Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Werden traditionell geschlossene, nicht registrierte Ehen als rechtsgültig anerkannt? [a-9413]

18. November 2015

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) schreibt in einem älteren, im November 2004 veröffentlichten Bericht zu einer Fact-Finding-Mission nach Kabul vom 30. März bis 2. April 2004, der stellvertretende Minister für Frauenangelegenheiten habe erklärt, dass bei einer anstehenden Eheschließung Kontakt zu einem Mullah aufgenommen werde, der die Zeremonie durchführe. Bei der Zeremonie seien die jeweiligen Familien des Paares als auch Zeugen für beide Ehepartner anwesend:

„The Vice Minister for Women’s Affairs explained that when a marriage is due to take place, contact is made with a mullah who performs the ceremony. The respective families of the couple and witnesses for both partners are present. The mullah asks the man and the women each three times whether they will take one another as their spouse. The woman is often under pressure to agree upon the marriage, because if her answer is no she runs the risk of being rejected by her family, and thus not having any possibility for survival. If a woman does not answer yes to the question from the mullah, the witnesses step forward and answer yes on her behalf.” (DIS, November 2004, S. 64)

Bitte beachten Sie, dass die folgende Übersetzung aus dem Norwegischen unter Verwendung von technischen Übersetzungshilfen erstellt wurde. Es besteht daher ein erhöhtes Risiko, dass diese Arbeitsübersetzung Ungenauigkeiten enthält.

 

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo führt in einem im Juni 2014 veröffentlichten Bericht zur Ehe in Afghanistan an, dass die religiöse Eheschließungszeremonie (Nikah) am Tag der Hochzeit im Zentrum stehe und normalerweise von einem Mullah geleitet werde. Es müssten mindestens zwei männliche Zeugen anwesend sein, üblicherweise die Väter der Braut und des Bräutigams. In einigen Gebieten komme es vor, dass die Braut bei der Zeremonie nicht dabei sei und die Einwilligung zur Eheschließung von einem männlichen Vormund gegeben werde:

„Sentralt på bryllupsdagen står den religiøse vigselsseremonien, Nikah. Seremonien vil normalt ledes av en mullah. Antall familiemedlemmer til stede vil variere. Minstekrav er to mannlige vitner, vanligvis fedrene til brudeparet. Ofte kan flere mannlige slektninger, mødre og søstre delta i seremonien. I enkelte områder vil ikke bruden selv være til stede, men en mannlig ‚guardian‘ samtykker til ekteskapet.” (Landinfo, 5. Juni 2014, S. 8)

In einem Entscheidungstext des österreichischen Asylgerichtshofs (AsylGH) (am 1. Jänner 2014 durch das Bundesverwaltungsgericht, BVwG, abgelöst, Anm. ACCORD) wird die Auskunft eines namentlich nicht genannten Sachverständigen, der in Afghanistan geboren und aufgewachsen sei, in Wien Politikwissenschaft studiert und Werke über die politische Lage in Afghanistan verfasst habe, und in Afghanistan über zahlreiche Kontakte verfüge und dort auch selbst recherchiere, zitiert. Dem Sachverständigen zufolge „werde eine Ehe nach islamischem Recht erst dann gültig, wenn Zeugen und Vertreter für die beiden Brautleute dort anwesend seien; zumindest das Mädchen brauche einen Vertreter“. (AsylGH, 16. August 2012)

 

In einer am 12. November 2015 eingelangten E-Mail-Antwort auf die Frage, ob traditionell geschlossene, nicht registrierte Ehen rechtsgültig seien, schreibt Manizha Naderi, Geschäftsführerin von Women for Afghan Women (WAW), einer in Kabul und New York ansässigen Frauenrechtsorganisation, dass Eheschließungen, bei denen Zeugen anwesend gewesen seien und die von einem Mullah durchgeführt worden seien, Rechtsgültigkeit besäßen:

Yes, any marriage that had witnesses and was performed by a Mullah is legally valid.” (Naderi, 12. November 2015)

Noah Coburn, politischer Anthropologe am US-amerikanischen Bennington College, an den die Frage ebenfalls weitergeleitet wurde, antwortet in einer E-Mail vom 13. November 2015, dass diese Ehen im Allgemeinen rechtsgültig seien. Allerdings seien sie einfacher anzufechten und könnten von der Regierung, insbesondere abhängig vom Ruf der Person, die die Zeremonie geleitet habe, angezweifelt werden:

Generally yes, though these marriages are easier to dispute and can be contested by the government in particular depending upon the reputation of those officiating at the ceremony.” (Coburn, 13. November 2015)

Das in Hamburg ansässige Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (MPIPRIV) geht in seinem aktualisierten Handbuch zu afghanischem Familienrecht vom Juli 2012 unter anderem auf das afghanische Eherecht ein. Dem MPIPRIV zufolge enthalte Abschnitt sechs des afghanischen Zivilgesetzbuches von 1977 Regelungen bezüglich der Voraussetzungen für eine gültige Eheschließung. Wie das MPIPRIV anführt, seien die familienrechtlichen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches auf alle Afghanen anwendbar, Ausgenommen seien lediglich die Schiiten. Für diese gelte vielmehr das Personenstandsgesetz für Schiiten:

Section 6 contains rules governing the requirements of a valid marriage. […] As mentioned above, the rules of the Civil Code on family law are applicable to all Afghans, except for the Shiite Afghans. According to Article 131 AC [Afghan Constitution], in cases of personal status related to the Shiite population, the Code of Personal Status of the Shiites shall be applicable, rather than the statutory law, which is based to a large extent on Hanafi jurisprudence.” (MPIPRIV, Juli 2012, S. 17)

Im Abschnitt zu „Voraussetzungen für eine gültige Eheschließung“ führt das MPIPRIV an, dass diese in zwei Kategorien eingeteilt werden könnten: erstens, Angebot (Antrag einer Partei an die andere Partei zur Eheschließung, Anm. ACCORD) und Annahme durch Personen verschiedenen Geschlechts, sowie zweitens, andere Voraussetzungen, die erfüllt werden müssten, damit die Eheschließung gültig sei.

Wenn die im Zivilgesetzbuch von 1977 dargelegten Voraussetzungen nicht erfüllt seien, sei die Ehe entweder rechtlich fehlerhaft (fāsed) oder es handle sich um eine Nichtehe (bāel), je nachdem, welche Voraussetzung nicht erfüllt worden sei. Eine Nichtehe entfalte keine rechtlichen Wirkungen, selbst wenn die Ehe vollzogen worden sei (Artikel 95 des Zivilgesetzbuches). Eine rechtlich fehlerhafte Ehe werde in Artikel 96 als eine Ehe definiert, die zwar durch Angebot und Annahme geschlossen worden sei, bei der allerdings andere Voraussetzungen nicht zur Gänze erfüllt worden seien. Eine fehlerhafte Ehe entfalte lediglich Wirkungen, wenn die Ehe vollzogen worden sei (Artikel 97). In einem solchen Fall würden das Recht auf „mahr“ (Brautgabe, Anm. ACCORD), der Beweis der legitimen Abstimmung, das Ehehindernis der Schwägerschaft („marital impediment of affinity“), die Wartezeit und der Unterhaltsanspruch wirksam werden. Wenn die fehlerhafte Ehe nicht vollzogen worden sei, werde sie als ungültig angesehen.

Darüber hinaus unterscheide das afghanische Recht zwischen einer rechtsgültigen (aī) und einer rechtswirksamen (nāfedh) Ehe. Wenn alle Voraussetzungen einer Eheschließung erfüllt worden seien, handle es sich um eine rechtsgültige Ehe. Damit die rechtsgültige Ehe Rechtswirksamkeit entfalte, müssten beide eheschließende Parteien ehemündig und geschäftsfähig sein. Eine Ehe werde als schwebend ungültig (mūqūf) angesehen, wenn die Einwilligung des gesetzlichen Vormunds oder, im Falle einer Stellvertreter-Hochzeit, der vertretenen Person noch nicht vorliege. Wenn sowohl die Voraussetzungen für die Rechtsgültigkeit als auch für die Rechtwirksamkeit erfüllt seien, entfalte die Eheschließung rechtlich bindende Wirkung:

„The conditions for a valid marriage can be divided into two categories: first, offer and acceptance by persons of the opposite gender, and second, other conditions to be met for the marriage to be valid. […] If the necessary conditions are not met, the marriage will be either void (bāel) or legally defective (fāsed), depending on the kind of condition which is missing. A void marriage does not entail any legal effects, even if the marriage has been consummated (Article 95 CC [Civil Code]). A legally defective marriage is defined in Article 96 CC as one in which offer and acceptance have been exercised, but other conditions have not been completely met. A legally defective marriage will produce effects only if the marriage has been consummated (Article 97 CC). Under these circumstances, the right to mahr, the proof of legitimate descent, the marital impediment of affinity, the waiting period and the right to maintenance will take effect. However, if the legally defective marriage has not been consummated, according to the above article, it will be considered void according to Article 95 CC.

Furthermore, Afghan law differentiates between a legally valid (aī) and a legally effective (nāfedh) marriage. If all the conditions for a marriage are met, it is a legally valid marriage. In order for the legally valid marriage to become legally effective, both parties to the marriage must be marriageable and of legal capacity. Moreover, if the consent of the legal guardian or the represented person, in case of marriage by proxy, has not yet been given, such a marriage is considered a provisionally invalid marriage (mūqūf). If both the conditions for legal validity and effectiveness are fulfilled, this marriage is a binding one (lāzem).” (MPIPRIV, Juli 2012, S. 28)

Wie das MPIPRIV weiters anführt, würden in Artikel 77 des Zivilgesetzbuches die Voraussetzungen für die Rechtsgültigkeit und -wirksamkeit dargelegt. So sei erforderlich, dass Angebot und Annahme von den eheschließenden Parteien, ihren gesetzlichen Vormündern oder ihren Stellvertretern erklärt würden. Da die Abgabe der Willenserklärung an eine dritte Partei übertragen werden könne, sei die Präsenz der Braut und des Bräutigams bei der Eheschließung nicht zwingend erforderlich. Darüber hinaus müssten bei der Eheschließung zwei Zeugen anwesend sein und es dürften keine Ehehindernisse bestehen:

„According to Article 77 CC, in order for a marriage to become legally valid and effective, it is necessary that offer and acceptance are expressed either by the marrying parties, or their legal guardians, or their proxies. Since a declaration of intention can be delegated to a third party, the presence of bride and groom is not absolutely necessary. Furthermore, two persons must witness to the marriage and no impediments to marriage should exist.” (MPIPRIV, Juli 2012, S. 28)

Für mehr Details zu den Voraussetzungen einer gültigen Eheschließung, siehe Seite 27 bis 45 des MPIPRIV-Berichts:

·      MPIPRIV - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht: Max Planck Manual on Family Law in Afghanistan (Autorinnen: Kabeh Rastin-Tehrani und Nadjma Yassari), Amended 2nd edition, Juli 2012
http://www.mpipriv.de/files/pdf3/max_planck_manual_on_afghan_family_law_english.pdf

 

Eine englische Übersetzung des Volltexts des afghanischen Zivilgesetzbuches von 1977 findet sich unter folgendem Link:

·      Afghanisches Zivilgesetzbuch, 1977 (inoffizielle englische Übersetzung des Afghanistan Legal Education Project)
https://s3.amazonaws.com/landesa_production/resource/2879/Afghanistan_Civil-Law_1977.pdf?AWSAccessKeyId=AKIAICR3ICC22CMP7DPA&Expires=1447666345&Signature=eVupk%2Fkl9KBKOwQEEGwOsLGtTJQ%3D

 

Eine englische Übersetzung des Personenstandsgesetzes für Schiiten von 2009 wird unter folgendem Link bereitgestellt, wobei sich auf den Seiten 33 bis 37 Informationen zu den Voraussetzungen einer gültigen Eheschließung finden:

·      Schiitisches Personenstandsgesetz, 2009 (inoffizielle englische Übersetzung des Afghanistan Rule of Law Project der US Agency for International Development, USAID; verfügbar auf Refworld)
http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?docid=4a24ed5b2

 

Wie das MPIPRIV weiters anführt, müsse jede Eheschließung gemäß Artikel 61 des Zivilgesetzbuches registriert werden. Es müsse jedoch festgehalten werden, dass eine Nicht-Registrierung einer Eheschließung keine Auswirkungen auf ihre Gültigkeit habe. Eine registrierte Urkunde helfe dabei, das Bestehen einer Ehe festzustellen. Darüber hinaus garantiere die Registrierung einer Eheschließung, dass die relevanten rechtlichen Bestimmungen, wie das gesetzliche Heiratsalter, eingehalten würden. In Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Ehen müsse das Gericht zunächst feststellen, ob überhaupt eine Ehe bestehe. Diese Information erhalte das Gericht von denjenigen Personen, die der Eheschließungszeremonie beigewohnt hätten:

„According to Article 61 CC, every marriage has to be registered. It should also be certified by the competent authority in an official marriage contract in triplicate. The original is retained by the competent authority and each party to the contract receives a copy. Once it has been registered by the register office (Article 48 CC), the marriage is communicated to the competent identity registration office specified in Article 46. Whenever the registration of a marriage is not possible in this way, it will be effected as provided by Article 61 CC regarding the registration of public documents. However, it should be added that failing to register a marriage does not affect its validity. A registered certificate facilitates establishing the existence of a marriage. In addition, the registration of a marriage guarantees that the relevant legal provisions, such as legal marriage age, are observed. In legal proceedings concerning marriages, the court, first of all needs to establish if there is a marriage at all (Article 104(1) Afghan Law of Civil Courts Procedure). As stated in Article 104(2), the information on the existence of a marriage is obtained from those attending the ceremony.” (MPIPRIV, Juli 2012, S. 51)

In einem älteren, im Jahr 2003 veröffentlichten Bericht für die internationale Menschenrechts-NGO International Commission of Jurists (ICJ) schreibt Martin Lau, ein Experte zu afghanischem Recht, der zur Zeit der Erstellung der Anfragebeantwortung als Professor an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der University of London tätig ist, dass das Zivilgesetzbuch von 1977 das Ehegesetz von 1960 ersetzt und mehrere Aspekte des Hanafi-Familienrechts (die hanafitische Rechtsschule ist eine der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islam, Anm. ACCORD) reformiert habe. Ebenso wie der obige MPIPRIV-Bericht vom Juli 2012 erwähnt Lau, dass das Zivilgesetzbuch eine Registrierungspflicht für alle Eheschließungen vorsehe, eine Nicht-Registrierung aber im Gegensatz zu den Bestimmungen des Ehegesetzes von 1960 keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der Ehe habe:

The new Civil Code repealed the law of marriage of 1960 and reformed several aspects of Hanafi family law. […] There is a registration requirement for all marriages and unlike the provisions of the 1960 Marriage Law non-registration does not affect the marriage’s validity.” (ICJ, 2003, S. 24)

An anderer Stelle führt Lau an, der Zerfall der staatlichen Einrichtungen in Afghanistan bedeute, dass Ehen im Allgemeinen nicht länger registriert würden. Gemäß dem Zivilgesetzbuch von 1977 sollte dies zu ihrer Ungültigkeit führen. In der Praxis würden nicht registrierte Ehen allerdings als gültig angesehen:

The demise of governmental institutions across Afghanistan means that marriages are generally no longer registered. This would render them void under the 1977 Law. In practice, however, unregistered marriages are regarded as valid.” (ICJ, 2003, S. 25)

In der oben angeführten englischen Übersetzung des Personenstandsgesetzes für Schiiten von 2009 wurden keine Bestimmungen im Zusammenhang mit der Registrierung von Eheschließungen gefunden. Durchsucht wurde der Gesetzestext nach den Begriffen „registration“ und „register“.

 

Folgende Zitate wurden gefunden, die sich auf die Verbreitung und praktische Notwendigkeit der Registrierung von Eheschließungen beziehen:

 

In einer im August 2013 veröffentlichten Zusammenstellung von Zitaten zum Thema Ehe in Afghanistan führt das irische Herkunftsländerinformationszentrum Refugee Documentation Centre (RDC) einen Ausschnitt eines im Jahr 2010 veröffentlichten Berichts des International Centre for Human Rights and Democratic Development, einer inzwischen aufgelösten, vom kanadischen Parlament eingerichteten, unabhängigen Einrichtung zur Förderung der Menschenrechte und von demokratischen Institutionen weltweit, an. Dem Bericht zufolge enthalte das afghanische Zivilgesetzbuch von 1977 Bestimmungen im Zusammenhang mit Eheschließungen, lege die Pflichten der Ehepartner dar und sehe die formale Registrierung von Ehen durch einen „nikahnama“ genannten Vertrag vor. Eine Ehe könne in Familiengerichten oder, wenn diese nicht zur Verfügung stünden, in Zivilgerichten registriert werden. Während es sich bei der Registrierung von Ehen in Afghanistan nie um eine gängige Praxis gehandelt habe, sei der informelle Ehevertrag, der ein Teil des Prozesses sei, der mit der Verlobung beginne und mit der Hochzeitszeremonie (nikah) ende, weitverbreitet. Meistens würden Ehen nur registriert, wenn die Notwendigkeit bestehe, die Beziehung zwischen den Ehepartner nachzuweisen, etwa wenn diese planen würden, ins Ausland zu verreisen. Allerdings gebe es auch andere Dokumente, die im Falle einer Reise oder einer Streitschlichtung als Nachweis für eine Ehe verwendet werden könnten:

„In 2010 a report published by the International Centre for Human Rights and Democratic Development states:

‘The 1977 Afghan Civil Code regulates marriage, outlines spousal responsibilities, and provides for formal registration of marriage through a contract called nikahnama. Marriage can be registered in family courts or, if unavailable, in civil courts. The marriage contract outlines rights and responsibilities for both parties and has provisions for dissolution of the marriage. While registration of marriages has never been a wide-spread practice in Afghanistan, the informal marriage contract is ubiquitous and is part of a process that begins with engagement and ends with the nikah (marriage ceremony). For the most part, registration of marriage takes place only when there is a need to prove the relationship, such as if the couple plans to travel outside the country. However, there are other documents that can be used as proof of marriage for travel or for dispute resolution.’(International Centre for Human Rights and Democratic Development (2010) A women’s place, Perspectives on Afghanistan’s evolving legal framework, p. 27)” (RDC, August 2013, S. 7)

Einem undatierten Bericht derselben Quelle zufolge sei es in Afghanistan üblich, dass die Person, die die Hochzeitszeremonie durchführe, auf einem Blatt Papier die Details und gegebenenfalls die Bedingungen der Eheschließung sowie Details zu den Zeugen festhalte und das Papier anschließend von den Ehepartnern und ihren Familien unterzeichnet werde. Dabei handle es sich um ein inoffizielles Dokument, das Gerichte nicht als Beweis für die Eheschließung anerkennen würden. Ein offizielles und rechtlich verbindliches Heiratsdokument könne nur erhalten werden, wenn man sich zwecks Registrierung an ein Gericht oder ein zuständiges Amt wende:

„This document [an undated document published by the International Centre for Human Rights and Democratic Development] also notes:

‘It is common practice in Afghanistan that the person performing the marriage ceremony documents and records its details such as the amount of Mah’r, the conditions of the marriage (if applicable) and details about the witnesses on a blank paper. Both parties of the marriage and their relatives then sign this document or register their finger prints on it. This is an unofficial document and the courts do not recognize it as proof of marriage since it does have any supporting legal documentation. An official and legally binding marriage document can only be obtained by applying to the courts or to the corresponding office for registration.’ (ibid, p. 3)” (RDC, August 2013, S. 6)

In einem im Jahr 2005 veröffentlichten Bericht des MPIPRIV zu einer Fact-Finding-Mission nach Afghanistan von Jänner bis März 2005 wird im Abschnitt zu „Heiratsurkunden (nikāh-nāmah)“ ebenfalls das Papier erwähnt, auf dem der Mullah die Namen des Bräutigams, der Braut, ihrer Stellvertreter und Zeugen festhalte und auf dem man kein offizielles Abzeichen finde. Die Stellvertreter und Zeugen müssten das Papier unterzeichnen, nach der Hochzeit werde es dem Bräutigam ausgehändigt. Wenn die Notwendigkeit bestehe, die Eheschließung nachzuweisen, sei die Kopie des Ehevertrags der einzige diesbezügliche Beweis, der dann der ersuchenden Behörde vorgelegt werden müsste:

From the communist era until 1992, every marriage had to be written in an official marriage certificate available in every district. The marriage certificate was an official certificate distributed by the Supreme Court. For a marriage, three copies of the marriage certificate were produced. One was left with the religious man who concluded the marriage, one was sent to the Supreme Court (its branch in the district) where the marriage contract would be registered in the registration book, and the third copy was given to the couple. Every nikāh-nāmah had a number. The first page contained the insignia of the Supreme Court. The certificate of marriage had to be signed by all participants: the bride, the groom, the witnesses, and the mullah who wed the couple.

In the past 20 years, however, most marriages have not been registered in the Supreme Court. Due to the disruption of the administrative structure in Afghanistan, these rules are not observed today. Today the nikāh-nāmah consists of a simple piece of paper without an official insignia. It is a white piece of paper on which the mullah writes the names of the bride and the groom, their proxies, and the witnesses. The proxies and the witnesses must sign the paper. The mullah then recites verses from the Koran and concludes the nikāh. He gives the handwritten paper to the groom. In case an issue arises requiring them to prove that they are married, the copy of the marriage contract will be the only proof and must be presented to the requesting authority.” (MPIPRIV, 2005, S. 19-20)

Im Dezember 2012 berichtet Wadsam, ein afghanisches Online-Portal für Wirtschaftsnachrichten, dass sich Menschen in vielen Regionen Afghanistans weigern würden, ihre Ehen registrieren zu lassen, da sie es als Schande empfinden würden, den Namen ihrer Ehefrauen preiszugeben. Einige würden sich schämen, ihre Frauen mit ins Gericht zu nehmen. Laut VertreterInnen der Menschenrechtskommission würden 80 Prozent der Paare in Afghanistan über traditionelle Heiratsurkunden verfügen, die nicht offiziell registriert seien. Einer der Vorteile einer Registrierung einer Ehe sei, dass die Frau die ihr zustehenden Rechte einfordern könne, wenn sich das Paar entscheide, sich scheiden zu lassen. In vielen Regionen Afghanistans würden Ehen auf der Basis traditioneller Heiratsurkunden geschlossen, die im Beisein eines Mullahs unterzeichnet würden, allerdings keinen rechtlichen Wert hätten:

„In the absence of legal registration of marriages, many Afghan families are faced with various problems. Early age marriages and lack of official registration of marriages are the main causes of problems in the lives of many Afghan couples. People in many regions of Afghanistan refuse to register their marriage, because they find it shameful to reveal their wife’s name. To some it is bashful to take their wife along to the court. Meanwhile, officials of the Human Rights Commission said that more than 80% of couples in Afghanistan have traditional marriage certificates, Nikkah Khat, that are not legally registered. […] One of the benefits of registering marriages is that the woman can legally claim her rights she is entitled to, should the couples decide to divorce. […] In many regions of Afghanistan, marriages are tied on the basis of a Nikkah Khat that is signed in the presence of Mullahs. The Nikkah Khat has no legal significance.” (Wadsam, 10. Dezember 2012)

Die in Afghanistan tätige Frauenrechtsorganisation Medica Afghanistan berichtet in einem Artikel vom März 2010 über die Erkenntnisse, die sie bei der Beobachtung von Zentren zur Registrierung von Dokumenten in Kabul gewonnen habe. So hätten die meisten Paare, die um eine Registrierung ihrer Ehe angesucht hätten, den Ehevertrag für offizielle Zwecke benötigt oder um ins Ausland gehen zu können. Die meisten Paare seien bei der Eheregistrierung auf ähnliche Probleme gestoßen, wie z.B., dass ihre Zeugen nicht in der Region leben würden oder nicht einfach zu erreichen seien. Die Registrierungszentren würden Bestechungsgelder verlangen, weshalb viele Leute zögern würden, sich an diese Zentren zu wenden:

While observing the Documentation Registration Centers we came to know that most of the couples who applied to register their marriages, they actually need this marriage contract for going abroad countries or they need for their offices for official purposes or they need this for abroad studies in women’s vocational high schools. Most of couples have married before and now they want to get marriage contract but they used to face some similar problems like their witnesses aren’t present in this region or they can not be accessed easily.

As known corruption in government offices is a big problem in Afghanistan. In Documentation Registration Centers they request bribes from couples in the name of Shirini because of which a lot of people hesitate to consult these centers.” (Medica Afghanistan, März 2010, S. 2)

In einer älteren Anfragebeantwortung vom Dezember 2007 zitiert das kanadische Immigration and Refugee Board (IRB) einen Mitarbeiter der afghanischen Botschaft in Kanada, dem zufolge sich afghanische StaatsbürgerInnen nicht um vom Staat ausgestellte Heiratsurkunden bemühen würden. Auch das Integrated Regional Information Networks (IRIN), eine Nachrichtenagentur, die sich auf humanitäre Themen fokussiert, und bis Jänner 2015 ein Projekt des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA) gewesen ist, habe angeführt, dass die „große Mehrheit“ der Afghanen anscheinend auf die offizielle Registrierung ihrer Ehen verzichte. Dem Bericht einer finnischen Fact-Finding-Mission nach Afghanistan zufolge seien Heiratsdokumente unüblich. In einem Fall habe ein afghanischer Mann mitgeteilt, dass ein vom Staat ausgestelltes Heiratsdokument für seine Tochter unnötig sei, da aufgrund der Hochzeitsfeier und eines Hochzeitsvideos jeder wisse, dass sie verheiratet sei:

„In a 22 November 2007 interview conducted by the Research Directorate, the Embassy Official stated that most Afghan citizens do not apply for marriage certificates from the government. Integrated Regional Information Networks (IRIN) likewise notes that the ‘vast majority’ of Afghans do not appear to be officially registering their marriage (UN 14 Mar. 2007). The report of a Finnish fact-finding mission to Afghanistan states that wedding documents are uncommon (Finland Sept. 2006, 37). The report goes on to relay an anecdote in which an Afghan man said that a government-issued marriage document was unnecessary for his daughter because everyone would know she was married by virtue of her wedding celebration and a wedding video (ibid.).” (IRB, 18. Dezember 2007)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 18. November 2015)

·      Afghanisches Zivilgesetzbuch, 1977 (inoffizielle englische Übersetzung des Afghanistan Legal Education Project)
https://s3.amazonaws.com/landesa_production/resource/2879/Afghanistan_Civil-Law_1977.pdf?AWSAccessKeyId=AKIAICR3ICC22CMP7DPA&Expires=1447666345&Signature=eVupk%2Fkl9KBKOwQEEGwOsLGtTJQ%3D

·      AsylGH - Asylgerichtshof (Österreich): Entscheidungstext C5 424605-1/2012, 16. August 2012
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/AsylGH/ASYLGHT_20120816_C5_424_605_1_2012_00/ASYLGHT_20120816_C5_424_605_1_2012_00.html

·      Coburn, Noah: E-Mail-Auskunft, 13. November 2015

·      DIS - Danish Immigration Service: The political conditions, the security and human rights situation in Afghanistan; Report on fact-finding mission to Kabul, Afghanistan 20 March – 2 April 2004, November 2004 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/470_1161679659_afganistanengelsk2004.pdf

ICJ - International Commission of Jurists: Afghanistan’s Legal System and its Compatibility with International Human Rights Standards (Autor: Martin Lau), 2003 (verfügbar auf Refworld)
http://www.refworld.org/pdfid/48a3f02c0.pdf

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Issuance of birth certificates and marriage certificates; types of documents required by the applicant in Afghanistan or in embassies to obtain official documents [AFG102679.E], 18. Dezember 2007 (verfügbar auf Refworld)

http://www.refworld.org/docid/47d6543c22.html

·      Landinfo - Norwegian Country of Origin Information Centre: Afghanistan: Ekteskap, 5. Juni 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1402395798_2899-1.pdf

·      Medica Afghanistan: Observation of Document Registration Center in central Kabul, März 2010
http://www.medicaafghanistan.org/Files/Research%20and%20publications/Observation%20of%20Document%20Registration%20Center%20in%20central%20Kabul%20%282010%29.pdf

·      MPIPRIV - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht: Family Structures and Family Law in Afghanistan; A Report of the Fact-Finding Mission to Afghanistan January – March 2005, 2005
http://www.mpipriv.de/files/pdf3/mpi-report_on_family_structures_and_family_law_in_afghanistan.pdf

·      MPIPRIV - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht: Max Planck Manual on Family Law in Afghanistan (Autorinnen: Kabeh Rastin-Tehrani und Nadjma Yassari), Amended 2nd edition, Juli 2012
http://www.mpipriv.de/files/pdf3/max_planck_manual_on_afghan_family_law_english.pdf

·      Naderi, Manizha: E-Mail-Auskunft, 12. November 2015

·      RDC - Refugee Documentation Centre, Legal Aid Board: Country Marriage Pack; Afghanistan, August 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1390231209_afghanistan-marriage-pack-august-2013.pdf

·      Schiitisches Personenstandsgesetz, 2009 (inoffizielle englische Übersetzung des Afghanistan Rule of Law Project der US Agency for International Development, USAID; verfügbar auf Refworld)
http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?docid=4a24ed5b2

·      Wadsam: 80% of marriages in Afghanistan are not legally registered, 10. Dezember 2012
http://wadsam.com/arts-culture/80-of-marriages-in-afghanistan-are-not-legally-registered-2342/