Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Irland 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Irland

STAATSOBERHAUPT

Michael D. Higgins

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Leo Varadkar (löste im Dezember 2022 Micheál Martin im Amt ab)

Stand:
1/2023

Das Risiko von Sexarbeiter*innen, Opfer von Gewalt zu werden, war gestiegen, nachdem bestimmte Formen von Sexarbeit unter Strafe gestellt worden waren. Der UN-Menschenrechtsausschuss bewertete die staatlichen Regelungen zur Wiedergutmachung für jene Frauen und Kinder, die in der Vergangenheit in bestimmten staatlich finanzierten Einrichtungen, u. a. Mutter-Kind-Heimen, untergebracht oder eingesperrt waren, sowie für Frauen, an denen während der Entbindung ohne ihre Zustimmung operative Eingriffe vorgenommen worden waren, als unzureichend. Beim Zugang zu angemessenem Wohnraum gab es weiterhin Probleme, auch Ukrainer*innen und andere Flüchtlinge waren davon betroffen. Es gab Einwände gegen Pläne, bei der Überwachung öffentlicher Räume Gesichtserkennungstechnologie einzusetzen.

Arbeitnehmer*innenrechte

Nach Erkenntnissen einer im Januar 2022 veröffentlichten Studie hatte die Kriminalisierung bestimmter Formen von Sexarbeit das Risiko von Sexarbeiter*innen, Opfer von Übergriffen, Vergewaltigungen und anderen Gewalttaten zu werden, erhöht. Das 2017 verabschiedete Gesetz, das den Erwerb sexueller Dienstleistungen strafbar machte, führte laut der Studie dazu, dass Sexarbeiter*innen bei der Arbeit größere Risiken eingingen, um ihr Einkommen zu sichern. Die Beibehaltung des Straftatbestands "Betreiben eines Bordells" hatte zudem zur Folge, dass Sexarbeiter*innen nicht gemeinsam in einem Gebäude arbeiten konnten, was für sie sicherer wäre. Ferner wurde festgestellt, dass das Strafrecht das Misstrauen von Sexarbeiter*innen gegenüber der Polizei erhöht und ihre gesellschaftliche Stigmatisierung verstärkt hatte. Sexarbeiter*innen berichteten über ihre Furcht vor polizeilicher Schikane und Gewalt sowie über Anwürfe gegen ihre Vermieter*innen, die Räumungen und Obdachlosigkeit nach sich ziehen konnten.

Diese Ergebnisse wurden in einer weiteren, im August 2022 veröffentlichten Studie bestätigt, wonach Sexarbeiter*innen, die auf der Straße arbeiteten, von der Polizei diskriminierend behandelt wurden, bis hin zu sexueller Ausbeutung und Machtmissbrauch. Die gemeinsame Studie der Universität Limerick und der NGO Gender, Orientation, Sexual Health, HIV basierte auf Befragungen von Sexarbeiter*innen durch ein Team von Wissenschaftler*innen.

Der Bericht des Justizministeriums über die im Jahr 2020 begonnene Überprüfung der Wirkungsweise des 2017 verabschiedeten Gesetzes war Ende 2022 noch nicht veröffentlicht worden.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

In seinen abschließenden Bemerkungen zum fünften periodischen Bericht zu Irland äußerte sich der UN-Menschenrechtsausschuss besorgt über Lücken bei der staatlichen Aufarbeitung der Misshandlungen, welche Frauen und Kinder erlitten hatten, die bis Ende der 1990er-Jahre in staatlich finanzierten und von katholischen Orden betriebenen Einrichtungen untergebracht oder eingesperrt waren. Dazu zählten Mutter-Kind-Heime für ledige Mütter sowie Heime, in denen Frauen und Mädchen leben und arbeiten mussten (Magdalene Laundries), ebenso wie Kinderheime. Nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses wies das staatliche Programm zur Wiedergutmachung für die Überlebenden Defizite auf, u. a. weil einige Gruppen von Betroffenen von der Wiedergutmachung ausgenommen waren. Der Ausschuss forderte außerdem, eine Übergangsjustiz zu schaffen, um die Wahrheit über die Geschehnisse in diesen Einrichtungen herauszufinden und eine wirksame Wiedergutmachung zu gewährleisten, einschließlich finanzieller Entschädigungen.

Außerdem forderte der Menschenrechtsausschuss eine unverzügliche, unabhängige und gründliche strafrechtliche Untersuchung der früheren medizinischen Praxis der Symphysiotomie. Dieser chirurgische Eingriff zur Erweiterung des Beckens wurde bei Entbindungen an Frauen vorgenommen, ohne dass diese davon wussten oder in Kenntnis der Sachlage zugestimmt hatten. Der Ausschuss empfahl eine angemessene Wiedergutmachung für alle betroffenen Frauen. Dazu sei es auch notwendig, Hürden abzubauen, die Frauen daran hinderten, die staatliche Entschädigung zu erhalten.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im Oktober 2022 wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der Schutzzonen rund um medizinische Einrichtungen vorsieht, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, um die Sicherheit und Privatsphäre von Frauen zu schützen, die diese Einrichtungen aufsuchen.

Recht auf Wohnen

Der Mangel an verfügbarem und bezahlbarem Wohnraum sorgte zunehmend für Besorgnis, zumal die Zahl der Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen waren, 2022 einen neuen Höchststand erreichte. Die Regierung richtete eine Wohnungskommission ein, die politische Maßnahmen prüfen soll. Außerdem erhielt die Kommission den Auftrag, öffentliche Anhörungen zu organisieren, die sich mit einer möglichen Verankerung des Rechts auf Wohnen in der Verfassung beschäftigen.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Im Februar 2022 hob die Regierung die Visumspflicht für Geflüchtete aus der Ukraine auf.

Im März setzte die Regierung die EU-Richtlinie über vorübergehenden Schutz (Massenzustrom-Richtlinie) in Kraft, die ukrainischen Flüchtlingen Zugang zum Sozialsystem, zu Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie bei Bedarf auch zu kostenloser vorübergehender Unterbringung ermöglicht. Im Oktober erklärte die Regierung jedoch, aufgrund des Wohnungsmangels könne die Unterbringung nicht mehr garantiert werden.

Massenüberwachung

NGOs und Fachleute äußerten sich besorgt über einen Gesetzentwurf, der vorsieht, bei der polizeilichen Überwachung öffentlicher Räume Gesichtserkennungstechnologie einzusetzen.

Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Die im Juli 2022 verabschiedete Reform des Wahlgesetzes enttäuschte die Hoffnungen vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen, weil sie Bestimmungen beibehielt, die deren Rechte auf Vereinigungs- und Meinungsfreiheit stark beeinträchtigen. Dazu zählten das generelle Verbot von Spenden aus dem Ausland sowie starke Einschränkungen für inländische Spenden zur Finanzierung von Aktivitäten, die breit definierten "politischen Zwecken" dienen. Die Beschränkungen beeinträchtigten die Arbeit vieler Organisationen, die sich für Menschenrechte und andere Belange einsetzten, ganz allgemein, nicht nur vor Wahlen und Referenden.

Der UN-Menschenrechtsausschuss forderte die Regierung auf, ihre während der Coronapandemie ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf die Menschenrechte umfassend zu überprüfen. Sorge bereiteten dem Ausschuss Berichte über Polizeieinsätze gegen Demonstrierende, bei denen übermäßige Gewalt angewendet wurde, und unverhältnismäßige Einschränkungen der Rechte auf Bewegungs- und Versammlungsfreiheit während der Pandemie.

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