Anfragebeantwortung zu Somalia: Lage von Personen mit psychischen Störungen, Erkrankungen oder Einschränkungen sowie zum psychischen Gesundheitssystem [a-10022]

23. Februar 2017

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Laut einem undatierten Überblick zu psychischer Gesundheit in Somalia der Somali Mental Health Foundation, einer im Jahr 2011 gegründeten Organisation der somalischen Diaspora in den Vereinigten Staaten zur psychosozialen Unterstützung in Somalia, gebe es einen dringenden Bedarf an psychischen Gesundheitsdiensten und besonderer Ausbildung aufgrund der Zerstörung der wenigen Infrastruktur hinsichtlich psychischer Gesundheitsversorgung, die im Land existiert habe. Dies habe zur Gefährdung und Vernachlässigung von Personen mit psychischen Gesundheitsproblemen geführt. Zusätzlich würden die kulturellen Normen Menschen davon abhalten, psychische Gesundheitsprobleme („mental health issues“) einzugestehen oder sich mit diesen auf konstruktive Weise auseinanderzusetzen. Psychische Störungen seien in Somalia aufgrund eines fehlenden Bewusstseins und fehlender Bildung hinsichtlich dieser Angelegenheit in der Bevölkerung mit einem Stigma belegt. Aufgrund des Mangels an Behandlungseinrichtungen und Ausbildung in psychischen Gesundheitsdiensten, seien die Familien gezwungen, mit diesen Erkrankungen selbst fertig zu werden, was zu einer Falschdiagnose und grausamen Behandlungsmethoden wie in Ketten legen und Inhaftierung führe. Tatsächlich beruhe der Großteil der „Behandlung“ in Somalia nicht auf wissenschaftlicher Forschung oder standardisierter medizinischer Praxis, sondern sei eher ein Bewältigungsmechanismus, um die PatientInnen davon abzuhalten, sich selbst oder andere zu verletzten:

„At the present, there is a pressing need for mental health services and special education in the country due to the destruction of the little mental health care infrastructure that existed in the country; this left the people with mental health problems more vulnerable and exposed to neglect. In addition, the cultural norms in the country prevent people from admitting or dealing with mental health issues in a constructive way. There is a stigma attached to mental disorders in Somalia due to a lack of awareness and education on the matter in the general population. Due to lack of treatment facilities and education in mental health services, families are forced to deal with these sicknesses on their own, resulting in misdiagnosis and cruel treatments such as chaining or imprisonment. In fact, most ‘treatments’ seen in the country are not based on scientific research or standard medical practice but are rather merely coping mechanisms to stop patients from hurting themselves or others.“ (SMHF, ohne Datum)

Viele Somali mit psychischen Erkrankungen würden laut einem Artikel der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) vom Februar 2011 gesellschaftlich abgeschottet und seien gefährdet. Die Qual dieser Abschottung werde stark verspürt, da die somalische Kultur traditionell kommunal und familiär orientiert sei. Psychisch Kranke würden im Allgemeinen in Ketten gelegt oder eingesperrt. Im Land gebe es nur fünf Gesundheitszentren (Hargeisa, Berbera, Bosaso, Garowe und Mogadishu), die psychische Gesundheitsdienste anbieten würden:

Many Somalis with mental illness are socially isolated and vulnerable. The pain of this isolation is felt intensely because Somali culture is traditionally communal and family oriented. The mentally ill are generally chained or imprisoned. The country knows only 5 health centres (Hargeisa, Berbera, Bosaso, Garowe and Mogadishu) that provide mental health care services.” (WHO, 2. Februar 2011)

Laut einem Bericht der WHO vom Oktober 2010 zur psychischen Gesundheit in Somalia würden psychisch eingeschränkte Menschen in Somalia stigmatisiert, diskriminiert und gesellschaftlich abgeschottet. Erniedrigende und gefährliche kulturelle Praktiken wie das in Ketten legen seien nicht nur weit verbreitet sondern auch gesellschaftlich und medizinisch akzeptiert. Traditionelle Heiler würden eine wichtige Rolle spielen, jedoch seien diese nicht medizinisch an einer wirklichen Rehabilitierung der PatientInnen beteiligt. Im Land würden neue Formen von Leiden und Störungen auftreten, die weiterer Untersuchungen und Widmung bedürfen würden.

In keinen Regionen des Landes gebe es eine wirksame Gesetzgebung, Richtlinien oder politische Maßnahmen, was zur Existenz einer Vielzahl von Mikro- und unkoordinierten Interventionen und zu einem Kontext geführt habe, in dem Menschenrechtsverletzungen alltäglich seien und akzeptiert würden..

Die Finanzierung der psychischen Gesundheitsversorgung der vergangenen Jahre und insbesondere der nahen Zukunft sei sehr besorgniserregend. Kein Geldgeber habe eine Führungsposition bei der Stärkung des Subsektors eingenommen und die örtlichen Behörden würden nicht über die technischen, geschäftsführenden und finanziellen Kapazitäten verfügen, um ein nachhaltiges und gerechtes Programm zur psychischen Gesundheit umzusetzen. Zu viel werde den Gemeinschaften und den wenigen Diaspora-Vereinigungen überlassen, die nicht über die Mittel verfügen würden, die damit in Verbindung stehende Kostenbelastung zu tragen. Dienste zur psychischen Gesundheitsversorgung würden in Somalia nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen, einen Mangel an angemessener Ausrüstung aufweisen und geografisch nur eingeschränkt die Bedürfnisse des Landes abdecken können. Es sei über die Existenz von acht Einrichtungen berichtet worden, die bewertet worden seien. Sie seien alle unterschiedlicher Natur und würden nach ihren Standorten, der Qualifikation ihrer Mitarbeiter und dem Ausmaß der Unterstützung von externen Akteuren verschiedene Dienste anbieten.

In der Bevölkerung herrsche ein sehr geringes und einseitiges Verständnis hinsichtlich psychischer Gesundheit vor. Dies habe negative Auswirkungen auf die existierenden Schwierigkeiten bei der Ausführung bewusstseinsschaffender Maßnahmen?. Darüber hinaus führe dies zu Isolation und Stigmatisierung der psychisch Erkrankten und zur Ausbreitung von gefährlichen Praktiken und der erniedrigenden Behandlung von PatientInnen. Psychische Gesundheit werde weiterhin als isolierter Sektor betrachtet und sollte laut WHO in die primäre Gesundheitsversorgung sowie andere Entwicklungsbereiche wie Programme für Bildung, Genderrichtlinien, Demobilisierung und Menschenrechtsprogramme übernommen werden:

„Mental health discourse in Somali is strictly embedded in a peculiar context and is influenced by specific socio-cultural patterns. Mentally challenged people are stigmatized, discriminated and socially isolated. Degrading and dangerous cultural practices such as being restrained with chains are not only widespread but also socially and medically accepted. Traditional healers play an important role; however, they are not medically involved in any real rehabilitation of the patients. New forms of distress and disorders have started to appear in the country that needs to be further investigated and addressed. Women and ex-combatants are exposed to a higher extent of development of severe forms of distress.

No legislation, policies or governance mechanisms are in place in any region of the country, leading to the existence of a plurality of micro and uncoordinated interventions and to a context where human rights abuses are very common, and above all, accepted.

The financing scenario of mental health over the past years but especially for the near future is very worrying. No donor has taken the lead in strengthening the sub-sector or do local authorities have the technical, managerial, and financial capacities to implement a sustainable and equitable mental health programme. Too much is left to the communities and a few Diaspora associations, who do not have the means to cover the burden of costs related to it.

Mental health services in Somalia are insufficient in number, lack proper equipment and geographical coverage is limited for addressing all the needs of the country. Eight facilities were reported to exist and were assessed. They all have a different nature and offer various services according to their locations, qualifications of staff and extent of support from external actors. […]

There is a very poor and partial understanding of mental health by the general public. This has a negative impact on the existing difficulties in carrying out an advocacy programme. This also results in the isolation and stigmatization of the mentally ill and on the spreading of dangerous practices and humiliating treatment of patients.

Mental health is still seen as an isolated sector and should be integrated into primary health care as well as other development sectors such as education, gender policies, demobilization, livelihoods and human rights programmes.” (WHO, Oktober 2010, S. 8)

Weitere Daten zur Lage der somalischen psychischen Gesundheitsversorgung finden sich zudem in Folgenden Dokumenten:

·      WHO - World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2014 - Somalia, 2014
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles-2014/som.pdf?ua=1

·      WHO - World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2011 - Somalia, 2011
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles/som_mh_profile.pdf

 

Ein im Februar 2015 veröffentlichter TV-Bericht enthält Informationen zum von Dr. Abdulrahman Ali Awale betriebenen Habeb Mental Health Hospital in Mogadischu:

·      Al Jazeera: The war inside: Treating Somalia's mentally ill, 26. Februar 2015
http://america.aljazeera.com/articles/2015/2/26/the-war-inside-treating-somalias-mentally-ill.html

 

Die britische Tageszeitung The Guardian schreibt in einem Artikel zu psychiatrischer Gesundheitsversorgung in Somaliland vom Jänner 2016, dass viele Menschen über psychische Störungen schlecht informiert seien. In der somalischen Kultur seien diese mit Stigmatisierung belegt. Laut Angaben von Abdirisak Mohamed Warsame, dem Leiter des Projekts für psychische Gesundheit der italienischen NGO Gruppo Relazioni Transculturali, gebe es in der Gesellschaft einen starken Anstieg bei psychischer Erkrankungen. Warsame sei nur einer von wenigen in diesem Bereich in Somaliland tätigen Personen. Dr Liban Ahmed Hersi, einer von nur zwei psychiatrischen Ärzten für ganz Somaliland, habe angegeben, dass psychisch kranke PatientInnen in Somaliland innerhalb der Gemeinschaft mit sehr negativen Einstellungen konfrontiert seien. Sie würden stigmatisiert und erniedrigt. Kinder würden Steine nach ihnen werfen und sie beleidigen. Pflegende Familienmitglieder würden Verwandte in verschiedene „Irrenanstalten“ bringen, monatliche Gebühren bezahlen und die PatientInnen würden, solange die Familie wünsche, darin bleiben. Private Einrichtungen würden „gutes Geld“ damit verdienen. Darum seien in den vergangenen Jahren viele derartige Einrichtungen entstanden:

„Many people are ill-informed about psychosocial disorders, which are widely stigmatised in Somali culture. ‘There is an explosion of mental illness in this society,’ says Abdirisak Mohamed Warsame, mental health project manager for the Italian NGO Gruppo Relazioni Transculturali, and one of just a handful of professionals working in the sector in Somaliland. […]

‘Within the community, mentally ill patients in Somaliland face very negative attitudes,’ says Hersi. ‘They are stigmatised, they are humiliated. Children throw stones at them, as well as insults.’ ‘Family caretakers take relatives to various asylums, pay monthly fees and patients are kept there as long as the family wants. Private centres make good money out of this and that is why so many have emerged in recent years,’ he says.” (The Guardian, 22. Jänner 2016)

Weitere detaillierte Informationen zur Lage von Personen mit psychischen Einschränkungen und zu Einrichtungen zu psychischer Gesundheit in Somaliland finden sich in folgenden Dokumenten:

·      HRW - Human Rights Watch: ‘Chained Like Prisoners’: Abuses Against People with Psychosocial Disabilities in Somaliland, Oktober 2015
http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1445851162_somaliland1015-forupload.pdf

·      The Telegraph: British citizens 'chained and beaten' in Somaliland mental health centres, 26. Oktober 2015
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/africaandindianocean/somalia/11955146/British-citizens-chained-and-beaten-in-Somaliland-mental-health-centres.html

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 23. Februar 2017)

·      Al Jazeera: The war inside: Treating Somalia's mentally ill, 26. Februar 2015
http://america.aljazeera.com/articles/2015/2/26/the-war-inside-treating-somalias-mentally-ill.html

·      HRW - Human Rights Watch: ‘Chained Like Prisoners’: Abuses Against People with Psychosocial Disabilities in Somaliland, Oktober 2015
http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1445851162_somaliland1015-forupload.pdf

·      SMHF - Somalia Mental Health Foundation: Background, ohne Datum
http://www.somalimentalhealth.org/what-we-do/background/

·      The Guardian: Somaliland faces ‘explosion’ of mental health conditions, 22. Jänner 2016
https://www.theguardian.com/global-development/2016/jan/22/somaliland-explosion-mental-health-conditions

·      The Telegraph: British citizens 'chained and beaten' in Somaliland mental health centres, 26. Oktober 2015
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/africaandindianocean/somalia/11955146/British-citizens-chained-and-beaten-in-Somaliland-mental-health-centres.html

·      WHO - World Health Organization: A situation analysis of mental health in Somalia publication, Oktober 2010
http://applications.emro.who.int/dsaf/EMROPUB_2010_EN_736.pdf?ua=1

·      WHO - World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2011 - Somalia, 2011
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles/som_mh_profile.pdf

·      WHO - World Health Organization: Mental Health in Somalia, 2. Februar 2011
http://www.who.int/hac/crises/som/somalia_mental_health/en/

·      WHO - World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2014 - Somalia, 2014
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles-2014/som.pdf?ua=1