Amnesty International Report 2023/24; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Ägypten 2023

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Präsidentschaftswahl im Dezember 2023 fand in einem repressiven Umfeld statt. Wirkliche Oppositionskandidat*innen wurden an einer Kandidatur gehindert, und die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden massiv unterdrückt. Die Behörden ordneten die Freilassung von 834 Personen an, die aus politischen Gründen inhaftiert waren. Doch nahmen sie gleichzeitig mehr als dreimal so viele Personen fest. Tausende tatsächliche oder vermeintliche Regierungskritiker*innen waren weiterhin willkürlich inhaftiert bzw. wurden zu Unrecht strafrechtlich verfolgt. Fälle von Verschwindenlassen, Folter und anderen Misshandlungen waren weiterhin an der Tagesordnung. Gerichte verhängten Todesurteile nach grob unfairen Verfahren, die Zahl der Hinrichtungen ging jedoch zurück. Schwere Menschenrechtsverletzungen blieben weiterhin straflos, auch solche, die in den Vorjahren verübt worden waren. Frauen und Mädchen, religiöse Minderheiten und LGBTI+, die von ihren Menschenrechten Gebrauch machen wollten, waren Diskriminierung, Gewalt und Strafverfolgung ausgesetzt. Die Behörden unternahmen nichts, um die wirtschaftlichen und sozialen Rechte zu stärken, die durch eine schwere Wirtschaftskrise beeinträchtigt waren, oder um Beschäftigte gegen ungerechtfertigte Entlassungen durch Privatunternehmen zu schützen. In informellen Siedlungen kam es weiterhin zu rechtswidrigen Zwangsräumungen, und Zehntausende Bewohner*innen des Nordsinai durften nicht in ihre Häuser zurückkehren. Geflüchtete und Migrant*innen, die ohne Erlaubnis nach Ägypten eingereist waren oder sich dort aufhielten, wurden willkürlich inhaftiert. Es kam zu Abschiebungen.

Hintergrund

Im Januar 2023 kündigte der Präsident Feierlichkeiten zum "Ende des Terrorismus" an, doch kam es im Nordsinai weiterhin zu sporadischen Angriffen bewaffneter Gruppen. Im August 2023 berichtete die Menschenrechtsgruppe Sinai Foundation for Human Rights, die Armee würde bei Militäroperationen im Nordsinai Kindersoldaten einsetzen. In einem Bericht an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes bestätigte die Regierung im März, dass das Mindestalter für den freiwilligen Eintritt in die Armee bei 16 Jahren liege.

Im Mai 2023 begann ein "nationaler Dialog", doch brachen Oppositionspolitiker*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen ihre Teilnahme daran ab, als erneut Regierungskritiker*innen inhaftiert wurden. Angesichts der Präsidentschaftswahl im Dezember 2023 und einer sich verschärfenden Finanz- und Wirtschaftskrise wurde der Dialog im September ausgesetzt. Amtsinhaber Abdel Fattah al-Sisi gewann die Präsidentschaftswahl, bei der keine echten Gegenkandidat*innen zugelassen waren.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Die Behörden unterdrückten weiterhin jede Form von Kritik und drangsalierten die Zivilgesellschaft. Ins Visier gerieten u. a. Oppositionspolitiker*innen und deren Anhänger*innen, Familienangehörige von im Ausland lebenden Dissident*innen, Gewerkschafter*innen, Rechtsanwält*innen sowie alle Personen, die die Menschenrechtslage, die Wirtschaftspolitik der Regierung oder die Rolle des Militärs kritisierten. Im Januar 2023 verurteilte ein Staatssicherheitsgericht 82 Personen aus Suez, darunter 23 zum Zeitpunkt der Vorfälle minderjährige, in einem grob unfairen Verfahren zu Haftstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich in Zusammenhang mit regierungskritischen Protesten im September 2019.

Die Sicherheitskräfte nahmen 2023 mindestens vier Journalisten aufgrund ihrer Arbeit oder ihrer Ansichten fest, u. a. den Verleger Hisham Kassem, der auch Vorsitzender der Bewegung Free Current Movement ist, eines Zusammenschlusses liberaler Oppositionsparteien. Im September wurde Hisham Kassem wegen "Verleumdung" zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt, weil er einen ehemaligen Minister online kritisiert und der Korruption bezichtigt sowie Staatsbedienstete "beleidigt" hatte. Mindestens 21 Journalist*innen waren weiterhin wegen "Verbreitung falscher Nachrichten", Mitgliedschaft in einer "terroristischen" Gruppe oder "Missbrauchs Sozialer Medien" inhaftiert. Einige von ihnen waren bereits verurteilt, gegen andere wurde noch ermittelt.

Mehr als 600 Websites, die Nachrichten oder Informationen zu Menschenrechten und anderen Themen enthielten, blieben blockiert. Im Januar 2023 sperrten die Behörden die Website der NGO Cairo Institute for Human Rights Studies und im Juni die Nachrichtenseiten von Soulta 4 und Masr 360. Die Sperrung der oppositionellen Nachrichtenseite Daarb wurde im April aufgehoben.

Mitarbeiter*innen der unabhängigen Medienplattform Mada Masr waren politisch motivierter Verfolgung und Ermittlungen ausgesetzt, u. a. in Verbindung mit einem im Oktober 2023 veröffentlichten investigativen Bericht über den Grenzübergang Rafah.

Im Laufe des Jahres setzte die Regierung 820 Personen, darunter Menschenrechtler*innen, Gewerkschafter*innen und Journalist*innen, ohne ordnungsgemäßes Verfahren auf die "Terrorliste", was bedeutete, dass ihnen bürgerliche und politische Rechte entzogen wurden.

NGOs mussten sich laut dem drakonischen Gesetz über NGOs aus dem Jahr 2019 bis April 2023 registrieren lassen, andernfalls drohte ihnen die Schließung.

Mindestens 20 Menschenrechtsverteidiger*innen unterlagen wegen ihrer Arbeit weiterhin willkürlichen Reiseverboten, und bzw. oder ihr Vermögen wurde eingefroren.

Die Sicherheitskräfte hinderten Menschen daran, ihre Unterstützung für potenzielle Oppositionskandidat*innen bei der Präsidentschaftswahl zu bekunden und nahmen mindestens 137 Anhänger*innen und Verwandte des Oppositionspolitikers und potenziellen Präsidentschaftskandidaten Ahmed al-Tantawi willkürlich fest. Im September 2023 bestätigte das Citizen Lab der Universität Toronto, dass das Telefon des Oppositionellen mit der Spionagesoftware Predator infiziert war, und befand, dass daran mit "hoher Wahrscheinlichkeit" die Regierung beteiligt war.

Im Oktober 2023 nahmen Sicherheitskräfte in Kairo und Alexandria zahlreiche Menschen fest, die ihre Solidarität mit den Palästinenser*innen im Gazastreifen zum Ausdruck brachten, darunter auch Minderjährige. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Egyptian Commission for Rights and Freedoms befanden sich Ende 2023 noch mindestens 67 Personen wegen Protesten und Terrorismusvorwürfen in Untersuchungshaft.

Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren

Im Laufe des Jahres kamen 834 Gefangene frei, die aus politischen Gründen inhaftiert waren. Gleichzeitig verhörte die für Staatssicherheit zuständige Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft (Supreme State Security Prosecution) mindestens 2.504 mutmaßliche Kritiker*innen und Oppositionelle, die man 2023 wegen mutmaßlicher Beteiligung an terroristischen Straftaten, Internetkriminalität, Protesten oder "Verbreitung falscher Nachrichten" festgenommen hatte.

Die Sicherheitskräfte weigerten sich, 251 Inhaftierte freizulassen, die von Staatsanwaltschaften oder Gerichten freigesprochen oder vorläufig freigelassen worden waren oder die ihre Haftstrafen bereits verbüßt hatten.

Im Juni 2023 bezeichnete Präsident al-Sisi Inhaftierungen als "Rettung Ägyptens".

Gerichte und die für Staatssicherheit zuständige Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft verlängerten routinemäßig die Untersuchungshaft von Tausenden Gefangenen und verweigerten ihnen die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Haft wirksam anzufechten. Anhörungen zur Verlängerung der Untersuchungshaft fanden per Videokonferenz statt, zu der die Inhaftierten vom Gefängnis aus zugeschaltet wurden. Sie konnten ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung nicht wahrnehmen und mussten Repressalien befürchten, wenn sie in Anwesenheit des Gefängnispersonals auf Misshandlungen hinwiesen.

In politisch motivierten Verfahren wurden die Standards für faire Gerichtsverfahren systematisch verletzt. Im März 2023 verurteilte ein Staatssicherheitsgericht 30 Personen, darunter den Gründer der Menschenrechtsorganisation Egyptian Coordination for Rights and Freedoms, nach einem unfairen Verfahren zu Gefängnisstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich. Die haltlosen Anschuldigungen bezogen sich auf ihre Menschenrechtsarbeit und ihre friedlich geäußerten kritischen Ansichten.

Verschwindenlassen sowie Folter und andere Misshandlungen

Angehörige des Nationalen Geheimdiensts (National Security Agency – NSA) und andere Sicherheitskräfte ließen Andersdenkende weiterhin verschwinden. Nach Angaben der Kampagne Stop Enforced Disappearances der Egyptian Commission for Rights and Freedoms wurden mindestens 70 im Jahr 2023 festgenommene Personen Opfer des Verschwindenlassens. Am Jahresende waren Schicksal und Verbleib von sechs Personen immer noch unbekannt.

In Gefängnissen, Polizeistationen und Einrichtungen des NSA waren Folter und andere Misshandlungen weiterhin an der Tagesordnung.

Im Januar 2023 nahmen Sicherheitskräfte den Rechtsanwalt Shaaban Mohamed in Gizeh auf der Straße fest und ließen ihn sechs Wochen lang in einer NSA-Einrichtung verschwinden, wo man ihn schlug, an den Gliedmaßen aufhängte und mit Elektroschocks quälte.

Die Haftbedingungen verstießen weiterhin gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen. So verweigerte man Inhaftierten die medizinische Versorgung, hielt sie lange Zeit in Isolationshaft, setzte sie grellem Licht aus, überwachte sie rund um die Uhr mit Kameras und verwehrte ihnen Familienbesuche. Im Badr-Gefängniskomplex (Gouvernement Kairo) und einem Gefängnis in der Stadt Madīnat al-ʿĀshir min Ramaḍān (Gouvernement Scharkia), wohin man ab Mitte 2022 bzw. Mitte 2023 Hunderte politische Gefangene verlegt hatte, traten zahlreiche Inhaftierte aus Protest gegen die Haftbedingungen in den Hungerstreik.

Todesstrafe

Die für Terrorismus zuständigen Kammern der Strafgerichte sowie Militärgerichte und andere Gerichte verhängten Todesurteile nach unfairen Prozessen.

Im Januar 2023 verurteilte ein Kairoer Strafgericht mehrere Männer wegen "Terrorismus" zum Tode. Das Verfahren war überschattet von Vorwürfen, die Angeklagten seien dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen und "Geständnisse" seien unter Folter erpresst worden.

Die Zahl der Hinrichtungen ging 2023 im Vergleich zu den Vorjahren zurück.

Straflosigkeit

Rechtswidrige Tötungen, Folter, Verschwindenlassen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die 2023 und in den Vorjahren verübt wurden, blieben zumeist straflos. Für das Blutvergießen am 14. August 2013, als bei der gewaltsamen Auflösung einer Sitzblockade von Anhänger*innen des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi in Kairo mindestens 900 Menschen rechtswidrig getötet wurden, waren auch zehn Jahre später immer noch keine Staatsbediensteten zur Rechenschaft gezogen worden.

Die Behörden leiteten keine gründlichen Ermittlungen zu den Ursachen und Umständen von mindestens 47 ungeklärten Todesfällen in Gewahrsam ein, obwohl Berichte vorlagen, dass Folter oder die Verweigerung einer angemessenen Gesundheitsversorgung eine Rolle gespielt haben könnten. Die Sicherheitskräfte drohten Angehörigen, die sich um Wahrheit und Gerechtigkeit bemühten, sie willkürlich zu inhaftieren oder in anderer Weise zu bestrafen.

Im Fall von Mahmoud Abdel Gawad, der im Juli 2023 vier Tage nach seiner Festnahme in der Polizeiwache von Nabaroh (Gouvernement Dakahalia) starb, wurde niemand zur Rechenschaft gezogen, obwohl glaubhafte Berichte vorlagen, dass die Polizei ihn schwer geschlagen und mit Elektroschocks misshandelt hatte.

Zum Tod des Rechtsanwalts Ali Abbas Barakat am 26. Juni 2023 wurden keine Ermittlungen eingeleitet. Er hatte sich in der Haft mit Hepatitis C infiziert und war am 10. Juni im al-Qanater-Gefängnis nahe Kairo ins Koma gefallen. Die Behörden hatten ihn jedoch erst zwei Tage später in ein Gefängniskrankenhaus verlegt.

Im September 2023 entschied das italienische Verfassungsgericht, dass der Prozess gegen vier ägyptische Sicherheitskräfte wegen der Folterung und Ermordung des italienischen Studenten Giulio Regeni im Jahr 2016 in Abwesenheit der Angeklagten fortgesetzt werden könne. Der Prozess in Italien war zuvor eingestellt worden, weil sich die ägyptischen Behörden geweigert hatten, die Aufenthaltsorte der Angeklagten preiszugeben, um so zu verhindern, dass man sie offiziell über das Verfahren in Kenntnis setzen konnte.

Geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt

Frauen wurden 2023 weiterhin per Gesetz und im täglichen Leben diskriminiert, u. a. in Bezug auf Heirat, Scheidung, Sorgerecht und den Zugang zu politischen Ämtern. Die seit Langem versprochene Reform des Personenstandsgesetzes stand weiterhin aus, und es gab Befürchtungen, dass Menschenrechtsverteidigerinnen dabei nicht umfassend und wirksam einbezogen wurden.

Die Behörden unternahmen weiterhin nichts, um geschlechtsspezifische Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteure wirkungsvoll zu verhindern, obwohl sich in den ägyptischen Medien Berichte über die Tötung von Frauen durch Familienmitglieder oder abgewiesene Verehrer häuften.

Frauen mussten mit Strafverfolgung rechnen, wenn sie z. B. sexualisierte Gewalt anprangerten oder ihnen "Sittenlosigkeit" vorgeworfen wurde.

Im November 2023 hob ein Wirtschaftsberufungsgericht die zweijährige Haftstrafe gegen Salma Elshimy auf, die als Model und Tiktok-Influencerin tätig war, und verurteilte sie wegen "sittenwidriger" Inhalte, die "gegen ägyptische Familienwerte" verstießen, zu einer Geldstrafe. Mindestens drei Influencerinnen blieben wegen Vorwürfen der "Sittenlosigkeit" oder anderer fingierter Anschuldigungen inhaftiert.

Die Behörden schikanierten und verfolgten weiterhin Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Mehrere Betroffene berichteten über Schläge und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam.

Wirtschaftliche und soziale Rechte

Die schwere Wirtschaftskrise des Landes wirkte sich 2023 stark auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Bevölkerung aus.

Die Regierung wandte etwa die Hälfte des Haushalts 2023/24 für den Schuldendienst auf und hielt sich nicht an die Vorgaben der Verfassung, wonach mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in das Gesundheitswesen und 6 Prozent in Schulen und Hochschulen fließen müssen.

Nachdem die Regierung im Herbst 2022 mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbart hatte, den Kurs des Ägyptischen Pfunds freizugeben, verlor die Währung erheblich an Wert. Die Inflationsrate erreichte im Februar die Marke von rund 40 Prozent. Nach Angaben der Statistikbehörde stiegen die Lebensmittelpreise von August 2022 bis Juli 2023 um 68 Prozent. Eine leitende Mitarbeiterin der Behörde teilte mit, dass die Armutsquote zwischen 2022 und 2023 deutlich angestiegen sei, weshalb die Regierung dringend die staatlichen Sozialprogramme anpassen müsse.

Die Regierung ergriff jedoch keine ausreichenden Maßnahmen, um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Rechte der Menschen, insbesondere das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, abzumildern. Im September 2023 kündigte der Präsident an, dass der monatliche Mindestlohn für Beschäftigte im öffentlichen Dienst von 3.500 auf 4.000 Ägyptische Pfund (von etwa 100 auf 120 Euro) angehoben werde. Nach Ansicht von Fachleuten für wirtschaftliche Rechte war dies angesichts der Inflation jedoch unzureichend. Die Behörden gingen nicht gegen Privatunternehmen vor, die weniger als den Mindestlohn bezahlten.

Im September 2023 erklärte der Präsident, "Hunger und Entbehrungen" seien akzeptable Opfer für Entwicklung und Fortschritt.

Arbeitnehmer*innenrechte

Die Behörden behinderten und schikanierten Beschäftigte, die für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen streikten.

Im Oktober 2023 verhinderten Sicherheitskräfte, dass sich streikende Beschäftigte des Unternehmens Universal Group for Home Appliances in der Nähe des Firmensitzes in der Stadt des 6. Oktober (Madinat as-Sadis min Uktubar) westlich von Kairo versammelten, und warnten die Streikenden davor, sich beim Arbeitsministerium zu beschweren. Außerdem lud der Geheimdienst NSA einige der Beschäftigten vor und verhörte sie bezüglich des Streiks.

Mindestens 14 Lehrkräfte, die im Oktober 2023 in Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt im Gouvernement Kairo dagegen protestiert hatten, dass sie nicht eingestellt wurden, befanden sich Ende des Jahres noch in Haft, während man wegen "Terrorismus" gegen sie ermittelte. Bewerber*innen für Stellen im öffentlichen Dienst beschwerten sich, dass man ihnen aus Sicherheitsgründen oder wegen Schwangerschaft oder Übergewicht die Bescheinigung über den Abschluss eines Kurses der Militärakademie verweigerte, die ab 2023 eine Einstellungsvoraussetzung war.

Recht auf Wohnraum

Die Behörden führten weiterhin rechtswidrige Zwangsräumungen durch, zerstörten Häuser und nahmen Bewohner*innen fest, die sich gegen die Räumungen wehrten. Betroffen waren u. a. informelle Siedlungen und Kairos historischer Friedhof "Stadt der Toten", wo Zehntausende Menschen lebten.

Im März 2023 wies ein Verwaltungsgericht eine Klage von Bewohner*innen der Insel Warraq in Gizeh ab. Sie hatten gegen den Beschluss der Regierung von 2021 geklagt, ihr Land für "das öffentliche Wohl" zu nutzen, ohne eine angemessene Entschädigung zu leisten. Im Februar 2023 lösten Sicherheitskräfte einen Protest zahlreicher Bewohner*innen der Insel Warraq mit Tränengas auf und nahmen Demonstrierende fest.

Nach Angaben der Sinai Foundation for Human Rights kam es in der Stadt Al-Arish im Nordsinai 2023 zu rechtswidrigen Zwangsräumungen und der Zerstörung von Wohnhäusern.

Im Oktober 2023 schoss die Armee rechtswidrig mit scharfer Munition auf Hunderte friedliche Demonstrierende im Nordsinai. Sie hatten in der Stadt Sheikh Zuwayed eine Sitzblockade veranstaltet und gefordert, in ihre Häuser in Sheikh Zuwayed und Rafah zurückkehren zu dürfen. Die Bewohner*innen waren im Zuge der seit 2014 andauernden Militäraktionen gegen bewaffnete Gruppen wie Wilayat Sinai, einem Ableger der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS), vertrieben worden.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Die Behörden diskriminierten Christ*innen weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben.

Bisher wurde niemand für Angriffe auf Christ*innen im Dorf Ashrubah (Gouvernement al-Minya) zur Rechenschaft gezogen, die im Januar 2023 zu Verletzten und Sachschäden geführt hatten.

Der Bau und die Sanierung von Kirchen waren weiterhin durch ein Gesetz aus dem Jahr 2016 eingeschränkt, das eine Genehmigung durch die Sicherheitsbehörden und andere staatliche Stellen vorschreibt. Im Mai 2023 gab der Ministerpräsident bekannt, die Regierung habe seit Inkrafttreten des Gesetzes die Legalisierung von 2.815 Kirchen genehmigt, was etwa der Hälfte der eingereichten Anträge entspricht.

Ein positiver Schritt war die Entscheidung eines Familiengerichts in Kairo, das im März 2023 bei einer Erbschaftssache die christlich-orthodoxen Regelungen zur Anwendung brachte. Der Fall war von der Anwältin Huda Nassralla von der Menschenrechtsorganisation Ägyptische Initiative für persönliche Rechte (Egyptian Initiative for Personal Rights) vorgebracht worden. Üblicherweise wenden Gerichte in solchen Fällen das muslimische Personenstandsrecht an, das Frauen in Erbschaftsangelegenheiten diskriminiert.

Angehörige religiöser Minderheiten, Atheist*innen und Angehörige anderer Gruppen, die keine staatlich anerkannten religiösen Überzeugungen vertraten, wurden vom NSA vorgeladen und verhört oder in anderer Weise bedroht und schikaniert, teilweise auch in ihren Bildungseinrichtungen oder im Internet.

Der vom Islam zum Christentum konvertierte Jemenit Abdul-Baqi Saeed Abdo befand sich weiterhin in Haft, während die für Staatssicherheit zuständige Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft wegen "Diffamierung der islamischen Religion" und Mitgliedschaft in einer "terroristischen Gruppe" gegen ihn ermittelte. Er hatte in den Sozialen Medien seinen Übertritt zum Christentum bekannt gegeben.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) flohen ab April 2023 rund 370.000 sudanesische Staatsangehörige nach Ägypten. Die Behörden verschärften die Einreisebedingungen und führten für sudanesische Staatsangehörige eine Visumspflicht ein sowie eine Sicherheitsüberprüfung für alle Jungen und Männer zwischen 16 und 50 Jahren (siehe Länderkapitel Sudan). Einigen sudanesischen, eritreischen und syrischen Staatsangehörigen wurde die Einreise an der Grenze verweigert. Mindestens ein Asylsuchender wurde in den Sudan abgeschoben, weil er keine gültige Aufenthaltsgenehmigung besaß.

Die Sicherheitskräfte nahmen zahlreiche Flüchtlinge und Asylsuchende aus Afghanistan, Syrien und afrikanischen Ländern südlich der Sahara sowie Uigur*innen aus China fest, die ohne die nötigen Dokumente nach Ägypten eingereist waren oder sich dort aufhielten. Im Mai 2023 wurde der tschadische Flüchtling Alfred Djasnan, ein Journalist und Präsident der African Refugees’ Rights Initiative, nach Ruanda abgeschoben. Er war festgenommen worden, nachdem Menschen aus Ländern südlich der Sahara vor dem Sitz des UNHCR in der Stadt des 6. Oktober gegen ihre schlechten Lebensbedingungen protestiert hatten.

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