Amnesty International Report 2023/24; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; El Salvador 2023

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Der im Jahr 2022 verhängte Ausnahmezustand dauerte an und führte großflächig zu Menschenrechtsverletzungen, zur Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit und zur Kriminalisierung abweichender Meinungen. Das Recht auf Vereinigungsfreiheit wurde zunehmend eingeschränkt, und die Behinderung friedlicher Proteste sowie die Diffamierung von Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen hielten an. Das absolute Abtreibungsverbot blieb in Kraft. Das Parlament verabschiedete auch 2023 kein Gesetz, das die Rechte der Opfer völkerrechtlicher Verbrechen während des internen bewaffneten Konflikts (1980–1992) garantiert.

Hintergrund

Auf Antrag von Präsident Bukele verlängerte das Parlament den Ausnahmezustand, der auch Ende 2023 noch in Kraft war. Das Parlament erließ zudem zahlreiche Gesetze und Gesetzesänderungen, die gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstießen. Internationale Menschenrechtsmechanismen äußerten ihre Besorgnis über die Verlängerung, die gegen den Grundsatz der außergewöhnlichen und zeitlich begrenzten Natur eines Ausnahmezustands verstößt.

Im Oktober 2023 meldete Präsident Bukele offiziell seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit an, obwohl Rechtsexpert*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen unter Hinweis auf das unmittelbare Wiederwahlverbot in der Verfassung Einwände geltend gemacht hatten.

Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren

Zwischen dem Beginn des Ausnahmezustands am 27. März 2022 und dem Jahresende 2023 wurden mehr als 73.000 Menschen inhaftiert. Die meisten von ihnen wurden beschuldigt, "illegalen Gruppierungen" (agrupaciones ilícitas) anzugehören und an Bandenkriminalität beteiligt gewesen zu sein. Die meisten unter dem Ausnahmezustand durchgeführten Inhaftierungen waren willkürlich, da sie gegen Verfahrensgarantien verstießen. So fehlten klare richterliche Haftanordnungen, Menschen wurden übermäßig lange in Verwaltungshaft gehalten, die Familien der Inhaftierten wurden von den Behörden nicht genau über deren Verbleib informiert, und die Identität der Haftrichter*innen wurde verschwiegen. Der Ausnahmezustand betraf vor allem in Armut lebende und ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen und erhöhte deren Verwundbarkeit.

Nationale Schutzmechanismen wie die Ombudsstelle für Menschenrechte (Procuradoría para la Defensa de los Derechos Humanos – PDDH) verzeichneten einen erheblichen Anstieg der Anfragen zur Überprüfung des Aufenthaltsorts von Inhaftierten. Aufgrund des Ausnahmezustands war die Ombudsstelle jedoch nur begrenzt in der Lage, ihr Mandat zu erfüllen. Zudem hatte sie nicht zu allen Haftanstalten Zugang. Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisierten den Obersten Gerichtshof (Corte Suprema de Justicia) wegen seiner Ineffizienz bei der Bearbeitung von Anträgen auf Haftprüfung, da sich dadurch die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen gegen Inhaftierte noch erhöhte.

Obwohl die Behörden die Freilassung von mehr als 7.000 Inhaftierten meldeten, wurden 85 Prozent dieser Personen nicht von den Vorwürfen der Mitgliedschaft in "illegalen Gruppierungen" freigesprochen, sondern standen weiterhin unter Anklage in noch ausstehenden Gerichtsverfahren. Die Gefahr unfairer Gerichtsverfahren wurde durch Vorschriften verschärft, die Schnellverfahren zuließen und das Recht auf eine wirksame Verteidigung behinderten.

Folter und andere Misshandlungen

Das salvadorianische Strafvollzugssystem erreichte ein kritisches Niveau der Überbelegung. Mit mehr als 100.000 Inhaftierten – dies entsprach 1,14 Prozent der Gesamtbevölkerung – betrug die Belegungsquote der Haftanstalten 300 Prozent. Berechnungen lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen zufolge war El Salvador das Land mit der weltweit höchsten Inhaftierungsquote.

Viele Gefangene berichteten, dass sie gefoltert und anderweitig misshandelt worden seien, u. a. durch unzureichende Versorgung mit Nahrung und Wasser, eingeschränkten Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung, und übermäßige Gewaltanwendung durch das Wachpersonal. Die besonderen Bedürfnisse weiblicher Häftlinge, einschließlich Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten und Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, blieben unberücksichtigt. Seit Beginn des Ausnahmezustands gab es mindestens 190 Todesfälle in staatlichem Gewahrsam, die auf Folter und mangelnde medizinische Versorgung zurückzuführen waren.

Mehrere Institutionen, wie die Generalstaatsanwaltschaft (Procuraduría General de la República – PGR) und die PDDH, untersuchten diese Fälle nicht wirksam und gründlich. So ordnete die PGR die Archivierung der meisten Untersuchungen an. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission stellte einen Antrag auf Zugang zu den Hafteinrichtungen, um eine unabhängige Bewertung der Haftbedingungen vorzunehmen. Die Behörden lehnten den Antrag jedoch ab.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Als sich im Verlauf des Jahres 2023 die Lage in El Salvador aufgrund der Verlängerung des Ausnahmezustands weiter verschlechterte, kam es zunehmend zu Protesten. Die Demonstrierenden prangerten die Menschenrechtsverletzungen unter dem Ausnahmezustand an, forderten die Achtung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ein und verteidigten die Rechte auf Land und Territorium. Die Einschränkung dieser legitimen Bekundungen sozialer Unzufriedenheit seitens der Behörden verletzte die Menschenrechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. Zu den von den Behörden ergriffenen Maßnahmen gehörten die Diffamierung und Infragestellung der Legitimität der Demonstrierenden durch hochrangige Regierungsangehörige in Sozialen Medien und öffentlichen Erklärungen. Darüber hinaus wurden Organisator*innen der Proteste und Teilnehmende eingeschüchtert, bedroht und exzessiv überwacht. Zudem wurde die Bewegungsfreiheit mit Blockaden von Straßen und Zugangswegen zu bestimmten Gebieten eingeschränkt, um Menschen an der Teilnahme an diesen Aktivitäten zu hindern, und Protestierende wurden willkürlich inhaftiert und kriminalisiert.

Die Regierung untergrub auch die Autonomie und Wirkmacht der Gewerkschaften. Die Bewegung entlassener Arbeitnehmer*innen (Movimiento de Trabajadores Despedidos) verzeichnete im Jahr 2023 die Auflösung von zehn Gewerkschaften aufgrund der Schließung einer gleichen Anzahl von Regierungsbehörden. Darüber hinaus verfügte die Regierung unbegründete Einschränkungen des Registrierungsprozesses von Gewerkschaften und der Akkreditierung von Gewerkschaftsvorständen. Die Behörden missachteten auch die Immunität der Gewerkschaften, hielten sich nicht an die Bestimmungen der Tarifverträge und führten Maßnahmen durch, die die Arbeitsplatzsicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Sektor gefährdeten.

Lokalen Organisationen zufolge wurden im Jahr 2023 mindestens 16 Gewerkschafter*innen festgenommen und wegen vermeintlicher Straftaten wie Störung der öffentlichen Ordnung und Widerstand gegen die Festnahme während friedlicher Proteste angeklagt. Mindestens drei Gewerkschafter*innen wurden im Rahmen der Notstandsbestimmungen willkürlich inhaftiert, nachdem sie fälschlicherweise der Straftat der Mitgliedschaft in "illegalen Gruppierungen" beschuldigt worden waren.

Einer Untersuchung aus dem Jahr 2022 zufolge waren zwischen 2020 und 2021 insgesamt 35 Journalist*innen und zivilgesellschaftliche Aktivist*innen in El Salvador von Ausspähung durch die Spionagesoftware Pegasus betroffen. Obwohl die Journalist*innenvereinigung von El Salvador (Asociación de Periodistas de El Salvador – APES) die Generalstaatsanwaltschaft aufgefordert hatte, diese Vorfälle sowie Berichte über das Hacken von Whatsapp-Konten zu untersuchen, waren laut APES 21 Monate später noch immer keine Untersuchungsergebnisse veröffentlicht worden. Das Fehlen eines spezialisierten Teams und das Ausbleiben einer raschen, wirksamen, unparteiischen und unabhängigen Untersuchung haben die weit verbreitete Straflosigkeit gefördert und das Vertrauen des unabhängigen Journalismus in die Behörden untergraben.

APES legte einen Bericht über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Pressefreiheit vor. Ihren Aufzeichnungen zufolge gab es zwischen März 2022 und Juli 2023 222 Verstöße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und 385 Fälle von Schikanen gegen Journalist*innen und Medienunternehmen. In den meisten Fällen handelte es sich dabei um digitale Angriffe und diffamierende Aussagen. APES berichtete auch über sechs Fälle, in denen sich Journalist*innen in der ersten Jahreshälfte 2023 aufgrund zunehmender Drohungen, Einschüchterungen, Übergriffe und der sich abzeichnenden Gefahr der Kriminalisierung gezwungen sahen, aus dem Land zu flüchten. Im April 2023 verlegte das digitale Medienunternehmen El Faro aufgrund des journalismusfeindlichen Klimas in El Salvador seinen Verwaltungssitz nach Costa Rica.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Die Behörden setzten die Diffamierung und Schikane von Menschenrechtsverteidiger*innen in den Sozialen Medien 2023 weiter fort. Dazu gehörten Posts mit bedrohenden Statements beispielsweise von Vertreter*innen des Staates, die zur Drangsalierung und Rufschädigung von Einzelpersonen und Organisationen aufriefen. Daneben wurden Falschinformationen über digitale Plattformen verbreitet, um Regierungskritiker*innen und Andersdenkende zu diskreditieren und einzuschüchtern. Diese Hetzkampagne beeinträchtigte die Integrität, die Sicherheit und das persönliche Wohlergehen von Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen und schränkte ihre Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit ein.

Der Ausnahmezustand wurde genutzt, um Menschenrechtsverteidiger*innen zu kriminalisieren. So wurden Gesetze zur Bekämpfung von Bandenkriminalität missbraucht, um deren willkürliche Inhaftierung zu rechtfertigen. Die meisten dieser Fälle betrafen Menschen, die Land, Territorium und natürliche Ressourcen sowie Arbeitnehmer*innenrechte verteidigten. Internationale Menschenrechtsmechanismen kritisierten den Staat, der weder Untersuchungen zu diesen Inhaftierungen durchführte noch rechtsstaatliche Verfahren garantierte.

Recht auf Information

Die Transparenz des staatlichen Handelns war 2023 höchst unzureichend, und der Zugang zu öffentlichen Informationen war stark eingeschränkt. El Salvador wurde von der multilateralen Initiative Open Government Partnership ausgeschlossen, die für eine transparente Regierungsführung, Öffentlichkeitsbeteiligung und Verwaltungsmodernisierung eintritt. Die Regierung behinderte den Zugang zu wichtigen Informationen, indem sie systematische Einschränkungen und übermäßige Anforderungen für die Bereitstellung offizieller Daten auferlegte. Regierungsbehörden wie die Generaldirektion der Strafvollzugsanstalten (Dirección General de Centros Penales) und das Ministerium für Nationale Verteidigung (Ministerio de la Defensa Nacional) schränkten den Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen ein, ohne die dafür geltenden internationalen Standards zu erfüllen. Das Parlament beschleunigte die Gesetzgebungsverfahren und schränkte die Beteiligung der Öffentlichkeit an den Diskussionen über neue Gesetze ein, wodurch die Transparenz noch weiter reduziert wurde.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Das absolute Abtreibungsverbot, das dazu führte, dass Frauen aufgrund von Anschuldigungen im Zusammenhang mit unverschuldeten gynäkologischen Notfällen (Früh- oder Totgeburten) mit Haftstrafen rechnen mussten, blieb in Kraft und verletzte die sexuellen und reproduktiven Rechte. Aufgrund des Verbots standen Ende 2023 mindestens 21 Frauen wegen gynäkologischer Notfälle vor Gericht.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Das Parlament brachte auch 2023 keine angemessenen gesetzlichen Regelungen auf den Weg, um die Rechte der Opfer völkerrechtlicher Verbrechen zu gewährleisten, die während des internen bewaffneten Konflikts zwischen 1980 und 1992 verübt worden waren. Bei den diesbezüglichen Ermittlungen und der strafrechtlichen Verfolgung der für diese Verbrechen mutmaßlich strafrechtlich Verantwortlichen wurden kaum Fortschritte erzielt.

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