Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024
Die Regierungspartei setzte die Konsolidierung ihrer Macht und die Unterdrückung abweichender Meinungen 2024 fort. Gesetzesänderungen sorgten für eine Ausdehnung der staatlichen und polizeilichen Macht, während sie friedliche Proteste unangemessen einschränkten und den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft untergruben. Die Polizei setzte wiederholt rechtswidrige Gewalt ein, um friedliche Demonstrationen aufzulösen. Dabei wurden Hunderte festgenommen und misshandelt. Das Parlament verabschiedete diskriminierende Gesetze. Nach wie vor gab es in den abtrünnigen Regionen Berichte über Zivilpersonen, die unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt waren.
Hintergrund
Trotz heftiger öffentlicher Proteste setzte die Regierungspartei Georgischer Traum 2024 eine Reihe von Gesetzesinitiativen durch, die die Menschenrechte einschränkten und sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Unabhängigkeit der Justiz und staatlicher Institutionen untergruben. Dies veranlasste die Europäische Union (EU) im Mai 2024, das Beitrittsverfahren Georgiens zur EU auszusetzen. Im Oktober 2024 gewann die Regierungspartei Georgischer Traum die Parlamentswahlen, die jedoch weithin von Berichten über Wahlbetrug und Einschüchterung begleitet waren. Das Ergebnis war daher umstritten und löste anhaltende Proteste und internationale Kritik aus. Nach der Ankündigung der Regierung, ihrerseits die EU-Beitrittsverhandlungen aussetzen zu wollen, kam es im November und Dezember 2024 zu weiteren Protesten.
Recht auf Vereinigungsfreiheit
Im Mai 2024 verabschiedete das Parlament das Gesetz zur "Transparenz ausländischer Einflussnahme". Das Gesetz sah vor, dass sich Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, zu "Agenten ausländischer Einflussnahme" erklären und strenge und unverhältnismäßige Berichts- und Überwachungspflichten erfüllen müssen. Das Gesetz wurde dazu verwendet, regierungskritische Organisationen zu stigmatisieren und zu diskreditieren. Nach Ansicht der Venedig-Kommission des Europarats verstößt das Gesetz gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und den Schutz der Privatsphäre sowie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung.
Am 9. Oktober 2024 nahm das Verfassungsgericht einen Antrag auf Prüfung des Gesetzes an, lehnte es jedoch ab, das Gesetz bis zur Entscheidung des Gerichts auszusetzen.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Andersdenkende wie z. B. Gegner*innen des Gesetzes zur "Transparenz ausländischer Einflussnahme" und proeuropäische Protestierende sahen sich 2024 mit Schikanen, Verleumdungskampagnen und Gewalt konfrontiert. Mehr als ein Dutzend Aktivist*innen, von denen viele an Demonstrationen teilgenommen hatten, wurden von nicht identifizierten Angreifern brutal überfallen und verletzt. Die Verletzungen waren häufig so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. Einige dieser Attacken waren offenbar von den Behörden gebilligt, unterstützt oder gar koordiniert worden.
Am 11. Juni 2024 wurde der Aktivist Zuka Berdzenishvili in der Nähe seines Zuhauses schwer verprügelt, nachdem der Parlamentspräsident ihn nur wenige Stunden zuvor öffentlich beschuldigt hatte, an einer politisch motivierten Kampagne gegen die Regierungspartei beteiligt zu sein.
Ende 2024 war noch keiner dieser Vorfälle wirksam untersucht worden.
Im Dezember 2024 verabschiedete Gesetze ermöglichten es der Regierung, öffentliche Einrichtungen umzustrukturieren und Mitarbeiter*innen aus willkürlichen und politischen Gründen zu entlassen. Bis zum Jahresende wurden Berichten zufolge mehr als 100 Staatsbedienstete, die sich öffentlich mit den Protesten solidarisiert hatten, willkürlich entlassen.
Recht auf friedliche Versammlung
Im ganzen Land kam es 2024 zu Protesten. So wurde im April und Mai 2024 insbesondere gegen das Gesetz zur "Transparenz ausländischer Einflussnahme" protestiert, im Oktober gegen die umstrittenen Wahlergebnisse und im November gegen die Aussetzung des EU-Beitrittsverfahrens.
Die Polizei ging mit rechtswidriger Gewalt gegen die größtenteils friedlichen Demonstrierenden vor, indem sie diese aus nächster Nähe und ohne Vorwarnung mit chemischen Reizstoffen und Wasserwerfern angriff und Hunderte von ihnen verprügelte, verletzte und festnahm.
Die Polizei verfolgte Protestierende auch außerhalb der Demonstrationen und führte Durchsuchungen und Festnahmen in ihren Wohnungen und Büros durch. Allein während der Proteste im November und Dezember 2024 wurden Berichten zufolge etwa 500 Demonstrierende festgenommen.
Die Polizei nahm auch Journalist*innen ins Visier, die über die Niederschlagung der Proteste berichteten. Während der Proteste im November und Dezember wurden Berichten zufolge mehr als 50 Journalist*innen verletzt und auf erniedrigende und demütigende Weise behandelt. Außerdem wurde ihre Ausrüstung von der Polizei zerstört, und sie wurden auf verschiedene Art und Weise an der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gehindert.
Am 3. Mai 2024 fuhren in der Hauptstadt Tiflis einige Männer in Zivilkleidung mit einem Fahrzeug in eine Gruppe Demonstrierender, um dann einige von ihnen einzukreisen und anzugreifen. Im Dezember kam es zu mehreren Vorfällen, bei denen Demonstrierende und Journalist*innen von unbekannten vermummten Personen bedroht und angegriffen wurden, während die Polizei zusah. Keiner dieser Vorfälle wurde zielführend untersucht, und es gab auch keine Ermittlungen, um die Polizist*innen oder die maskierten Personen, die Gewalt ausgeübt hatten, zur Rechenschaft zu ziehen.
Am 30. Dezember 2024 traten neue Gesetze in Kraft, die die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung noch stärker willkürlich einschränkten. Das Anbringen von Protestparolen oder -plakaten, das Vermummen des Gesichts und die Teilnahme von Minderjährigen an Demonstrationen konnten von nun an mit hohen Geldstrafen geahndet werden. Darüber hinaus erhielt die Polizei die Befugnis, Personen, die der möglichen Begehung einer Straftat verdächtigt wurden, bis zu 48 Stunden lang in "Präventivhaft" zu nehmen.
Folter und andere Misshandlungen
Nach den Protesten vom April und Mai 2024 gaben mehr als 100 Menschen an, in dieser Zeit während ihrer Festnahme oder im Gewahrsam von Sicherheitskräften körperlich misshandelt oder beschimpft worden zu sein. Auch während der Proteste im November und Dezember 2024 war Folter und Misshandlung Berichten zufolge weit verbreitet. Mehr als 300 Demonstrierende – die Mehrheit der Festgenommenen – gaben an, misshandelt worden zu sein, und mehr als 80 Personen sollen mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden sein.
Festgenommene Demonstrierende wurden in der Regel an unbekannte Orte, auch außerhalb von Tiflis, gebracht. Ihnen wurde der Kontakt zu Familienangehörigen und Rechtsbeiständen verweigert, und sie wurden 24 bis 48 Stunden lang festgehalten, ohne dass eine angemessene Begründung dafür vorlag, wie es das nationale Recht eigentlich verlangte. In mehreren Fällen wurden verletzten Inhaftierten medizinische Behandlungen und Notoperationen verweigert.
Am 14. Mai 2024 filmten Polizisten sich selbst dabei, wie sie Davit Katsarava, der friedlich an einer Demonstration teilgenommen hatte, schlugen und würgten. Er wurde mit einer schweren Gehirnerschütterung und Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus eingeliefert. Am 24. Juli wurde Davit Katsarava wegen angeblichen Ungehorsams gegenüber der Polizei mit einer Geldstrafe von 2.000 Georgischen Lari (etwa 692 Euro) belegt. Eine Untersuchung seiner Foltervorwürfe hatte zum Jahresende noch keine Ergebnisse erbracht.
Unfaire Gerichtsverfahren
Im Anschluss an die Proteste im April und Mai sowie November und Dezember 2024 verhängten Gerichte in Hunderten von unfairen Verfahren Verwaltungsstrafen gegen Regierungskritiker*innen wegen angeblicher Vergehen wie "minderschweres Rowdytum" und "Ungehorsam gegenüber der Polizei".
Zudem wurden mehr als 50 Demonstrierende wegen falscher Anschuldigungen in Verbindung mit den Protesten strafrechtlich verfolgt, u. a. wegen Vorwürfen wie "Behinderung strategisch wichtiger Einrichtungen", "Gruppengewalt", "Sachbeschädigung" und "Störung der öffentlichen Ordnung". Einige berichteten, dass sie ohne Rechtsbeistand zur Unterzeichnung von "Geständnissen" gezwungen wurden. Die meisten Verfahren waren Ende 2024 noch anhängig.
Am 14. Mai 2024 wurden Omar Okribashvili und Saba Meparishvili festgenommen, weil sie von der Polizei errichtete provisorische Absperrungen beschädigt hatten. Sie wurden wegen Straftaten angeklagt, die mit drei bis sechs Jahren Haft geahndet werden können.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Im August 2024 erließ ein Gericht einstweilige Verfügungen gegen die im März 2024 begonnenen Demonstrationen der Bewohner*innen von Shukruti in der Region Chiatura. Die Bewohner*innen beschuldigten ein Bergbauunternehmen, ihre Häuser und ihr Ackerland durch den Manganabbau zu beschädigen, ohne ihnen dafür eine angemessene Entschädigung zukommen zu lassen. Im September machten sich mehrere Demonstrierende nach Tiflis auf, um vor dem Parlament in den Hungerstreik zu treten und ein Eingreifen der Regierung sowie eine unabhängige Schadensbewertung zu fordern. Die von der Regierung vermittelten Verhandlungen zwischen den Demonstrierenden und dem Unternehmen führten zu keinem nennenswerten Ergebnis.
Rechte von LGBTI+
Am 17. September 2024 nahm das Parlament ein Gesetz zum "Schutz von Familienwerten und Minderjährigen" an. Es enthielt zahlreiche homo- und transfeindliche Maßnahmen. Zu diesen zählte das Verbot der Weitergabe von Informationen oder des Abhaltens öffentlicher Versammlungen, die gleichgeschlechtliche Beziehungen fördern könnten. Am 18. September 2024 wurde eine bekannte trans Frau in ihrer Wohnung getötet. Verteidiger*innen der Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) befürchteten, das neue Gesetz und die entsprechende Rhetorik der Regierung könnten homo- und transfeindlichen Verbrechen Vorschub leisten.
Abchasien und Südossetien/Zchinwali
Recht auf Leben
Am 9. April 2024 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass Russland bei der Festlegung und Überwachung der Grenzen der abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien gegen mehrere Menschenrechte, darunter das Recht auf Leben, verstoßen hat. Die Zwischenfälle an den Grenzen seien "derart zahlreich und zusammenhängend", dass der Schluss naheliege, dass Russland systematische Menschenrechtsverletzungen zulasse.
Unmenschliche Haftbedingungen
Berichten zufolge wurden Zivilpersonen in der Region Südossetien 2024 unter unmenschlichen Bedingungen in Haft gehalten und hatten nur begrenzten Zugang zu einem Rechtsbeistand oder medizinischer Versorgung.