Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rechtsvorschriften zu Eheschließungen, Gültigkeit des Zivilgesetzbuchs vom 5. Jänner 1977, Anwendbarkeit auf im Jahr 2010 geschlossene und im Jahr 2016 registrierte Ehen; Eheschließung und -Registrierung im Ausland; Personenstandsregister, Nachweis der Ehe; Erfordernis einer Hochzeitsfeier für die Gültigkeit einer Ehe (2010 und aktuell) [a-10969-2]

17. Mai 2019

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Rechtsvorschriften zu Eheschließungen, Gültigkeit des Zivilgesetzbuchs vom 5. Jänner 1977, Anwendbarkeit auf im Jahr 2010 geschlossene und im Jahr 2016 registrierte Ehen

In der auf die Themen Eherecht, Kindschaftsrecht und Familienrecht spezialisierten Sammlung für Gesetzestexte von Bergmann/Ferid/Henrich findet sich ein Überblick zu den Rechtsgrundlagen des Ehe- und Kindschaftsrechts Afghanistans, in dem folgendes festgehalten wird[1]:

„Einschlägige Vorschriften finden sich in der VO [Verordnung] von 1921 über Eheschliessung, Hochzeits- und Beschneidungsfest, der VO über die Ehe von 1924, dem Gesetz über die Eheschließung, Hochzeit und Beschneidung vom 24.5.1934, in den Ehegesetzen von 1949, 1960 und 1971; das letztgenannte Gesetz enthält auch schon Normen über Verstoßung und Trennung sowie über das Eheverfahren und den Beweis der Eheschließung und der legitimen Abstammung. Die umfassendste Regelung des gesamten Familienrechts (Eheschließung und Auflösung der Ehe; Abstammung und Personensorge sowie Unterhalt der Kinder; Vormundschaft) ist in den Art [Artikel] 56–336 des geltenden Zivilgesetzbuchs von 1977 enthalten. Einige ergänzende Bestimmungen enthält das Dekret Nr. 7 des Revolutionsrates vom 17.10.1978 über die Morgengabe und Aufwendungen anlässlich der Eheschließung.“ (Bergmann/Ferid/Henrich, 31. Oktober 1990, Abschnitt Afghanistan/III/A/1)

Das afghanische Zivilrecht ist in deutscher Übersetzung unter folgendem Link abrufbar:

 

Eine frei zugängliche englische Übersetzung des afghanischen Zivilgesetzbuchs findet sich unter folgendem Link:

 

Das in Hamburg ansässige Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (MPIPRIV) schreibt in einem Artikel vom August 2018, dass das Zivilgesetzbuch aus dem Jahr 1977 nach wie vor gültig sei. Allerdings wird festgehalten, dass die Bestimmungen des Gesetzes in der Bevölkerung weithin unbekannt seien. Außerdem würde das parallele Existieren von staatlichen Gesetzen, islamischem Recht und Gewohnheitsrecht in Afghanistan ein signifikantes Hindernis bei der Durchsetzung des Zivilrechts darstellen. Das Fehlen von auf Familienrecht spezialisierten Gerichten außerhalb Kabuls würde diese Schwierigkeiten noch weiter verstärken:

„After decades of war, Afghanistan is facing a complete new beginning: the political system, administration, judiciary and higher education have to be rebuild from the ground up. As a result of the high level of illiteracy in Afghanistan, estimated at 60%, as well as a comprehensive failure of information dissemination, the existing statutory provisions on family law which are anchored in the still valid Afghan Civil Code of 1977 remain widely unknown to the vast majority of the population. Additionally, the coexistence of codified state law, uncodified Islamic law and local customary law poses a significant obstacle to the enforcement of the law. The legal uncertainty developing as a result fosters widespread distrust in the population towards state institutions. Difficulties in enforcing codified family law are further exacerbated by the absence of specialised family law courts outside of Kabul, even though the Afghan Code of Civil Procedure specifically prescribes their existence.” (MPIPRIV, 8. August 2018)

MPIPRIV geht in seinem Handbuch zu afghanischem Familienrecht vom Juli 2012 unter anderem auf das afghanische Eherecht ein. Demnach enthalte Abschnitt sechs des afghanischen Zivilgesetzbuches von 1977 Regelungen zu den Voraussetzungen einer gültigen Eheschließung. Wie das MPIPRIV anführt, seien die familienrechtlichen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches auf alle AfghanInnen anwendbar, ausgenommen seien lediglich Schiiten. Für diese gelte vielmehr das Personenstandsgesetz für Schiiten:

„Section 6 contains rules governing the requirements of a valid marriage. […] As mentioned above, the rules of the Civil Code on family law are applicable to all Afghans, except for the Shiite Afghans. According to Article 131 AC [Afghan Constitution], in cases of personal status related to the Shiite population, the Code of Personal Status of the Shiites shall be applicable, rather than the statutory law, which is based to a large extent on Hanafi jurisprudence.” (MPIPRIV, Juli 2012, S. 17)

Für weitere Details zu den Voraussetzungen einer gültigen Eheschließung siehe Seite 27 bis 45 des MPIPRIV-Berichts vom Juli 2012:

Rechtliche Bestimmungen zu Eheschließung und -Registrierung im Ausland

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt, veröffentlicht im September 2018 einen Bericht, der vorwiegend auf Informationen basiert, die im Zuge einer im November 2017 von Landinfo und dem Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde Migrationsverket (Lifos) durchgeführten Fact Finding Mission in den Iran gesammelt wurden. Unter Verweis auf Angaben der afghanischen Botschaft im Iran gegenüber der norwegisch-schwedischen Delegation vom November 2017 hält der Bericht fest, dass die Botschaft auf Anfrage offizielle Heiratsurkunden ausstellen würde, die eine religiöse Heirat von zwei AfghanInnen im Iran bestätigen würden. Die Heiratszeremonie würde zwar in solchen Fällen nicht in der Botschaft durchgeführt werden, aber das Paar und die Zeugen (Vater oder andere Verwandte) könnten zur Botschaft kommen und dort die Heiratsurkunde erhalten. Nach Angaben der Botschaft sei es nicht notwendig, den Ehevertrag zur Botschaft mitzubringen, um eine Heiratsurkunde zu erhalten, da die mündlichen Aussagen der Zeugen ausreichen würden. Die Frage, ob Heiratsurkunden, die im Iran ausgestellt worden seien, in Kabul registriert würden, sei bejaht worden. Laut der Botschaft würde alle drei Monate ein Bericht an Kabul geschickt, im Zuge dessen alle Dokumente, die von der Botschaft ausgestellt worden seien, registriert würden, einschließlich Heiratsurkunden:

„I et møte med den norsk-svenske delegasjonen bekreftet den afghanske ambassaden at den på anmodning utsteder offisiell bekreftelse på at det er inngått et ekteskap (ekteskapsattest). Det ble videre opplyst at det ikke utføres nikah-seremonier ved ambassaden, men at paret og vitner (fedre eller andre slektninger) kan møte ved ambassaden og få en bekreftelse på at paret er gift. Ifølge ambassaden er det ikke nødvendig å ha med ekteskapskontrakten for å få utstedt bekreftelse på ekteskapet, det er tilstrekkelig med muntlig bekreftelse fra vitner. På spørsmål om ekteskapsattester utstedt i Iran blir registrert i Kabul, ble det svart bekreftende. Ifølge ambassaden oversendes det hver tredje måned en rapport til Kabul hvor alle dokumenter utstedt ved ambassaden er registrert, inkludert ekteskapsattester (den afghanske ambassaden, møte november 2017).“ (Landinfo, 28. September 2018, S. 3)

In einem Bericht vom Februar 2019 hält die schwedische Einwanderungsbehörde Migrationsverket ihrerseits die im Zuge der oben erwähnten Fact Finding Mission gesammelten Informationen zum Thema Heirat zweier AfghanInnen im Iran fest. Unter Verweis auf ein Gespräch mit dem afghanischen Generalkonsulat in Maschad vom November 2017 schreibt Migrationsverket, dass es nicht immer einfach sei, eine religiös geschlossene Heirat im Nachhinein bei der afghanischen Botschaft bewilligt zu bekommen, insbesondere dann, wenn die Zeremonie bereits vor längerer Zeit stattgefunden habe und es kein Dokument gebe, das diese belegen würde. Eine nachträgliche Registrierung bei der afghanischen Botschaft sei allerdings einfacher, wenn die Trauzeugen nahe Verwandte wie zum Beispiel Eltern oder Geschwister seien, und nicht entfernter Verwandte:

Det är dock inte alltid enkelt att få äktenskapet godkänt i efterhand om ceremonin exempelvis har skett för länge sedan och det saknas dokument. Generellt sett är det dock enklare att få sitt äktenskap registrerat av afghansk beskickning om vittnena är nära anhöriga så som föräldrar och syskon än om vittnena är mer avlägsna släktingar.“ (Migrationsverket, 18. Februar 2019, S. 32)

In einem älteren Bericht vom März 2011 hält Landinfo unter Verweis auf Angaben der afghanischen Botschaft in Oslo vom Februar 2011 fest, dass der oberste Gerichtshof in Afghanistan alle Auslandsvertretungen des Landes dazu ermächtigt habe, Eheschließungen feierlich zu begehen und Bestätigungen von Eheschließungen auszustellen. Wie es bei afghanischen Dokumenten generell der Fall sei, hätten diese Bestätigungen einen schlechten Ruf („low notoriety“), unter anderem aufgrund fehlender der Bestätigung zugrundeliegender Unterlagen, sowie aufgrund der weit verbreiteten Korruption in der afghanischen Verwaltung:

„According to the Afghan embassy in Oslo (telephone conversation, February 2011), the Supreme Court in Afghanistan has authorised all the country's foreign service missions to solemnise marriages and to issue confirmation of marriages that have been entered into. As is the case for Afghan documents in general, such documents will have low notoriety, among other things because of a lack of underlying documentation for the confirmations and because of widespread corruption in the Afghan government administration (Landinfo 2010).” (Landinfo, 14. März 2011, S. 11)

Registrierung der Heirat, Personenstandsregister, Nachweis der Ehe

In der Sammlung von Bergmann/Ferid/Henrich findet sich folgende deutsche Übersetzung des Artikels 61 des afghanischen Zivilrechts:

„Der Eheschließungsvertrag wird in einer öffentlichen Heiratsurkunde von der zuständigen Behörde in drei Kopien ausgefertigt und registriert; das Original wird bei der zuständigen Behörde verwahrt, und jeder der Vertragsparteien wird eine Kopie übergeben. Der Eheschließungsvertrag wird nach der Registrierung der in Art[ikel] 46 dieses Gesetzes vorgesehenen zuständigen Personenstandsbehörde mitgeteilt.

Wenn die Registrierung des Eheschließungsvertrages in dieser Weise nicht möglich ist, findet sie in der für die Registrierung öffentlicher Urkunden vorgesehenen Weise statt.“ (Zivilgesetzbuch der Islamischen Republik Afghanistan, 5. Jänner 1977a, Artikel 61)

Im oben erwähnten Artikel 46, sowie in dem darauffolgenden Artikel 47 des Zivilgesetzbuchs ist geregelt, dass ab dem Alter von 18 Jahren der Personenstand einer Person in einem speziellen Register eingetragen werden soll. Auf Anfrage soll der Person ein davon abgeleitetes spezielles Ausweisdokument ausgehändigt werden, in dem unter anderen personenbezogenen Daten auch der Name des Ehepartners eingetragen sein soll (zitiert nach der auf Refworld verfügbaren englischen Übersetzung):

„Article 46: Civil status of persons who attain eighteen years shall be recorded in special registration books in accordance with provisions stated in articles (47-48-49-50) of this Law.

Article 47: (1) Civil status of a person shall be interpolated in the special identity paper and, if request, shall be given to him. The identity paper includes name, pseudonym or family name, date and place of birth, occupation, nationality, domicile, and names of spouse and children with the date and place of their birth. (2) Change of the mentioned statuses, such as death, change of domicile or occupation, shall also be recorded in the identity paper.” (Civil Law of the Republic of Afghanistan, 5. Jänner 1977, Artikel 46-47)

Wie das MPIPRIV in seinem Handbuch mit Stand Juli 2012 anführt, sei jede Eheschließung gemäß Artikel 61 des Zivilgesetzbuches zu registrieren. Es müsse laut MPIPRIV jedoch festgehalten werden, dass das Nicht-Registrieren einer Eheschließung keine Auswirkungen auf deren Gültigkeit habe. Eine registrierte Urkunde helfe dabei, das tatsächliche Bestehen einer Ehe festzustellen. Darüber hinaus garantiere die Registrierung einer Eheschließung, dass die relevanten rechtlichen Bestimmungen, wie das gesetzliche Heiratsalter, eingehalten würden. In Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Ehen müsse das Gericht zunächst feststellen, ob überhaupt eine Ehe bestehe. Diese Information erhalte das Gericht von den Personen, die der Eheschließungszeremonie beigewohnt hätten. Berichte und Umfragen zum Thema Heiratsregistrierung in Afghanistan würden zeigen, dass in den meisten Teilen des Landes Ehen weder zertifiziert noch registriert seien. Laut Interviews seien nur fünf Prozent aller Ehen in Afghanistan registriert. Trotz der bestehenden Regelungen seien in Afghanistan noch keine Registrierungsbehörden geschaffen worden, die systematisch funktionieren würden (Stand des Berichtes: Juli 2012):

„According to Article 61 CC [civil code], every marriage has to be registered. It should also be certified by the competent authority in an official marriage contract in triplicate. The original is retained by the competent authority and each party to the contract receives a copy. Once it has been registered by the register office (Article 48 CC), the marriage is communicated to the competent identity registration office specified in Article 46. Whenever the registration of a marriage is not possible in this way, it will be effected as provided by Article 61 CC regarding the registration of public documents. However, it should be added that failing to register a marriage does not affect its validity. A registered certificate facilitates establishing the existence of a marriage. In addition, the registration of a marriage guarantees that the relevant legal provisions, such as legal marriage age, are observed. In legal proceedings concerning marriages, the court, first of all needs to establish if there is a marriage at all (Article 104(1) Afghan Law of Civil Courts Procedure). As stated in Article 104(2), the information on the existence of a marriage is obtained from those attending the ceremony. […]

Current reports and surveys with regard to the marriage registration in Afghanistan indicate that in most parts of the country marriages are neither certified nor registered. According to interviews, only 5% of all marriages in Afghanistan have been registered. In spite of the existing regulations, registration authorities which could function systematically have not yet been created in Afghanistan.” (MPIPRIV, Juli 2012, S. 51-52)

In einer im August 2013 veröffentlichten Zusammenstellung von Zitaten zum Thema Ehe in Afghanistan führt das irische Herkunftsländerinformationszentrum Refugee Documentation Centre (RDC) einen Ausschnitt eines im Jahr 2010 veröffentlichten Berichts des International Centre for Human Rights and Democratic Development an, einer inzwischen aufgelösten, vom kanadischen Parlament eingerichteten, unabhängigen Einrichtung zur Förderung der Menschenrechte und von demokratischen Institutionen weltweit. Dem Bericht zufolge habe es sich bei der Registrierung von Ehen in Afghanistan nie um eine gängige Praxis gehandelt. Dagegen sei jedoch der informelle Ehevertrag, der Teil des Heiratsprozesses sei, das mit der Verlobung beginne und mit der Hochzeitszeremonie (nikah) ende, weitverbreitet. Meistens würden Ehen nur registriert, wenn die Notwendigkeit bestehe, einen Nachweis für die Beziehung zwischen den Ehepartnern zu erbringen, etwa wenn diese planen würden, ins Ausland zu verreisen. Allerdings gebe es auch andere Dokumente, die im Falle einer Reise oder einer Streitschlichtung als Nachweis für eine Ehe verwendet werden könnten:

„In 2010 a report published by the International Centre for Human Rights and Democratic Development states:

‘While registration of marriages has never been a wide-spread practice in Afghanistan, the informal marriage contract is ubiquitous and is part of a process that begins with engagement and ends with the nikah (marriage ceremony). For the most part, registration of marriage takes place only when there is a need to prove the relationship, such as if the couple plans to travel outside the country.’ (International Centre for Human Rights and Democratic Development (2010) A women’s place, Perspectives on Afghanistan’s evolving legal framework, p. 27)” (RDC, August 2013, S. 7)

Die finnische Einwanderungsbehörde (Finnish Immigration Service) hält in einem Bericht vom Mai 2007, der sich auf eine Fact Finding Mission vom September 2006 bezieht, fest, dass Heiratsdokumente selten und nicht üblich seien. Eine Heiratsurkunde könne beim örtlichen Gericht angefordert werden. Sie sei kostenlos, obwohl in der Regel eine Verwaltungsgebühr und/oder Bestechungsgelder gezahlt würden:

„Wedding documents are rarely applied and are not in common use. A marriage document can be obtained from the local court. It is free of charge, although an administration fee and/or, bribes are commonly paid.“ (Finnish Immigration Service, 1. Mai 2007, S. 27)

Landinfo hält in einem im Mai 2019 veröffentlichten Bericht zu Eheschließungen in Afghanistan unter Verweis auf verschiedene - zum Teil anonyme - Quellen fest, dass es für die Eheregistrierung kein zeitliches Limit gebe. Häufig würden Eheschließungen erst viele Jahre danach registriert. Daher könne das Heiratszertifikat zwei verschiedene Daten aufweisen, das Datum der Eheschließung und das Datum der Registrierung. Gemäß Angaben eines von Landinfo im Mai 2017 befragten Vertreters eines Familiengerichts in Kabul gebe es kein landesweites Register und keine landesweite Datenbank für Eheregistrierungen. Wird eine Heirat registriert, so werde eine Kopie des Dokuments beim örtlichen Gericht, bei dem die Heirat registriert worden sei, einbehalten. Es gebe aber keine nachvollziehbaren landesweiten Register, die Informationen zu Eheschließungen in Afghanistan enthalten würden. Es sei nicht möglich, bei einem Familiengericht Informationen über eine Eheschließung einzuholen, die bei einem anderen Familiengericht registriert worden sei:

„Det foreligger ingen tidsfrist for å registrere et ekteskap, og ofte registreres det mange år etter at ekteskapet ble inngått. Ekteskapsattesten kan følgelig inneholde to datoer; datoen for ekteskapsinngåelsen og registreringsdatoen. […] Ifølge representanten for familiedomstolen ( møte, mai 2017) finnes ikke et nasjonalt register eller database over registrerte ekteskap. Når et ekteskap registreres, beholdes en kop i av dokumentet lokalt ved domstolen der ekteskapet er registrert. Det finnes således ikke etterrettelige, landsomfattende registre med opplysninger om ekteskapsinngåelse i Afghanistan. Det er ikke mulig å finne informasjon om et ekteskap ved andre familiedomstoler enn der ekteskapet er registrert.“ (Landinfo, 10. Mai 2019, S. 29)

Informationen zum Thema Gültigkeit von nicht registrierten Eheschließungen finden sich auch in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD aus dem Jahr 2015:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Werden traditionell geschlossene, nicht registrierte Ehen als rechtsgültig anerkannt? [a-9413], 18.November 2015
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1034742.html

Erfordernis einer Hochzeitsfeier für die Gültigkeit einer Ehe

Zu der Frage, ob das Stattfinden einer traditionellen Hochzeitsfeier für die Gültigkeit einer Ehe erforderlich ist, wurden teils unklare, teils widersprüchliche Informationen gefunden. Im Folgenden finden sich Quellen zur Relevanz von Hochzeitsfeiern in islamischen Gesellschaften sowie Quellen, die islamische Hochzeitstraditionen darstellen:

 

Dawoud el-Alami, Dozent am Institut für Theologie und religiöse Studien an der Universität Wales, Lampeter, verfasste für ein vom Verlag Marshall Cavendish im Jahr 2011 veröffentlichtes Buch zum Thema moderne muslimische Gesellschaften ein Kapitel zu islamischen Heiratstraditionen. El-Alami bezieht sich nicht konkret auf Afghanistan, sondern auf islamische Gesellschaften allgemein. Nach seinen Angaben müssten dem Abschluss des Heiratsvertrages zwei erwachsene männliche Zeugen oder in manchen Fällen ein männlicher und zwei weibliche Zeugen beiwohnen. Diese Praxis verhindere, dass keiner der Vermählten im Nachhinein die Eheschließung leugnen könne, um sich der damit verbundenen Verpflichtungen zu entziehen. Darüber hinaus diene diese Praxis auch dazu, sicherzustellen, dass die Ehe von der gesamten Gemeinschaft als gültig anerkannt werde.

Die Hochzeitstraditionen würden je nach muslimischem Land variieren, im Zentrum der Traditionen würden jedoch tendenziell jeweils die drei Hauptstufen des Eheprozesses stehen: die Verlobung, das Abschließen des Ehevertrags und der Vollzug der Ehe. Es könne sein, dass diese drei Stufen zeitlich sehr eng beieinander liegen, es könne aber auch sein, dass Monate oder Jahre zwischen ihnen liegen würden. Nach der Zeremonie selbst sei der wichtigste Teil jeder islamischen Eheschließung das Hochzeitsbankett (Walima). Das Abhalten dieser Feier werde von islamischen Gelehrten stark gefördert und von einigen sogar als wesentlich für die Gültigkeit der Ehe angesehen. Das Einladen von Freunden, Nachbarn und Verwandten zu einem Hochzeitsbankett stelle sicher, dass die Ehe von der Gemeinschaft anerkannt werde. Dies stelle sicher, dass die Rechte des Paares respektiert würden und verhindere, dass eine der Parteien versuchen könne, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Nach Ansicht der meisten Juristen hätten Muslime, die zu solchen Banketten eingeladen wurden, die Pflicht daran teilzunehmen:

„The contract must be witnessed by two adult male witnesses, or occasionally one male and two female witnesses. This practice prevents either the bride or groom from later denying that the marriage had taken place in order to avoid the responsibilities that go with it. […] Witnessing also serves to ensure that the marriage is acknowledged as valid by the community as a whole.” (El-Alami, 2011, S. 46-47)

„Wedding customs vary throughout the Muslim countries but tend to focus around the three main stages of the process of marriage: the betrothal or engagement, the conclusion of the marriage contract, and the commencement of married life. These three stages may be very close together, or they may be separated by periods of month or years. […] After the ceremony itself, the most important part of any Islamic marriage is the walima, or wedding banquet. The walima is strongly encouraged by Islamic scholars and is considered by some to be essential for marriage to be considered valid. Inviting friends, neighbours, and relatives to a wedding banquet ensures that the marriage will be acknowledged and recognized by the community. This ensures that the couple’s rights are respected and prevents either party from trying to escape from responsibilities. According to most jurists, Muslims have a duty to attend such banquets if invited.” (Marshall Cavendish, 2011, S. 53‑54)

Die finnische Einwanderungsbehörde (Finnish Immigration Service) hält in ihrem Bericht vom Mai 2007 zu Afghanistan wie oben angeführt fest, dass Hochzeitsdokumente selten und nicht üblich seien und fährt dann weiter fort, dass es heutzutage (Stand Mai 2007) sehr verbreitet sei, ein Hochzeitsvideo zu machen, das - zumindest in Faryab, Masar-e Scharif und Bamyan - von den Behörden als ausreichender Beweis dafür anerkannt werde, dass tatsächlich eine Hochzeit stattgefunden habe:

„Wedding documents are rarely applied and are not in common use. […] Nowadays its very common to make a wedding video, which is, at least in Faryab, Mazar-i Sharif and Bamyan also recognized by the authorities as enough proof that a wedding has in reality taken place.” (Finnish Immigration Service, 1. Mai 2007, S. 27)

Learn Religions ist eine zur US-amerikanischen Onlinemedienagentur Dotdash gehörende Webseite, die Informationen zu Traditionen aus verschiedenen Religionen veröffentlicht, die nach eigenen Angaben von AutorInnen, KlerikerInnen und LehrerInnen verfasst werden. In einem Artikel vom April 2018 zu Eheverträgen im Islam wird erwähnt, dass das Paar nach Unterzeichnung des Vertrags, einer üblicherweise privat gehaltenen Zeremonie im kleinen familiären Kreis, rechtlich gesehen verheiratet sei. In vielen islamischen Kulturen würde das Paar allerdings erst nach der öffentlich veranstalteten Hochzeitsfeier (walimah) in einen gemeinsamen Haushalt ziehen. Je nach Tradition sei es möglich, dass die Feier Stunden, Tage, Wochen oder sogar erst Monate nach der Unterzeichnung des Ehevertrags stattfinde:

„In Islam, marriage is considered both a social agreement and a legal contract. In modern times, the marriage contract is signed in the presence of an Islamic judge, imam, or trusted community elder who is familiar with Islamic law. The process of signing the contract is usually a private affair, involving only the immediate families of the bride and groom. The contract itself is known as nikah. […]

After the contract is signed, a couple is legally married and enjoy all the rights and responsibilities of marriage. In many cultures, however, the couple do not formally share a household until after the public wedding celebration (walimah). Depending on the culture, this celebration may be held hours, days, weeks, or even months after the marriage contract itself is formalized.” (Learn Religions, 30. April 2018)

Muslim Marriage Guide, eine Webseite, die als Leitfaden für muslimische Hochzeiten zu verstehen ist, stellt in einem undatierten Artikel den Ablauf einer traditionellen afghanischen Heirat einschließlich Zeremonie und Feier dar:

„The Afghan marriage customs demand that the festivities are spread over three days. The ceremonies are conducted between 6 p.m and 2 a.m. The ceremony begins with the bride and the groom exchanging vows in the presence of the mullah or priest. The priest will read sections from the Quran and direct the bride and the groom through the ceremony. This is a family event in which close family and friends participate. The next part of the wedding is similar to the western marriage reception. This is normally hosted by the groom’s family and a large number of guests are invited to attend. In conservative Afghan families, the female and male guests are separated and entertained in exclusive areas. Lavish dinner is provided and after dinner, the bride and groom walk up the aisle as they are showered with sweets and flowers and a special song is played known as the Asta Burrow meaning ‘go slow’. The bride and groom then seat themselves on a raised stage. The bride and groom then go through several rituals and also exchange rings and cut the wedding cake. In the morning, breakfast is served and the bride and groom are conducted to their wedding chamber and left alone.” (Muslim Marriage Guide, ohne Datum)

Zwei Quellen aus den Jahren 2015 und 2016 erwähnen, dass das Thema Hochzeitsfeier insofern im afghanischen Recht angesprochen werde, als dieses die traditionell hohen finanziellen Aufwendungen im Zuge von afghanischen Hochzeitsfeiern gesetzlich limitiere (AAN, 25. Oktober 2016; NBC News, 1. April 2015)

 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 17. Mai 2019)

 

 

[1] Informationen aus dem Werk von Bergmann/Ferid/Henrich werden ausschließlich zur Verwendung im gegenständlichen Verfahren zur Verfügung gestellt. Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die beiliegenden Informationen und Materialien weder an nicht verfahrensbeteiligte Dritte weiterzugeben noch in irgendeiner Form zu veröffentlichen sind.