Dokument #2130155
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Autor)
22. September 2025
Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, sowie gegebenenfalls auf Auskünften von Expert·innen und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
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Situation für stark tätowierte Personen seit Regierungswechsel (Bestrafung, Misshandlung, Hinrichtung)
Vorkommen von Tätowierungen
Welches Schariagesetz wäre für tätowierte Menschen relevant? Welche Strafen werden vorgesehen?
Quellen
Anhang: Informationen aus ausgewählten Quellen
Ausschnitte aus den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen finden Sie im Anhang.
In dieser Anfragebeantwortung werden nutzergenerierte Inhalte aus sozialen Medien wie Foren, Blogs oder sozialen Netzwerken angeführt. Bitte beachten Sie bei der Verwendung solcher Informationen, dass diese in vielen Fällen nicht hinreichend überprüfbar sind.
Situation für stark tätowierte Personen seit Regierungswechsel (Bestrafung, Misshandlung, Hinrichtung)
Es konnten keine Informationen zum Umgang der neuen Regierung mit tätowierten Personen gefunden werden. Dies lässt nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf die Lage von tätowierten Personen zu. Gesucht wurde auf Englisch, Deutsch und Arabisch mittels ecoi.net, Factiva, und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: tattooed, tattoo, syrian men, hts, interim government, parlour closed, banned, assaulted, attacked
Quellen berichten über die Einstellung der HTS [Hay’at Tahrir Al-Scham], die bis zum Sturz der Assad-Regierung im Dezember 2024 die Region Idlib und Teile Aleppos kontrollierte, zu Tätowierungen:
Die pro-iranische und pro-schiitisch ausgerichtete Nachrichtenseite Alwaght beschreibt in einem Artikel vom Dezember 2024 die Art der Regierungsführung von Hay’at Tahrir Al-Scham (HTS) in Idlib. Bezugnehmend auf Berichte der New York Times zum Alltagsleben in von der HTS kontrollierten Gebieten zwischen 2018 und 2020 wird beschrieben, dass unter anderem Cafés geschlechtergetrennt gewesen seien, Musik verboten gewesen sei und Frauen zur Verschleierung verpflichtet worden seien. Außerdem seien Männer mit Tätowierungen schlechter Behandlung ausgesetzt gewesen („mistreatment“) (Alwaght, 27. Dezember 2024). Die arabische Medienplattform Noonpost berichtet im Jänner 2024, dass die mit der HTS verbundene Heilsregierung in Idlib ein sogenanntes Gesetz zur öffentlichen Moral erlassen und eine Moralpolizei eingerichtet habe, deren Aufgabe die Umsetzung des Gesetzes gewesen sei. Eine der Bestimmungen sei das Verbot von Tätowierungen gewesen (Noonpost, 4. Jänner 2024).
Ein Nutzer mit dem Namen Aeedy erklärt in einem im September 2025 auf Tiktok geposteten Video, dass es in Syrien ungewöhnlich sei, Tätowierungen zu haben („not normal“), insbesondere für Sunnit·innen. Wenn man tätowiert sei und eine sunnitische Frau heiraten wolle, dann erlaube ihre Familie das nicht (@aeddy339, 7. September 2025).
Ein britischer Reise-Influencer mit Nutzernamen kieranbrowntravel veröffentlicht im März 2025 ein Video auf Tiktok, in dem das Tattoostudio Karem in Damaskus gezeigt wird (@kieranbrowntravel, 20. März 2025).
Ein älterer Artikel der syrischen Nachrichtenwebseite Enab Baladi berichtet über Gesichtstätowierungen (Daqq) bei älteren Frauen arabischer Stämme im Norden des Landes, aber auch über Tätowierungen christlicher Symbole bei Christinnen in der Küstenregion (Enab Baladi, 28. Juli 2023). Ein weiterer Artikel von Enab Baladi vom August 2024 beschreibt, wie mehrere junge Männer in der Provinz Aleppo Einrichtungen aufsuchen würden, die auf Tätowierungsentfernung spezialisiert seien. Grund für die Entfernung seien negative Reaktionen aus dem Umfeld und gesellschaftliche Einstellungen gegenüber Tätowierungen. Laut einem Mann würden Tattoos oft als Symbol negativer Erfahrungen im Leben der tätowierten Person gesehen, was zu sozialer Ausgrenzung führe (Enab Baladi, 5. August 2024).
Die libanesische Tageszeitung Al-Nahar schreibt im November 2024, dass sich das Phänomen von Tätowierungen in Syrien ausbreite. Junge Leute würden sich an unterschiedlichen Körperstellen tätowieren, an sichtbaren Stellen und solchen, die von Kleidung bedeckt würden. Das Phänomen sei nicht gänzlich neu, es sei jedoch zuvor auf eine eingegrenzte Gruppe beschränkt gewesen. Man habe Tätowierungen mit Personen von schlechtem Ruf in Verbindung gebracht, darunter Häftlinge und gefährliche Personen. Laut Erklärung eines Soziologen sehe man in Syrien einen allgemeinen Trend zum Tätowieren, unter Jugendlichen wie auch Erwachsenen, selbst innerhalb konservativer Familien. In manchen Fällen würden die Tätowierungen Ereignisse des Krieges widerspiegeln, zum Beispiel das Datum des Todes von Angehörigen, das Bild eines verstorbenen Angehörigen, oder auch religiöse oder politische Symbole. Islamische Kleriker würden Tätowierungen ablehnen, da es sich dabei in ihren Augen um eine Veränderung der Schöpfung handle, was als verwerflich gelte (Al-Nahar, 23. November 2024).
Welches Schariagesetz wäre für tätowierte Menschen relevant? Welche Strafen werden vorgesehen?
Es konnten keine Informationen zu gesetzlichen Bestimmungen in Syrien in Bezug auf Tätowierungen gefunden werden. Gesucht wurde auf Englisch, Deutsch und Arabisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: syria, interim government, sharia, law, tattoos, banned. Im Folgenden finden Sie allgemeine Informationen zum islamischen Recht, zum aktuellen Rechtssystem in Syrien, sowie ein Rechtsgutachten (Fatwa) eines einflussreichen sunnitischen Rechtsgelehrten zum Thema Tätowierungen.
Die schweizerische Beratungsstelle Humanrights.ch und die Encyclopaedia Britannica stellen auf ihren jeweiligen Webseiten erklärende Artikel zum islamischen Recht, der Scharia, bereit: Laut Humanrights.ch handle es sich dabei nicht um ein „kanonisiertes islamisches Religionsrecht mit klar definierten allgemeingültigen Normen“ (Humanrights.ch, 27. Jänner 2023). Im Vergleich zu westlichen Rechtssystemen sei der Geltungsbereich der Scharia viel breiter, weil sie nicht nur die Beziehung zwischen den Menschen regele, sondern auch die Beziehung zu Gott (zum Beispiel durch rituelle Handlungen) und zum eigenen Gewissen (Encyclopaedia Britannica, zuletzt aktualisiert 19. September 2025). Es handle sich bei der Scharia nicht um ein Gesetzbuch, sondern um eine Vielzahl an Interpretationen religiöser Texte. Die Einhaltung der aus den Texten abgeleiteten Normen erfolge „freiwillig und aus individueller Überzeugung oder auf sozialen Druck durch eine Gemeinschaft oder eine machthabende Instanz“ (Humanrights.ch, 27. Jänner 2023). Humanrights.ch führt zudem Folgendes im Hinblick auf die religiösen Autoritäten aus, die islamisches Recht auslegen:
„Im islamischen Recht gibt es keine für alle muslimischen Gläubigen und Strömungen verbindliche autoritäre Instanz. Es existieren verschiedene Rechtsschulen und eine grosse Meinungsvielfalt zwischen den Rechtsgelehrten. Zudem gibt es eine Vielzahl an islamischen Rechtsgelehrten (fuqahā), sowie Rechtsberater*innen (muftī) und Richter*innen (qādī). Muftis beraten Richter*innen und Politiker*innen, geben Unterricht, vermitteln in Konflikten und erstellen Rechtsgutachten – Fatwas – für Einzelfälle. Gläubige sind nicht an bestimmte Muftis gebunden und können ihre Fragen über Fatwa-Seiten auch im Internet stellen. Schariagerichte richten hauptsächlich in Fragen des Familien- und Erbrechts.“ (Humanrights.ch, 27. Jänner 2023)
Lara Eid Jreissati, eine Juristin mit den Spezialgebieten internationales Strafrecht, humanitäres Recht und Menschenrechtsrechte, beschreibt in einem Artikel vom Frühling 2025 das Rechtssystem unter der Übergangsregierung von Präsident Ahmad Al-Scharaa. Am 13. März 2025 sei eine auf fünf Jahre begrenzte „vorübergehende Verfassung” verabschiedet worden. Darin werde islamisches Recht als Hauptquelle der Gesetzgebung festgelegt.[1] Religiöse Gerichte würden sich innerhalb des syrischen Rechtssystems mit Fragen des Personenstands befassen, da für die verschiedenen Religionsgemeinschaften unterschiedliche Rechtsvorschriften bezüglich des Personenstands (wie Eheschließung, Scheidung und Erbschaft) gelten würden. Bei syrischen Muslim·innen seien in Personenstandsfragen die Schariagerichte zuständig, die islamisches Recht anwenden würden. Drus·innen und Christ·innen hätten ihre eigenen Personenstandsgerichte (Jreissati, März/April 2025).
Das panarabische Nachrichtenportal The New Arab und die syrische Zeitung Zaman Al-Wasl berichten im März 2025 über die Ernennung eines neuen Großmuftis von Syrien durch Präsidenten Al-Scharaa, verbunden mit der Einrichtung eines Obersten Fatwa-Rates (Supreme Fatwa Council, Arabisch: Madschlis Aala li-l-Ifta‘) (The New Arab, 29. März 2025; Zaman Al-Wasl, 28. März 2025). Beim Großmufti handle es sich um Osama Al-Rifai, der 2012 aus Syrien geflohen sei und sich in Istanbul niedergelassen habe, wo er Vorsitzender des Syrischen Islamischen Rates geworden sei, einem Gremium, das von der syrischen Opposition unterstützt worden sei (The New Arab, 29. März 2025).
Zu den Aufgaben des neu eingerichteten Fatwa-Rates würden laut Beschluss des Präsidenten der Erlass von Fatwas (religiösen Rechtsgutachten, Anm. ACCORD) zu neuen Entwicklungen, Vorfällen und allgemeinen Fragen zählen, sowie die Verkündung von Scharia-Urteilen zu ihm vorgelegten Fällen und die Ernennung von Muftis und Fatwa-Ausschüssen in den Provinzen (Zaman Al-Wasl, 28. März 2025). Der Großmufti Al-Rifa’i nehme den Vorsitz des Fatwa-Rates ein (Al Jazeera, 2. April 2025).
Es konnte keine aktuelle Webseite des Obersten Fatwa-Rates gefunden werden, lediglich die Webseite des ehemaligen der Opposition angehörigen Fatwa-Rates im Ausland (Mu’assasa Al-Ifta‘, ohne Datum), als dessen Mitglied Osama Al-Rifa’i ebenfalls als Großmufti Fatwas und Bekanntmachungen veröffentlichte (siehe zum Beispiel Mu’assasa Al-Ifta‘, 28. April 2023). Auf dieser Webseite konnten keine Rechtsgutachten zu Tätowierungen gefunden werden.
Auf der Webseite des 1999 verstorbenen saudischen Rechtsgelehrten Ibn Baz, dem ehemaligen Großmufti von Saudi-Arabien[2] (The Guardian, 25. Mai 1999), findet sich eine von ihm erlassene Fatwa zum Thema Tätowierungen. Die Fatwa besagt, dass Tätowierungen verboten seien, unabhängig an welcher Körperstelle, da es sich dabei um eine Veränderung der Schöpfung Gottes handle. Die tätowierte Person sei von Gott „verflucht“. Falls das Tätowieren in der Vergangenheit in Unwissenheit [der religiösen Vorschriften] erfolgt sei, dann reiche Sühne aus. Wenn eine Person aber bereits vom Verbot wisse, dann solle sie sich auch daran halten (Binbaz, ohne Datum).
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 22. September 2025)
· @aeddy339 - Aeedy: Tiktok-Video, 7. September 2025
https://www.tiktok.com/@aeddy339/video/7547284109463260424
· @ kieranbrowntravel – kieranbrowntravel: Tiktok-Video, 20. März 2025
https://www.tiktok.com/@kieranbrowntravel/video/7483971546747358486?q=syria%20tattoo&t=1757421712610
· Al Jazeera: Oberster Fatwarat in Syrien – seine Aufgaben und herausragendste Mitglieder [Arabisch], 2. April 2025
https://www.aljazeera.net/encyclopedia/2025/4/2/%D9%85%D8%AC%D9%84%D8%B3-%D8%A7%D9%84%D8%A5%D9%81%D8%AA%D8%A7%D8%A1-%D8%A7%D9%84%D8%A3%D8%B9%D9%84%D9%89-%D9%81%D9%8A-%D8%B3%D9%88%D8%B1%D9%8A%D8%A7-%D9%85%D9%87%D8%A7%D9%85%D9%87
· Al-Nahar: Das Phänomen der Tätowierung breitet sich in Syrien aus – Eingravierung von Erinnerungen auf dem Körper und globaler Trend [Arabisch], 23. November 2024
https://www.annahar.com/arab-world/arabian-levant/173472/%D8%B8%D8%A7%D9%87%D8%B1%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D9%88%D8%B4%D9%85-%D8%AA%D9%86%D8%AA%D8%B4%D8%B1-%D9%81%D9%8A-%D8%B3%D9%88%D8%B1%D9%8A%D8%A7%D9%86%D9%82%D8%B4-%D8%A7%D9%84%D8%B0%D9%83%D8%B1%D9%8A%D8%A7%D8%AA-%D8%B9%D9%84%D9%89-%D8%A7%D9%84%D8%A3%D8%AC%D8%B3%D8%A7%D8%AF-%D9%88%D9%85%D9%88%D8%B6%D8%A9-%D8%B9%D8%A7%D9%84%D9%85%D9%8A%D8%A9
· Alwaght: What Are the Big Obstacles ahead of HTS Ruling Syria?, 27. Dezember 2024
http://alwaght.net/en/News/260139/What-Are-the-Big-Obstacles-ahead-of-HTS-Ruling-Syria?
· Binbaz: Tattoos sind verboten und bedeuten eine Veränderung der Schöpfung Gottes, ohne Datum
https://binbaz.org.sa/fatwas/6538/%D8%A7%D9%84%D9%88%D8%B4%D9%85-%D9%85%D8%AD%D8%B1%D9%85-%D9%88%D8%AA%D8%BA%D9%8A%D9%8A%D8%B1-%D9%84%D8%AE%D9%84%D9%82-%D8%A7%D9%84%D9%84%D9%87
· Darul Tahqiq: Differences between al-Albani, Ibn ‘Uthaymin and Ibn Baz – In Fiqh and Aqida, ohne Datum
https://www.darultahqiq.com/differences-between-al-albani-ibn-uthaymin-and-ibn-baz-in-fiqh-and-aqida/
· Enab Baladi: Syrian women narrate stories of own daqq and tattoos, 28. Juli 2023
https://english.enabbaladi.net/archives/2023/07/syrian-women-narrate-stories-of-own-daqq-and-tattoos/
· Enab Baladi: Growing demand for tattoo removal in rural Aleppo, 5. August 2024
https://english.enabbaladi.net/archives/2024/08/growing-demand-for-tattoo-removal-in-rural-aleppo/
· Encyclopaedia Britannica: Sharia - Historical development of sharia law, zuletzt aktualisiert 19. September 2025
https://www.britannica.com/topic/sharia/Development-of-different-schools-of-law
· Guardian (The): Obituary Abdul Aziz Ibn Baz, 25. Mai 1999
https://www.theguardian.com/news/1999/may/25/guardianobituaries2
· Humanrights.ch: Islamisches Recht, 27. Jänner 2023
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/religion/dossier-religioeses-recht/rechtsgrundlagen-religioeses-recht/islamisches-recht
· ISPI – Italian Institute for International Political Studies: An Evolving ‘Popular Incubator’: Syria’s New Leadership and Its Balancing Act, 4. Juni 2025
https://www.ispionline.it/en/publication/an-evolving-popular-incubator-syrias-new-leadership-and-its-balancing-act-210309
· JISS – The Jerusalem Institute for Strategy and Security: Deciphering the New Syrian Regime, 25. März 2025
https://jiss.org.il/en/lappin-deciphering-the-new-syrian-regime/
· Jreissati, Lara Eid: Current Constitutional Law and Court System in the Syrian Arab Republic, GlobaLex, März/April 2025
https://www.nyulawglobal.org/globalex/syria1.html
· Mu’assasa Al-Ifta‘, Homepage [Arabisch], ohne Datum
https://fatwa-sy.com/
· Mu’assasa Al-Ifta‘: Glückwunscherklärung zum Sieg von Präsident Erdogan bei den türkischen Präsidentschaftswahlen [Arabisch], 28. April 2023
https://fatwa-sy.com/posts/2236
· New Arab (The): Who is Sheikh Osama al-Rifai, Syria's newly appointed Grand Mufti?, 29. März 2025
https://www.newarab.com/news/who-sheikh-osama-al-rifai-syrias-appointed-grand-mufti
· Noonpost: “Gesetz zur öffentlichen Moral“ – was will Hay’at Tahrir Al-Scham? [Arabisch], 4. Jänner 2024
https://www.noonpost.com/189950/
· Reuters: Syria keeps role for Islamic law in 5-year transition, 13. März 2025
https://www.reuters.com/world/middle-east/syria-retains-islamic-jurisprudence-main-basis-law-preserves-freedoms-2025-03-13/
· Zaman Al-Wasl: Al-Sharaa appoints Osama al-Rifai as the new Grand Mufti of Syria, 28. März 2025
https://en.zamanalwsl.net/news/article/69373/
Anhang: Informationen aus ausgewählten Quellen
· Alwaght: What Are the Big Obstacles ahead of HTS Ruling Syria?, 27. Dezember 2024
http://alwaght.net/en/News/260139/What-Are-the-Big-Obstacles-ahead-of-HTS-Ruling-Syria?
„The experience of suppression of dissidents
The HTS [Hay’at Tahrir Al-Scham] is not new to governance and the group has experience of governing Idlib since 2017, the year it formed a local government in the province off the control of al-Assad government and called it Salvation Government. Reports published by the New York Times about the experience of living under the rule of HTS from 2018 to 2020 indicate the strict approach of this group in dealing with citizens. Gender-segregated cafes, a ban on playing music in shopping malls and cafes, mistreatment of men with tattoos, and forcing women to cover their faces all indicate the strict codes of this group in dealing with segments of society. In Idlib, there were widespread protests against the group from 2018 to 2023, all of which were severely suppressed by the group's forces who imprisoned many dissidents.“ (Alwaght, 27. Dezember 2024)
· Enab Baladi: Syrian women narrate stories of own daqq and tattoos, 28. Juli 2023
https://english.enabbaladi.net/archives/2023/07/syrian-women-narrate-stories-of-own-daqq-and-tattoos/
„’Al-Daqq (the Arab tattoo) were for adornment and beauty so that a woman who did not have a tattoo was not desired by men, ’said the 83-year-old Anoud. The tattoos on her forehead and on the upper lips have become a distinguishing mark on her face for more than 70 years despite the wrinkles. The old woman, who came from the al-Baggara tribe, said that the women of the eastern countryside of Aleppo used to compete for getting an Arab traditional tattoo as a form of jealousy and boasting. […]
Although the tattoo is associated with heritage, customs, and tribal or clan identity, it still exists in abundance among girls and women, with different methods and purposes. It has become present in multiple places in the body and different from what was previously known, and it has become a phenomenon with different motives, despite health warnings about its dangers and harms. […]
Mona, 50, of Latakia city center, considered that her tattoo, which is a bracelet on her wrist in the form of a rosary ending with a cross, bears the symbolism of adornment and beautification, as well as the symbolism of her Christian religion. […]
Sandra has worked as a tattooist for ten years in Latakia city and told Enab Baladi that her clients’ requests cannot be limited, and they vary according to several motives and indications, including religious symbols, phrases, or sayings of personalities.“ (Enab Balad, 28. Juli 2023)
· Enab Baladi: Growing demand for tattoo removal in rural Aleppo, 5. August 2024
https://english.enabbaladi.net/archives/2024/08/growing-demand-for-tattoo-removal-in-rural-aleppo/
„Young men in northern rural Aleppo are flocking to specialized centers for tattoo removal after getting them for various purposes and reasons. Some are driven by regret and societal views, as well as awareness of the negative health and psychological impacts. […]
Removing tattoos has become a priority for 28-year-old Mohammed Jazrawi, residing in Azaz, northern rural Aleppo. He seriously considers this step, having gotten his tattoo while in Turkey to follow the fashion and attract attention, according to him. Jazrawi expresses regret over the tattoo, which is in the form of a bracelet and crown on his arm, noting the negative reactions from those around him. He points out that many people in society tend to judge others based on appearance, and tattoos are often seen as symbols of negative experiences in a person’s life, making them socially ostracized.” (Enab Baladi, 5. August 2024)
· Encyclopaedia Britannica: Sharia - Historical development of sharia law, zuletzt aktualisiert 19. September 2025
https://www.britannica.com/topic/sharia/Development-of-different-schools-of-law
„In classical form, the sharia differs from Western systems of law in two principal respects. In the first place, the scope of the sharia is much wider, since it regulates the individual’s relationship not only with neighbours and with the state, which is the limit of most other legal systems, but also with God and with the individual’s own conscience. Ritual practices—such as the daily prayers (ṣalāt), almsgiving (zakāt), fasting (ṣawm), and pilgrimage (hajj)—are an integral part of sharia law and usually occupy the first chapters in legal manuals. The sharia is concerned as much with ethical standards as with legal rules, indicating not only what an individual is entitled or bound to do in law but also what one ought, in conscience, to do or to refrain from doing. Accordingly, certain acts are classified as praiseworthy (mandūb), which means that their performance brings divine favour and their omission divine disfavour, and others as blameworthy (makrūh), which has the opposite implications. However, in neither case is there any legal sanction of punishment or reward, nullity or validity. The sharia is thus not merely a system of law but also a comprehensive code of behaviour that embraces both private and public activities. […]
Sharia duties are broadly divided into those that an individual owes to God (the ritual practices, or ʿibādāt) and those that the individual owes to other human beings (interpersonal matters, or muʿāmalāt). Only the latter category of duties, which constitutes law in the Western sense, is described here.” (Encyclopaedia Britannica, zuletzt aktualisiert 19. September 2025).
· Humanrights.ch: Islamisches Recht, 27. Jänner 2023
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/religion/dossier-religioeses-recht/rechtsgrundlagen-religioeses-recht/islamisches-recht
„Im islamischen Recht gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Schulen und Traditionen. Dementsprechend ist die Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung auch sehr unterschiedlich, und so etwas wie ein einheitliches, kanonisiertes islamisches Religionsrecht mit klar definierten allgemeingültigen Normen existiert nicht. […]
Legitimation
In vielen islamischen Traditionen gibt es die Vorstellung von Allah als höchstem Richter, welcher am Ende der Zeiten basierend auf seinem Recht über die Menschen richten wird. Um darauf vorbereitet zu sein, werden aus dem Koran abgeleitete islamische Normen teilweise auch schon im Diesseits durchgesetzt. Die Einhaltung der islamischen Normen erfolgt freiwillig und aus individueller Überzeugung oder auf sozialen Druck durch eine Gemeinschaft oder einer machthabenden Instanz.
Rechtsgrundlagen
Ein Teil der muslimischen Gelehrten betrachtet den Koran als einzige Rechtsquelle und alles andere als Deutung desselben. Von den meisten muslimischen Gelehrten wird jedoch die Sunna – die Überlieferungen des Lebens Mohammads – als zweite wichtige Quelle des islamischen Rechts angesehen.
[…]
Die Scharia ist Gegenstand der fiqh, der islamischen Rechtswissenschaft. Im Koran und in der Sunna beschreibt Scharia sinngemäss die richtige Art die Religion zu praktizieren, also die praktische und rituelle Religionsausübung. Es gibt kein umfassendes Gesetzbuch der Scharia, diese besteht vielmehr aus verschiedenen Interpretationen religiöser Texte. Liberalere Muslim*innen vertreten die Auffassung, dass die Scharia in der heutigen Zeit neu interpretiert werden kann, sie beziehen den historischen Entstehungskontext des Korans mit ein. Konservative Vertreter*innen des Islams lehnen diese Herangehensweise ab. Sie sind der Auffassung, dass der Koran das authentische Wort Allahs ist, womit ihm für alle Zeiten unveränderbare Gültigkeit zukommt.
[…]
Rechtsfortbildung und Rechtsprechung
Im islamischen Recht gibt es keine für alle muslimischen Gläubigen und Strömungen verbindliche autoritäre Instanz. Es existieren verschiedene Rechtsschulen und eine grosse Meinungsvielfalt zwischen den Rechtsgelehrten. Zudem gibt es eine Vielzahl an islamischen Rechtsgelehrten (fuqahā), sowie Rechtsberater*innen (muftī) und Richter*innen (qādī). Muftis beraten Richter*innen und Politiker*innen, geben Unterricht, vermitteln in Konflikten und erstellen Rechtsgutachten – Fatwas – für Einzelfälle. Gläubige sind nicht an bestimmte Muftis gebunden und können ihre Fragen über Fatwa-Seiten auch im Internet stellen. Schariagerichte richten hauptsächlich in Fragen des Familien- und Erbrechts.
Verhältnis zum staatlichen Recht
Die Stellung der Schariagerichte in sich selbst als islamisch bezeichnenden Ländern hat sich im Laufe der Zeit verändert. Teilweise wurden sie abgeschafft, in staatliche Gerichte überführt, oder sie praktizieren in dualen Systemen.“ (Humanrights.ch, 27. Jänner 2023)
· Jreissati, Lara Eid: Current Constitutional Law and Court System in the Syrian Arab Republic, GlobaLex, März/April 2025
https://www.nyulawglobal.org/globalex/syria1.html
„In December 2024, Syrian President Bashar al-Assad’s regime collapsed following a rapid offensive by opposition forces, primarily led by the Islamist group Hay’at Tahrir al-Sham (HTS). The rebels swiftly captured key cities, leading to Assad’s flight to Russia where he was granted asylum. This marked the end of the Assad family’s fifty-four-year rule over Syria. A transitional government was established. A new ‘temporary constitution’ was adopted on March 13, 2025. […]
Syria’s interim President, Ahmed al-Sharaa, signed the ‘temporary constitution’ in force for a five-year transitional period three months after toppling Bashar al-Assad’s government. It requires the head of state to be a Muslim and establishes Islamic law as the main source of jurisprudence. […]
Religious Courts handle personal status matters within the Syrian legal system because different religious communities are governed by separate sets of laws for personal status matters (such as marriage, divorce, and inheritance):
· Syrian Muslims: Their personal status issues are handled by Sharia Courts, which apply Islamic law.
· Druze: They fall under the jurisdiction of Madhhabi courts, which are tailored to their community’s legal and cultural practices.
· Christians and Jews: Their matters are overseen by Ruhi courts, which address the legal needs of these communities.” (Jreissati, März/April 2025)
· New Arab (The): Who is Sheikh Osama al-Rifai, Syria's newly appointed Grand Mufti?, 29. März 2025
https://www.newarab.com/news/who-sheikh-osama-al-rifai-syrias-appointed-grand-mufti
„Sheikh Osama al-Rifai has been officially reappointed as Grand Mufti of Syria, the country's highest religious authority, following the reinstatement of the office by interim President Ahmad al-Sharaa. […]
After fleeing Syria in 2012, al-Rifai settled in Turkey, where he became head of the Syrian Islamic Council in Istanbul - a post backed by both Turkish authorities and segments of the Syrian opposition. His long-standing activism and leadership have made him a central figure among Sunni scholars aligned with the opposition. The new Fatwa Council formed alongside al-Rifai's appointment includes several respected religious scholars, such as Abdul Fattah al-Bazm, Rateb al-Nabulsi, Wahbi Suleiman, Mazhar al-Wais, Abdul Rahim Atoun, Ibrahim al-Hassoun, Suhail Junayd, Muhammad Shukri, Anas Ayrout, Ibrahim Shasho, and Naeem al-Arqsoussi.“ (The New Arab, 29. März 2025)
· Reuters: Syria keeps role for Islamic law in 5-year transition, 13. März 2025
https://www.reuters.com/world/middle-east/syria-retains-islamic-jurisprudence-main-basis-law-preserves-freedoms-2025-03-13/
„Syria kept a central role for Islamic law in a constitutional declaration issued on Thursday which guarantees women's rights and freedom of expression during a five-year transitional period, according to a summary read on TV. The declaration is designed to serve as the foundation for the interim period being led by President Ahmed al-Sharaa, a Sunni Islamist who spearheaded a lightning offensive that toppled Bashar al-Assad from power in December.
Islamic jurisprudence will be ‘the main source’ of legislation, according to the summary read out during the signing ceremony. That seemed to differ from the previous constitution which called it ‘a main source’ of legislation. ‘We have kept Islamic jurisprudence as the primary source of legislation among sources of legislation,’ said the summary, read out by a member of the committee which drafted the declaration. ‘This jurisprudence is a true treasure that should not be squandered,’ it said.” (Reuters, 13. März 2025)
· Zaman Al-Wasl: Al-Sharaa appoints Osama al-Rifai as the new Grand Mufti of Syria, 28. März 2025
https://en.zamanalwsl.net/news/article/69373/
„Syrian President Ahmad al-Sharaa announced on Friday the appointment of Sheikh Osama al-Rifai as the country's Grand Mufti. This came in a speech during a conference to form the Supreme Fatwa Council and appoint the Grand Mufti of the Syrian Arab Republic, according to the country's official news agency, SANA. […]
The presidential decision defined the council's duties as ‘issuing fatwas on new developments, incidents, and general issues; stating Sharia rulings on cases referred to it; appointing muftis and fatwa committees in the governorates and defining their jurisdiction; supervising fatwa centers and providing support and advice.’” (Zaman Al-Wasl, 28. März 2025)
[1] Bereits in der Verfassung der Assad-Regierung galt die Scharia als eine Quelle der Gesetzgebung, in der Übergangsverfassung wird sie als Hauptquelle der Gesetzgebung bezeichnet (Reuters, 13. März 2025).
[2] Ibn Baz war ein einflussreicher Rechtsgelehrter der sunnitischen salafistischen Strömung (Darul Tahqiq, ohne Datum), eine Strömung, der auch Hay’at Tahrir Al-Scham zugerechnet werden kann (JISS, 25. März 2025; ISPI, 4. Juni 2025).