Amnesty Report 2024/25: Zur Lage der Menschenrechte weltweit; Sudan 2024

Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024

Alle Konfliktparteien verübten 2024 weiterhin schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht, die zu zahlreichen Toten und Verletzten in der Zivilbevölkerung führten. Verschiedene Staaten lieferten Waffen an die Konfliktparteien, auch nach Darfur, und verstießen damit gegen ein Waffenembargo des UN-Sicherheitsrats. Frauen und Mädchen waren im Zusammenhang mit dem Konflikt häufig sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die Plünderungen und Zerstörungen zivilen Eigentums verstießen gegen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Ein nahezu vollständiger Ausfall der Telefonnetze und des Internets schränkte das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Möglichkeiten humanitärer Organisationen, Hilfslieferungen bereitzustellen, ein. Die im Zuge des Konflikts verübten Menschenrechtsverletzungen und -verstöße blieben weiterhin straflos. Seit dem Ausbruch der Kämpfe im April 2023 waren Millionen Menschen innerhalb des Landes zu Binnenvertriebenen geworden oder hatten Zuflucht in Nachbarländern gesucht, wo sie unter extrem schwierigen Bedingungen lebten. Die ägyptischen Behörden schoben Hunderte sudanesische Flüchtlinge in den Sudan ab.

Hintergrund

Der Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften und den paramilitärischen Einheiten der Rapid Support Forces (RSF), der im April 2023 in der Hauptstadt Khartum begonnen hatte, breitete sich 2024 auf weitere Landesteile aus, u. a. auf die Bundesstaaten Gezira, Sennar und Nord-Dafur. Den Kampfhandlungen schlossen sich weitere bewaffnete Gruppen und Akteure an, die sich entweder mit der sudanesischen Armee oder mit der RSF verbündeten.

Trotz zahlreicher politischer Bemühungen um ein Ende des Konflikts verstärkten sich die Kämpfe im Laufe des Jahres. Die internationale Gemeinschaft, einschließlich des UN-Sicherheitsrats und der Afrikanischen Union (AU), ergriff keine angemessenen Maßnahmen, um die Zivilbevölkerung zu schützen, die Menschenrechtsverletzungen zu beenden und die Waffenlieferungen sowie anderweitige Unterstützung der Konfliktparteien zu stoppen.

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht

Die sudanesische Armee und die RSF setzten bei ihren Angriffen, die sie in und aus zivilen Wohngebieten verübten, häufig Explosivwaffen mit großflächiger Wirkung ein. Dabei gerieten zahlreiche Zivilpersonen ins Kreuzfeuer. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden von April 2023 bis Dezember 2024 mehr als 27.000 Menschen, meist Zivilpersonen, durch Luftangriffe, schweren Artilleriebeschuss und Bodenangriffe auf ihre Häuser und Dörfer getötet. Mindestens 33.000 Personen wurden verletzt.

Nachdem der RSF-Kommandeur Abu Aqla Keikel aus dem Bundesstaat Gezira am 20. Oktober 2024 zur sudanesischen Armee übergelaufen war, startete die RSF Vergeltungsangriffe auf zahlreiche Städte und Dörfer im Osten des Bundesstaats wie z. B. Tamboul, Rufaa, Al-Hilaliya, Al-Seriha und Al-Uzibah. Dabei nahm die RSF Menschen in ihren Häusern und auf Märkten und Straßen ins Visier. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden zwischen dem 20. Und 26. Oktober 2024 mindestens 124 Zivilpersonen getötet, Dutzende weitere verletzt und etwa 119.400 Personen aus Gezira vertrieben. Aus mehreren Dörfern im Osten des Bundesstaats wurden mindestens 25 Fälle sexualisierter Gewalt gemeldet.

Unverantwortliche Rüstungsexporte

Der UN-Sicherheitsrat verlängerte im September 2024 das seit 20 Jahren geltende Waffenembargo für die Region Darfur um ein weiteres Jahr, ohne es auf den Rest des Landes auszuweiten. Das bestehende Waffenembargo wurde nicht konsequent umgesetzt und häufig gebrochen. Angesichts der aktuellen Krise war es völlig unzureichend.

Der Konflikt verschärfte sich nicht zuletzt dadurch, dass Staaten und Unternehmen aus aller Welt nahezu ungehindert Waffen und Munition an den Sudan lieferten, auch nach Darfur. Um den Nachschub trotz des Embargos zu gewährleisten, arbeiteten waffenliefernde Staaten und bewaffnete Gruppen im Sudan auch mit Nachbarländern zusammen.

Nach Erkenntnissen von Amnesty gelangten große Mengen an neu hergestellten Waffen und militärischen Ausrüstungsgütern, u. a. aus China, Russland, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten, in den Sudan, die dann nach Darfur umgeleitet bzw. geschmuggelt wurden. Es bestand ein erhebliches Risiko, dass sie dort für schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht eingesetzt wurden.

Einige russische und türkische Unternehmen lieferten zivile Jagd- und Sportwaffen an Waffenhändler mit engen Verbindungen zur sudanesischen Armee. Darüber hinaus exportierten türkische Unternehmen Hunderttausende Schreckschusswaffen samt Millionen Platzpatronen in den Sudan, wo sie vermutlich zu tödlichen Waffen umgebaut wurden.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Frauen und Mädchen waren in Verbindung mit dem Konflikt nach wie vor sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die vom UN-Menschenrechtsrat 2023 eingesetzte Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für den Sudan stellte fest, dass sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt, insbesondere Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen, im Sudan weit verbreitet waren. Sie stellte auch fest, dass RSF-Mitglieder bei Angriffen auf Städte in der Region Darfur und im Großraum Khartum in großem Umfang sexualisierte Gewalt ausgeübt hatten.

In zahlreichen Fällen vergewaltigten RSF-Mitglieder, zum Teil zu mehreren, Frauen und Mädchen vor den Augen ihrer Familienangehörigen, insbesondere in der Region Darfur und im Bundesstaat Gezira. Am 27. Mai 2024 vergewaltigten drei RSF-Kämpfer eine Frau in Süd-Thoura, einem Stadtviertel von El Fasher in Nord-Darfur, vor den Augen ihres Ehemanns und ihres fünfjährigen Sohnes.

Rechte von Binnenvertriebenen

Der eskalierende Konflikt hatte verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung.

Mehr als 11 Mio. Menschen waren innerhalb des Landes vertrieben, 8,6 Mio. von ihnen bereits seit April 2023. Damit war der Sudan Schauplatz der größten Vertreibungskrise weltweit. Im Laufe des Jahres 2024 sahen sich immer mehr Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, was die ohnehin schon katastrophale humanitäre Lage noch verschlimmerte.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Seit April 2023 waren mehr als 3,2 Mio. Menschen in die Nachbarländer Ägypten, Äthiopien, Libyen, Südsudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik geflohen, wo sie unter äußerst schwierigen Bedingungen lebten.

In Ägypten gingen der Grenzschutz, der dem Verteidigungsministerium unterstand, und die dem Innenministerium unterstellte Polizei mit massenhaften willkürlichen Festnahmen gegen Flüchtlinge aus dem Sudan vor. Frauen, Männer und Kinder wurden unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen festgehalten, bevor man sie wieder in den Sudan abschob. Bei zwölf Abschiebungen von Januar bis März 2024, die insgesamt etwa 800 sudanesische Staatsangehörige betrafen, nahmen die ägyptischen Behörden keine individuellen Prüfungen vor und gewährten den Flüchtlingen weder ihr Recht, internationalen Schutz zu beantragen noch ihr Recht, die Abschiebung anzufechten (siehe Länderkapitel Ägypten). Zum Zeitpunkt dieser Abschiebungen weitete sich der Konflikt im Sudan auf die Bundesstaaten Gezira und Sennar sowie weitere Gebiete aus, sodass viele der Zurückgekehrten erneut nach Ägypten oder in andere Länder fliehen mussten.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Nach Angaben der Vereinten Nationen brach im Lager Samsam in Nord-Darfur, in dem mehr als 400.000 Binnenvertriebene lebten, eine Hungersnot aus. Landesweit erreichte die akute Nahrungsmittelunsicherheit einen Höchstwert: Sie betraf 25,6 Mio. Menschen und damit mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Steigende Lebensmittelpreise verschärften die Lage noch zusätzlich, insbesondere in Gebieten, in denen Hunger herrschte. So hatten sich in der Region um El Fasher die Preise für Hirse seit 2023 mehr als verdreifacht und die Weizenpreise mehr als verdoppelt.

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für den Sudan berichtete über die Plünderung und Zerstörung von Eigentum nichtarabischer Gemeinschaften, insbesondere der Masalit. Verantwortlich dafür waren in erster Linie die RSF und ihre Verbündeten. Die Angriffe richteten sich gegen zivile Infrastruktur wie Unterkünfte, Nahrungs- und Wasserquellen, Gesundheitszentren und andere öffentliche Einrichtungen und zerstörten die Lebensgrundlage dieser Gemeinschaften. Nach Ansicht der Untersuchungskommission wurden damit die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Zivilbevölkerung verletzt, insbesondere deren Rechte auf physische und psychische Gesundheit sowie auf Nahrung, Wasser und Wohnen.

Recht auf Information

Die Abschaltung der Telefonnetze und des Internets Anfang Februar 2024 brachte die Kommunikation fast vollständig zum Erliegen. Der Ausfall schränkte nicht nur das Recht auf Meinungsfreiheit ein, sondern gefährdete auch Notfalldienste und die Koordinierung der humanitären Hilfe für Millionen Menschen, die vom bewaffneten Konflikt betroffen waren. Nach Angaben der NGO Access Now hatten die RSF vor der Abschaltung die Kontrolle über mehrere Rechenzentren von Internetanbietern in Khartum erlangt.

Am 7. Februar 2024 berichtete die NGO Netblocks, dass der wichtigste Mobilfunkbetreiber Zain "weitgehend offline" sei. In zahlreichen Regionen fiel das Internet im Laufe des Jahres immer wieder aus. Für Menschenrechtsbeobachter*innen und -verteidiger*innen bedeutete dies, dass sie Menschenrechtsverletzungen und -verstöße nicht dokumentieren konnten.

Aufgrund der Ausfälle konnten Sudanes*innen in der Diaspora und Menschen, die vor Ort Nothilfemaßnahmen koordinierten, für Geldtransfers keine Banking-Apps mehr nutzen. Diese zählten jedoch zu den wenigen verbliebenen Möglichkeiten, um vom Ausland aus oder innerhalb des Landes Geld zu transferieren. In manchen Fällen konnten Empfänger*innen nicht auf Geld zugreifen, das ihnen überwiesen worden war.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Die im Zuge des Konflikts verübten Menschenrechtsverletzungen und -verstöße blieben 2024 weiterhin straflos. Gegen drei Männer, darunter den ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir, lagen Anklagen vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) vor, doch hatten die sudanesischen Behörden die Angeklagten noch nicht an den IStGH überstellt.

Im August 2024 verabschiedete die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker eine Resolution, die vorsah, gemeinsam mit der AU-Abteilung für politische Angelegenheiten, Frieden und Sicherheit eine Untersuchungsmission zur Menschenrechtslage im Sudan einzurichten, die ihre Ergebnisse innerhalb von drei Monaten veröffentlichen sollte. Ende 2024 lagen jedoch noch keine Ergebnisse oder Empfehlungen vor.

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für den Sudan veröffentlichte im September 2024 ihren ersten Bericht. Darin stellte sie fest, dass die sudanesischen Streitkräfte und die RSF Kriegsverbrechen und die RSF zudem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt hatten. Der Bericht enthielt Empfehlungen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Untersuchungskommission empfahl u. a., die Zuständigkeit des IStGH über Darfur hinaus auf das gesamte Land auszudehnen, einen zusätzlichen internationalen Strafrechtsmechanismus einzurichten, um die Arbeit des IStGH zu ergänzen, Staaten zu ermutigen, das Weltrechtsprinzip anzuwenden, eine Wahrheitskommission zu gründen sowie eine Einrichtung zu schaffen, die Opfern Hilfe und Wiedergutmachung leistet. Im Oktober 2024 verlängerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat der Untersuchungskommission um ein weiteres Jahr.

Veröffentlichung von Amnesty International

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