Dokument #1218433
Amnesty International (Autor)
Amtliche Bezeichnung: Volksrepublik China
Staatsoberhaupt: Hu Jintao
Regierungschef: Wen Jiabao
Todesstrafe: nicht abgeschafft
Einwohner: 1,3476 Mrd.
Lebenserwartung: 73,5 Jahre
Kindersterblichkeit: 19,1 pro 1000 Lebendgeburten
Aus Furcht vor einer Protestbewegung nach dem Vorbild der Ereignisse im Nahen Osten und Nordafrika gingen die Behörden im Februar 2011 so massiv gegen politisch engagierte Bürger, Menschenrechtsverteidiger und Internetaktivisten vor, wie sie es nicht mehr seit den Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 getan hatten. Im Berichtsjahr war ein merklicher Anstieg von Drangsalierungen, Einschüchterungen, willkürlichen und rechtswidrigen Inhaftierungen und Fällen von Verschwindenlassen gegen Regierungskritiker zu verzeichnen.
In den vornehmlich von ethnischen Minderheiten bevölkerten Regionen wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, nachdem dort ansässige Bürger gegen Diskriminierung, Repressionen und andere Verstöße gegen ihre Rechte protestiert hatten. Die Behörden unternahmen verstärkte Anstrengungen, um alle religiösen Aktivitäten unter staatliche Kontrolle zu bringen; dazu gehörten drakonische Maßnahmen gegen Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften. In Zeiten der weltweiten Finanzkrise konnte China aufgrund seiner Wirtschaftskraft einen größeren Einfluss des Landes auf Menschenrechtsfragen in der ganzen Welt nehmen - zumeist mit negativen Auswirkungen.
Die relative Robustheit der chinesischen Wirtschaft löste vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise Befürchtungen aus, dass internationale Akteure davor zurückschrecken würden, sich kritisch zu Chinas Menschenrechtsbilanz zu äußern - eine Entwicklung, die sich bereits in den vergangenen Jahren abgezeichnet hatte. China gelang es immer häufiger, seine wachsende finanzielle und politische Bedeutung dafür einzusetzen, Druck auf andere Länder auszuüben, was dazu führte, dass eine wachsende Zahl chinesischer Staatsangehöriger bestimmter ethnischer Herkunft, wie zum Beispiel Uiguren, gegen ihren Willen in die Volksrepublik China rückgeführt wurden. Dort drohten ihnen unfaire Gerichtsverfahren, Folter und andere Misshandlungen in der Haft sowie weitere Menschenrechtsverletzungen.
Die Behörden missbrauchten weiterhin strafrechtliche Bestimmungen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. So wurden an die 50 Personen schikaniert und zahlreiche weitere eingeschüchtert, um "Jasminproteste" zu unterdrücken, die im Februar 2011 in Anlehnung an die Proteste im Nahen Osten und Nordafrika ihren Anfang genommen hatten. Ein ursprünglich anonymer Aufruf zu friedlichen Sonntagsspaziergängen weitete sich auf immer mehr Städte des Landes aus und war eine Form des Protests gegen Korruption, die Beschneidung von Rechten und ausbleibende politische Reformen.
Mit einer Änderung der Bestimmungen zur Verwaltung von Publikationen wurde im März 2011 die Vorgabe ergänzt, dass Personen, die Publikationen über das Internet oder Informationsnetzwerke verbreiten, eine Lizenz dafür benötigen, andernfalls müssten sie mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Die Behörden stellten eine Reihe von Publikationen, in denen Artikel zu brisanten Themen veröffentlicht worden waren, vollständig ein oder nahmen sie unter ihre direkte Kontrolle. Berichten zufolge wurden zudem Hunderte von Wörtern für SMS-Nachrichten gesperrt, darunter die Begriffe "Demokratie" und "Menschenrechte".
Die Behörden setzten ihre Praxis der Drangsalierung, Einschüchterung, Verfolgung und Kriminalisierung von Demokratiebefürwortern und Menschenrechtsverteidigern fort. Anhänger der Chinesischen Demokratischen Partei wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.
Die Zahl der Opfer von Verschwindenlassen stieg 2011 an. Viele von ihnen wurden an einem geheimen Ort in Gewahrsam gehalten, so auch der mongolischstämmige politische Aktivist Hada. Viele andere Personen standen weiterhin unter Hausarrest und weitere kamen hinzu, gegen die diese rechtswidrige Form der Strafe verhängt wurde. Zu ihnen gehörten Liu Xia, die Frau des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo und der Anwalt Zheng Enchong aus Shanghai, der sich für die Rechte von zu Unrecht aus ihren Wohnungen vertriebenen Menschen eingesetzt hatte.
Am 30. August veröffentlichten die Behörden einen Änderungsentwurf der Strafprozessordnung, die erste vorgeschlagene Novellierung seit 1997. Ungeachtet einiger positiver Änderungen gehörte zu den Vorschlägen auch die rechtmäßige Inhaftierung von Personen ohne Benachrichtigung ihrer Familie oder Freunde für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten. In vielen Rechtskommentaren wurde dies als eine Legalisierung des Verschwindenlassens betrachtet. Der Entwurf enthielt das Verbot der Verwendung rechtswidriger Beweismittel, darunter erzwungene Geständnisse und andere Beweise, die sich auf Folter oder andere Misshandlungen gründeten. Dennoch war Folter in Hafteinrichtungen nach wie vor weit verbreitet, da mit politischen Richtlinien der Regierung ein die Folter begünstigendes Klima geschaffen wurde. Dazu gehörte die Vorgabe an das Justizvollzugspersonal in Haftanstalten und Untersuchungsgefängnissen, religiöse Dissidenten "umzuformen", damit sie ihrem Glauben abschwören.
Die Zahl der Vertreibungen von Bürgern aus ihren Wohnungen und von ihren Bauernhöfen ohne Einhaltung des Rechtswegs und ohne Entschädigungsleistung stieg an, und es wurde dabei in zunehmendem Maße Gewalt angewendet. Der Staatsrat, die Regierung des Landes, erließ am 21. Januar 2011 neue Bestimmungen in Bezug auf die Enteignung von Häusern in städtischen Gebieten. Dies war zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber die Bestimmungen bezogen sich lediglich auf Stadtbewohner, die Besitzer einer Eigentumswohnung waren, jedoch nicht auf Mieter und andere Personen ohne Wohneigentum, so dass die Mehrheit der Chinesen rechtswidrigen Zwangsräumungen weiterhin schutzlos ausgeliefert war.
Der Nationale Volkskongress verabschiedete im Februar 2011 die achte Revision des chinesischen Strafgesetzbuchs, mit der die Todesstrafe für 13 Straftatbestände abgeschafft wurde. Gleichzeitig hat man jedoch neue Tatbestände eingeführt, die mit dem Tode geahndet werden können, und bei anderen die Anwendung der Todesstrafe ausgeweitet. In China kam die Todesstrafe im Berichtsjahr weiterhin in großem Umfang zum Einsatz, u.a. auch für Straftaten ohne Gewaltanwendung und als Ergebnis unfairer Gerichtsverfahren. Schätzungen zufolge ging die Zahl der Hinrichtungen in die Tausende. Statistiken über Todesurteile und Exekutionen unterlagen jedoch nach wie vor der Geheimhaltung.
Die Behörden verfolgten weiterhin das Ziel, alle religiösen Aktivitäten unter staatliche Kontrolle zu bringen. Dies schloss die staatliche Aufsicht über die Glaubenslehren, die Ernennung von Geistlichen, die Registrierung von Religionsgemeinschaften und den Bau von Kultstätten ein. Personen, die ihre Religion trotz eines staatlichen Verbots oder ohne behördliche Genehmigung ausübten, waren in Gefahr, drangsaliert, inhaftiert, zu Gefängnisstrafen verurteilt und in manchen Fällen auch Opfer gewaltsamer Übergriffe zu werden. Zu den verbotenen Religionsgemeinschaften gehörten im Verborgenen aktive protestantische Hauskirchen und Katholiken, die den Vatikan als Autorität anerkannten. Der Verbleib von etwa 40 katholischen Bischöfen war weiterhin ungeklärt, wobei angenommen wurde, dass sie sich in Gewahrsam der Behörden befanden.
Falun Gong
Die Behörden setzten ihr systematisches, landesweites und oftmals gewaltsames Vorgehen gegen die seit 1999 verbotene und als "ketzerische Sekte" eingestufte spirituelle Bewegung Falun Gong fort. Es war das zweite Jahr einer von der Regierung betriebenen dreijährigen Kampagne mit dem Ziel, die "Umformungsraten" bei Falun-Gong-Anhängern zu erhöhen. Dies geschah, indem Druck auf die Betroffenen, oftmals in Form psychischer oder körperlicher Folter, ausgeübt wurde. Personen, die sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören, und die ihre Falun-Gong-Praktiken fortsetzten, mussten damit rechnen, in steigendem Maße misshandelt oder gefoltert zu werden. Die Behörden betrieben zu diesem Zweck illegale Hafteinrichtungen, die gemeinhin als "Zentren zur Gehirnwäsche" bezeichnet wurden. Nach Angaben von Falun Gong starb alle drei Tage einer ihrer Anhänger in staatlichem Gewahrsam oder kurz nach der Haftentlassung, außerdem sei der Verbleib Tausender ihrer Anhänger ungeklärt.
Der Mord an dem mongolischen Hirten namens Mergen, der am 10. Mai 2011 von einem Han-Chinesen verübt wurde, löste in der ganzen Region massive Proteste aus. Bereits davor waren die Beziehungen zwischen den Volksgruppen angespannt gewesen, da die einheimischen Viehhirten ihre Lebensgrundlage durch Landnahme und durch von Mineralölgesellschaften verursachte Umweltschäden auf dem Weideland ihrer Herden bedroht sahen. Viele der Mineralölunternehmen waren im Besitz von Angehörigen des Mehrheitsvolks der Han-Chinesen.
Die Behörden verschärften ihre Sicherheitsmaßnahmen durch mehrere aufeinanderfolgende Kampagnen mit der Bezeichnung "Hartes Durchgreifen", in deren Folge Patrouillen rund um die Uhr und "die Mobilisierung aller Kräfte der Gesellschaft zum Abwehrkampf" angeordnet wurden. Die Kampagne richtete sich gegen Handlungen, die von den Behörden als Gefährdung der staatlichen Sicherheit eingestuft wurden. In Urumqi wurden Berichten zufolge ganze Stadtviertel durch die Einrichtung von Kontrollpunkten der Sicherheitskräfte abgeriegelt.
Aufgrund sehr starker Beschränkungen des Informationsflusses innerhalb der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang (Sinkiang) und nach außen blieb das Schicksal vieler Hunderter Menschen ungeklärt, die nach der Niederschlagung der Proteste in Urumqi von 2009 inhaftiert worden waren.
Im Januar verwies der Vorsitzende des Oberen Volksgerichts der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang auf laufende Verfahren im Zusammenhang mit den Protesten von 2009, ohne dass die Behörden nähere Angaben zu den Gerichtsverfahren verlauten ließen. Die Familienangehörigen von Inhaftierten wurden vielfach über deren Schicksal und Verbleib nicht unterrichtet. Zudem wagten sie es oftmals aus Angst vor staatlichen Repressalien nicht, mit Menschen außerhalb Chinas zu kommunizieren.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang weiterhin massiv beschnitten, u.a. durch vage formulierte Straftatbestände wie "ethnischen Separatismus" und "Terrorismus", wozu auch die Verteilung von Informationsmaterial oder literarischen Werken mit "separatistischen Inhalten" gehörte.
Die chinesische Regierung übte wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf Kasachstan, Malaysia, Pakistan, Thailand und andere Länder aus, um zu erreichen, dass mehr als ein Dutzend Uiguren gegen ihren Willen zurückgeführt oder an die chinesischen Behörden ausgeliefert werden.
Uiguren waren nach ihrer Rückführung in die Volksrepublik China einem hohen Risiko von Folter, willkürlicher Inhaftierung sowie unfairen Prozessen ausgesetzt und hatten in Gewahrsam häufig keinen Kontakt zur Außenwelt.
Im Zeitraum vom 16. März bis zum Jahresende 2011 haben sich in den von Tibetern bewohnten Landesteilen zehn tibetische Mönche bzw. ehemalige Mönche und zwei Nonnen selbst angezündet. Man nimmt an, dass sechs von ihnen dadurch gestorben sind. Diese Proteste richteten sich offenbar gegen zunehmend als Bestrafung empfundene Sicherheitsmaßnahmen, die religiösen Institutionen und Laiengemeinden in der Region nach den Protesten vom März 2008 auferlegt wurden. Die erste dieser Serie von Selbstverbrennungen, die dem Tod von Phuntsok Jarutsang folgte, hatte Proteste, Massenfestnahmen (u.a. von 300 Mönchen des Klosters Kirti), Fälle von Verschwindenlassen und möglicherweise auch Tötungen durch die Sicherheitskräfte zur Folge.
Bei Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und der ortsansässigen Bevölkerung, die versucht hatte, Festnahmen zu verhindern, kamen zwei ältere Tibeter, ein Mann und eine Frau, zu Tode. Eine dritte Person erlag ihren Verletzungen, die sie erlitten hatte, als Polizisten vor einer Polizeiwache gegen Demonstrierende vorgingen. Mehrere Menschen wurden im Zusammenhang mit den Selbstverbrennungen zu Freiheitsstrafen von drei bis 13 Jahren verurteilt. Trotz dieser Verzweiflungstaten machten die chinesischen Behörden keine Anstalten, auf die tiefer liegenden Ursachen dieser Proteste einzugehen oder die Anliegen der Tibeter zur Kenntnis zu nehmen.
Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
Die Sicherheitskräfte und die Polizei setzten übermäßige Gewalt gegen friedliche Protestierende ein.
Während des dreitägigen Besuchs des stellvertretenden chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang in Hongkong richtete die Polizei im August 2011 sogenannte Kernsicherheitszonen ein, um Demonstrierende und die Presse von dem Staatsgast fernzuhalten. Mitglieder des Gesetzgebenden Rats (LegCo) und andere kritisierten, dass diese Maßnahmen überzogen seien und das Recht auf freie Meinungsäußerung aushöhlten. Die Polizei zerrte einen Bürger Hongkongs weg, der ein T-Shirt zum Gedenken an das Massaker von 1989 auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens trug.
Rechtliche Entwicklungen
Die Regierung legte im Juni 2011 umstrittene Vorschläge vor, wonach es unter bestimmten Umständen nach der vorzeitigen Beendigung eines Mandats eines Mitglieds des Gesetzgebenden Rats keine Nachwahlen mehr geben solle.
Im selben Monat veröffentlichte der Ausschuss für Rechtsreformen ein Konsultationspapier zur Einführung eines Gesetzes über gemeinnützige Tätigkeiten und eines entsprechenden Ausschusses. Amnesty International und andere Bürgerrechtsgruppen kritisierten die in dem Vorschlag enthaltene Definition einer gemeinnützigen Tätigkeit. Die Definition schloss Menschenrechtsengagement aus, während sie das Engagement in 13 anderen Bereichen, u.a. dem Tierschutz, anerkannte.
Diskriminierung
Am 30. September 2011 gab das Obere Gericht der Klage einer philippinischen Hausangestellten statt und erklärte Einwanderungsbestimmungen für verfassungswidrig, mit denen man ausländischen Hausangestellten das Recht vorenthalten hatte, einen Antrag auf ein Bleiberecht zu stellen. Die Regierung legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel ein. Nach Auffassung von Kritikern der Regierung in dieser Frage stellte das Verbot eine ethnische Diskriminierung dar.
Am 25. November 2011 wurde das Rechtsmittel einer Transsexuellen in zweiter Instanz abgewiesen, das sie gegen die Entscheidung eingelegt hatte, ihr nach ihrer operativen Geschlechtsumwandlung nicht zu gestatten, ihren Freund zu heiraten. Das Berufungsgericht erklärte in dieser Sache, dass etwaige Gesetzesänderungen dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten oblägen. Die Klägerin kündigte an, sich mit ihrem Fall an das Berufungsgericht der letzten Instanz zu wenden.
Flüchtlinge und Asylssuchende
Im Juli 2011 führte die Regierung das Einwanderungsgesetz (Novelle) 2011 als ersten Schritt in Richtung eines Rechtsrahmens für die Behandlung von Klagen unter Berufung auf das UN-Übereinkommen gegen Folter ein.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights (Periodischer Bericht, Englisch)