Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Bolivien 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Plurinationaler Staat Bolivien

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Luis Alberto Arce Catacora

Stand:
1/2023

Die Regierung unterzeichnete eine Entschädigungsvereinbarung mit Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen unter der ehemaligen Militärregierung. Die Justiz war nach wie vor nicht vollständig unabhängig. Menschenrechtverteidiger*innen wurden weiterhin bedroht und angegriffen. Ordnungskräfte gingen gewaltsam gegen protestierende Kokaproduzent*innen vor und nahmen sie in einigen Fällen willkürlich fest. Indigene Bevölkerungsgruppen hatten besonders stark unter den Folgen von Entwaldung und Quecksilberverunreinigungen zu leiden.

Straflosigkeit

Nachdem sie mehr als zehn Jahre in einem Zeltlager vor dem Justizministerium kampiert hatten, unterzeichneten Betroffene von Menschenrechtsverletzungen unter der Militärregierung (1964–1982) eine Vereinbarung mit der Regierung, welche die finanzielle Entschädigung von mehr als 1.700 Personen vorsah. Tausende weitere Betroffene warteten jedoch noch immer auf die Anerkennung und Wiedergutmachung durch die Regierung.

Personen, die während der politischen Krise im Jahr 2019 Opfer von Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtlichen Verbrechen geworden waren, warteten auch Ende 2022 noch auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Damals starben mindestens 37 Personen und Hunderte weitere wurden verletzt.

Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

Der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richter*innen und Anwält*innen besuchte Bolivien im Februar 2022 und kam zu dem Schluss, dass die Behörden weiterhin in die Unabhängigkeit der Justiz eingriffen und der Zugang zur Justiz nach wie vor schwierig war.

Angehörige der Behörden und der ehemaligen Übergangsregierung standen nach wie vor unter Anklage wegen Straftatbeständen wie "Terrorismus", "Aufwiegelung" und "Verschwörung". Auch nach mehr als 21 Monaten befanden sich die ehemalige Interimspräsidentin Jeanine Áñez und andere ehemalige Staatsbedienstete weiter in Untersuchungshaft. Dies deutete auf strukturelle Probleme in der Rechtspflege hin, die dazu führten, dass ein extrem hoher Anteil von Personen, denen ein Gerichtsverfahren bevorstand, lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbringen musste.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Obwohl Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für den Umweltschutz einsetzten, lokalen Organisationen zufolge im Jahr 2022 Ziel von mindestens 200 Angriffen und Drohungen wurden, ergriffen die Behörden keine Schutzmaßnahmen für sie. Zu den Angriffen zählten Entführungen und das Inbrandsetzen von Siedlungen, in denen sich viele Umweltschützer*innen aufhielten.

Menschenrechtler*innen wie Waldo und Franco Albarracín berichteten nach wie vor von Drohungen gegen sie und ihre Familien sowie von anhaltender Stigmatisierung und Schikanierung durch die Behörden. Gegen Waldo Albarracín lief außerdem ein Strafverfahren, in dem die nötigen Verfahrensgarantien nicht eingehalten wurden.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Ordnungskräfte gingen gewaltsam gegen Kokaproduzent*innen vor, die gegen die von den USA finanzierten Maßnahmen zur Unterbindung des lokalen Koka-Anbaus protestierten, und nahmen sie in einigen Fällen willkürlich fest. Gegen einige der Festgenommenen setzten die Sicherheitskräfte unverhältnismäßige Gewalt ein.

Umweltzerstörung und Rechte indigener Gemeinschaften

Obwohl sich Bolivien verpflichtet hatte, seinen Waldbestand zu erhalten und gegen illegale Abholzung vorzugehen, wurden im Laufe des Jahres 2022 mehr als eine Million Hektar Waldland abgebrannt, hauptsächlich, um landwirtschaftliche Aktivitäten auszuweiten.

Die Verunreinigung von Flüssen durch die ungeregelte Entsorgung von Quecksilberabfällen, die meist auf kleine Goldminen zurückging, verursachte Krankheiten. Besonders davon betroffen waren in Armut lebende indigene Gemeinschaften von Fischerleuten. Die Regierung kündigte an, sie werde einen Plan zur Reduzierung des Einsatzes von Quecksilber umsetzen, äußerte sich aber nicht zu den darin vorgesehenen Maßnahmen.

Frauenrechte

Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt überlebt hatten und Klagen einreichen wollten, waren nicht wirksam vor Repressalien geschützt. Frauen und weiblichen Jugendlichen fehlte es an kostenlosen oder bezahlbaren modernen Verhütungsmitteln, insbesondere in ländlichen Gegenden.

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