Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Folgen einer Hochzeit einer Angehörigen der Sayid (Sayed, Sadat) mit einem Hazara [a-10733]

8. Oktober 2018

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Melissa Kerr Chiovenda, Afghanistan-Expertin mit Schwerpunkt Hazara und Assistenzprofessorin für Anthropologie an der Zayed-Universität in Abu Dhabi, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 28. September 2017, dass Sayid, die als Nachfahren des Propheten betrachtet würden, im Kontext der Gebiete schiitischer Hazaras in Afghanistan als eigene, separate Gruppe betrachtet würden. Dies sei ein Unterschied zu Sayid anderer ethnischer Gruppen. Zum Beispiel würden paschtunische Sayid als PaschtunInnen gesehen. Viele (aber nicht alle) Hazara-Sayid würden darauf bestehen, dass ihre Familien keine Hazara seien, sondern Araber, weil sie Nachfahren von Mohammed seien. Kerr Chiovenda führt diesen Unterschied darauf zurück, dass die Hazara traditionell die niedrigsten Stufen der Gesellschaft belegt hätten, sodass es für Hazara-Sayid vorteilhaft sei, zu betonen keine Hazara zu sein. Als Ergebnis würden viele Ehen innerhalb der Gruppe geschlossen. Ehen zwischen Cousin und Cousine seien in Afghanistan ohnehin üblich und würden als gut betrachtet. Sayid-Frauen könnten im Allgemeinen nicht außerhalb der Sayid-Gruppe heiraten (dies gelte für Hazara-Sayid – bei anderen wie PaschtunInnen oder TadschikInnen sei das anders). Sayid-Männer können dies manchmal, doch eine Hazara-Frau zu heiraten gelte als Ehe mit jemandem, der gesellschaftlich niedriger stehe, selbst wenn es akzeptabel sei:

First, Sayeds, being considered descendants of the Prophet, are in the context of Shi’a Hazara areas of Afghanistan considered their own distinct group. This contrasts with Sayeds of other ethnic groups, for example Pashtuns, who are considered to be Pashtun. Many, though not all Hazara Sayeds, insist their families are not at all Hazara but are, being descended from Mohammad, Arabs. I believe there is this difference because Hazaras have traditionally occupied the lowest rungs of society, so Hazara Sayeds might get some benefit from not claiming to be Hazara, if that makes sense. So, as a result, many marriages are closed, within the group. Marriages between cousins are common and seen as good in Afghanistan any way. Sayed women generally can’t marry outside of the Sayed group (among the Hazara affiliated Sayeds, this would change for other ones like Pashtuns, Tajiks). Sayed men CAN sometimes, but marrying a Hazara would be considered marrying downwards socially, even if it acceptable.” (Kerr Chiovenda, 26. September 2017)

Chris Johnson, die in den Jahren 1996 bis 2004 unter anderem als Mitarbeiterin in der im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO Oxfam und der Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) in Afghanistan tätig war, befasst sich in einer aus dem Jahr 2000 stammenden Studie mit der Hazarajat-Region, einem Gebiet das die Provinz Bamiyan sowie Teile benachbarter Provinzen umfasst. Zu Ehen zwischen Hazara und Sayid schreibt Johnson, dass, obwohl Ehen zwischen Hazara-Männern und Sayid-Frauen selten seien, es häufig zu Eheschließungen zwischen Sayid-Männern und Hazara-Frauen komme:

„Although marriage of Hazara men to Sayyed women is rare, marriage of Sayyed men to Hazara women is common.” (Johnson, März 2000, S. 9)

In einer weiteren E-Mail-Auskunft vom 3. Oktober 2018 ergänzt Melissa Kerr Chiovenda, dass die Folgen einer Heirat zwischen einer Angehörigen der Sayid mit einem Hazara ihrer Einschätzung nach sehr ernst seien könnten, insbesondere für die Frau. Es gelinge Paaren in Afghanistan nur sehr selten gegen den Willen ihrer Eltern zu heiraten, ohne dass dies Konsequenzen nach sich ziehe. Konsequenzen könnten auch vonseiten der größeren Gemeinschaft erfolgen. Im schlimmsten Fall könnte es zu einem Ehrenmord kommen. Die Frau sei besonders anfällig dafür, Opfer einer solchen Ermordung zu werden, allerdings könne auch der Mann das Ziel einer solchen Tat werden. Eine weitere Möglichkeit sei, dass die Familie versuche, die Ehe auf irgendeine Weise für ungültig zu erklären, oder in der Gemeinschaft die Ansicht zu verbreiten, dass die Ehe ungültig sei, auch wenn dies nicht der Fall sei. Bei einer Rückkehr nach Hause würde die Frau jedenfalls mit den Folgen wie beispielsweise körperlicher Misshandlung konfrontiert sein. Im Fall von nicht-gebilligten Ehen würden den Eltern oft auch die Behörden helfen und die Frau meist wegen moralischer Verbrechen verhaften. Es werde nicht viel darüber nachgedacht, ob in diesen Fällen tatsächlich ein Gesetz gebrochen worden sei. Die meisten Frauen in Afghanistan würden wegen moralischer Verbrechen, die oft mit derartigen Situationen in Verbindung zu stehen scheinen, im Gefängnis sitzen. Richter würden in solchen Fällen die Frauen oft für schuldig erklären:

„I believe there would be very serious consequences, particularly for the wife, should such a marriage happen. Very rarely in Afghanistan do couples manage to marry against their parents' wishes without consequences. The greater community can also create consequences for such a couple. The worst that might happen would be an honor killing. The woman would be particularly vulnerable in becoming a victim of such a killing, but the man might also very well be a target. Another possibility is that the family try to somehow invalidate the marriage, or give the idea to the community that it was invalid even if it is not true. However, upon being returned to home, the wife would surely face repercussions such as physical abuse. The authorities also often help parents with unsanctioned marriages, arresting the woman, most often, for moral crimes. There is not much attention as to whether a law was actually broken in these cases, and most women in Afghanistan are in jail for moral crimes which often seem to relate to some sort of situation like this. Judges then often convict such cases.” (Kerr Chiovenda, 3. Oktober 2018)

Kerr Chiovenda verweist in ihrer E-Mail-Auskunft vom 3. Oktober 2018 des Weiteren auf einen ähnlichen Fall, über den in der New York Times berichtet wurde. Obwohl es sich hier um die Hochzeit einer Tadschikin mit einem Hazara in Bamiyan handle, gehe es in diesem Fall um eine Heirat gegen die Wünsche der Eltern, noch dazu außerhalb der eigenen Ethnie und Religionsgemeinschaft. Die Folgen für dieses Paar seien ernst gewesen, es sei ihnen aber gelungen zu fliehen:

„I know it is a slightly different case, but you might read on the case of Zakia and Mohammad Ali from Bamyan, which was reported in the New York Times by Rod Nordland. She is a Tajik and he is a Hazara, but the idea of marrying against your parents wishes, and in this case outside of your ethnicity and sect, is there. The repercussions for this couple were serious, although they did manage to escape.” (Kerr Chiovenda, 3. Oktober 2018)

Weitere Informationen zu diesem Fall finden Sie unter anderem in einem Artikel der New York Times (NYT) vom Mai 2016:

 

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), erklärt in einer E-Mail-Auskunft vom 7. Oktober 2018, dass es bei einer Heirat zwischen einem Hazara-Mann und einer Sayid-Frau „in konservativen Gegenden Problemen geben“ könne. „Traditionell hätten Sayid-Familien ihre Töchter nicht an Hazara-Familien gegeben, aber dieser Vorbehalt habe sich abgeschwächt, vor allem in städtischen Gebieten. Es gebe aber weiterhin Gebiete, in denen das nicht üblich sei und nicht gerne gesehen werde, so zum Beispiel in Teilen der Provinzen Bamiyan und Daykundi.“ Außerdem erwähnt Ruttig Fälle, in denen die Sayid-Familie bzw. deren Gemeinschaft versucht hätte, junge Paare oder Frauen zu töten, wenn diese Beziehungen ohne die Zustimmung der Familie eingegangen seien. (Ruttig, 7. Oktober 2018)

 

Friedericke Stahlmann, Forscherin am Max-Planck-Institut für Sozialanthropologie in Halle (Saale), geht in ihrem Afghanistan-Gutachten vom März 2018 auf die Anwendung gewohnheitsrechtlicher Normen ein und erwähnt hier ebenfalls die Folgen von Liebesbeziehungen, die ohne die Zustimmung der Eltern eingegangen werden:

 „Anwendung gewohnheitsrechtlicher Normen

Ein anderes Bild bietet sich, wenn das Fehlverhalten der Betroffenen so gravierend ist, dass es von den Familien oder der lokalen Gemeinschaft nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden kann. Hier sind Richter oft erstaunlich bereitwillig Autorität zu reklamieren – jedoch oft nicht nach staatlichem Recht, sondern erneut in Bestätigung gewohnheitsrechtlicher Normen und bestehender Machtverhältnisse.

[…]

Prominentestes Beispiel ist hierbei das Phänomen von jungen Paaren, die sich ohne Zustimmung der Eltern gefunden haben und eigenmächtig planen zu heiraten. Da sie sich jedoch damit der Autorität ihrer Eltern widersetzen und nicht davon ausgegangen werden kann, dass das von der Gemeinschaft oder lokal eingebundener Imame geduldet wird, können sie die Eheschließung aus Angst vor Entdeckung oft nicht vor Ort vollziehen. Der Plan ist daher meistens erst zu fliehen und dann so schnell wie möglich zu heiraten. Die Behauptung von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren in Bamyan, dass das die häufigsten Konfliktfälle seien, hat sich zwar quantitativ als falsch erwiesen. Es illustriert jedoch das Aufsehen, das derartige Fälle generieren, indem sie durch den so eingeforderten Anspruch auf Individualrechte die sozialen und ökonomischen Grundlagen der sozialen Ordnung in Frage stellen.

Nach klassischer sharia bieten diese Eheschließungen keine Grundlage für strafrechtliche Verfolgung. Praktisch werden jedoch bei Verdachtsmomenten entflohener Paare sofort Checkpoints und auch Sicherheitskräfte in anderen Landesteilen alarmiert, um die Flüchtigen festzunehmen. Die Familien reagierten auf die Festnahme der entflohenen entweder, indem sie die jungen Frauen verstießen oder versuchten sie erneut aus der Haft und unter ihre Kontrolle zu bekommen.“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 149-150)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im August 2018 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung der internationalen Schutzbedürftigkeit afghanischer Asylsuchender unter Berufung auf verschiedene Quellen auf die Folgen von Verstößen gegen das Gewohnheitsrecht oder das Scharia-Recht ein. Berichten zufolge würde die Ahndung von derartigen Verstößen Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark treffen und Inhaftierung aufgrund von vermeintlichen „moralischen Verbrechen“, wie zum Beispiel, wenn sie ohne ausreichende Begleitung nach draußen gehen („being improperly unaccompanied“), bei Ablehnung der Ehe oder wenn sie von zu Hause weglaufen (auch in Situationen häuslicher Gewalt), miteinschließen. Ein erheblicher Teil der im Land inhaftierten Mädchen und Frauen werde wegen „moralischer Verbrechen“ angeklagt. Berichten zufolge seien weibliche Gefangene häufig körperlicher Gewalt sowie sexueller Belästigung und Missbrauch ausgesetzt. Da der Vorwurf des Ehebruchs und anderer moralischer Verbrechen Gewalt oder „Ehrenmorde“ hervorrufen könne, hätten die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen versucht, die Inhaftierung von Frauen, die solcher Handlungen beschuldigt werden, als Schutzmaßnahme zu rechtfertigen. Männer, die als gegen die geltenden Normen verstoßend wahrgenommen werden, könnten ebenfalls von Misshandlungen bedroht sein, insbesondere in Situationen von Ehebruchsvorwürfen und sexuellen Beziehungen außerhalb der Ehe. In Gebieten, die unter der wirksamen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen stehen, würden Frauen und Männer, denen unmoralisches Verhalten vorgeworfen werde, riskieren, von der Paralleljustiz dieser Gruppen angeklagt zu werden und hart, unter anderem mit Peitschenhieben oder dem Tod, bestraft zu werden:

„Punishment for breaches of customary or Sharia law is reported to disproportionately affect women and girls, including detention on the ground of perceived ‘moral crimes’, such as being improperly unaccompanied, refusing marriage, or ‘running away from home’ (including in situations of domestic violence). A significant proportion of the girls and women detained in the country have been charged with ‘moral crimes’. Female prisoners are reportedly often subjected to physical violence as well as and sexual harassment and abuse. Since accusations of adultery and other moral crimes may elicit violence or ‘honour killings’, in some instances the authorities are reported to have sought to justify the detention of women accused of such acts as a protective measure.

Men who are perceived to be acting contrary to prevailing customs may also be at risk of ill-treatment, particularly in situations of accusations of adultery and sexual relations outside of marriage.

In areas under the effective control of the Taliban and other AGEs [Anti-Government Elements], women and men accused of immoral behaviour risk being tried by these AGEs’ parallel justice structures and being given harsh sentences, including lashings and death.” (UNHCR, 30. August 2018, S. 78-79)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Umsetzung der praktischen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Asylbereich, widmet sich in einem Bericht vom Dezember 2017 unter anderem dem Vorgehen gegen Paare und Männer aufgrund von Zina (dem Verbrechen des Ehebruchs). In dem Bericht wird auf ein Buch über Schutzmechanismen von Torunn Wimpelmann, einer Wissenschaftlerin für Entwicklungsstudien mit dem Schwerpunkt Gender und Gerechtigkeit in Afghanistan, verwiesen, das auf ihrer Studie von 2014 über die Funktionsweise der für das Thema Gewalt gegen Frauen zuständigen Einheit in Kabul basiere. Wimpelmann erkläre in ihrem Buch, dass es Dynamiken gebe, bei denen junge Paare freiwillig eine Beziehung eingehen oder durchbrennen würden, aber ihre Familien die Frau dann zwingen würden, den Mann wegen Vergewaltigung oder Entführung anzuklagen, weil sie mit der Ehe nicht einverstanden seien. Paare seien auch wegen Zina verhaftet und von staatlichen Gerichten zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, weil sie zusammen weggelaufen oder durchgebrannt seien:

„3.6.6 Targeting of couples and men for zina

Torunn Wimpelmann, a development studies scholar focused on gender and justice in Afghanistan, published a book on protection mechanisms based on her 2014 study of the workings of the VAW [Violence against Women] unit in Kabul. Wimpelmann explains in her book that there are dynamics whereby young couples willingly enter a relationship or elope, but their families then force the woman to raise charges of rape or kidnapping against the male because they do not agree with the marital arrangement. Couples have also been arrested and sentenced by government courts to imprisonment for zina for running away or eloping together.” (EASO, Dezember 2017, S. 50)

Das EASO führt in diesem Zusammenhang mehrere Fälle aus den Jahren 2016 und 2017 an, bei denen es zu Übergriffen auf junge Paare gekommen sei. Ein junges Paar bestehend aus einem schiitischen Hazara und einer sunnitischen Tadschikin sei aus der Provinz Bamiyan geflohen, nachdem es von der Familie der Frau gesucht worden sei, weil es gegen deren Wünsche durchgebrannt sei. Ihre Familien hätten damit gedroht, sie zu töten; sie seien der Zina und Entführung beschuldigt worden und 2016 schließlich in die USA geflohen. Im Jahr 2016 sei ein junges Paar in Faryab wegen des Verdachts auf Ehebruch und Ehrenverbrechen angeblich von ihren Angehörigen mit Unterstützung durch die Taliban getötet worden. In einem anderen Fall, im Februar 2017, sei in Nuristan ein junges Paar, das durchgebrannt und wegen Ehebruchs von der Polizei verhaftet und in Gewahrsam genommen worden sei, von einer aufgebrachten Menschenmenge zu Tode geprügelt und erschossen worden. Im Juli 2017 habe ein Mann in Badghis seine vierzehnjährige Tochter getötet, weil sie mit einem achtzehnjährigen Freund, der ebenfalls ermordet worden sei, geflohen und durchgebrannt sei. Ebenfalls im Juli 2017 sei eine junge Frau in der Nähe der Provinzhauptstadt von Badghis von ihrem Onkel getötet worden, weil sie weggelaufen sei. Im August 2017 sei eine junge Frau in Jawzjan zehn Jahre nach ihrer Flucht bei ihrer Rückkehr von ihrem Bruder ermordet worden. Ebenfalls im August 2017 seien ein Mann und eine Frau, die Nachbarn gewesen seien, des Ehebruchs beschuldigt und von den Taliban in Badakhshan öffentlich hingerichtet worden:

„Other recent examples of treatment of couples include:

-         A young mixed Hazara Shia - Tajik Sunni couple from Bamyan province fled together after being sought after by the wife’s family for eloping against their wishes. Their families threatened to kill them; they also had accusations of zina and kidnapping made against them and eventually fled to the US in 2016.

-         In 2016, a young couple in Faryab were killed, allegedly by their relatives with Taliban support, for suspected ‘adultery’ and honour crimes, according to police.

-         In another case, in February 2017 in Nuristan, a young couple who eloped and were arrested by police for adultery and kept in detention were murdered when an angry crowd stormed inside and beat and shot them to death in a honour killing.

-         In July 2017, in Badghis, a man killed his fourteen-year-old daughter in an honour killing because she fled and eloped with an eighteen year old friend; he was also killed. The father then reportedly joined the Taliban after the killing.

-         In July 2017, near the Badghis capital, a young woman was killed by her uncle for elopement.

-         In August 2017, in Jawzjan, a young woman was murdered by her brother, 10 years after her elopement and her relocation to the provincial capital.

-         In August 2017, a man and woman who were neighbours were accused of adultery and publicly executed by the Taliban in Badakhshan.” (EASO, Dezember 2017, S. 50-51)

Die britische Nichtregierungsorganisation Country of Origin Research and Information (CORI) zitiert in einem im Februar 2014 veröffentlichten Herkunftsländerbericht den an der Boston University (USA) tätigen Anthropologieprofessor Thomas Barfield mit der Aussage, dass Blutfehden, die mit Frauen in Zusammenhang stünden, auf eine Entehrung einer Frau durch einen Außenstehenden, etwa durch Vergewaltigung oder gemeinsames „Weglaufen“, zurückzuführen seien. Die männlichen Blutsverwandten der Frau (oder der Ehemann, falls die Frau verheiratet sei) würden dann versuchen, den „Täter“ aus Vergeltung zu töten. Neben Blutfehden gebe es noch die Kategorie „Verlust von Ehre“ („namus“) infolge eines (wahrgenommenen) Verhaltens der Frau, das intern in der Familie als Schande angesehen werde und zu ihrer Tötung führe. Bei solchen „Ehrenmorden“ würde die Frau (und im Falle gemeinsamen Weglaufens auch der beteiligte Mann) getötet, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Barfield weise darauf hin, dass die Tötung eines an einer solchen Ehrverletzung beteiligten Mannes nicht Teil eines (Blut)rachezyklus sei, da Rachehandlungen nicht von Verwandten eines Mannes ausgeführt werden könnten, der zum Zeitpunkt seiner Tötung eine „schändliche“ Tat begangen habe. Indes könne ein „erfolgreiches“ gemeinsames Weglaufen mitunter eine Blutfehde auslösen, wenn der Familienverband des Mannes dem Paar Schutz biete und es zu keiner Einigung mit der Familie der Frau komme:

„Blood feuds involving women generally centre on a violation against a woman by outsiders, for example rape or elopement. A woman's male relatives (or husband if married) make seek the offenders life in retaliation. A second category is loss of their honour (namus) resulting either from a woman's perceived behaviour that is believed to shame the group internally that results in her murder. In such ‘honour killings’ the woman (and in the case of an elopement sometimes the man) are killed in an attempt to restore the groups' honour ([the] fact that the very incident occurred lowers the perception of a group's honour permanently and taking even such violent action cannot fix that fact.) It is important to note that such killings do not fall into the revenge cycle even when the man involved is killed because (at least by Pashtun thinking) revenge cannot be taken by relatives of a man engaged in a dishonourable act at the time of his murder (a thief killed in the house of his victim, an adulterous man killed in flagrante delicto). A successful elopement can sometimes spark a blood feud if the man's group provides protection of the couple but comes to no accommodation with the woman's group.“ (CORI, Februar 2014, S. 19)

Allgemeine Informationen zur Volksgruppe der Sayid und deren Verhältnis zu den Hazara finden Sie in folgender Anfragebeantwortung von ACCORD vom Oktober 2017:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zur Volksgruppe der Sadat (Sayed, Sayyed, Sadaat, Sayyid, Sayid, Sayeed) [a-10374], 25. Oktober 2017
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1419111.html

 

In einer Anfragebeantwortung von ACCORD vom Februar 2017 finden sich weiterführende Informationen zu Racheakten bei Ehrenverletzungen und zu staatlichem Schutz vor derartigen Handlungen:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter“ ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen [a-10006-1], 23. Februar 2017
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1395752.html

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 8. Oktober 2018)