Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Guatemala 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Republik Guatemala

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Alejandro Giammattei Falla

Stand:
1/2023

Unbegründete Strafverfahren gegen Richter*innen, Staatsanwält*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Protestierende führten dazu, dass die zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume 2022 immer enger wurden. Die Behörden schützten das Recht auf Gesundheit und die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) nicht ausreichend. Aufgrund des hohen Ausmaßes an Gewalt, Straflosigkeit, Armut und Ungleichheit sahen sich Tausende Menschen gezwungen, das Land zu verlassen.

Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen

Die Behörden unternahmen auch 2022 nichts, um Menschenrechtsverteidiger*innen vor Angriffen zu schützen, sondern beteiligten sich vielmehr aktiv an deren Kriminalisierung. Die Menschenrechtsorganisation Unidad de Protección a Defensoras y Defensores de Derechos Humanos en Guatemala (UDEFEGUA) verzeichnete von Januar bis Oktober 2.273 Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen und Angehörige der Justizverwaltung.

Im März 2022 ordnete ein Richter die Freilassung von Bernardo Caal Xol auf Bewährung an, nachdem der Menschenrechtsverteidiger mehr als vier Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Seinen Angaben zufolge drohte ihm jedoch ein weiteres unbegründetes Strafverfahren, das Ende des Jahres noch anhängig war.

Journalist*innen, die über Korruption und Straflosigkeit berichteten, waren häufig unbegründeten Strafanzeigen und Verleumdungskampagnen ausgesetzt.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen zufolge legte die Staatsanwaltschaft Berufung gegen die Einstellung des Verfahrens gegen zwei Frauen ein, die wegen "Verunstaltung von Kulturgütern" angeklagt worden waren. Sie sollen während der Proteste im November 2020 das Parlamentsgebäude mit Farbe beschmiert haben, doch lagen keine Beweise gegen sie vor.

Einige Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen wurden darüber informiert, dass im Zusammenhang mit den Protesten im November 2020 strafrechtliche Ermittlungen gegen sie eingeleitet worden seien. Ihnen werde vorgeworfen, die Proteste organisiert oder daran teilgenommen zu haben. Die Betroffenen erhielten jedoch keinen Zugang zu ihren Strafakten.

Straflosigkeit

Internationale Menschenrechtsinstitutionen und -expert*innen äußerten mehrfach ihre Besorgnis über neue Angriffe auf die Unabhängigkeit von Richter*innen, Staatsanwält*innen und Rechtsanwält*innen, die sich mit wichtigen Fällen von Völkerrechtsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Korruption befassten. Sie waren ständig Einschüchterung, Überwachung, Bedrohung und Verleumdungskampagnen in den herkömmlichen und in den Sozialen Medien ausgesetzt, um ihre Arbeit zu diskreditieren. Die Behörden ergriffen keinerlei Maßnahmen, um die Betroffenen gegen diese Angriffe zu schützen, sondern gingen vielmehr häufig mit unbegründeten Strafverfahren gegen sie vor. Dies führte wiederum dazu, dass sich noch mehr Jurist*innen gezwungen sahen, das Land zu verlassen, wie z. B. die Richterin Erika Aifan und der Richter Miguel Ángel Gálvez. Andere wurden suspendiert, entlassen oder inhaftiert. So wurde im Dezember die Staatsanwältin Virginia Laparra zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl keinerlei Beweise für die gegen sie erhobenen Vorwürfe vorlagen.

Trotz massiver Kritik seitens zivilgesellschaftlicher Organisationen stellte die Staatsanwaltschaft Verfahren gegen Personen ein, denen Beteiligung an großen Korruptionsfällen zur Last gelegt wurde.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Bei den Ermittlungen zu den völkerrechtlichen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die während des internen bewaffneten Konflikts (1960–1996) verübt worden waren, gab es gewisse Fortschritte, die Mehrheit der Verfahren stagnierte jedoch.

Im dem als Diario Militar bekannten Fall eröffnete ein Richter das Verfahren gegen mindestens neun pensionierte Militär- und Polizeiangehörige. Sie wurden beschuldigt, zwischen 1983 und 1985 an Fällen des Verschwindenlassens, außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen völkerrechtlichen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, denen mindestens 183 Personen zum Opfer fielen, die als Oppositionelle galten.

Recht auf Gesundheit

Das Gesundheitswesen war 2022 überfordert und nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. In Lateinamerika und der Karibik gehörte Guatemala zu den Ländern mit den geringsten Investitionen in das Gesundheitssystem: Die staatlichen Gesundheitsausgaben betrugen 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit weniger als die Hälfte des von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Anteils von 6 Prozent.

Im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik war die Quote der gegen Corona geimpften Personen in Guatemala nach wie vor sehr niedrig, insbesondere in ländlichen und indigenen Gebieten. Ein Grund dafür war, dass die Behörden keine umfassende Strategie entwickelt hatten, um indigene Gemeinschaften und deren Sprecher*innen über die Impfung zu informieren.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Schwangerschaftsabbrüche waren nach wie vor grundsätzlich strafbar. Eine Ausnahme galt nur dann, wenn die Schwangerschaft das Leben der Schwangeren gefährdete. Am 15. März 2022 zog der Kongress ein Gesetz (Decreto 18-2022) zurück, das er erst am 8. März verabschiedet hatte und das die strafrechtlichen Bestimmungen für Schwangerschaftsabbrüche verschärft hätte. Es sah vor, Personen, die Fehlgeburten erlitten hatten, strafrechtlich zu verfolgen, und Gefängnisstrafen gegen Menschen zu verhängen, die "die Durchführung von Abtreibungen propagierten oder ermöglichten".

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Das Ausmaß an Gewalt gegen Frauen und an sexualisierter Gewalt gegen Mädchen war 2022 nach wie vor hoch.

Die Verfahren gegen einige derjenigen Personen, denen vorgeworfen wurde, für den Tod von 41 Mädchen verantwortlich zu sein, die 2017 bei einem Brand im staatlich betriebenen Kinderschutzhaus Hogar Seguro Virgen de la Asunción ums Leben gekommen waren, machten weiterhin keine Fortschritte.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Nach Angaben der Nationalen Beobachtungsstelle für LGBTI-Rechte (Observatorio Nacional LGBTIQ+) wurden 2022 mindestens 29 Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität getötet.

Die gleichgeschlechtliche Ehe war weiterhin nicht zugelassen. Das am 8. März 2022 verabschiedete Gesetz (Decreto 18-2022), das nach scharfer Kritik aus dem In- und Ausland wenige Tage später vom Parlament zurückgenommen wurde, enthielt ein ausdrückliches Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe und jeglichen Schulunterrichts über sexuelle Vielfalt und Geschlechtergleichstellung. Ende 2022 stand hingegen der Gesetzentwurf 5940 kurz vor der Verabschiedung, der vorsah, in der schulischen Sexualerziehung jegliche Informationen über transgeschlechtliche Identitäten und nicht-heterosexuelle Beziehungen zu verbieten.

Klimakrise und Umweltzerstörung

Im Mai 2022 kündigte die Regierung einen aktualisierten nationalen Klimaschutzbeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC) an. Sie verpflichtete sich, die Treibhausgasemissionen des Landes bis zum Jahr 2030 aus eigenen Mitteln um 11,2 Prozent im Vergleich zu 2016 zu reduzieren. Mit entsprechender technischer und finanzieller Hilfe aus dem Ausland sei eine Reduktion um bis zu 22,6 Prozent möglich. Guatemala versprach außerdem, die Abholzung von Wäldern zu bekämpfen. Menschenrechtsverteidiger*innen und indigene Expert*innen berichteten jedoch, dass illegaler Holzeinschlag, die Zerstörung natürlicher Räume, die Ausweitung von Monokulturen und die Verschmutzung von Wassereinzugsgebieten anhielten. Auch die Angriffe auf Umweltschützer*innen und indigene Gemeinschaften hätten nicht nachgelassen.

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