in Iraq, UNAMI) sei es in Bagdad im Zeitraum von Jänner bis Oktober (2016) beinahe täglich zu Angriffen in Form von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen gekommen. Manche Angriffe hätten sich gegen Regierungsgebäude oder von Sicherheitskräften bemannten Checkpoints gerichtet, andere hätten ZivilistInnen ins Visier genommen. Der IS habe Anschläge auf ZivilistInnen in den mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln von Bagdad verübt. Der größte Anschlag habe sich am 3. Juli ereignet, als eine Bombenexplosion im schiitischen Viertel Karrada zu 292 getöteten ZivilistInnen und hunderten Verletzten geführt habe:

„Terrorist activities continued throughout the year, particularly with Da’esh’s attacks on cities. Baghdad was most affected, and was the site of more than half of the total fatalities. UNAMI reported that Baghdad experienced attacks of IEDs on a nearly daily basis from January to October. Some attacks targeted government buildings or checkpoints staffed by security forces, while others targeted civilians. Da’esh reportedly carried out attacks against civilians in Baghdad’s Shia-majority neighborhoods. The largest was on July 3, when a coordinated bomb attack in Baghdad’s Shia district of Karrada resulted in 292 civilians killed and hundreds wounded.“ (USDOS, 3. März 2017, Section 1a)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) berichtet in ihrem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2017 (Berichtszeitraum: 2016) Folgendes über sicherheitsrelevante Vorkommnisse in der Hauptstadt Bagdad:

„Regierungskritiker, die grundlegende Reformen und ein Ende der Korruption forderten, drangen in der Hauptstadt Bagdad zweimal in die stark gesicherte Grüne Zone vor, in der sich auch der Regierungssitz befindet. Bei den zweiten Protesten am 20. Mai 2016 feuerten Regierungskräfte mit Tränengas, Gummigeschossen und Blendgranaten, um die Demonstration aufzulösen. Dabei wurden vier Menschen getötet. […]

Die bewaffnete Gruppe IS verübte 2016 im gesamten Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden. Die Anschläge richteten sich wahllos und teils gezielt gegen Zivilpersonen auf belebten Märkten und öffentlichen Plätzen oder beim Besuch schiitischer Schreine. Viele der IS-Anschläge erfolgten in Bagdad.

Im Mai 2016 wurden bei einer Anschlagserie auf überwiegend schiitische Wohnviertel in Bagdad nach offiziellen Angaben und Medienberichten 150 Menschen getötet und 214 weitere verletzt, die meisten von ihnen Zivilpersonen. […]

Der öffentliche und der politische Druck auf die Behörden, "Terroristen" hinzurichten, erhöhte sich nach einem Selbstmordanschlag im Karrada-Viertel von Bagdad in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 2016, bei dem fast 300 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilpersonen.“ (AI, 22. Februar 2017)

Die UNO-Unterstützungsmission im Irak (UN Assistance Mission in Iraq, UNAMI), schreibt in ihrem Bericht zur Lage von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt vom Dezember 2016 (Berichtszeitraum: November 2015 bis September 2016), dass die Provinz Bagdad mit einer Anzahl von mindestens 2.603 getöteten und 6.918 verwundeten ZivilistInnen am meisten vom Konflikt betroffen gewesen sei. UNAMI zählt die vom IS verübten Anschläge in Bagdad vom Februar bis zum September 2016 auf. Am 25. Februar hätten zwei Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine schiitische Moschee im Schula-Viertel im Nordwesten der Stadt verübt, bei dem acht ZivilistInnen getötet und 13 weitere verletzt worden seien. Am 28. Februar habe ein Angriff auf einen Markt in Sadr City stattgefunden, bei dem 24 ZivilistInnen getötet und 62 verletzt worden seien. Am 29. März habe eine Person inmitten einer Gruppe von Tagelöhnern am Tajaran-Platz im Zentrum der Stadt eine Sprengstoffweste gezündet. Berichten zufolge seien dabei ein Zivilist getötet und mindestens 18 weitere verletzt worden. Der IS habe sich Berichten zufolge online zur Tat bekannt. Am 22 April habe ein Selbstmordattentäter eine schiitische Moschee in Radhwaniya im Südwesten von Bagdad ins Visier genommen, dabei seien drei Personen getötet und mindestens 16 weitere verletzt worden. Ein weiterer Selbstmordattentäter sei Berichten zufolge von Sicherheitskräften erschossen worden, bevor er seinen Sprengsatz habe zünden können. Am 25. April habe ein Anschlag einer Person in einem mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in New Bagdad im Osten der Stadt zu drei toten ZivilistInnen sowie vier toten Polizisten geführt, mindestens 12 Personen seien verletzt worden. Am 2. Mai habe ein Selbstmordattentäter eine Autobombe zwischen den Vierteln Saidiya und Dora gezündet und dabei mindestens zehn Personen getötet (drei Polizisten und sieben ZivilistInnen) sowie mindestens elf ZivilistInnen verletzt. Am 11. Mai seien drei Anschläge in verschiedenen Vierteln der Stadt verübt worden. In Sadr City habe ein mit Sprengsätzen beladenes Fahrzeug mindestens 28 Personen getötet und 74 weitere verletzt. Eine Person in einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug habe einen Checkpoint in Khadimiya angegriffen und dabei mindestens sechs Personen (vier ZivilistInnen und zwei Polizisten) getötet. Andere Berichte hätten für diesen Anschlag viel höhere Opferzahlen angegeben, jedoch hätten UNAMI und OHCHR (Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights) diese Angaben nicht unabhängig überprüfen können. Bei einem dritten Angriff habe ebenfalls ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug im Adil-Viertel im Westen der Stadt neun Personen getötet und 15 Personen verletzt. Am 17. Mai sei ein komplexer Anschlag auf einen Markt im Schaab-Viertel im Nordosten der Stadt verübt worden, bei dem ein Selbstmordattentäter sowie ein weiterer in der Nähe befindlicher Sprengsatz mindestens 13 Personen getötet und 37 verletzt hätten. Am selben Tag habe ein weiterer Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug auf dem Dschamila-Markt in Sadr-City gezündet, mindestens elf Personen seien dabei getötet und 30 weitere verletzt worden. Andere Berichte hätten weitaus höhere Opferzahlen angegeben. Am 9. Juni seien bei einem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe in New Bagdad 12 ZivilistInnen getötet und 49 verletzt worden. Am 30. Juni habe ein Selbstmordattentäter im Viertel al-Schurta al-Rabia sechs ZivilistInnen getötet und 19 weitere verwundet. Am 3. Juli habe ein Angriff mit einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug im schiitischen Viertel Karrada nach Angaben des Gesundheitsministers zu 292 Toten und 200 Verletzten geführt. Berichten zufolge seien Personen in Gebäuden, darunter in einem Einkaufszentrum, eingeschlossen gewesen, in denen sich im Zuge der Explosion ein Feuer ausgebreitet habe. Am 5. September habe ein weiterer Anschlag in Karrada zu 13 Toten und 18 Verletzten geführt. Am 9. September hätten ein Attentäter mit Sprengstoffweste und ein weiterer Attentäter in einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug in kurzer Zeit hintereinander ihre Sprengsätze nahe des Einkaufszentrums Al-Nachil in der Palästina-Straße im Osten von Bagdad gezündet und dabei mindestens 5 Personen getötet und mindestens 23 weitere verletzt. Am 27. September habe ein Attentäter mit Sprengstoffweste im Bayaa-Viertel im Westen von Bagdad neun ZivilistInnen getötet und 26 weitere verletzt:

„Baghdad was the worst affected governorate, with a minimum of 9,521 civilian casualties (2,603 killed and 6,918 wounded). Anbar followed, with 1,498 civilian casualties (385 killed and 1,113 wounded), then Ninewa, with 908 (595 killed and 313 wounded).” (UNAMI, 30. Dezember 2016, Summary)

„ISIL carried out several mass casualty attacks or attacks intended to cause a large number of civilian casualties in Baghdad. For instance, on 25 February, two suicide attackers detonated explosive vests in a coordinated attack on Rasul al-Azam Shi’a mosque in Shula (northwestern Baghdad), killing eight civilians and wounding 18 others. On 28 February, two suicide attackers targeted the al-Muridy public market in Sadr City (eastern Baghdad) – one detonating an explosive vest, the other detonating a motorcycle laden with explosives – killing 24 civilians and wounding 62 others. ISIL claimed responsibility for both attacks. On 29 March, an attack by an individual wearing an explosive vest among a group of day labourers in Tayaran Square (central Baghdad) reportedly killed at least one civilian and wounded at least 18 others. ISIL reportedly claimed responsibility for the attack online. On 22 April, an attack by an individual wearing an explosive belt targeting the Imam Ali Shi’a mosque in Radhwaniya (southwestern Baghdad) killed at least three individuals and wounded at least 16 others. Another suicide attacker was reportedly shot and killed by ISF [Iraqi Security Forces] before he could set off his explosives. The suicide attackers were wearing ISF uniforms. ISIL claimed responsibility online. On 25 April, an attack by an individual driving a vehicle laden with explosives near al-Baydha’a Cinema intersection, in New Baghdad (eastern Baghdad), killed at least seven individuals (three civilians and four Iraqi Police officers) and wounded at least 12 others. ISIL reportedly claimed responsibility for the attack online. On 2 May, a suicide car bomb attack targeting pilgrims at the Darwish Intersection area between Saydiya and Doura areas (southern Baghdad) killed at least 10 individuals (seven civilians and three Federal Police members) and wounded at least 11 civilians. ISIL claimed responsibility for the attack online. On 11 May, three mass casualty attacks took place in different areas of Baghdad. In the morning, an attack using a vehicle laden with explosives killed at least 28 individuals (26 civilians and two Iraqi Police officers) and wounded at least 74 others in a market in Sadr City (northern Baghdad). In the afternoon, an attack by an individual driving a vehicle laden with explosives at a checkpoint in Kadhimiya (northern Baghdad), killed at least six people (four civilians and two Iraqi Police officers) and wounded at least one Police officer. Other reports indicated far higher casualty figures for this incident but UNAMI/OHCHR [Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights] were unable to verify these claims. Also in the afternoon, an attack by an individual driving a vehicle laden with explosives in Adil (western Baghdad) killed nine people and wounded 15 others. ISIL claimed responsibility for all these attacks online. […]

On 17 May, a complex attack involving an individual wearing an explosive belt and a nearby explosive device simultaneously targeted the ‘4000 market’ in Shaab (northeastern Baghdad), killing at least 13 individuals and wounding at least 37 others. On the same day, a vehicle laden with explosives driven by a suicide attacker detonated in Sadr City (eastern Baghdad) in the Jameela vegetable market, killing at least 11 individuals and wounding 30 others. Other reports indicated much higher casualty figures in this incident. ISIL reportedly claimed responsibility for the attacks online. On 9 June, a suicide car bomb detonated near al-Baydha’a cinema in Baghdad al-Jadida/New Baghdad (east Baghdad), killing 12 civilians and wounding 49. ISIL reportedly claimed responsibility for the attack online. On 30 June, an attack by an individual wearing an explosive vest in Shurta al-Rabi’a (western Baghdad) killed six civilians and wounded 19 others. ISIL claimed responsibility for the attack online. On 3 July, an attack by an individual driving a vehicle laden with explosives in Karrada (central Baghdad, Shi’a majority) led to the death of 292 individuals and wounded 200 others, according to casualty figures released by the Minister of Health. It was reported that people were trapped in buildings, including a mall, which caught fire due to the explosion. In the days following the attack, Iraq’s Prime Minister dismissed the Head of Baghdad Operations Command and other security officials and later accepted the resignation of the Minister of Interior for their failure to prevent the attack and lack of coordination and inadequacy of the response of the civil services in its aftermath. Late in the evening of 5 September an attack by an individual driving a vehicle laden with explosives killed 13 individuals and wounded 18 others in Karrada (central Baghdad, Shi’a majority). ISIL reportedly claimed responsibility for the attack. On 9 September, two attacks by an individual wearing an explosive vest and an individual driving a vehicle laden with explosives, within a few minutes of each other, killed at least five people and wounded at least 23 others near al-Nakheel Mall, in the Palestine Street area (eastern Baghdad). ISIL claimed responsibility for the attack online. On 27 September, an attack by an individual wearing an explosive vest near a car show, in Bayaa (western Baghdad), killed nine civilians and wounded 26 others.” (UNAMI, 30. Dezember 2016, S. 5-6)

UNAMI berichtet des Weiteren über außergesetzliche Tötungen und Entführungen, die sich in Bagdad während der Berichtszeit häufig ereignet hätten. Beispielsweise seien am 24. Jänner 2016 drei ZivilistInnen aus der Provinz Anbar im mehrheitlich schiitischen Viertel Zafaraniya im Osten der Stadt entführt worden. Ihre Leichen seien später, einem Bericht zufolge verstümmelt, in der Stadt aufgefunden worden. Am 21. April sei eine Ärztin nahe ihrer Klinik auf der Palästina Straße, einer gemischten sunnitisch-schiitischen Gegend, entführt und getötet worden. Am 9. September seien 14 ZivilistInnen aus dem mehrheitlich sunnitischen Ort Tadschi im Norden der Stadt Bagdad von einer bewaffneten Gruppe entführt worden. Zu diesem Vorfall habe es keine weiteren Informationen gegeben:

„Baghdad witnessed frequent unlawful killings during the reporting period. For example, on around 24 January, three civilians from Anbar were abducted in Zafaraniyah (eastern Baghdad, Shi’a majority) and their bodies were later found in the city, reportedly mutilated – according to one source. On 21 April, a female doctor was abducted near the clinic where she was employed, in Palestine Street (eastern Baghdad, mixed Sunni / Shi’a) and she was killed a few hours later. On 9 September, 14 civilians were abducted in Taji (northern Baghdad, Sunni majority) by an armed group. No further information was available on this incident.” (UNAMI, 30. Dezember 2016, S. 28)

Während des Berichtszeitraums, so UNAMI, sei es in Bagdad zu fast täglichen Angriffen durch nicht identifizierte Täter mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen gekommen. Beispielsweise hätten am 11. Jänner bewaffnete Männer ein Einkaufszentrum im mehrheitlich schiitischen Viertel New Bagdad angegriffen. Zunächst seien mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge detoniert worden, dann hätten Selbstmordattentäter ihre Sprengstoffwesten gezündet und Angreifer hätten mit Kleinwaffen um sich geschossen. Die bewaffneten Männer hätten das Einkaufszentrum gestürmt und eine unbestimmte Anzahl an Geiseln genommen. Die irakischen Sicherheitskräfte hätten die Belagerung nach circa einer Stunde beendet. Berichten zufolge seien bei diesem Vorfall 17 ZivilistInnen und drei Polizisten, sowie 20 weitere Personen verletzt worden:

„In Baghdad, attacks employing IEDs by unidentified perpetrators occurred on an almost daily basis. For example, on 11 January, armed men conducted a complex attack at al-Jawhara shopping centre in the Shia-majority New Baghdad/Baghdad al-Jadida area of eastern Baghdad. The attack commenced with the detonation of a vehicle laden with explosives, followed by the detonation of vests by suicide attackers, and small arms fire. An undetermined number of hostages were taken when the armed men stormed the shopping centre. ISF ended the siege after approximately one hour. According to sources, 17 civilians (including three Iraqi Police) were killed and 20 others were wounded.” (UNAMI, 30. Dezember 2016, S. 31)

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in einer Übersicht zum vom IS verübten Anschlägen vom 15. Jänner 2017, dass es in den letzten Wochen zu mehreren tödlichen Anschlägen gekommen sei, die überwiegend die östlichen, von Schiiten dominierten Stadtteile Bagdads ins Visier genommen hätten. Am 31. Dezember 2016 hätten sich zwei IS-Selbstmordattentäter auf einem zentral gelegenen Markt in Bagdad in die Luft gesprengt, wobei laut Angaben der Polizei mindestens 25 Personen getötet und 50 verletzt worden seien. Am 2. Jänner sei eine Autobombe an einem belebten Platz in Sadr City explodiert und habe laut Angaben des Innenministeriums 39 Personen getötet sowie mindestens 61 verletzt. Laut Medienberichten habe der Attentäter Arbeiter zu seinem Auto gelockt, indem er ihnen Arbeit versprochen habe, dann habe er sich in die Luft gesprengt. Neun der Opfer seien Angaben von Reuters zufolge Frauen gewesen, die in einem Minibus den Platz überquert hätten. Eine kurze Zeit später sei eine weitere Bombe vor dem Krankenhaus al-Kindi explodiert, wobei drei weitere Personen getötet worden seien.

Am 5. Jänner sei eine Autobombe im Stadtviertel al-Obeidi explodiert, wobei laut Angaben des Innenministeriums fünf Personen getötet und sieben verletzt worden seien. Der IS habe daraufhin in einer Stellungnahme online angegeben, dass der Anschlag auf eine Ansammlung von Schiiten abgezielt habe. Eine zweite Explosion am selben Tag habe sich im Bab al-Moadham Viertel an einem Checkpoint ereignet, wobei acht Personen getötet worden seien. Beide Bomben seien in geparkten Fahrzeugen platziert worden.

Der IS habe sich des Weiteren zu zwei Anschlägen am 8. Jänner auf belebte Märkte im Osten der Stadt bekannt. Laut Medienberichten habe ein Attentäter ein Fahrzeug mit Sprengstoff auf einen Markt in al-Dschamila gelenkt und detoniert, wobei 13 Personen getötet worden seien. Wenige Stunden später habe sich ein weiterer Selbstmordattentäter auf einem Markt im Viertel al-Baladiyat in die Luft gesprengt und dabei sieben Personen getötet:

„In recent weeks, several deadly attacks have mainly targeted Baghdad’s Shia-majority eastern districts. On December 31, 2016, two suicide bombers blew themselves up in a central market of Baghdad, killing at least 25 people and wounding 50, according to Iraqi police. ISIS claimed responsibility for the attack.

On January 2, 2017, a car bomb claimed by ISIS exploded in a busy square in Baghdad’s Sadr city, killing at least 39 people and wounding at least 61, according to the Interior Ministry. The media reported that the bomber lured laborers to his car by promising them work, then blew himself up. Nine of the victims were women in a minibus passing through the square at the time, Reuters said. A short while later, another car bomb detonated in the parking lot of the nearby al-Kindi hospital, killing three people.

On January 5, a car bomb exploded in al-Obeidi neighborhood, also in eastern Baghdad, during the morning rush hour, killing five people and injuring seven, according to the Interior Ministry. ISIS said in an online statement it had targeted a gathering of Shia Muslims. A second explosion that day hit the central district of Bab al-Moadham near a security checkpoint, killing eight. Both bombs had been left in parked vehicles.

ISIS claimed two attacks on January 8 on busy markets in eastern Baghdad. Media reported that in the first blast, the assailant drove an explosives-rigged car into a large vegetable market in the Jamila district, and detonated it, killing 13. Security forces had opened fire on the car to try to stop it. A suicide bomber wearing an explosive vest blew himself up a few hours later at a market in the Baladiyat district, killing at least seven.“ (HRW, 15. Jänner 2017)

BBC News schreibt im Februar 2017, dass mehrere Stunden, nachdem Zusammenstöße bei Protesten zu mindestens fünf Toten geführt hätten, mehrere Raketen in der Grünen Zone in Bagdad eingeschlagen seien. In der Grünen Zone würden sich Regierungsgebäude und Botschaften befinden. Tausende Demonstranten hätten für eine Wahlreform protestiert und versucht, die grüne Zone zu stürmen. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt und es habe Berichten zufolge mehr als 200 Verletzte gegeben:

„Several rockets have hit the high security Green Zone in Iraq's capital, Baghdad, hours after clashes at a protest left at least five dead. There were no immediate reports of casualties in the Green Zone, which houses government buildings and foreign embassies in Baghdad. Earlier on Saturday, thousands of protesters, demanding electoral reform, tried to storm the area. Police fired tear gas. At least 200 people are reported to be hurt. The protesters, mostly supporters of the Shia cleric Moqtada al-Sadr, want changes to the electoral commission that oversees elections.“ (BBC News, 11. Februar 2017)

Die deutsche Tageszeitung taz schreibt in einem Artikel vom Februar 2017 Folgendes über einen vom IS verübten Autobombenanschlag im Bagdader Stadtviertel Bayaa sowie zu weiteren Angriffen:

„Bei der Explosion einer Autobombe in der irakischen Hauptstadt Bagdad sind am Donnerstag nach Polizeiangaben mindestens 39 Menschen getötet und mehr als 60 verletzt worden. Die Bombe detonierte in der Nähe eines belebten Markts für Gebrauchtwagen im südlichen Stadtviertel Bajaa. In sozialen Medien waren mit Handys aufgenommene Bilder mit verkohlten Leichen und starken Zerstörungen zu sehen. Die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) bekannte sich über ihr Sprachrohr Amaq zu dem Anschlag. Dieser wurde in demselben Viertel verübt wie ein Attentat am Dienstag, bei dem mindestens vier Menschen getötet worden waren. Am Mittwoch hatte ein Selbstmordattentäter in der Nähe des mehrheitlich schiitischen Viertels Sadr City im Norden der Hauptstadt ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug zur Explosion gebracht und mindestens zehn Menschen mit in den Tod gerissen. Auch zu diesem Anschlag hatte sich die IS-Miliz bekannt.“ (taz, 16. Februar 2017)

Niqash, eine auf Englisch, Arabisch und Kurdisch gehaltene Informationswebseite zum Irak, die Beiträge zu Politik, Medien und Kultur in der Region veröffentlicht und die von der Medienorganisation Media in Cooperation and Transition mit Sitz in Berlin betrieben wird, erwähnt in einem Artikel vom April 2016, dass, während Bagdad das Ziel vieler Autobomben- und Selbstmordangriffe sei, die Randgebiete der Stadt, der sogenannte „Bagdad-Gürtel“ eines der größten Sicherheitsprobleme für die lokale Bevölkerung darstellen würde. Der Artikel berichtet von einer in einem Ort im Bagdad-Gürtel namens Jusufiya ansässigen Familie, von der zwei Kinder getötet worden seien, eines durch Kampfhandlungen und eines durch eine Sprengbombe am Straßenrand. In Tarimiyah, ebenfalls ein Ort im Bagdad-Gürtel habe ein Bewohner angegeben, dass er dieselben Sicherheitsprobleme habe und die Sicherheitsbehörden der lokalen Bevölkerung misstrauen würden. Sie würden die Bewohner alle für Terroristen halten, da sich Terroristen auf Bauernhöfen in der Gegend verstecken würden. Die Terroristen würden ständig die Sicherheitskräfte angreifen, jedoch würde die lokale Bevölkerung für diese Angriffe bezahlen. Orte wie Jusufiya, Tarimiya, Latifiya, Madaen, Arab Dschabur, Abu Ghraib, Muschahada und Tadschi würden zum Bagdad-Gürtel gehören. In der Vergangenheit habe diese ländliche Gegend der extremistischen Organisation al-Qaida im Irak Unterschlupf gewährt. Nun würde dieselbe Gegend von der aus dieser hervorgegangenen Gruppe Islamischer Staat genutzt. Stadtbewohner würden heute diese Gegend meiden. Es sei ohnehin nicht mehr leicht, den Bagdad-Gürtel zu erreichen, da es Dutzende Checkpoints gebe, von denen manche in einem Abstand von nur 500 Metern aufgestellt seien. Trotzdem sei die Gegend immer noch nicht sicher:

„While Baghdad is still the venue for many suicide bombers and car bombs, it is the capital city’s borders that present one of the greatest security problems for locals – and the problem in the so-called ‘Baghdad belt’ looks to be getting worse. In Yusufiyah, an area on the southern outskirts of the city, Sheikh Othman al-Janabi and his nine-member family have been resisting leaving and have just been dealing with the increasing insecurity here. Over the past two weeks though that has changed. Two of al-Janabi’s children were killed – one in fighting in the area and one in a roadside bomb. Then al-Janabi’s wife also died. ‘Now I can no longer plant my farm but I am still refusing to leave our house – I built it with my own hands,’ al-Janabi said. ‘I will not leave my childhood home.’ Karim al-Mashadani lives in Tarimiyah, on the other side of Baghdad but he is dealing with the same kinds of problems as the al-Janabi family. ‘The security forces don’t trust the population,’ al-Mashadani, a professor who has been living in the area for over two decades, told NIQASH. ‘They think they are all terrorists because the terrorists are in hiding, on the farms in the area. The terrorists are continuously attacking the security forces but it is the ordinary people around here who pay for their crimes.’ Just like Yusufiyah, Tarimiyah is located on the outskirts of Baghdad. Along with Latifiyah, Madaen and Arab Jabour in the south, Abu Ghraib in the west and Mushahada and Taji to the north, these areas make up what’s known as the Baghdad belt. In the past, these more rural areas provided shelter to the extremist organisation, Al Qaeda in Iraq. Now the same areas are being used by the new incarnation of the latter, the Islamic State group. In the distant past Baghdad’s belt was a mainly agricultural area, supplying a lot of produce and dairy products to the capital. Residents of Baghdad used to take trips out to the countryside to escape city life but today locals tend to avoid these areas. As it is, it’s not particularly easy to come here anymore anyway. There are dozens of checkpoints, some just 500 meters apart. Yet somehow the area still isn’t safe.” (Niqash, 28. April 2016)

Infolge einer Reihe von Selbstmordanschlägen in der Gegend des Bagdad-Gürtels, die auf schiitische Moscheen abgezielt hätten, habe Qais al-Khazali, Anführer einer umstrittenen schiitischen Miliz, angemerkt, dass es wichtiger sei, diese Gegend zu sichern, als im fernen Mossul zu kämpfen. Der IS, so Khazali, benutze die Ränder der Stadt als Lager, in denen sich hunderte Kämpfer und Selbstmordattentäter aufhalten und in denen Autobomben gebastelt würden. Ein Parlamentsabgeordneter der schiitischen Badr-Fraktion habe angegeben, dass der IS in den Bagdad-Gürtel zurückgekehrt sei, nachdem er in der Provinz Anbar besiegt worden sei. Nun sei es das Ziel des IS, Bagdad zu bedrohen und die Sicherheitskräfte und freiwillige Milizen dazu zu bringen, sich weiter nach Bagdad zurückzuziehen und weiter entfernt liegende Fronten aufzugeben. Bagdad, so Niqash, habe keine klaren Grenzen oder Mauern, die geographische Grenze sei von diesen ländlichen und landwirtschaftlichen Gegenden geprägt. Es gebe viele Nebenstraßen und Feldwege, die von der Polizei nicht kontrolliert würden. Der IS nutze nun diese Straßen, die den Bagdad-Gürtel mir der Stadt und den umliegenden Provinzen verbinden würden. Ein Oberst der irakischen Armee habe erklärt, dass es am Rand der Stadt viele Obstplantagen gebe, in denen sich Bewaffnete monatelang verstecken könnten. Viele seiner Soldaten seien im Bagdad-Gürtel gezielt erschossen oder von unkonventionellen Sprengvorrichtungen getötet worden. Laut Angaben des Oberst würden die Kämpfer auf Sympathien der lokalen (sunnitischen) Bevölkerung stoßen. Im Bagdad-Gürtel würden viele Sunniten leben, da die von Saddam Hussein geführte Baath-Partei in den 1970er Jahren versucht habe, die Demographie der Gegend zu verändern. So seien Sunniten in vormals sunnitisch-schiitisch gemischten Orten angesiedelt worden, um die Dominanz der sunnitischen Gemeinschaft zu unterstützen. Ein schiitischer Bewohner von Mahmudiya, einer Stadt im südlichen Bagdad-Gürtel, habe erklärt, dass manche Bewohner sunnitischer Orte die Terroristen unterstützen würden. Die Terroristen würden oft nicht aus der Gegend kommen, jedoch lokale Bewohner finden, die ihnen dabei helfen würden, ihre Anschläge zu verüben. Die irakische Regierung habe in ihrem Versuch, die Sicherheitsprobleme im Bagdad-Gürtel zu lösen, vorgeschlagen, einen Zaun um die Stadt herum zu bauen, der unter anderem aus einer drei Meter hohen Betonabsperrung sowie einem drei Meter weiten Graben bestehen solle. Dieser Plan sei bereits 2006 vorgeschlagen und damals von sunnitischen Politikern kritisiert worden, da er die konfessionellen Spaltungen in der Gesellschaft noch zusätzlich vertiefen würde. Jetzt komme aus demselben Lager Einspruch gegen den Plan, die Betonmauern, die schiitische und sunnitische Viertel in Bagdad voneinander trennen würden, an die Stadtränder zu transportieren und dort aufzustellen. Das größte Problem im Bagdad-Gürtel sei jedoch dasselbe wie im gesamten Land: auf religiöser Zugehörigkeit basierende Antipathie. Die sunnitischen Bewohner und die schiitischen Sicherheitskräfte würden einander misstrauen. Den lokalen, aus den sunnitischen Vierteln stammenden, Sicherheitskräften vertraue man nicht, da manche von ihnen mit dem IS kooperiert hätten. Einige schiitische Milizen hätten es geschafft, die Gegend zu sichern, jedoch meistens nur durch Anwendung von Gewalt. Es sei zu Ungerechtigkeiten und Rechtsverletzungen in der Gegend gekommen, da die Sicherheit, die (gewaltsam) durchgesetzt werde, immer nur vorübergehend halte. Sobald sich die Sicherheitskräfte zurückziehen würden, wie das bei manchen im vorangegangenen Monat der Fall gewesen sei, als der Staat ihren Monatslohn nicht gezahlt habe, würden extremistische Gruppen auftreten:

„After a series of suicide bombings in these areas, which targeted Shiite Muslim mosques, Qais al-Khazali, the leader of one of Iraq’s more controversial Shiite Muslim militias, noted that it was more important to secure these areas than fighting for the distant northern city of Mosul. ‘The Islamic State is using the city’s outskirts as camps, housing hundreds of fighters and suicide bombers and to make car bombs,’ al-Khazali said during a television interview. ‘The Islamic State has started to return to the outskirts of Baghdad after being defeated around Anbar province,’ says Hassan Mohsen al-Saadi, an MP affiliated with the Shiite Muslim Badr bloc in Parliament. ‘The Islamic State group wants to threaten Baghdad and in doing so, cause the Iraqi security forces and the volunteer militias to retreat to Baghdad, leaving more distant fronts uncontested.’ Even if this wasn’t a deliberate ploy, the extremists would still be in these areas. Baghdad doesn’t have any absolutely clear boundaries or walls and its geographical border tends to be these rural and agricultural areas. It also means the city is connected to four different provinces through the less populated land. There are plenty of back roads and unmarked farmer’s tracks that are not policed, connecting the provinces to the Baghdad belt and then on into the capital that are now being used by the Islamic State, or IS, group. ‘There are literally forests of orchards on the outskirts of Baghdad and gunmen can hide there for months without discovery,’ explains Khudair al-Khazraji, a colonel in the Iraqi military. ‘I have lost many of my men working on the outskirts of Baghdad – they were killed by Improvised Explosive Devices [on the road] or assassinated.’ Al-Khazraji confirms what al-Mashadani said earlier about the local population being seen as terrorist affiliates. ‘Militants find a lot of people in the [Sunni Muslim] community who sympathize with them,’ the colonel noted. […]

The fact that there are a lot of Sunni Muslims living in this area is no coincidence either. In the 1970s, Saddam Hussein’s Baath political party - dominated by Sunni Muslims - tried to change the demographics of these areas. They resettled Sunnis in areas where a mix of Sunni Muslims and Shiite Muslims had been living together for years in order to try and encourage Sunni dominance. ‘The terrorists are certainly hiding in the Sunni areas,’ Abbas al-Tamimi, a Shiite Muslim resident in a government housing complex in Mahmudiyah, south of Baghdad, told NIQASH. ‘But we don’t accuse all of them of helping the terrorists. But we know some of them are.’ ‘A lot of the time the terrorists come from outside the area,’ al-Tamimi continued, ‘but they find locals who can help them find their way round and that helps them carry out their attacks.’ To try and solve the ongoing security problems in the Baghdad belt, the Iraqi government suggested building a fence around the city’s outskirts which will include a three-meter high concrete blast barrier and a three-meter wide trench. This isn’t a new idea. A similar plan was mooted by the US military in 2006. But at the time Sunni Muslim politicians objected to the idea because the security fence was ostensibly splitting Iraq’s populations in two – this would exacerbate sectarian tensions, they claimed. The politicians were also concerned about the fact that land that was supposedly in Anbar and Babel provinces would become part of Baghdad without the correct procedures. There is opposition to this idea from the same quarters, for the same reasons, again this year. They oppose the idea of lifting the concrete walls that separate Sunni Muslim and Shiite Muslim neighbourhoods in Baghdad and simply transporting them – and the idea they stand for - to the outskirts of the city. […]

Really the biggest problem in the Baghdad belt is the same as the country’s biggest problem: Sectarian antipathy. The Sunni Muslim locals don’t trust the Shiite Muslim security forces and vice versa. More local security forces – that is, those native to the Sunni Muslim neighbourhoods – are not seen as trustworthy as some of them are known to have collaborated with the IS group. Some Shiite Muslim militias in these areas have managed to keep areas secure but they have achieved this mostly by using force. There have also been injustices and violations in the area – which is why the security that is imposed can only ever be temporary. As soon as the security forces withdraw – as some of them did last month when the Iraqi government stopped paying their salaries – then the extremist groups reappear.” (Niqash, 28. April 2016)

Lage von Sunniten

HRW berichtet im März 2016, dass kriminelle Banden in Bagdad und Diyala für Drohungen und Tötungen verantwortlich seien, die nicht untersucht worden seien. Sunnitische Opfer dieser Banden hätten gesagt, dass diese Verbindungen zu den irakischen Streitkräften und schiitischen Milizen hätten:

„Mostly Shia militias fighting ISIS, such as Badr Brigades, League of the Righteous, or Imam Ali Battalions, carried out widespread and systematic violations of human rights and international humanitarian law, in particular, demolishing homes and shops in recaptured Sunni areas. […] In Baghdad and Diyala, criminal gangs who Sunni victims say are affiliated with the Iraqi security services and Shia militias carried out uninvestigated assassinations and threats.” (HRW, 9. März 2016)

Al-Quds al-Arabi, eine in London erscheinende palästinensische Tageszeitung, berichtet im April 2016, dass sunnitische Moscheen in den westlichen Vierteln von Bagdad, insbesondere in den Stadtvierteln Ghazaliya, Mansur und Dawudi bereits seit Wochen Schikanen vonseiten der Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces, PMF) und der irakischen Sicherheitskräfte ausgesetzt seien. Sowohl die PMF als auch die Sicherheitskräfte hätten Checkpoints vor den Moscheen errichtet und würden am Eingang der Moscheen die Identitätspapiere der Moscheebesucher kontrollieren. Ein Imam einer Moschee habe Al-Quds al-Arabi berichtet, dass es fast täglich zu Verhaftungen von Bewohnern komme, die die Moschee zu den vier Tagesgebeten aufsuchen würden. Es habe Fälle von Massenverhaftungen am Ende der Freitagsgebete gegeben, die insbesondere auf junge, männliche Moscheebesucher abgezielt hätten. Ihnen werde Terrorismus vorgeworfen, obwohl keine Beweise gegen sie vorliegen würden und nicht nach ihnen gefahndet werde. Dem Imam zufolge würden diesen willkürlichen Verhaftungen religiös motivierte sowie finanzielle Motive zugrunde liegen. Die meisten Opfer würden schnell wieder freigelassen, nachdem eine Summe von 2.000 bis 10.000 Dollar gezahlt worden sei. (Al-Quds Al-Arabi, 14 April 2016)

 

Auf dem weiter oben bereits angeführten Weblog „Informed Comment“ findet sich ein Beitrag eines für Niqash schreibenden Autors namens Ibrahim Saleh vom November 2016, in dem berichtet wird, dass mehrere sunnitische Familien in letzter Zeit aus mehrheitlich schiitischen Wohnvierteln in Bagdad herausgedrängt worden seien. Die örtlichen Bewohner würden die schleichende Rückkehr von religiös motivierten Spannungen befürchten, während sich das Bild von mehr und mehr Straßen verändere. Anfang November habe Mohammed al-Rubaie, der Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates Bagdad, bekanntgegeben, dass sunnitische Bewohner gewaltsam aus dem mehrheitlich von Schiiten bewohnten, südöstlichen Viertel Zaafaraniya vertrieben worden seien. Banden, die behauptet hätten, einflussreiche Einwohner zu vertreten, hätten fünf Familien dazu gezwungen, wegzuziehen. Das Sicherheitskomitee habe das Baghdad Operations Command, eine führende militärische Einheit, deren Aufgabe es sei, die Stadt zu sichern, verständigt. Die Sicherheitskräfte dort hätten jedoch gesagt, dass es keine Möglichkeit gebe, solche Erpresser zu kontrollieren. Al-Rubaie sei besorgt, dass im Lichte der Spannungen, die durch die vom IS herbeigeführte Sicherheitskrise ausgelöst worden seien, Zaafaraniya erst den Anfang darstelle. Ende September habe eine Gruppe sunnitischer Politiker den Premierminister al-Abadi dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass lokale Vertriebene wieder in ihre Häuser zurückkehren könnten. Sie hätten gewarnt, dass in der Stadt und insbesondere im Bagdad-Gürtel demographische Veränderungen betrieben würden. Einwohner von Zaafaraniya wüssten genau, dass die Personen, die man zum Wegziehen gezwungen habe, nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit zurückkehren würden. Ein Bewohner von Zaafaraniya habe gesagt, dass mächtige Personen das Problem seien, die ihren Einfluss und ihren Reichtum ausnutzen würden, um in ihrem Viertel nach ihrem Belieben zu handeln. Daher vermute er, dass diese Vorfälle nicht auf religiösem Hass basieren würden. Die kriminellen Vorfälle hingen mit der Gier nach den Grundstücken zusammen, von denen die Familien vertrieben worden seien. Die betroffenen Familien seien schwer drangsaliert worden, bevor sie gegangen seien. Informed Comment berichtet weiters, dass man den Personen, die aus ihren Häusern vertrieben würden, meistens vorwerfe, mit dem IS verbündet zu sein. Die schiitische Freiwilligenmiliz Harakat al-Nudschaba habe gesagt, dass der IS über Schläferzellen in Zaafaraniya verfüge, die terroristische Operationen planen würden. Aus diesem Grund sage die Miliz, die bereits zuvor Auseinandersetzungen mit den irakischen Sicherheitskräften in dem Viertel gehabt habe, dass sie auf diese potentiellen Kriminellen reagieren könne, ohne vorher jemanden um Erlaubnis zu fragen:

„Several Sunni Muslim families were forced out of their mainly Shiite Muslim neighbourhood in Baghdad recently. Locals fear the creeping return of sectarian tensions, as street by street changes. Earlier this month, the head of the Baghdad provincial council’s security committee, Mohammed al-Rubaie, announced that some Sunni Muslim locals in the mainly Shiite south-eastern district of Zafaraniyah had been forcibly removed from the area. Five families had been forced to leave, al-Rubaie said, by gangs claiming they were representing influential locals. The security committee contacted the Baghdad Operations Command, the military unit dedicated to the capital’s security, at the time but the security staff said there was no way to control blackmailers like this. Now al-Rubaie says he is worried that Baghdad is about to see a return of the kind of sectarian violence that used to plague the city, between 2006 and 2008, when Sunni and Shiite Muslims turned on one another and bodies were often found on the streets. Al-Rubaie, a Shiite Muslim politicians, is concerned that, given the tensions caused by the security crisis sparked the extremist Islamic State group, that Zafaraniyah is just the first. […]

At the end of September, a group of Sunni Muslim politicians asked the Iraqi Prime Minister Haider al-Abadi to ensure the return of displaced locals, to their homes. They warned that demographic change was being wrought on Baghdad again, and especially in the city’s belt. The Iraqi government has pledged to prevent these kinds of problems and bring security to Baghdad. But locals in Zafaraniyah know full well that those who were forced out of their neighbourhood are highly unlikely to ever return. ‘We all know that the problem lies with certain powerful people, who are using their influence and wealth to do whatever they want in this neighbourhood,’ says Hamza Ali, a Zafaraniyah local. He suspects that the acts are not motivated by any kind of sectarian hatred. In fact, he thinks the criminal acts in his area are due to a lust for the real estate that those families who are forced out, leave behind. ‘None of those people who were forced out will return,’ Ali adds. ‘They were all harassed a lot before they left.’ Those who are forced out of their homes are often accused of being allied to the extremist Islamic state, or IS, group, which says it roots its own brutal ideology in Sunni Islam. The Shiite Muslim volunteer militia known as Harakat al-Nujaba says that the IS group has sleeper cells in Zafaraniyah who plan to carry out terrorist operation. For this reason, the militia, which has clashed with official Iraqi security forces in this neighbourhood before, says it can react to these potential criminals without seeking prior approval from anyone.” (Informed Comment, 1. November 2016)

Die UNO-Unterstützungsmission im Irak (UN Assistance Mission in Iraq, UNAMI), schreibt in ihrem bereits weiter oben angeführten Bericht zur Lage von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt vom Dezember 2016, dass während des Berichtszeitraums vom November 2015 bis September 2016 mindestens 505 Fälle nicht identifizierter Leichen verzeichnet worden seien, von denen fast 80 Prozent in der Provinz Bagdad aufgefunden worden seien. Beispielsweise habe die Polizei am 13. Jänner im mehrheitlich sunnitischen Tarmiya-Viertel im Norden der Stadt die Leichen von elf Männern gefunden, die Schusswunden aufgewiesen hätten. Am 31. Jänner habe die Polizei die Leichen von zwei Männern mit Schusswunden im mehrheitlich sunnitischen Viertel Dora im Süden von Bagdad gefunden. Am 18. Juni seien vier Leichen mit Schusswunden im mehrheitlich sunnitischen Viertel Sabea al-Bur aufgefunden worden. Im ebenfalls mehrheitlich von Sunniten bewohnten Viertel Abu Ghraib habe die Polizei am 16. August die Leiche eines Mannes gefunden, die Schusswunden aufgewiesen habe:

„During the reporting period, UNAMI/OHCHR recorded a minimum of 505 cases of unidentified bodies, of which 402 (almost 80 percent of the total) were found in Baghdad Governorate. In Baghdad, for example, on 13 January, the Police found the bodies of 11 men with gunshot wounds in Tarmiya (northern Baghdad, Sunni majority). On 31 January, the Police found the bodies of two men with gunshot wounds in Doura (southern Baghdad, Sunni majority). On 18 June, the Police found four bodies with gunshot wounds in Sabea al-Boor (northern Baghdad, Sunni majority). On 16 August, the Police found the body of a man with gunshot wounds in Abu Ghraib (southern Baghdad, Sunni majority).” (UNAMI, 30. Dezember 2016, S. 30)

Middle East Monitor (MEMO), eine nichtprofitorientierte Organisation zur Analyse und Übersetzung von Medienprodukten sowie zur Medienüberwachung in Bezug auf Berichterstattung zum Nahen Osten, schreibt im Jänner 2017, dass einer der drei irakischen Vizepräsidenten, Ajad Allawi, den Premierminister kritisiert habe, nachdem dutzende sunnitische Zivilisten aus ihren Häusern im Ort Tarmiya im Norden der Stadt Bagdad entführt worden seien und deren Verbleib unklar sei. Allawi habe die Behörden dazu aufgefordert, nicht mehr länger über die Entführung von circa 50 Männern aus sunnitischen Dörfern im Bezirk Tarmiya zu schweigen. Der irakische Premierminister habe indessen zugegeben, dass ein „Teil einer Einheit“ der PMF als offizieller Teil der irakischen Armee für die Angriffe in Tarmiya und das religiös motivierte Vorgehen gegen sunnitische Dorfbewohner verantwortlich sei. Zunächst hätten irakische Behördenmitglieder auf mehreren Fernsehsendern, darunter Al Jazeera, den IS für die Entführungen verantwortlich gemacht. Der Kommandeur der militärischen Einheit vor Ort habe jedoch angegeben, dass ihm nicht bekannt sei, auf welche Weise die Männer verschwunden seien. Er habe auch den IS nicht erwähnt. Tarmiya befinde sich unter Kontrolle der irakischen Regierung und der IS sei dort nicht präsent. Das Eingeständnis von al-Abadi könne belastend sein, da die PMF einen offiziellen Teil der irakischen Streitkräfte darstellen würden und sich deshalb unter seinem direkten Kommando befinden würden:

„The Iraqi prime minister has been criticised by one of Iraq’s three vice presidents for the abduction and forced disappearance of dozens of Sunni Arab civilians from their homes in the township of Tarmiyah, north of the capital Baghdad. Vice President Ayad Allawi, who also heads the Iraqi National Accord parliamentary bloc, slammed Prime Minister Haider Al-Abadi’s government, calling on the authorities to end its silence over the abduction of around 50 men from Sunni villages in the Tarmiyah district. Meanwhile, the Iraqi premier admitted that a ‘part of a unit’ from the Iran-backed Popular Mobilisation Forces (PMF), an official part of the Iraqi military, was responsible for the attacks on Tarmiyah and the sectarian targeting of Sunni villagers. This comes after Iraqi officials appeared on Arab television, including Al Jazeera, and appeared to blame the Daesh terrorist group for the abductions. The commander of the military brigade responsible for the area, however, said that he had no idea how the men were disappeared and did not make any mention of Daesh. Tarmiyah is held and secured by the Iraqi government with no Daesh presence, and forms a part of the southern edges of Salahuddin province near Baghdad. Al-Abadi’s admissions could prove damning, as the PMF form an official part of the Iraqi armed forces and are therefore under his direct command.“ (MEMO, 26. Jänner 2017)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 27. März 2017)

·      AI - Amnesty International: Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Iraq, 22. Februar 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/336503/479164_de.html

·      Al-Monitor: Iraq begins construction on Baghdad wall, 22. Februar 2016 (Autor: Omar Sattar)
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/02/iraq-baghdad-wall-deepens-sectarian-division.html

·      Al-Quds Al-Arabi: Sunnitische Moscheen in Bagdad Schikanen durch PMF ausgesetzt, Verhaftungen von Moscheebesuchern [masajid al-sunna fi Baghdad tatacarrad li-mudayaqat al-hashd al-schacbi wa ictiqalat tutal ruwwadha], 14April 2016
http://www.alquds.co.uk/?p=516332

·      BBC News: Baghdad’s Green Zone hit by rockets after deadly clashes, 11. Februar 2017
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-38944744

·      Gulf/2000: Baghdad, Iraq, Ethnic composition in 2015 (Autor: Dr. Michael Izady), vermutlich 2016
http://gulf2000.columbia.edu/images/maps/Baghdad_Ethnic_2015_lg.png

·      HRW - Human Rights Watch: ISIS Bombings Kill Over 200 In 2 Weeks, 9. März 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/320916/446410_en.html

·      HRW - Human Rights Watch: Iraq: ISIS Bombings Are Crimes Against Humanity - Compensate Civilian Victims, 15. Jänner 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/334849/476644_de.html

·      Informed Comment: Sectarian Tensions flare in Baghdad as some Sunni Arab families forced from Neighborhoods (Autor: Ibrahim Saleh), 1. November 2016
https://www.juancole.com/2016/11/sectarian-tensions-neighborhoods.html

·      Informed Comment: The Future of Iraq? As Police Lose Control Of Streets, Militias Take Over (Autor: Mustafa Habib), 21. Jänner 2017
https://www.juancole.com/2017/01/control-streets-militias.html

·      IOM - International Organization for Migration: Community Stabilization Handbook: An overview of community transition and recovery achievements in Iraq 2015-2016, 19. Jänner 2017
https://www.dropbox.com/s/9bjxlb9zwxkm37k/IOM_Iraq_Community_Stabilization_Handbook_2015-2016.pdf?dl=1

·      MEMO – Middle East Monitor: Iraq PM slammed for sectarian abduction of Sunnis near Baghdad, 26. Jänner 2017
https://www.middleeastmonitor.com/20170126-iraq-pm-slammed-for-sectarian-abduction-of-sunnis-near-baghdad/

·      National Geographic: What does it mean to be Iraqi anymore?, 1. August 2014
http://news.nationalgeographic.com/news/special-features/2014/08/140801-iraq-sunni-shiite-baghdad-caliphate-saddam-hussein-al-qaeda-infocus/

·      Niqash: Why The Iraqi Capital Can Never Truly Be Secure (Autor: Mustafa Habib), 28. April 2016
http://www.niqash.org/en/articles/security/5252/

·      taz - Tageszeitung: Autobombenanschlag im Irak: IS tötet mindestens 39 Menschen, 16. Februar 2017
http://www.taz.de/Autobombenanschlag-im-Irak/!5385074/

·      UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq; OHCHR - United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights: Report on the Protection of Civilians in the Armed Conflict in Iraq: 1 November 2015 – 30 September 2016, 30. Dezember 2016 (veröffentlicht von UNAMI, verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1488889078_unami-ohchr-report-on-poc-in-iraq-01nov2015-30sep2016-final-13jan2017r-copy.pdf

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2016 - Iraq, 3. März 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/337187/479950_de.html