Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022
AMTLICHE BEZEICHNUNG
Republik Irak
STAATSOBERHAUPT
Abdul Latif Raschid (löste im Oktober 2022 Barham Ahmed Salih im Amt ab)
STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN
Mohammed Shia' al-Sudani (löste im Oktober 2022 Mustafa al-Kadhimi im Amt ab)
Stand:
1/2023Die Lage im Irak war auch 2022 von politischer Instabilität und sporadischen Zusammenstößen zwischen bewaffneten Kräften geprägt. Dabei wurden zahlreiche Menschen getötet, und zu den 1,2 Millionen Binnenvertriebenen kamen Tausende weitere hinzu. Die Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung unterdrückten die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. Für in der Vergangenheit verübte rechtswidrige Tötungen sowie für Folter und andere Misshandlungen herrschte weiterhin Straflosigkeit. Berichte über geschlechtsspezifische Gewalt nahmen zu, doch entsprechende staatliche Schutzmöglichkeiten waren sowohl in der Autonomen Region Kurdistan-Irak als auch im Zentralirak dünn gesät. Es wurden Gesetzentwürfe vorgelegt, die eine weitere Bedrohung der Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) darstellten. Hunderttausende Binnenvertriebene sahen sich beim Zugang zu wichtigen Diensten weiterhin mit Hindernissen konfrontiert, und eine sichere und menschenwürdige Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete war nach wie vor kaum möglich. Gerichte verhängten weiterhin Todesurteile nach unfairen Gerichtsverfahren. Die Behörden stellten für die marginalisierten Gemeinschaften, die am stärksten von Dürreperioden, Hitzewellen und lang anhaltenden Sandstürmen betroffen waren, keine angemessene Unterstützung bereit.
Hintergrund
Mehr als ein Jahr nach den Parlamentswahlen wurde im Oktober 2022 eine neue Regierung gebildet. Grund für die Verzögerung waren Streitigkeiten zwischen politischen Parteien, die mit den Volksmobilisierungseinheiten verbündet waren, und dem "Sadr-Block" von Parlamentarier*innen, die den schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr unterstützen und die Mehrheit der Sitze gewonnen hatten. (Die Volksmobilisierungseinheiten sind den zentralen Behörden angegliedert und wurden 2016 als Teil der irakischen Streitkräfte eingestuft.) Die politische Pattsituation führte gelegentlich zu bewaffneten Zusammenstößen. Nachdem Muqtada al-Sadr die Abgeordneten des "Sadr-Blocks" im August 2022 zum Rücktritt aufgefordert hatte, um die Blockade des Parlaments zu beenden, stürmten seine Anhänger*innen und Mitglieder der mit ihm verbündeten Miliz Saraya al-Salam das Parlament in der Internationalen Zone (Grüne Zone) der Hauptstadt Bagdad und lieferten sich mit Kämpfern der Volksmobilisierungseinheiten Straßenkämpfe, bei denen Raketen, Mörsergranaten und Panzerfäuste eingesetzt wurden, was zu zahlreichen Toten und Hunderten Verletzten führte. Ende August und Anfang September 2022 kam es in der Stadt Basra zu Zusammenstößen zwischen Anhänger*innen von Muqtada al-Sadr und Gruppierungen der Volksmobilisierungseinheiten, die als Verbündete des Iran gelten. Mindestens vier Menschen kamen dabei ums Leben.
Im Rahmen ihrer laufenden Militäroperation gegen Angehörige der Kurdischen Arbeiterpartei PKK in den nördlichen Gebieten der Autonomen Region Kurdistan-Irak flogen türkische Streitkräfte weiterhin Luftangriffe und schossen Granaten ab. Die iranischen Revolutionsgarden übernahmen die Verantwortung für Angriffe auf Standorte der kurdisch-iranischen Oppositionsparteien in der Provinz Erbil, die zu Todesfällen und Vertreibungen in der Zivilbevölkerung führten.
In Anbar, Kirkuk und anderen Provinzen, die zuvor unter der Kontrolle der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) gestanden hatten, verübte der IS nach wie vor gelegentlich Angriffe auf Kasernen und Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte. Medienberichten zufolge entführte der IS mindestens zehn Einwohner der Provinzen Kirkuk und Diyala. Nach Zahlung eines Lösegelds durch ihre Familien wurden sie wieder freigelassen.
Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Die Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung unterdrückten auch 2022 die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit.
Sie nahmen Journalist*innen, Aktivist*innen und vermeintliche Kritiker*innen willkürlich fest, stellten sie vor Gericht und inhaftierten sie. Zwei Medienschaffende und drei politische Aktivisten, die seit August 2020 inhaftiert waren und im Februar 2021 wegen Anklagen in Verbindung mit der nationalen Sicherheit schuldig gesprochen worden waren, traten im Laufe des Jahres 2022 drei Mal in den Hungerstreik. Sie protestierten damit dagegen, dass sie sich nach wie vor in Haft befanden, obwohl der Präsident der kurdischen Regionalregierung, Nechirvan Barzani, ihre Haftstrafe im Februar 2022 per Dekret von fünf auf zwei Jahre reduziert hatte.
Am 6. August 2022 setzten Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung Tränengas und Gummigeschosse ein, um friedliche Proteste in den Städten Erbil und Sulaimaniya in der Autonomen Region Kurdistan-Irak aufzulösen, und verletzten dabei mehrere Menschen. Die Demonstrierenden prangerten die verspätete Auszahlung von Löhnen im öffentlichen Dienst sowie fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten an. Angehörige der Asayish, der wichtigsten Sicherheits- und Geheimdienstbehörde der kurdischen Regionalregierung, nahmen mindestens 20 Journalist*innen im Zusammenhang mit deren Berichterstattung über die Demonstrationen kurzzeitig fest. Zu den Protesten aufgerufen hatte die Oppositionspartei Naway Nwe ("Bewegung Neue Generation"), deren Angaben zufolge Angehörige der Asayish zahlreiche Parteimitglieder zu Hause oder während der Proteste in Erbil und Sulaimaniya festnahmen. Nach mehrtägiger Haft wurden die Festgenommenen auf Kaution freigelassen, ohne dass man sie über etwaige gegen sie erhobene Vorwürfe unterrichtete.
Im September 2022 nahmen Asayish-Kräfte einen Journalisten eines oppositionsnahen Medienunternehmens fest, der zuvor versucht hatte, über einen türkischen Drohnenangriff auf PKK-Kämpfer*innen in der Provinz Erbil zu berichten. Er wurde am nächsten Tag ohne Anklage freigelassen, nachdem er sich schriftlich verpflichtet hatte, nicht mehr über ähnliche Vorfälle zu berichten. Im Oktober 2022 nahmen Angehörige der Asayish nahe Erbil zwei Journalisten auf Grundlage des vage formulierten Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs elektronischer Geräte aus dem Jahr 2008 fest und ließen sie Ende des Monats wieder frei. Das Gesetz war in der Vergangenheit dazu benutzt worden, Personen wegen der Veröffentlichung von vermeintlich behördenkritischen Inhalten strafrechtlich zu verfolgen.
Im Zentralirak herrschte für bewaffnete Kräfte, die gegen Demonstrierende, Aktivist*innen und Journalist*innen vorgingen, weiterhin Straffreiheit, was das Recht auf freie Meinungsäußerung untergrub. Im Oktober 2022 stürmten bewaffnete Anhänger*innen von Muqtada al-Sadr die Büros des Fernsehsenders al-Rabiaa TV in der Hauptstadt Bagdad und verwüsteten die Räumlichkeiten. Vorausgegangen war eine TV-Sendung, in der ein Moderator über die Zerstörung staatlicher Gebäude durch Anhänger von Muqtada al-Sadr berichtet und dessen ehemalige Miliz, die Mahdi-Armee, kritisiert hatte. Die irakischen Behörden verurteilten den Angriff und kündigten eine Untersuchung an, ergriffen jedoch keine weiteren Maßnahmen zum Schutz der Medienschaffenden oder zur strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen.
Am 5. Dezember 2022 verurteilte ein Gericht in Bagdad den Aktivisten Hayder Hamid al-Zaidi gemäß Paragraf 226 des Strafgesetzbuchs zu drei Jahren Gefängnis, weil er sich in einem Tweet über ein verstorbenes Mitglied der Volksmobilisierungseinheiten lustig gemacht haben soll. Der Aktivist war bereits im Juni festgenommen und zwei Wochen später gegen Kaution wieder freigelassen worden. Am 7. Dezember kam es in der Stadt Nasiriya zu Protesten gegen die Verurteilung von Hayder Hamid al-Zaidi, bei denen Sicherheitskräfte das Feuer auf die Demonstrierenden eröffneten. Sie töteten mindestens zwei Menschen und verletzten 17 weitere.
Straflosigkeit
Hunderte rechtswidrige Tötungen während der Proteste im Oktober 2019 blieben auch im Jahr 2022 ungeahndet, da es kaum Fortschritte bei der Ermittlung der mutmaßlichen Verantwortlichen gab. Die irakischen Behörden gaben keine Auskunft über die Erkenntnisse von Untersuchungsausschüssen, die nach den Protesten eingesetzt worden waren, um Gewaltanwendung bei Protestveranstaltungen sowie die gezielte und versuchte Tötung zahlreicher Aktivist*innen zwischen 2019 und 2021 zu untersuchen. Bewaffnete Kräfte drohten weiter damit, Aktivist*innen sowie Angehörige verstorbener oder verschwundener Demonstrierender und Aktivist*innen zu töten oder verschwinden zu lassen. Dies veranlasste zahlreiche Menschen dazu, unterzutauchen oder ins Ausland zu fliehen.
Im Februar 2022 leitete ein Untersuchungsgericht in der Stadt Nasiriyah in der Provinz Dhi Qar Ermittlungen zur Rolle eines hochrangigen Militärangehörigen bei der Niederschlagung der Proteste im Oktober 2019 in der Provinz ein. Weitere Informationen wurden nicht bekannt gegeben.
Ebenfalls im Februar wurde Ali al-Bayati, ein ehemaliges Mitglied der nationalen irakischen Menschenrechtskommission, vor einem Bagdader Untersuchungsgericht wegen Verleumdung angeklagt, weil er 2020 in einem Medieninterview Kritik bezüglich der Anwendung von Folter geäußert hatte. Daraufhin hatten Staatsbedienstete eine Beschwerde gegen ihn eingereicht.
Im September 2022 kündigten die irakischen Behörden eine Untersuchung der tödlichen Schüsse auf Zainab Essam Majed al-Khazali an. Das 15-jährige Mädchen war während Schießübungen mit scharfer Munition auf einer US-Militärbasis in der Nähe des internationalen Flughafens von Bagdad von Kugeln getroffen und getötet worden. Die im Irak stationierten US-Behörden bestätigten den Vorfall nicht. Über weitere Entwicklungen wurde nichts bekannt.
Im Oktober 2022 wurde Kifah al-Kuraiti wegen des Mordes an der Aktivistin Thaer al-Tayeb im Dezember 2019 vor einem Gericht in Diwaniya im Gouvernement al-Qadisiyya zum Tode verurteilt. Kifah al-Kuraiti war ein ehemaliges Mitglied von Saraya al-Salam, der Miliz von Muqtada al-Sadr.
Folter und andere Misshandlungen
Am 15. Juni 2022 veröffentlichte der UN-Ausschuss gegen Folter seine abschließenden Bemerkungen und äußerte darin Besorgnis über die weit verbreitete Anwendung von Folter an offiziellen und inoffiziellen Haftorten im Irak, insbesondere während der Ermittlungsphase. Ebenfalls kritisiert wurde die mangelnde Unparteilichkeit der Justizbehörden, die Foltervorwürfe untersuchen.
Im Gefängnis von Nasiriyah in der Provinz Dhi Qar waren Todeskandidat*innen Haftbedingungen ausgesetzt, die gegen das absolute Folterverbot verstießen. Berichten zufolge wurden die Inhaftierten regelmäßig geschlagen und in überfüllten und schmutzigen Zellen untergebracht. Sie hatten zudem nur dann Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung sowie ausreichend Essen und Trinkwasser, wenn sie dafür bezahlten. Auch regelmäßige Familienbesuche waren ihnen nicht erlaubt.
Unfaire Gerichtsverfahren
Die Gerichtsverfahren gegen Hunderte mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des Islamischen Staates, darunter auch minderjährige Jungen, wurden im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan-Irak fortgesetzt. Sie waren von der Befürchtung begleitet, dass die Verfahrensrechte der Angeklagten, einschließlich des Rechts auf eine angemessene Verteidigung, nicht eingehalten würden. Es wurden lange Haftstrafen und Todesurteile verhängt, die in erster Linie auf durch Folter erpressten "Geständnissen" beruhten.
Über 200 irakische Minderjährige wurden in Bagdad inhaftiert, nachdem sie aus Nordsyrien in den Irak zurückgebracht worden waren. Auch Ende 2022 hielt man sie noch ohne Anklage oder Gerichtsverfahren fest, weil sie verdächtigt wurden, dem Islamischen Staat anzugehören.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Das irakische Parlament stellte häusliche Gewalt auch 2022 nicht unter Strafe, obwohl irakische Organisationen einen Anstieg bei sogenannten Ehrenmorden und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt verzeichneten.
Wirksame staatliche Mechanismen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt standen in der Autonomen Region Kurdistan-Irak und im Zentralirak nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. In den Städten der Autonomen Region Kurdistan-Irak gab es eine begrenzte Anzahl an Notunterkünften, die dem Arbeits- und Sozialministerium der kurdischen Regionalregierung unterstanden. NGOs vor Ort stellten jedoch fest, dass die Rehabilitationsmaßnahmen für die Überlebenden von Gewalt unzureichend waren. Im Zentralirak wurde mit Unterstützung des UN-Bevölkerungsfonds nur eine einzige Notunterkunft mit einer Kapazität von etwa 100 Personen betrieben. NGOs in Bagdad sahen sich weiterhin Schikanen ausgesetzt, wenn sie inoffizielle Notunterkünfte für Frauen betrieben. So wurden Vertreter*innen dieser Organisationen beispielsweise für Befragungen einbestellt, weil Abgeordnete konservativer Parteien Beschwerden angemeldet hatten.
In der Autonomen Region Kurdistan-Irak häuften sich Berichte über Frauen und Mädchen, die von männlichen Verwandten getötet worden waren. Unter den Getöteten waren auch Frauen, die zu einer anderen Religion übergetreten waren, sowie trans Frauen. Allein zwischen Januar und März 2022 dokumentierte ein Zusammenschluss von Frauenorganisationen die Tötung von mindestens 16 Frauen und einem 15-jährigen Mädchen durch männliche Verwandte. Die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher liegen. Die Behörden machten in den meisten Fällen keine Anstalten, diese Tötungen unabhängig und unparteiisch untersuchen zu lassen. Im sozialen Diskurs und auch in den Sozialen Medien wurde im Allgemeinen den betroffenen Frauen und Mädchen die Schuld gegeben. Wirksame Gesetze zur Verhinderung dieser Gewalt gab es nach wie vor nicht.
Im September 2022 gab das irakische Innenministerium bekannt, dass die "Gemeindepolizei" – eine 2016 vom Innenministerium geschaffene Einheit mit einem weit gefassten Mandat zur Unterstützung der örtlichen Polizei bei einer Reihe von Aufgaben – mehr als 1.100 Anrufe von Überlebenden häuslicher Gewalt erhalten habe. Nach Angaben von Frauenrechtsorganisationen fungierte diese Einheit lediglich als "Hotline" und ergriff keine wirksamen Maßnahmen zum Schutz von Überlebenden oder zur Untersuchung von Berichten über häusliche Gewalt.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)
Im Juli 2022 kündigten einige Parlamentsmitglieder im Zentralirak eine Initiative für die Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage zur Kriminalisierung von Homosexualität an. Im September wurde im Parlament der Autonomen Region Kurdistan-Irak ein Gesetzentwurf eingebracht, der die öffentliche Unterstützung von LGBTI-Rechten unter Strafe stellen würde.
Rechte von Binnenvertriebenen
Mindestens 1,2 Millionen Menschen galten nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration nach wie vor als Binnenvertriebene. Nach Schließung fast aller Lager durch die irakischen Zentralbehörden im Jahr 2021 waren ca. 75 Prozent der Binnenvertriebenen sich selbst überlassen gewesen. Etwa 15 Prozent fanden Aufnahme in 14 Lagern, die in der Autonomen Region Kurdistan-Irak und den von der kurdischen Regionalregierung kontrollierten Gebieten der Provinz Ninawa geöffnet blieben. Die übrigen 10 Prozent konnten in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren.
Tausende Binnenvertriebene sahen sich in den Provinzen Anbar, Diyala, Ninawa und Salah ad-Din hinsichtlich einer sicheren und menschenwürdigen Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete mit Hürden konfrontiert. So bestand die Gefahr willkürlicher Festnahmen und anderer Schikanen durch bewaffnete Kräfte und Sicherheitskräfte, und es mangelte sowohl an Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts als auch am Zugang zu staatlichen Dienstleistungen. Zuvor vertriebene Kinder in den Provinzen Anbar, Diyala, Dohuk, Kirkuk, Ninawa und Salah ad-Din hatten große Schwierigkeiten beim Zugang zu formaler Bildung, da Kinder, die in Gebieten unter der Kontrolle des Islamischen Staates geboren wurden, keine Ausweispapiere vorweisen konnten. Seit 2016 verweigern die irakischen Zivil- und Sicherheitsbehörden Tausenden Menschen wegen ihrer mutmaßlichen Verbindungen zum Islamischen Staat die Ausstellung von Personenstandsurkunden, die jedoch unerlässlich sind, um grundlegende staatliche Leistungen wie Gesundheitsfürsorge und Bildung in Anspruch nehmen und sich frei bewegen zu können. Dies kommt einer Kollektivstrafe gleich.
Hunderte Familien kehrten 2022 aus Syrien in den Irak zurück, nachdem sie aufgrund des Konflikts mit dem Islamischen Staat von dort geflohen waren. Die meisten wurden in schlecht ausgestatteten "Aufnahmezentren" in der Provinz Ninawa untergebracht und saßen dort fest. Die Regierung legte keine Pläne dafür vor, wie diese Menschen auf sichere und menschenwürdige Weise in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren und dort wieder eingegliedert werden können.
Im Mai 2022 wurden bei Zusammenstößen zwischen irakischen Streitkräften und einer jesidischen Splittergruppe der Volksmobilisierungseinheiten mindestens 3.000 Personen aus dem Distrikt Sindschar in der Provinz Ninawa vertrieben. Sie kamen entweder in der Provinz Dohuk privat unter oder fanden in Lagern in der Autonomen Region Kurdistan-Irak Zuflucht.
Klimakrise
Die Auswirkungen des Klimawandels, darunter Dürreperioden, Hitzewellen und Sandstürme, beeinträchtigten 2022 das Leben von Millionen Menschen im Irak. Die Internationale Organisation für Migration berichtete, dass sich bis September mehr als 10.000 Familien in zehn Provinzen aufgrund von Dürre, Bodenverschlechterung und erhöhtem Salzgehalt in Flüssen gezwungen sahen, ihre Heimatorte zu verlassen.
Die Gesundheitsinfrastruktur stand aufgrund der Coronapandemie und jahrelanger Vernachlässigung und Korruption bereits am Rande des Zusammenbruchs und konnte die Versorgung der von schweren und lang anhaltenden Sandstürmen betroffenen Menschen nicht angemessen gewährleisten.
Tagelöhner*innen waren von der Schließung öffentlicher Einrichtungen während der besonders heftigen Sandstürme zwischen April und Juni 2022 unverhältnismäßig stark betroffen, da sie in dieser Zeit keine Einkünfte hatten und es kein Sozialversicherungssystem für sie gab.
Recht auf sauberes Wasser
Im Oktober erklärte das irakische Ministerium für Wasserversorgung 2022 zum trockensten Jahr seit 1930. Dürren, der Ausfall von Entsalzungsanlagen aufgrund mutmaßlicher Korruption sowie ausgetrocknete Flussbetten und Sumpfgebiete führten zu starker Wasserknappheit, was verheerende Auswirkungen auf die Menschenrechte hatte: Millionen Iraker*innen konnten ihre Rechte auf Gesundheit, Beschäftigung, sauberes Wasser und Sanitärversorgung nicht angemessen wahrnehmen. Die irakischen Behörden stellten keine ausreichende Unterstützung für die am stärksten betroffenen Menschen und die Bewohner*innen marginalisierter ländlicher Gemeinden bereit. Gleiches galt für die Bewohner*innen von Sumpfgebieten, von denen Tausende aufgrund ihrer bedrohten Lebensgrundlage in städtische Gebiete umzogen.
Klimaziele
Der Irak sagte zu, seine Emissionen bis 2030 um 1 bis 2 Prozent zu senken. Die Basis hierfür war der Stand von 2021 – dem Jahr, in dem das Land dem Pariser Klimaabkommen beigetreten war. Die Regierung erklärte, ihr Ziel sei es, die Emissionen um 15 Prozent zu senken, vorausgesetzt, das Land bekäme finanzielle und technische Unterstützung aus dem Ausland.
Todesstrafe
Irakische Gerichte verhängten Todesurteile wegen Mordes, Vergewaltigung von Kindern und "terroristischer" Handlungen, häufig nach Gerichtsverfahren, die nicht den internationalen Standards für faire Verfahren entsprachen. Die Zahl der Hinrichtungen ging deutlich zurück, doch Tausende Menschen befanden sich weiterhin im Todestrakt.