Konfliktporträt: Kaschmir

Die Situation in der Kaschmir-Region hat sich spürbar entspannt. Die Konfliktparteien Pakistan und Indien haben sich angenähert. Der Weg zu einer Lösung ist aber noch lang und steinig.

Aktuelle Situation



Im Tal von Kaschmir gehören seit Ende der 1980er Jahre Unruhen und Anschläge zum Alltag, die die Region in unterschiedlich starken Wellen mit Terror überziehen. Nach dem Tod eines 17-jährigen Schülers im Sommer 2010, der in eine Auseinandersetzung zwischen Randalierern und Polizei geraten war, eskalierte die Gewalt in Kaschmir wieder einmal massiv. Diese ständig wiederkehrenden Unruhen fordern nach wie vor Todesopfer in der Region.

Seit den Terroranschlägen in Mumbai vom November 2008 waren die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan auf einem Tiefpunkt angelangt und über einen längeren Zeitraum de facto nicht mehr existent. Die anhaltende Gewalt nach den Ausschreitungen im Sommer 2010 hatte die Regierungen Indiens und Pakistans jedoch wieder an den Verhandlungstisch gezwungen, um die angespannte Situation zu entschärfen. Als erstes Zeichen des guten Willens hatte die indische Regierung unter Premierminister Manmohan Singh im März 2011 den pakistanischen Premierminister Reza Gilani zum Halbfinalspiel der Cricket-Weltmeisterschaft zwischen Indien und Pakistan in Mohali eingeladen. Diesem ersten symbolischen Treffen der Premierminister folgten weitere Treffen auf Regierungsebene. In der Folge wurden Visa- und Reise-Restriktionen gelockert und auf wirtschaftlicher Ebene Erleichterungen im Bereich Investitionen und Handel umgesetzt.

Obwohl damit grundlegende Widersprüche und Probleme zwischen Indien und Pakistan keineswegs ausgeräumt wurden, verbesserten sich die Beziehungen zwischen den Staaten seither deutlich, was auch zu einer Entspannung und Verbesserung der Sicherheitslage in Kaschmir geführt hat.

Doch trotz der Wiederaufnahme der indisch-pakistanischen Friedensgespräche und offensichtlicher Erfolge ist eine schnelle und vor allem dauerhafte Lösung des Konflikts noch längst nicht in Sicht. So gibt es zwar deutliche Anzeichen dafür, dass beide Seiten an einer engeren Abstimmung und Zusammenarbeit interessiert sind. Wichtige Bereiche sind der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und der Ausbau der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Dass die Friedensgespräche künftig vielleicht doch größere Erfolgschancen haben könnten, lässt sich nicht nur an der Ausweitung der wirtschaftlichen Kooperation, sondern auch daran ablesen, dass trotz eines erneuten Attentats vermutlich islamistischer Terroristen im Juli 2011 in Mumbai die Friedensgespräche nicht abgebrochen wurden.

Eine endgültige Lösung des Konfliktes oder schnelle, nachhaltige Ergebnisse hinsichtlich des Kaschmir-Problems sind kurzfristig nicht zu erwarten. Dazu sind die Positionen beider Staaten bezüglich der Region Kaschmir nach wie zu unterschiedlich und kaum auf einen Nenner zu bringen. Während Indien auf ein Ende der Unterstützung der kaschmirischen Separatisten und des islamistischen Terrors gegen Ziele in Indien drängt, fordert Pakistan eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, was von der indischen Seite allerdings nach wie vor strikt abgelehnt wird.

Ursachen und Hintergründe


Indien und Pakistan kämpfen seit der Teilung des indischen Subkontinents (1947) um den ehemaligen Fürstenstaat. Die Kolonialmacht Großbritannien, die beide Staaten im August 1947 in die Unabhängigkeit entließ, hatte die Teilung nach religiösen Kriterien vorgenommen. Gebiete, die mehrheitlich von Hindus bewohnt waren, wurden Indien und jene mit muslimischer Mehrheit Pakistan zugesprochen.

Das geostrategisch günstig gelegene Kaschmir ist heute zwischen Indien, Pakistan und China aufgeteilt. Im Nordosten grenzt es an Afghanistan und ist mit einer Fläche von etwa 222.000 km² fast so groß wie Großbritannien. Der Streit um die Region Kaschmir ist nicht nur eine Auseinandersetzung um das bloße Territorium. Der Konflikt ist auf vielen Ebenen angesiedelt und ziemlich komplex; und er hat für beide Staaten eine starke innenpolitische Dimension. Für Pakistan bedeutet der Verlust eines überwiegend von Moslems bewohnten Gebiets eine Bedrohung seiner islamischen Identität. Die Gründung des pakistanischen Staats war vor allem mit religiösen und kulturellen Argumenten gerechtfertigt worden. Für den indischen Staat, der sich der Trennung von Staat und Religion verschrieben hat, war und ist Kaschmir dagegen der Beweis, dass Menschen aller Religionen und Kulturen in Indien eine Heimstätte finden können. Der Kaschmir-Konflikt dient somit der Legitimation der beiden politischen Systeme. Zusätzlich wird der Konflikt durch ökonomische, soziale und religiöse Differenzen verschärft.

Seit den 1990er Jahren hat sich der Konflikt weiter intensiviert, verstärkt durch die Kriege in Afghanistan und die zunehmende Islamisierung Pakistans. Dazu hat vor allem die vermehrte Bildung islamistischer Vereinigungen in Kaschmir beigetragen. Diese Gruppen überziehen Zivilbevölkerung und öffentliche Einrichtungen mit brutalem Terror. Die Schätzungen belaufen sich auf 43.000 Todesopfer durch terroristische Anschläge und Verfolgungen seit 1988. Nach Einschätzung vieler Beobachter ist die Dunkelziffer noch weitaus höher. Dennoch muss hier konstatiert werden, dass die Zahl der Todesopfer seit einigen Jahren deutlich rückläufig ist.[1]

Bearbeitungs- und Lösungsansätze



Bemühungen zur Bewältigung des Kaschmir-Konflikts hat es im Laufe der Zeit einige gegeben. Die UNO hat sich bereits kurz nach ihrer Gründung des Problems angenommen; der Konflikt ist seither zu einem Dauerthema auf der Agenda von Sicherheitsrat und Vollversammlung geworden. Bereits im Januar 1949 wurde eine UN-Beobachtermission (United Nations Military Observer Group in India and Pakistan – UNMOGIP) in das umkämpfte Gebiet entsandt, die die Einhaltung des Waffenstillstands überwachen soll. Bis heute konnte die UNMOGIP jedoch die Kriege zwischen Indien und Pakistan nicht verhindern. Es ist fraglich, ob die Beobachtermission überhaupt einen messbaren Einfluss ausübt, zumal sie von indischer Seite abgelehnt wird.

Einer der ersten bedeutenden Vorschläge, der 1950 vom australischen Richter und Diplomaten Owen Dixon ausgearbeitet wurde, sah vor, die von Indien kontrollierten Gebiete Jammu und Ladakh bei Indien zu belassen und die von Pakistan kontrollierten Gebiete Baltistan und Gilgit Pakistan zuzusprechen. Über das Schicksal des Tals von Kaschmir sollte eine Volksabstimmung durchgeführt werden, in welcher die Kaschmiris über ihr politisches Schicksal und darüber entscheiden, welchem Staat sie sich anschließen wollten. Der Plan scheiterte letztlich an den gegensätzlichen Positionen beider Seiten. Während Pakistan eine Volksabstimmung im gesamten Kaschmir befürwortet, wird diese von indischer Seite grundsätzlich ablehnt. Der Dixon-Plan wirkt gleichwohl bis heute politisch nach und ist wegen seiner prägnanten Analyse und der Klarheit und Einfachheit der vorgeschlagenen Lösungen für die Bewohner von Kaschmir noch immer eine der bestmöglichen Optionen.

Andere Ansätze, wie beispielsweise die Überlegung, die Waffenstillstandslinie (Line of Control) in eine internationale Grenze und damit in eine indisch-pakistanische Staatsgrenze umzuwandeln, würden auch von den Vereinigten Staaten, der Volksrepublik China sowie den Vereinten Nationen mitgetragen. Jedoch beanspruchen sowohl Pakistan als auch Indien das gesamte Gebiet Kaschmir für sich. Zudem hat Indien die Line of Control als unrechtmäßig bezeichnet. Daher ist auch dieser Ansatz in absehbarer Zukunft nicht durchsetzbar.

Geschichte des Konflikts



Die Briten hatten während ihrer Kolonialherrschaft nach dem Grundsatz "Teile und Herrsche" die Bewohner des indischen Subkontinents vor allem nach ihrer Religionszugehörigkeit eingeteilt. Damit wollten sie der Bildung einer einheitlichen Identität entgegenwirken, um so einem gemeinsamen Unabhängigkeitskampf aller religiösen Gemeinschaften die Grundlage zu entziehen. Mit dieser Politik schufen sie die Voraussetzungen für die spätere Teilung Britisch-Indiens. Die zum Zeitpunkt der Teilung existierenden über 500 Fürstentümer hätten, rein rechtlich gesehen, jedes für sich in die Unabhängigkeit entlassen werden müssen. Doch die indische Regierung brachte die Fürstentümer mehr oder weniger gewaltlos dazu, sich der Indischen Union anzuschließen.

Beim Fürstentum Kaschmir gestalteten sich die Umstände jedoch anders. Hier herrschte ein Hindufürst, Maharadscha Hari Singh, über eine Muslimmehrheit. Anders als bei den meisten anderen Fürstenstaaten wäre aufgrund der Größe seines Territoriums die Bildung eines eigenen überlebensfähigen und unabhängigen Staates möglich gewesen. Das wollten aber weder Pakistan noch Indien akzeptieren.

Als pakistanische Freischärler im Herbst 1947 gewaltsam in Kaschmir eindrangen, bat der Maharadscha Indien um Militärhilfe, welche aber erst nach Unterzeichnung einer Beitrittsurkunde zur Indischen Union gewährt wurde. Diese Entwicklungen führten zum ersten Indisch-Pakistanischen Krieg (1947-1949), der mit der Teilung Kaschmirs und einem Waffenstillstand unter UNO-Beobachtung endete. 1965 und 1971 wurden weitere Kriege zwischen den beiden Staaten ausgetragen.

Seit dem ersten Kaschmir-Krieg ist das Territorium durch die Waffenstillstandslinie (Line of Control) geteilt. Indien verwaltet mit dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir den größeren und wichtigeren Teil, während Pakistan mit Azad Kaschmir und den Northern Territories den kleineren Teil kontrolliert. Darüber hinaus gibt es noch ein Gebiet – das Aksai Chin. Es steht seit dem Indisch-Chinesischen Krieg von 1962 unter chinesischer Kontrolle.

Bis heute wird der Kaschmir-Konflikt zusätzlich durch komplexe verfassungs-, völker- und menschenrechtliche Probleme belastet. Vor allem der Mangel an Selbstbestimmung des kaschmirischen Volkes und die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Region tragen immer wieder dazu bei, den Konflikt anzufachen.

Literatur



Ali, Tariq/ Bhatt, Hilal/ Chatterji, Angana P. u.a. (Hrsg.) (2011): Kashmir: The Case for Freedom, London: Verso.

Chadda, Maya (2013): India in 2012: Spiraling Down? In: Asian Survey, Vol. 53, No. 1, January/February 2013, S. 47-63

Hoff, Henning (2011): Höher als Berge, tiefer als Ozeane? Pakistan versucht, die "chinesische Karte" zu spielen, in: Internationale Politik, Vol. 4, Juli/August 2011, S. 128-131.

Rösel, Jakob (2003): Ist der Kaschmir-Konflikt lösbar? In: Meyer, Günter/ Pütz, Robert/ Thimm, Andreas (Hrsg.): Terrorismus und Dritte Welt. Veröffentlichungen des Interdisziplinären Arbeitskreises Dritte Welt, Band 16, Mainz, S. 19-35.

Schoefield, Victoria (2010): Kashmir in Conflict: India, Pakistan and the Unending War, London: I.B. Tauris.

Rothermund, Dietmar (2002): Krisenherd Kaschmir: Der Konflikt der Atommächte Indien und Pakistan, München: Beck.

Links



»Studien und Forschungspapiere der Stiftung Wissenschaft und Politik« »Südasien Info«

»UNMOGIP – United Nations Military Observer Group in India and Pakistan«

Fußnoten

1.
»South Asia Terrorism Portal. Online. Zugriff 11.11.2013«
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