Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024
Israel verübte im Gazastreifen einen Völkermord. Die Zahl der Todesopfer unter Kindern, Journalist*innen und Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen im Gazastreifen war so hoch wie in kaum einem anderen Konflikt weltweit, und Israel schuf dort vorsätzlich Lebensbedingungen, die auf die körperliche Zerstörung der Palästinenser*innen abzielten. Der bewaffnete Konflikt mit der Hisbollah im Libanon führte dazu, dass Zivilpersonen getötet und unzählige Menschen vertrieben wurden. Die israelische Regierung beging das Verbrechen der Apartheid, u. a. indem sie Palästinenser*innen sowohl in Israel als auch im besetzten palästinensischen Gebiet zwangsweise umsiedelte und vertrieb. Staatlich unterstützte gewalttätige Siedler*innen genossen Straflosigkeit. Menschen, die den Militärdienst verweigerten, wurden mit Haft bestraft. Bei Razzien und Festnahmen des Militärs im besetzten Westjordanland wurden Hunderte Palästinenser*innen getötet. Tausende Palästinenser*innen wurden willkürlich in Haft gehalten und misshandelt, was in vielen Fällen Folter gleichkam. Israel ignorierte die Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH), die darauf abzielten, einen Völkermord zu verhindern und die völkerrechtswidrige Besetzung zu beenden. Die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gerieten unter Druck.
Hintergrund
Israel intensivierte 2024 seine militärische Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands, indem es die Militärzonen und im Westjordanland auch die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen ausweitete und befestigte. Im November 2024 entließ Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Verteidigungsminister Joaw Galant und begründete dies mit Meinungsverschiedenheiten, was die unbefristete direkte Kontrolle des Gazastreifens durch das israelische Militär und den verpflichtenden Militärdienst für ultraorthodoxe Juden (Haredim) betraf.
Der Konflikt zwischen Israel und der bewaffneten Gruppe Hisbollah im Libanon verschärfte sich erheblich. Am 23. September 2024 startete die israelische Armee unter dem Namen "Pfeile des Nordens" einen Militäreinsatz im Libanon. Am 1. Oktober drangen israelische Bodentruppen in den Süden des Nachbarlandes ein. Am 27. November einigten sich Israel und die Hisbollah auf eine Waffenruhe.
Im April und Oktober 2024 attackierten sich Israel und der Iran gegenseitig. Ein israelischer Angriff tötete im April u. a. hochrangige Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden. Bei einem iranischen Raketenangriff im Oktober wurde ein Palästinenser in Jericho im besetzten Westjordanland getötet.
Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht
Bewaffneter Konflikt im Gazastreifen
Israel beging 2024 im Gazastreifen das Verbrechen des Völkermords, indem es palästinensische Zivilpersonen tötete, ihnen schwere körperliche oder seelische Schäden zufügte und durch massenhafte Vertreibung, Verweigerung bzw. Behinderung von lebenswichtiger humanitärer Hilfe und Beschädigung oder Zerstörung von lebenserhaltender Infrastruktur vorsätzlich Lebensbedingungen schuf, die auf die körperliche Zerstörung der Palästinenser*innen abzielten.
Die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen führten 2024 nach Angaben des humanitären Netzwerks Global Health Cluster der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu mindestens 23.000 unmittelbaren Todesopfern. Etwa 60 Prozent der Getöteten waren Frauen, Kinder und ältere Menschen. Grund für die hohe Zahl ziviler Todesopfer waren direkte, unverhältnismäßige und wahllose Angriffe der Streitkräfte. Ein gezielter israelischer Luftangriff auf die Marktstraße des Flüchtlingslagers Al-Maghazi am 16. April 2024 tötete 15 Zivilpersonen, darunter zehn Kinder, die Tischfußball spielten. Eines der Kinder war zuvor mit seiner Familie aus Gaza-Stadt geflohen, um dem Hungertod zu entkommen.
Das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) teilte mit, dass 52.214 Palästinenser*innen im Jahr 2024 durch den bewaffneten Konflikt verletzt wurden. Auf Grundlage von Berichten von Ärzt*innen, die Verletzungen der unteren Gliedmaßen, des Kopfes und der Wirbelsäule behandelten, kam die WHO im Juli 2024 zu dem Ergebnis, dass etwa 25 Prozent der Verletzten im Gazastreifen akute und jahrelang anhaltende Rehabilitationsmaßnahmen benötigten.
Etwa 90 Prozent der Bewohner*innen des Gazastreifens wurden 2024 vertrieben, die meisten von ihnen mehrfach. Am 6. Mai 2024 begann Israel im Osten der Stadt Rafah einen groß angelegten Militäreinsatz, der sich auf den gesamten Regierungsbezirk Rafah ausweitete, trotz Warnungen vor den katastrophalen humanitären Folgen und obwohl der Internationale Gerichtshof (IGH) am 24. Mai eine rechtlich bindende Anordnung erließ, die Offensive sofort einzustellen. Der Militäreinsatz führte zur Vertreibung von 1,2 Mio. Palästinenser*innen, von denen die allermeisten bereits zuvor vertrieben worden waren, sowie zur Schließung und Zerstörung des Grenzübergangs Rafah, der den Gazastreifen mit Ägypten verbindet.
Nach wiederholten pauschalen "Evakuierungsbefehlen" ordneten die israelischen Streitkräfte am 6. Oktober 2024 die Vertreibung von 300.000 Palästinenser*innen an, die noch im Regierungsbezirk Nord-Gaza verblieben waren. Nach Angaben der humanitären Organisation Norwegischer Flüchtlingsrat lebten im Winter 2024 mehr als 1 Mio. Menschen in Zelten, die Hälfte davon Kinder. Zwischen dem 24. und dem 29. Dezember starben fünf Neugeborene an Unterkühlung, wie das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) mitteilte.
Die israelischen Streitkräfte nahmen Krankenhäuser, medizinisches Personal und Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen mit Artilleriebeschuss und Luftangriffen ins Visier und töteten dabei zahlreiche Menschen. Infolge der israelischen Angriffe waren Ende 2024 von den 36 Krankenhäusern des Gazastreifens nur noch 17 teilweise funktionsfähig. Am 27. Dezember 2024 setzte ein israelischer Militäreinsatz im Kamal-Adwan-Krankenhaus das letzte große Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen außer Betrieb. Der Leiter der Klinik, Dr. Hussam Abu Safiya, wurde zusammen mit 240 Angestellten und Patient*innen willkürlich inhaftiert.
Alle humanitären Organisationen beklagten, dass die israelischen Behörden Hilfslieferungen massiv einschränkten und verzögerten. So berichtete z. B. die Organisation Ärzte ohne Grenzen im Dezember 2024, sie habe fünf Monate lang über die Einfuhr wichtiger Kühlgeräte für medizinische Zwecke verhandeln müssen und die Einfuhr von Sterilisationsgeräten sei an der Grenze blockiert worden. Ende 2024 waren infolge der israelischen Militärbelagerung 96 Prozent der 1 Mio. Kinder im Gazastreifen unterernährt, etwa 60.000 Kinder unter fünf Jahren waren akut unterernährt. Nach Angaben der globalen Initiative Integrated Food Security Phase Classification (IPC) war die Ernährungssituation von fast 2 Mio. Menschen kritisch bis katastrophal. Laut Informationen von UN-Expert*innen starben von April bis Juni 2024 mindestens 34 Menschen an Hunger.
Ein vom israelischen Parlament am 28. Oktober 2024 verabschiedetes Gesetz verbot israelischen Staatsbediensteten, wie z. B. jenen, die für die Bewilligung von Hilfslieferungen zuständig waren, jeglichen Kontakt mit UNRWA, dem wichtigsten Hilfswerk in Bezug auf humanitäre Hilfe, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsleistungen im Gazastreifen. Ein weiteres Gesetz verbot UNRWA die Arbeit in Israel und in Ostjerusalem und zwang das Hilfswerk, seinen Hauptsitz in Ostjerusalem zu schließen.
Israelische Soldat*innen zerstörten mutwillig und ohne militärische Notwendigkeit Ziele im Gazastreifen, insbesondere entlang der östlichen Grenze. Dieser Landstrich macht 16 Prozent des Gazastreifens aus und umfasst bewirtschaftete landwirtschaftliche Flächen sowie die Städte Khuza'a im Süden und Shuja'iya im Norden.
Aufgrund des Konflikts standen den Menschen im Gazastreifen 2024 pro Tag weniger als 5 Liter Wasser pro Person zur Verfügung. Oxfam berichtete im Juli 2024, dass die systematische Zerstörung der Wasserversorgung und des Abwassersystems im Gazastreifen zu einem ernsten Wassermangel geführt habe. Ende Juni 2024 waren alle Kläranlagen zerstört, und auf der wichtigsten Mülldeponie im Süden des Gazastreifens waren die Fahrzeuge und technischen Anlagen nicht mehr funktionsfähig. Die WHO meldete, dass bis zum 28. Mai 2024 insgesamt 727.909 Menschen, insbesondere Kinder, an wasser- und abwasserbedingten Krankheiten wie Hepatitis A erkrankt waren.
Alle Universitäten und Hochschulen des Gazastreifens sowie Hunderte Moscheen und drei Kirchen waren beschädigt oder zerstört. Die meisten Schulen waren in Notunterkünfte für Vertriebene umgewandelt worden, und im November 2024 meldete das UN-Kinderhilfswerk UNICEF, dass 95 Prozent der Schulgebäude beschädigt seien.
Bewaffneter Konflikt mit der Hisbollah
Die Hisbollah feuerte vom Libanon aus im Laufe des Jahres wiederholt ungelenkte Raketen auf zivile Wohngebiete in Israel ab, die Zivilpersonen verletzten oder töteten und Wohnhäuser beschädigten oder zerstörten. Bei den Angriffen der Hisbollah wurden mehr als 100 Menschen getötet und schätzungsweise 63.000 Menschen aus dem Norden Israels vertrieben. Nach der Invasion israelischer Bodentruppen in den Südlibanon dokumentierte Amnesty International im Oktober drei Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel, bei denen acht Zivilpersonen getötet und mindestens 16 verletzt wurden. Die Angriffe stellten möglicherweise Kriegsverbrechen dar.
Apartheid
Zwangsumsiedlungen
OCHA zufolge rissen die israelischen Behörden 2024 im Westjordanland einschließlich Ostjerusalem 1.763 Gebäude ab, wodurch rund 4.500 Palästinenser*innen dauerhaft vertrieben wurden – die höchste Zahl in einem einzigen Jahr seit 2009.
Israel trieb die Zerstörung palästinensischer Dörfer im Westjordanland weiter voran. Wie die Menschenrechtsorganisation B'Tselem berichtete, vertrieb die israelische Militärverwaltung die Einwohner*innen von sechs palästinensischen Dörfern im Westjordanland, indem sie deren Wohnhäuser abriss. Mindestens 40 weiteren Gemeinden mit jeweils mehreren Hundert Einwohner*innen drohte sie dasselbe Schicksal an. Die israelischen Streitkräfte erlaubten oder ermutigten Siedler*innen, palästinensische Dorfbewohner*innen ungestraft zu terrorisieren, und beteiligten sich manchmal an der Gewalt.
Nach Angaben der israelischen Friedensbewegung Peace Now errichtete Israel 2024 im Westjordanland 43 neue völkerrechtswidrige Siedlungen, zusätzlich zu den etwa 330 bereits bestehenden. Israel erklärte außerdem etwa 2.400 Hektar Land im Westjordanland zu israelischem "Staatsgebiet". Es war die größte Beschlagnahmung von Land im besetzten palästinensischen Gebiet seit 1992.
Das israelische Ministerium für nationale Sicherheit teilte im November 2024 mit, im Vergleich zum Jahr 2022 habe man die Zerstörung von Beduinenunterkünften in der Wüste Negev/Naqab im Süden Israels seit Jahresbeginn um 400 Prozent gesteigert. Am 8. Mai 2024 wurden 300 palästinensische Bürger*innen Israels obdachlos, als die Behörden das Beduinendorf Wadi al-Khalil ohne angemessene Konsultation zerstörten. Am 3. Juni 2024 forderte ein Bezirksgericht die 500 Einwohner*innen des Beduinendorfs Ras Jrabah auf, ihre Häuser eigenhändig abzureißen und in eine von der Regierung genehmigte unfertige Siedlung umzuziehen, die von einer separaten, nur für Beduin*innen zuständigen Behörde verwaltet wurde. Am 14. November 2024 zerstörten militarisierte Polizeieinheiten im Beduinendorf Umm al-Hiran die letzte verbliebene Infrastruktur und die örtliche Moschee. Die israelischen Behörden erklärten, die Abrisse seien notwendig, um neue jüdische Siedlungen zu bauen bzw. bestehende zu erweitern.
Am 7. November 2024 verabschiedete das Parlament das Gesetz über die Ausweisung von Familienangehörigen von Terroristen, das kollektive Bestrafung ermöglicht. Es sieht vor, Familienangehörigen von Personen, die wegen mutmaßlicher "Unterstützung des Terrorismus" inhaftiert sind oder wegen entsprechender Straftaten verurteilt wurden, die israelische Staatsangehörigkeit bzw. ihr Aufenthaltsrecht in Jerusalem zu entziehen und sie auszuweisen. Das Gesetz über die Staatsbürgerschaft und die Einreise nach Israel (Vorläufige Verordnung), das seit 2003 fast durchgängig erneuert worden war, erleichterte es den Behörden nach wie vor, Palästinenser*innen die Staatsbürgerschaft und ihren dauerhaften Aufenthaltsstatus abzuerkennen. Bestimmte Gruppen von Palästinenser*innen liefen deshalb Gefahr, staatenlos zu werden.
Recht auf Freizügigkeit
Etwa 3.500 chronisch kranken Kindern aus dem Gazastreifen, die nach dem 7. Oktober 2023 im Westjordanland hätten behandelt werden sollen, wurden die entsprechenden Genehmigungen wieder entzogen. 22 Patient*innen aus dem Gazastreifen, darunter fünf Neugeborene, die sich bereits 2023 in israelischen oder Ostjerusalemer Krankenhäusern befanden, wurden im Zuge einer Anordnung vom 19. Juni 2024 wieder in den Gazastreifen zurückgeschickt, ohne dass ihre medizinische Behandlung abgeschlossen werden konnte.
Im Westjordanland gab es nach Angaben von OCHA 793 Straßensperren und Kontrollpunkte, die die Bewegungsfreiheit der Palästinenser*innen einschränkten, den Verkehr zwischen den Dörfern und Städten behinderten und Einsätze von Rettungsdiensten verzögerten. In 105 Orten im Westjordanland hatten Personen, die Landwirtschaft betrieben, keinen Zugang mehr zu ihren Nutzflächen, weil die israelischen Militärbehörden die dafür notwendigen Genehmigungen, die zweimal im Jahr beantragt werden mussten, seit dem 7. Oktober 2023 nicht mehr erteilten. Die israelische Armee riegelte große Städte und Flüchtlingslager im nördlichen Westjordanland ab und verhängte tagelange Ausgangssperren, um dort Razzien vorzunehmen. Die WHO verzeichnete 2024 im Westjordanland im Vergleich zum Vorjahr doppelt so viele Vorfälle, bei denen medizinisches Personal an der Ausübung seiner Tätigkeit gehindert wurde.
Etwa 100.000 palästinensischen Arbeitnehmer*innen im Westjordanland wurde 2024 die Arbeitserlaubnis für Israel entzogen. Neue Genehmigungen wurden nur selten ausgestellt.
Rechtswidrige Tötungen
Nach Informationen der US-Organisation Komitee zum Schutz von Journalist*innen (Committee to Protect Journalists) wurden 2024 bei israelischen Angriffen 74 palästinensische Journalist*innen im besetzten palästinensischen Gebiet in Verbindung mit ihrer Arbeit getötet.
Nach Angaben von OCHA wurden 2024 bei Festnahmeaktionen des israelischen Militärs in den Städten Dschenin, Tulkarem, Nablus und Tubas im nördlichen Westjordanland etwa 487 Palästinenser*innen getötet, darunter 90 Kinder. Die allem Anschein nach rechtswidrigen Tötungen wurden von den israelischen Behörden nicht untersucht.
Siedler*innen töteten 2024 im Westjordanland laut OCHA sechs Palästinenser*innen und verletzten 356. Die meisten Angriffe erfolgten in ländlichen Gegenden, z. B. in den Bergen südlich von Nablus und Hebron, aber auch in Ostjerusalem und Hebron. Die vom Staat unterstützte Gewalt der Siedler*innen führte außerdem zur Vertreibung zahlreicher Palästinenser*innen.
Willkürliche Inhaftierungen
Die israelischen Streitkräfte nahmen 2024 mehr als 10.000 Palästinenser*innen fest. Im Gazastreifen fielen Palästinenser*innen dem Verschwindenlassen zum Opfer oder waren ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation HaMoked waren Ende 2024 etwa 5.262 Palästinenser*innen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert: 3.376 befanden sich in Verwaltungshaft, in den übrigen 1.886 Fällen beriefen sich die Behörden auf das Gesetz über "ungesetzliche Kombattanten", eine Kategorie, die im humanitären Völkerrecht nicht existiert.
Im November 2024 kündigte der Verteidigungsminister an, dass die Verwaltungshaft künftig nicht mehr auf jüdische Siedler*innen angewandt werde.
Nach Angaben der israelischen Bürgerrechtsorganisation Mossawa Center befanden sich von den 156 palästinensischen Staatsbürger*innen Israels, die 2023 unter dem übermäßig vagen Vorwurf des "fortgesetzten Konsums von terroristischem Material" festgenommen worden waren, im Februar 2024 noch mindestens zehn in Untersuchungshaft. Man warf ihnen vor, sich in den Sozialen Medien Videoaufnahmen aus dem Gazastreifen angeschaut zu haben.
Folter und andere Misshandlungen
Nach Aussagen von entlassenen Häftlingen und von Strafvollzugsbediensteten, die als Whistleblower auftraten, wurde in allen israelischen Hafteinrichtungen 2024 routinemäßig schwere körperliche Gewalt gegen palästinensische Gefangene angewandt, einschließlich sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung. Außerdem verweigerte man den Inhaftierten systematisch ausreichend Nahrung, Wasser, Schlaf, Tageslicht und medizinische Behandlung. Nach Angaben der NGO Palestinian Prisoner’s Society starben 2024 mindestens 54 palästinensische Gefangene in Gewahrsam. Adnan al-Bursh, ein bekannter orthopädischer Chirurg aus dem Gazastreifen, starb am 19. April 2024 im israelischen Militärgefängnis Ofer im Westjordanland, wo er ohne Anklage inhaftiert war. Augenzeugenberichten zufolge wurde er schwer geschlagen.
Die Generalstaatsanwältin des Militärs leitete im Laufe des Jahres 44 strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu Todesfällen in Gewahrsam und acht zu Foltervorwürfen ein. Es kam jedoch nur in einem der insgesamt 52 Fälle zu einer Anklage.
Palästinenser*innen, die in israelischen Haftanstalten festgehalten wurden, durften weder vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz noch von ihren Familienangehörigen besucht werden. Weil die israelischen Behörden die entsprechenden Genehmigungen ausgesetzt hatten, war es noch schwieriger, die Behandlung von Inhaftierten zu überwachen.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Die israelischen Behörden unternahmen nichts, um völkerrechtliche Verstöße der israelischen Streitkräfte wie z. B. mutmaßliche Kriegsverbrechen und genozidale Handlungen im Gazastreifen sowie rechtswidrige Tötungen im Westjordanland, unabhängig, zielführend und transparent zu untersuchen. Unabhängige Ermittler*innen durften nicht in den Gazastreifen einreisen.
Die vom IGH am 26. Januar, 28. März und 24. Mai 2024 angeordneten einstweiligen Maßnahmen, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern, wurden von den israelischen Behörden durchweg ignoriert.
Am 19. Juli 2024 stellte der IGH fest, dass die israelische Besetzung des palästinensischen Gebiets gegen das Völkerrecht verstößt.
Am 21. November 2024 erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehl gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, den damaligen Verteidigungsminister Joaw Galant sowie einen Anführer der Hamas wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die israelischen Behörden verweigerten der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für das besetzte palästinensische Gebiet weiterhin die Einreise nach Israel und in das besetzte Gebiet. Die Untersuchungskommission teilte mit, dass sie 15 Anfragen an die israelische Regierung gerichtet habe, die alle unbeantwortet blieben. Außerdem habe die Regierung israelische Ärzt*innen angewiesen, nicht an den Ermittlungen der Kommission zu Kriegsverbrechen palästinensischer Kämpfer*innen im Süden Israels mitzuwirken.
Anfang 2024 verhängten Frankreich, Großbritannien und die USA Sanktionen gegen bewaffnete extremistische jüdische Siedler*innen – sowohl gegen Einzelpersonen als auch gegen bestimmte Organisationen. Dies führte jedoch nicht zu einem Rückgang der staatlich unterstützten Gewalt durch Siedler*innen.
Rechte von Frauen und Mädchen
Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen traf Frauen, die schwanger waren oder Kinder stillten, besonders hart. Nach Angaben der globalen Initiative IPC waren 16.500 schwangere und stillende Frauen im Gazastreifen akut unterernährt. Frauen und Mädchen zogen sich Krankheiten zu, weil die sanitären Einrichtungen und die meisten Kliniken samt den Entbindungsstationen zerstört waren.
Vor dem Hintergrund des bewaffneten Konflikts und massenhafter Vertreibung nahmen häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt sowohl in Israel als auch im Gazastreifen zu.
Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Palästinensische Staatsbürger*innen Israels mussten mit Diskriminierung und Festnahme rechnen, wenn sie das israelische Vorgehen im Gazastreifen kritisierten. Der Menschenrechtsanwalt Ahmad Khalefa wurde im Februar 2024 aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen, nachdem er 110 Tage in Untersuchungshaft verbracht hatte, weil er im Oktober 2023 Antikriegsproteste organisiert hatte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Defenders Fund bezeichnete die gegen ihn erhobenen Anklagen "Anstiftung zum Terrorismus" und "Identifizierung mit einer terroristischen Vereinigung" als "absurd".
Rund 400 Beschäftigte, die von ihren israelischen Arbeitgeber*innen entlassen worden waren, weil sie in den Sozialen Medien die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen kritisiert hatten, wandten sich an das Mossawa Center und baten um Unterstützung, wie die Organisation im Juni 2024 mitteilte. Ein Großteil der Betroffenen hatte für den Gesundheitsdienstleister Clalit gearbeitet.
Die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen Demonstrationen vor, bei denen Tausende jüdische Israelis gegen die Regierung protestierten, und nahm Dutzende Menschen fest. Am 2. September 2024 verhinderte der Finanzminister mithilfe einer gerichtlichen Verfügung einen eintägigen Generalstreik, den Israels größte Gewerkschaft Histadrut geplant hatte, um die Proteste zu unterstützen. Am 22. September wurde das Büro des Senders Al Jazeera in Ramallah im Westjordanland von israelischen Streitkräften gestürmt und geschlossen. Bereits im Mai hatte die Regierung das Büro von Al Jazeera in Ostjerusalem geschlossen und den Sendebetrieb in Israel verboten. Die israelischen Behörden untersagten ausländischen Journalist*innen weiterhin die Einreise in den Gazastreifen. Anträge der NGO Foreign Press Association auf Zugang wurden vom Obersten Gerichtshof Israels abgewiesen.
Rechte von Militärdienstverweiger*innen
Neun jüdische und zwei palästinensische Staatsbürger*innen Israels wurden inhaftiert, weil sie den Militärdienst verweigert hatten. Zur Begründung verwiesen sie auf die militärische Besetzung, das System der Apartheid und den Völkermord an den Palästinenser*innen. Zwei der Betroffenen, die Jugendlichen Tal Mitnick und Itamar Greenberg, befanden sich sechs Monate in Haft.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Im Juni 2024 stellte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in einem Bericht über den Gazastreifen fest, dass die Trümmer infolge der massenhaften Zerstörung, weiße Phosphormunition sowie industrielle und medizinische Abfälle extrem hohe Mengen an gefährlichen Substanzen freisetzten. Die Vereinten Nationen schätzten, dass es nach dem Ende der Bombardierungen 45 Jahre dauern würde, die Trümmer und Abfälle zu beseitigen und zu recyceln.
Veröffentlichungen von Amnesty International
- State-backed deadly rampage by Israeli settlers underscores urgent need to dismantle apartheid, 22 April
- Israel/OPT: Over 300 Palestinian Bedouin face forced evictions following mass home demolitions in Negev/Naqab, 9 May
- Israel/OPT: Israeli air strikes that killed 44 civilians further evidence of war crimes – new investigation, 27 May
- Israel must end mass incommunicado detention and torture of Palestinians from Gaza, 18 July
- Israel/OPT: Palestinians face drastic escalation in unlawful killings, displacement as Israel launches West Bank military operation, 28 August
- Israel/OPT: Israeli military must be investigated for war crime of wanton destruction in Gaza – new investigation, 5 September
- Israel/OPT: Law to ban UNRWA amounts to criminalization of humanitarian aid, 29 October
- Israel: Hezbollah’s use of inherently inaccurate weapons to launch unlawful attacks violates international law, 20 December