Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Kosovo* 2022

*Diese Bezeichnung bedeutet keine Anerkennung eines bestimmten Status und steht im Einklang mit Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats und dem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Gültigkeit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Republik Kosovo*

STAATSOBERHAUPT

Vjosa Osmani

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Albin Kurti

Stand:
 1/2023

Das Verfahren vor den 2016 in Den Haag eingerichteten Kosovo-Sonderkammern (Kosovo Specialist Chambers) wurde fortgesetzt. Das Zivilgesetzbuch wurde vom Parlament nicht verabschiedet. Grund dafür war eine darin enthaltene Bestimmung zur Weichenstellung für die Legalisierung gleichgeschlechtlicher eingetragener Partnerschaften. Tausende Protestierende forderten Gerechtigkeit für ein elfjähriges Mädchen, das in Pristina/Pristinë von fünf Männern vergewaltigt worden war.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Im März 2022 bestätigte der Oberste Gerichtshof den Schuldspruch gegen Zoran Djokić, der 2021 zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war, weil er im Jahr 1999 Kriegsverbrechen an ethnischen Albaner*innen in der Stadt Peja verübt haben soll. Im Mai 2022 verurteilten die Kosovo-Sonderkammern zwei Vorsitzende der Veteranenorganisation der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK), Hysni Gucati und Nasim Haradinaj, wegen Behinderung der Justiz, Einschüchterung von Zeug*innen während eines Strafverfahrens sowie Verletzung der Geheimhaltung des Verfahrens zu einer Haftstrafe von jeweils viereinhalb Jahren.

Im September 2022 verurteilte das Basisgericht in Pristina/Pristinë den Kosovo-Serben Svetomir Bacević wegen im Kosovokrieg (1998–99) verübter Kriegsverbrechen zu fünf Jahren Haft. Im Dezember 2022 wurde Salih Mustafa, ein Kommandant der UÇK, wegen willkürlicher Inhaftierung, grausamer Behandlung, Folter und Mordes zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt.

Verschwindenlassen

Nach wie vor wurden mehr als 1.600 Personen vermisst. Die NGO Humanitarian Law Center forderte die Regierungen des Kosovo und Serbiens auf, umfassenden Zugang zu den staatlichen Archiven zu gewähren und sich um eine wirksamere Zusammenarbeit zu bemühen, um den Verbleib der Vermissten aufzuklären.

Sexualisierte Gewalt im Krieg

Bis Oktober 2022 hatte eine 2018 eingerichtete Regierungskommission 1.373 von 1.808 Antragsteller*innen den Status von Überlebenden von sexualisierter Gewalt im Krieg zugesprochen, wodurch diese eine bescheidene Rente erhielten. Viele Menschen hatten jedoch auf einen Antrag verzichtet, weil sie eine Stigmatisierung oder die Ablehnung vonseiten ihrer Familie fürchteten.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die Zahl der Berichte über häusliche Gewalt stieg 2022 im Vergleich zum Vorjahr an. Im Januar 2022 zeigte Lirije Qerimaj häusliche Gewalt durch ihren Ehemann bei der Polizei in Lauša/Llaushë an. Auf Anweisung der Staatsanwältin Stojanka Kosalović befragte die Polizei Skender Qerimaj, setzte ihn dann jedoch auf freien Fuß, woraufhin er fünf Tage später Lirije Qerimaj erschoss. Das Basisgericht in Mitrovica verurteilte Skender Qerimaj zu 24 Jahren Haft. Die Staatsanwältin wurde wegen staatsanwaltlichen Fehlverhaltens zur Verantwortung gezogen und erhielt einen öffentlichen schriftlichen Verweis.

Im Juli 2022 enthüllte ein Bericht der Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo, dass es sich bei 85 Prozent der Überlebenden von sexualisierter Gewalt in den Jahren 2020 und 2021 um minderjährige Mädchen handelte. Mehr als die Hälfte aller Schuldsprüche zogen Strafen unterhalb des gesetzlichen Minimums nach sich, weil "außerordentlich mildernde" Umstände zugrunde gelegt wurden. Gegen die Richterin Florije Zatriqi, die den Vergewaltiger eines fünfzehnjährigen Mädchens zu einer Haftstrafe von acht Monaten und acht Tagen verurteilt hatte, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das zu dem Schluss kam, dass die Strafe unterhalb des gesetzlichen Mindestmaßes lag und daher rechtswidrig war. Florije Zatriqi wurde daraufhin dauerhaft an das Basisgericht von Peja/Pejë in die Abteilung für Bagatelldelikte versetzt.

Im August 2022 vergewaltigten fünf Männer ein elfjähriges Mädchen in einem Park in Pristina/Pristinë, was fünf Festnahmen zur Folge hatte und Proteste mit Tausenden Demonstrierenden auslöste. Nach den Protesten nahm die Polizei weitere sechs Männer fest, die verdächtigt wurden, dasselbe Mädchen im Juni sexuell missbraucht und zur Prostitution gezwungen zu haben.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Dezember 2022 kam es im Norden des Kosovo zu sechs Angriffen auf Journalist*innen, die über die Spannungen mit Serbien berichteten. Der kosovarische Journalist*innenverband appellierte gemeinsam mit der Europäischen und der Internationalen Journalist*innen-Föderation an die Behörden, den Schutz von Journalist*innen zu gewährleisten.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Im März 2022 entschied sich das Parlament gegen die Verabschiedung des Zivilgesetzbuchs. Der Grund dafür war eine darin enthaltene Bestimmung zur Weichenstellung für die Legalisierung gleichgeschlechtlicher eingetragener Partnerschaften. Einige Parlamentsmitglieder äußerten sich in dieser Hinsicht diskriminierend und abfällig. Daraufhin forderten Menschen auf Protestkundgebungen die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe und verurteilten die LGBTI-feindlichen Kommentare der Abgeordneten.

Diskriminierung

Rom*nja, Ashkali und Balkan-Ägypter*innen

Im Juni 2022 bestätigte das Berufungsgericht eine Entscheidung des Basisgerichts von Gjakova, das drei Kindern Schadenersatz zugesprochen hatte. Das Gericht hatte geurteilt, dass die Zuteilung der Kinder zu separaten Klassen für Rom*nja, Ashkali und Balkan-Ägypter*innen in den Jahren 2012 und 2013 eine rassistische Diskriminierung darstelle und das Recht der Kinder auf Bildung verletzt habe.

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