Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
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In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche kaum Informationen zu Zwangsheirat in Dagestan gefunden werden. Gefunden wurden jedoch Informationen über Zwangsheirat und Brautraub in der Region Nord-Kaukasus (Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan) zu der auch die Teilrepublik Dagestan gehört:
Die Informationswebsite Caucasian-Knot berichtete am 19. November 2008 darüber, dass die Staatsanwaltschaft in Dagestan Fälle von Entführungen auch im Zusammenhang mit Zwangsverheiratung von Mädchen untersuche. Im Jahr 2008 habe die Staatsanwaltschaft 158 Benachrichtigungen über Entführungen erhalten, von denen 106 im Zusammenhang mit der Entführung von Mädchen gestanden seien, mit dem Ziel der Zwangsheirat. In der Mehrzahl der Fälle seien die Entführungen laut Aussagen der Staatsanwaltschaft inszeniert und im beiderseitigen Verständnis des Paares durchgeführt worden. Gleichzeitig habe die Staatsanwaltschaft auch über Fälle berichtet, bei denen Mädchen entführt worden seien, um gegen ihren Willen zwangsverheiratet zu werden. So wurden in 12 Fällen juristische Untersuchungen eingeleitet, von denen 4 Fälle vor Gericht entschieden und die Täter verurteilt wurden:
„Under the Office's information, in 2008, the law enforcement bodies of the Republic received 158 messages on kidnappings, of them the majority - 106 applications related to kidnapping of girls with the aim of forced marriage. The ‘Caucasian Knot’ correspondent was informed at the Prosecutor's Office of Dagestan: ‘In the overwhelming number of cases, after the check of girls' kidnapping messages or in the course of investigating a criminal case, it is established that in fact it was a staging of kidnapping upon the mutual consent of young persons.’ At the same time, the Prosecutor's Office of Dagestan reports that cases have been registered of actual kidnapping of girls with the aim to force them into marriage. On such facts a total of 12 criminal cases were initiated, of them 4 criminal cases were sent to the court and guilty persons were convicted.” (Caucasian Knot, 19. November 2008)
In einem älteren Artikel der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti vom Oktober 2007 wird über Brautraub in der Teilrepublik Dagestan berichtet. So erlebe die Tradition des Brautraubes, die im 19. Jahrhundert für ungesetzlich erklärt worden sei, einen Anstieg in der russischen Teilrepublik Dagestan. Seit dem 12. Oktober [2007], dem Ende des Fastenmonats Ramadan, sei in Dagestan über drei Entführungen berichtet worden. In der Hauptstadt Dagestans, in Machatschkala, habe die Polizei einen 30jährigen Mann verhaftet, der eine 20jährige Jura-Studentin entführt habe, mit dem Ziel sie zu heiraten. In einem Dorf im Bezirk Kisljar, 221 km nordwestlich von Machatschkala, suche die Polizei nach drei Männern, die eine 22jährige Verkäuferin aus einem lokalen Geschäft entführt hätten. Aus einem Dorf im Kisljar-Bezirk sei ein 18jähriges Mädchen von ihrem 22jährigen „Verehrer“ entführt worden. Über Brautraub sei im Kaukasus - einschließlich der russischen Teilrepubliken Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien - berichtet worden und auch in den benachbarten Ländern Georgien und Armenien komme es zu Brautraub. Es gebe jedoch keine Statistiken dazu. Menschenrechtsorganisationen, die im Kaukasus aktiv seien, würden aussagen, dass jedes Jahr tausende Frauen zur Heirat gegen ihren Willen gezwungen werden. Einige Ortsansässige würden meinen, dass die Brautentführungen als Teil einer Hochzeitstradition inszeniert seien:
„The tradition of bride kidnapping, outlawed in the 19th century, has seen a surge in Dagestan, a republic in Russia's troubled North Caucasus, the local interior ministry said on Tuesday. Since the Islamic holy month of Ramadan, which finished on October 12, three abductions have been reported in the republic. In Makhachkala, the capital of Dagestan, policemen detained a 30 year-old man, who abducted a 20 year-old law student intending to marry her. In a village in the Kizlyar district, 221 km (137 miles) northwest of Makhachkala, police continue their search for three men, who kidnapped a 22 year-old saleswoman from a local shop. An 18 year-old from a village in the Kizilyurt district, northwest of Makhachkala, was abducted by her 22 year-old suitor. Bride abductions have been occasionally reported in the Caucasus, including the Russian republics of Chechnya, Dagestan and Ingushetia, as well as in former Soviet states of Georgia and Armenia. […] There are no hard statistics on how widespread the custom is, but human rights organizations operating in the Caucasus region believe thousands of women are forced to marry against their will every year. Some locals say that in many cases abductions are a play-acted part of the wedding tradition.“ (Ria Novosti, 16. Oktober 2007)
Im Juli 2010 veröffentlichte Amnesty International (AI) einen Bericht, in dem auf die verstärkte Gefährdung junger Mädchen, Opfer von Zwangsverheiratung zu werden, hingewiesen wurde. So könne es sein, dass die Gesetzesnovellierung des Russischen Strafgesetzes, die mit dem Ziel des verbesserten Schutzes von Kindern vor sexuellem Missbrauch verabschiedet wurde, dazu führe, dass Mädchen nun einem größeren Risiko der Zwangsverheiratung ausgesetzt seien. Durch die Gesetzesänderung sei es zudem möglich, dass Missbrauchstäter leichter ungestraft blieben, insbesondere bei Fällen des Missbrauchs minderjähriger Mädchen. Der Artikel 134 Absatz 4 enthalte eine Regelung, die Ersttäter unter bestimmten Umständen von strafrechtlicher Verantwortung für den Geschlechtsverkehr mit einer/m Minderjährigen befreie. Der Paragraph laute wie folgt: ‚Ersttäter von Verbrechen unter Paragraph 1 dieses Artikels [Artikel 134: sexueller Kontakt, homosexueller oder lesbischer Akt einer Person über 18 Jahre mit einer Person unter 16 Jahren] können von strafrechtlicher Verantwortung befreit werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Täterperson und das Verbrechen weiter keine Bedrohung mehr für die Öffentlichkeit darstellten indem eine Ehe mit dem Opfer eingegangen wird’. Amnesty International (AI) seien noch keine Fälle bekannt, die unter diesem neuen Gesetz behandelt worden wären, jedoch sei die Menschenrechtsorganisation sehr besorgt, dass diese Gesetzesänderung den Schutz vor Zwangsverheiratung junger Mädchen deutlich einschränken würde:
“On 27 July 2009, amendments to the Russian Criminal Code were adopted which were mainly designed to protect children from sexual abuse. Amnesty International is concerned that some of the provisions have the potential to increase the risk for girls to be forced into marriage and facilitate impunity for those responsible for the sexual abuse of minors, in particular of girls.
Article 134 (4) of the Criminal Code of the Russian Federation exempts first-time offenders from criminal liability for having sex with a minor in certain circumstances:
‘First-time offenders of crimes under part 1 of this article [ sexual contact, homosexual or lesbian act of a person over 18 with a person under 16] can be exempted from criminal liability if it can be demonstrated that the person/perpetrator and the crime committed cease to constitute a danger to the public by him/her entering into marriage with the victim.’
Amnesty International is not aware of cases in which this new law has been applied. However, the organization is gravely concerned about the potential implications of this amendment as it might even further reduce the possibility of young girls being protected from forced marriage and bride-kidnapping and compromise accountability for the perpetrators.“ (AI, Juli 2010, S. 16)
Über einen Fall von Brautraub in Tschetschenien berichtet der Nachrichtensender BBC im August 2010. In dem Bericht wird geschildert, wie eine junge Frau auf dem Heimweg von der Universität entführt worden sei. Laut dem Artikel habe der Entführer, ein Tschetschene der in Kasachstan ansässigen Diasporagemeinde, seinen dauerhaften Wohnort in Kasachstan, weshalb das zwangsverheiratete Mädchen kurz nach ihrer Hochzeit nach Kasachstan mitgenommen worden sei:
„A month ago, on her way home from college in the Chechen capital Grozny, she was snatched off the street and bundled into a car by a man she barely knew. A week later, she was Bogdan Khazhiev's wife. Straight after the wedding he took her to Pavlodar in northern Kazakhstan and installed her in a couple of sparsely furnished rooms above his parents' flat. And now here she was, nearly 3,100 miles (5,000km) from home, sailing down a river in Kazakhstan.“ (BBC, August 2010)
Im April 2008 wurde auf der Nachrichtenwebsite „The Globe and Mail“ ein Artikel über Brautraub und Zwangsheirat in Tschetschenien veröffentlicht. Dabei wird der Fall einer 18jährigen Studentin geschildert, die entführt und gegen ihren Willen verheiratet worden sei. Das Mädchen namens Amina Ediava sei vom Täter vor der Entführung verfolgt worden. Der Täter, ein Mann den das Mädchen mehrmals abgewiesen habe, habe das Mädchen zur Heirat nach der Tradition des Brautraubes gezwungen. In Tschetschenien und in Inguschetien komme es beinahe wöchentlich zum Brautraub. Die jungen Frauen würden von der Bushaltestelle entführt, auf dem Heimweg von der Schule und sogar aus dem eigenen Haus und Hof. Die Behörden der Teilrepubliken würden die Augen davor verschließen und es als romantische inszenierte Tradition, im Einverständnis des Paares, interpretieren. Die meisten Frauen jedoch, die interviewt wurden, hätten keine Zuneigung zu ihren Entführer empfunden, von denen sie verfolgt und gewaltsam verschleppt worden seien. Wieder andere Frauen hätten gesagt, dass der Brauch in einer modernen Gesellschaft keinen Platz habe. Die betroffene Frau Edieva habe ausgesagt, dass die Regierung das Problem verleugne und als normale Erscheinung behandle. Sie selbst habe ihren Ehemann nach 8 Monaten Zwangsehe verlassen können. Statistiken gebe es nicht. Menschenrechtsorganisationen würden von tausenden Mädchen sprechen, die von Zwangsheirat betroffen seien. Einheimische schätzten, dass rund die Hälfte aller Ehen mit einer Entführung beginne. Im Fall von Frau Edieva habe diese ihren Entführer kaum gekannt und sich zum Zeitpunkt der Entführung mit einem anderen Mann getroffen, den sie habe heiraten wollen. In den ersten Minuten ihrer Entführung sei ihr bewusst geworden, dass nach den Regeln des Brautraubes eine Zwangsheirat unvermeidbar sei, sollte es ihr nicht gelingen vor dem Morgengrauen wieder in ihrem Haus zu sein. Eine unverheiratete tschetschenische Frau, die eine Nacht im Haus eines Mannes verbringe, würde als seine Frau betrachtet. Würde er sie noch vor der Hochzeit berühren, würde sie als unrein erachtet. Von den Verwandten des Täters habe sie erreichen können, gegen morgen in das Haus ihrer Eltern zurück gebracht zu werden. Jedoch sei sie dort von Mutter und Großvater unter Druck gesetzt worden, in die Zwangsehe einzuwilligen. Neun Tage später sei sie mit ihrem Entführer verheiratet worden. Trotz der offiziellen Position, dass Brautraub von Liebespaaren inszeniert sei, berichte eine große Zahl junger Frauen von ähnlichen Fällen des Brautraubes und der erzwungener Einwilligung in Heirat, oft unter dem Druck stundenlanger Verhandlung mit den Verwandten:
“Amina Edieva's abductor stalked her like a seasoned predator. He approached the slender, raven-haired 18-year-old student on a Grozny side street, hoisted her off the ground in a tight bear hug and dragged her into a waiting car. She screamed, kicked and scratched at the man, but he brought three male friends, a driver and two backup abductors to ensure she couldn't escape. More young men in a second vehicle trailed, on the lookout for witnesses who might try to halt the brazen afternoon capture. […] Well versed in Chechnya's bride-abducting traditions, she understood she was caught up in a centuries-old ritual in which her captor, a suitor she had frequently rebuffed, was going to force her to marry him. […] Across Chechnya and neighbouring Ingushetia, violent bride abductions are staged nearly every week in the mountain-ringed, southern Russian republics known as the North Caucasus; during the spring wedding season, it can happen every day. Young women are snatched from bus stops, on their way home from school and sometimes out of their own yards. […] Authorities in the two restive republics routinely turn a blind eye to the violent practice, preferring to depict it as a romantic tradition, often staged by the starry-eyed young couples themselves. […] Most women interviewed across Chechnya and Ingushetia disagreed, saying they felt no affection from the men who stalked them and shoved them into waiting cars. Others said the custom has no place in modern society. ‘The government wants to deny this is a problem,’ said Ms. Edieva, who eventually left her husband after a tense eight-month marriage. ‘They treat it as a normal thing.’ There are no hard statistics on how many women are seized each year in Chechnya and Ingushetia, but human-rights organizations say it is in the thousands. Locals estimate that about half of all marriages begin with abductions. […]
But Ms. Edieva barely knew her real-life captor and she was dating another man she longed to marry. In the first minutes after she was grabbed, her mind flipped though the list of abduction rules most Chechen women know by heart: If she did not escape before morning, there would be no chance of avoiding the forced marriage. If an unmarried Chechen woman spends a night in a man's house, she is considered to be his wife. If he touches her before marriage, she is thought to be tainted. […]
For nine hours, Ms. Edieva was held captive, pressured by a crowd of her abductor's relatives, who gathered at his home. ‘There were nine men standing around me in a circle,’ she said. ‘I was screaming that I will die if I spend the night here. But they were laughing at me.’ Just before 1 a.m., she found a cellphone and called home, but her mother was reluctant to rescue her. After she pleaded with an older brother, relatives took her home. Her mother and sister told her she was silly for resisting the match. The next day, under pressure from her mother and grandfather, she gave in and agreed to marry her abductor, a man she identified only as Aslambeck. Nine days later, Ms. Edieva, her makeup smudged by tears, was married in a traditional Chechen ceremony where she stood alone in a corner for hours at the groom's house, forbidden to speak or sit until the elders left. […]
Despite the official line that bride abduction is largely stage-managed by the young lovers themselves, scores of young Chechen and Ingush women told similar stories of abductions followed by hours of agonizing negotiations, often with complicit relatives.” (The Globe and Mail, 26. April 2008)
Im Oktober 2007 berichtet der Fernsehsender Russia Today über die wieder aufkommende ‚Tradition’ des Brautraubs. Obwohl es auch den inszenierten Brautraub gebe, um ohne das Einverständnis der Eltern heiraten zu können, würden in der Kaukasus-Region auch immer wieder Mädchen gegen ihren Willen entführt, um zur Heirat gezwungen zu werden:
· Russia Today: Beitrag vom 23. Oktober 2007
Quellen:(Zugriff auf alle Quellen am 12. Januar 2011)
· AI – Amnesty International: Briefing To The Committee On The Elimination Of Discrimination Against Women, 46th session July 2010, (veröffentlicht auf ecoi.net)
· BBC: Stolen brides and life in exile, August 2010
· Caucasian Knot: Prosecutor's Office of Dagestan analyses how law enforcers' combat kidnappings, 19. November 2008
· Ria Novosti: Bride kidnapping tradition on the rise in North Caucasus, 16. Oktober 2007
· Russia Today: 23. Oktober 2007
· The Globe and Mail: Rage or romance?, 26. April 2008