(Nairobi) – Neue Attacken durch bewaffnete arabische Angreifer auf die Zivilbevölkerung in West-Darfur seit April 2022 haben Hunderte Menschenleben gekostet und Tausende Menschen vertrieben. Häuser wurden niedergebrannt und Eigentum geplündert, so Human Rights Watch. 
 
Insbesondere Zivilist*innen in Kerenik und Kulbus waren von der massiven Gewalt betroffen. Diese macht das Versagen der sudanesischen Regierung deutlich, die ihrer Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen, nicht nachkommt. Ebenso verdeutlicht die jüngste Gewalt, wie dringend eine verstärkte Überwachung durch die Vereinten Nationen nötig ist, sowie der Schutz durch ihre Präsenz und eine öffentliche Berichterstattung über die Ereignisse in Darfur.  
 
„Die letzten zwei Monate haben nur allzu deutlich gezeigt, welche verheerenden Folgen der Abzug der Friedenstruppen und das Nichtreagieren auf den notwendigen Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur haben“, sagte Mohamed Osman, Sudan-Forscher bei Human Rights Watch. „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die internationale Gemeinschaft, die Darfur jahrelang mit Argusaugen beobachtet hat, diese Opfer von ethnischen Säuberungen nun völlig im Stich lässt.“ 
 
Das gemeinsame Menschenrechtsbüro im Sudan der Integrierten Übergangsunterstützungsmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNITAMS) und das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) sollten sich vorrangig darum bemühen, regelmäßigen Zugang zu Darfur zu erhalten, um Missstände zu untersuchen und öffentlich darüber zu berichten; alle Teile der UN-Mission, das UN-System und die Mitgliedstaaten sollten ihre Arbeit unterstützen und die Kapazitäten für die Überwachung des Schutzes und die Berichterstattung erhöhen, unter anderem durch eine stärkere Überwachungspräsenz in Darfur. 
 
Die Vereinten Nationen berichteten, dass bei dem jüngsten Angriff auf die Zivilbevölkerung in der Stadt Kulbus und den benachbarten Dörfern in West-Darfur zwischen dem 6. und 11. Juni mindestens 125 Menschendarunter fünf Kindergetötet, über 100 verletzt und 33.000 Menschen vertrieben wurden. Die meisten Opfer sollen der nicht-arabischen Gemeinschaft der Gimir angehören. Die Angreifer haben Berichten zufolge Häuser und Bauernhöfe niedergebrannt und Vieh geraubt. 
 
Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) berichtete, dass innerhalb von fünf Tagen mehr als zwei Dutzend Gimir-Dörfer niedergebrannt wurden, mutmaßlich von bewaffneten Mitgliedern der arabischen Gemeinschaften Rizeigat und Abbala, die nach einem Streit zwischen zwei Personen gegen die Gimir-Gemeinschaft mobil gemacht hatten. 

Nach Angaben des damaligen Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs war der Ort Kulbus im Jahr 2008 Schauplatz willkürlicher Luftangriffe, Morde, Vergewaltigungen, Folterungen und Zwangsverschleppungen durch die sudanesischen Streitkräfte und die Janjaweed-Kräfte. Die Friedenstruppen der Vereinten Nationen waren bis 2013 in Kulbus präsent. Im Dezember 2020 beendete der UN-Sicherheitsrat das Mandat einer gemeinsamen Friedenstruppe der Vereinten Nationen mit der Afrikanischen Union.

Die Gewalt in Kulbus folgt auf die Angriffe schwer bewaffneter arabischer Milizen auf die Zivilbevölkerung zwischen dem 22. und 24. April in der Stadt Kerenik in West-Darfur, bei denen mindestens 165 Menschen getötet, 98.000 Menschen vertrieben und wichtige zivile Infrastruktur zerstört wurde. Nach Angaben der UNO folgten diese Angriffe auch auf einen Streit zwischen Einzelpersonen im Zusammenhang mit einem Viehdiebstahl. 
 
Überlebende berichteten Human Rights Watch, dass die Angreifer Zivilist*innen, darunter auch Kinder, aus ihren Häusern zerrten und sie erschossen. Andere Menschen wurden in ihren Häusern verbrannt oder auf der Straße, als sie versuchten, zu fliehen. Die Gewalt in Kerenik griff auf die Stadt al-Genaina über. Dort beschrieben Zeug*innen Zusammenstöße zwischen den Rapid Support Forces (RSF) und den Sudan Coalition Forces, einer Rebellengruppe, die das Friedensabkommen unterzeichnet hat und derzeit vom Gouverneur von West-Darfur angeführt wird. 
 
Die UN-Migrationsbehörde meldete im Mai, dass in Kerenik erneut fast 60.000 Menschen vertrieben wurden, von denen die meisten im Freien, in Schulen oder anderen öffentlichen Gebäuden Zuflucht suchten und von denen nur sieben Prozent angaben, nach Hause zurückkehren zu wollen, was auf anhaltende Sicherheitsbedenken hindeutet. 
 
Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden zwischen Januar und Mai mindestens 75.000 Menschen in Darfur und Süd-Kordofan vertrieben, weitere 11.000 Menschen flohen in den Tschad. Nach dem Ende des Mandats der Friedenstruppe der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union kam es in West-Darfur zu mehreren groß angelegten Angriffen. 
 
Im Jahr 2021 kam es in der regionalen Hauptstadt al-Genaina zu zwei großen Gewaltausbrüchen, darunter zu einem Angriff im Januar, bei dem bewaffnete arabische Milizen, unterstützt von RSF-Kräften, Kirindig, ein Lager für binnenvertriebene ethnische Massalit, angriffen. Im März 2022 wurden Berichten zufolge 48 Menschen getötet und 12.000 Menschen in Jebel Mun vertrieben, als es zu Angriffen kam, an denen die sudanesischen Sicherheitskräfte „auf Gemeindeebene“ beteiligt waren. 
 
Auch Krankenhäuser und medizinisches Personal wurden während der Gewaltausbrüche in West-Darfur wiederholt angegriffen, was den Zugang zu medizinischer Versorgung für die Verletzten erschwerte und Berichten zufolge auch zur Tötung von vier medzinischen Fachkräften in al-Genaina Ende April 2022 führte. 
 
Die RSF, die auf eine lange Geschichte schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in Darfur zurückblickt, hat sich in einigen Fällen bei Angriffen auf Zivilist*innen auf die Seite der arabischen Milizen gestellt, insbesondere in al-Genaina im April 2021. Zeug*innen berichteten Human Rights Watch, dass Mitglieder der RSF ebenfalls an der Seite arabischer Milizen an den jüngsten Angriffen auf Kerenik im April beteiligt waren. 
 
Die Regierungstruppen haben es versäumt, Zivilist*innen während der Angriffe zu schützen. Zwei Überlebende aus Kerenik berichteten, dass die sudanesischen Streitkräfte Schüsse abgaben, um die Angreifer davor zu warnen, sich ihrer Garnison zu nähern, in der viele Menschen Schutz suchten, aber nicht eingriffen, um die Angreifer abzuschrecken oder Zivilist*innen zu schützen, die die Garnison nicht erreichen konnten. Das OHCHR berichtete, dass sich die gemeinsamen Sicherheitskräfte angesichts eines weiteren Großangriffs auf Kerenik durch Angreifer aus Rezeigat am 24. April zurückgezogen haben sollen. 
 
Am 14. Juni warnten die Vereinten Nationen, dass die Gewalt in Kulbus den Zugang humanitärer Hilfsorganisationen zu den bedürftigen Gemeinden behindere, auch aufgrund der durch die Gewalt neu vertriebenen Menschen. Dies geschieht zu einem kritischen Zeitpunkt, da das Welternährungsprogramm (WFP) im Juni berichtete, dass West-Darfur der Bundesstaat mit der größten Ernährungsunsicherheit im Sudan ist, in dem 65 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind. Wenn die derzeitige Situation anhält, könnte dies die beginnende Anbausaison beeinträchtigen
 
Im Jahr 2020 unterzeichnete die inzwischen abgesetzte sudanesische Übergangsregierung das Friedensabkommen von Juba (JPA) mit den Rebellengruppen in Darfur. Die Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen des Abkommens, einschließlich der Entwaffnung und Wiedereingliederung der Truppen und des Einsatzes gemeinsamer Sicherheitskräfte, haben sich verzögertIm Mai berichteten die Vereinten Nationen, dass eine erste Gruppe einer gemeinsamen 2.000 Mann starken Truppe ausgebildet wurde. 
 
Weder die sudanesische Übergangsregierung noch die derzeitigen Militärmachthaber sind die grundlegenden Ursachen der Gewalt in Darfur wie Marginalisierung, Streitigkeiten über die Kontrolle von und den Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen sowie fehlende Gerechtigkeit für frühere und aktuelle Menschenrechtsverletzungen sinnvoll angegangen. Sie haben auch nicht für einen effektiven Schutz der Zivilbevölkerung durch den Einsatz gut ausgebildeter, geprüfter und die Rechte achtender Kräfte gesorgt. Diese Versäumnisse haben zur erneuten Eskalation der Gewalt und zur Schädigung der Zivilbevölkerung beigetragen, so Human Rights Watch. 
 
Straflosigkeit bei Übergriffen ist nach wie vor die Norm. Zwar wird Ali Mohammed Abd-Al-Rahman, bekannt als Ali Kosheib, einem Kommandeur der Janjaweed-Milizen, derzeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wegen Verbrechen im Zusammenhang mit der Kampagne der ethnischen Säuberung gegen die Zivilbevölkerung in Darfur der Prozess gemacht, dies ist jedoch die Ausnahme. Gegen den ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir und zwei weitere Beamte, die sich in sudanesischem Gewahrsam befinden, liegen Haftbefehle des IStGH vor. 
 
Human Rights Watch dokumentierte Einschüchterungen und Angriffe gegen Personen, die nach den Angriffen in al-Genaina Anzeige erstatteten, darunter auch gegen solche, die versuchten, RSF-Mitarbeiter anzuzeigen. Überlebende der Angriffe in Kerenik sagten, dass logistische, sicherheitstechnische und bürokratische Hindernisse sie daran hinderten, überhaupt eine Beschwerde einzureichen. 
 
Der Schutz der Zivilbevölkerung hat viele Facetten und erfordert echte Anstrengungen, um die Ursachen potenzieller Konflikte zu beseitigen, auf die Ängste der Gemeinschaften einzugehen und Beamte und Sicherheitskräfte für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Die sudanesischen Behörden sollten nicht nur die Regierungstruppen und insbesondere die Beteiligung der RSF an Übergriffen untersuchen, sondern auch die mangelnde Reaktion anderer Regierungstruppen bei Angriffen sowie die Verbrechen bewaffneter Milizen, so Human Rights Watch. 
 
Die Resolution des UN-Sicherheitsrats von 2021 zur Verlängerung der Übergangsmission im Sudan unterstreicht auch die Rolle der Mission bei der Überwachung von Waffenstillstandsverletzungen in Darfur. Am 24. Mai 2022 teilte der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs dem Sicherheitsrat mit, dass der Ständige Waffenstillstandsausschuss nach der Einreichung formeller Beschwerden der Parteien eine Untersuchung der Ereignisse in Kerenik im Zusammenhang mit seinem Mandat eingeleitet habe. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten in die öffentliche UN-Berichterstattung über die Ereignisse in Darfur einfließen, so Human Rights Watch. 
 
Im Mai 2020 verpflichtete sich die sudanesische Übergangsregierung im Rahmen eines neuen nationalen Plans, die Zivilbevölkerung in Darfur zu schützen, indem sie gemeinsame Sicherheitskräfte einsetzt und die Rechenschaftspflicht stärkt. Der nationale Mechanismus, der den Plan umsetzen sollte, hat seine Aktivitäten nach dem Staatsstreich vom 25. Oktober 2021 weitgehend eingestellt. 

Die UN-Mission sollte vorrangig ihre Kapazitäten zur Erfüllung ihres Überwachungsmandats stärken, bevor sich die Lage in Darfur weiter zuspitzt, so Human Rights Watch.

Das Expertengremium des UN-Sicherheitsrates für Darfur, das dem Rat voraussichtlich im Juli seinen Zwischenbericht vorlegen wird, sollte den Rat und den Ausschuss 1591 des Rates, der zur Überwachung der wegen der Lage in Darfur verhängten Sanktionen gebildet wurde, öffentlich über die Dynamik informieren, die der Gewalt gegen Zivilist*innen in West-Darfur zugrunde liegt. Eine solche Unterrichtung ist zwar nicht üblich, da die Expertengremien des UN-Sicherheitsrates nur selten öffentlich auftreten, aber die Geschäftsordnung schließt dies nicht aus und der Ernst der Lage rechtfertigt eine solche. 

Die benannten Expert*innen für die Menschenrechtslage im Sudan sollten in Ausübung ihres Mandats die Missstände in Darfur beobachten und die Region, insbesondere West-Darfur, umgehend besuchen. Die sudanesische Führung sollte diese Arbeit erleichtern. 

„Angesichts der Entscheidung der internationalen Gemeinschaft, die Schutztruppen vorzeitig aus Darfur abzuziehen, sollte sie sicherstellen, dass das UN-System über die Mittel und die politische Rückendeckung verfügt, um seine Berichterstattung über Angriffe auf Zivilist*innen in der Region zu verbessern“, so Osman. „Die Hoffnung auf Stabilität in Darfur hängt von den Bemühungen ab, sicherzustellen, dass zahllosen trauernden Familien und Menschen, die alles verloren haben, Schutz und Gerechtigkeit zuteilwird.“