Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Ägypten 2021

Amtliche Bezeichnung

Arabische Republik Ägypten

STAATSOBERHAUPT

Abdel Fattah al-Sisi

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN

Moustafa Madbouly

Stand:

1|2022

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 - 31. Dezember 2021

Die Behörden unterdrückten die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiterhin massiv. Sie gingen gezielt gegen Menschenrechtsverteidiger_innen, Oppositionspolitiker_innen und andere Aktivist_innen vor, indem sie diese rechtswidrig vorluden, in Verhören unter Druck setzten, ohne Gerichtsbeschluss Auflagen gegen sie verhängten, Ermittlungen gegen sie einleiteten, sie zu Unrecht strafrechtlich verfolgten und auf eine "Terroristenliste" setzten. Tausende Menschen befanden sich immer noch willkürlich in Haft, darunter Menschenrechtsverteidiger_innen, Journalist_innen, Studierende, Oppositionspolitiker_innen, Geschäftsleute und friedliche Demonstrierende.

Zahlreiche Personen wurden in grob unfairen Gerichtsverfahren für schuldig befunden oder vor Notstandsgerichte gestellt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen hatten. Verschwindenlassen und Folter gingen unvermindert weiter. Die Haftbedingungen waren nach wie vor grausam und unmenschlich, und den Gefangenen wurde eine angemessene medizinische Versorgung verweigert, was dazu führte bzw. dazu beitrug, dass mindestens 56 Personen in der Haft starben. Gerichte verhängten Todesurteile nach grob unfairen Verfahren. Es wurden Hinrichtungen vollzogen, u. a. wegen Drogendelikten. Die Behörden untersuchten und bestraften sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt nicht angemessen. Gesetzesvorhaben untergruben die Rechte und die Selbstbestimmung von Frauen noch weiter.

LGBTI+ wurden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität festgenommen, strafrechtlich verfolgt und zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Behörden gingen rigoros gegen Streiks, unabhängige Gewerkschaften und Arbeitnehmer_innen vor, die Missstände benannten oder Kritik äußerten. Die Impfkampagne gegen das Coronavirus wurde u. a. dadurch beeinträchtigt, dass sich die Impfung von Risikogruppen verzögerte. Bewohner_innen informeller Siedlungen wurden Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen und kamen wegen Protestaktionen in Haft. Die Behörden diskriminierten Christ_innen durch Gesetze und im täglichen Leben und verfolgten Angehörige religiöser Minderheiten sowie Personen, die religiöse Ansichten vertraten, die vom Staat nicht anerkannt wurden. Flüchtlinge und Migrant_innen, die ohne offizielle Erlaubnis eingereist waren, wurden willkürlich und auf unbestimmte Zeit inhaftiert und ohne ordnungsgemäße Gerichtsverfahren oder Zugang zu Asylverfahren abgeschoben.

Hintergrund

Im Oktober 2021 hob der Präsident den seit April 2017 geltenden landesweiten Ausnahmezustand auf. Innerhalb weniger Tage verabschiedete das Parlament Gesetzesänderungen, die die Zuständigkeit der Militärgerichte auf Zivilpersonen ausweiteten, die Garantien für faire Verfahren aushöhlten und Berichterstattung über das Militär zur Straftat erklärten.

Im Nordsinai gab es 2021 weiterhin vereinzelt Angriffe bewaffneter Gruppen. Das Militär gab an, es habe Todesopfer in seinen Reihen gegeben und 122 Mitglieder bewaffneter Gruppen seien bei Zusammenstößen getötet worden. Im August 2021 veröffentlichte die Armee ein Video, das die rechtswidrige Tötung zweier unbewaffneter Männer durch Militärangehörige zeigte. Im Oktober erteilte der Präsident dem Verteidigungsminister Sondervollmachten, die es dem Ministerium erlaubten, Ausgangssperren zu verhängen, Schulen zu schließen und Bewohner_innen des Nordsinai zu evakuieren.

Der im Juni verabschiedete Staatshaushalt erfüllte nicht die Vorgaben der Verfassung, wonach 3 Prozent des BIP in das Gesundheitswesen und 6 Prozent in den Bildungsbereich fließen müssen, und sah Kürzungen bei der Krankenversicherung und bei Medikamenten vor.

Im März 2021 verurteilten 32 Staaten im UN-Menschenrechtsrat die Menschenrechtsverletzungen in Ägypten.

Im September stellten die Behörden eine auf fünf Jahre angelegte Nationale Menschenrechtsstrategie vor, in der sie den bestehenden Gesetzesrahmen lobten und nicht auf die Bedenken bezüglich früherer und anhaltender Menschenrechtsverletzungen eingingen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden unterdrückten weiterhin das Recht auf Meinungsfreiheit und gingen massiv gegen kritische Stimmen vor, die sich im Internet oder anderweitig äußerten.

Die Sicherheitskräfte nahmen 2021 mindestens sechs Journalist_innen aufgrund ihrer Arbeit oder kritischen Ansichten willkürlich fest. Am 19. Juli 2021 wurde der Journalist Abdelnasser Salama festgenommen, nachdem er den Rücktritt des Präsidenten gefordert hatte. Außer ihm befanden sich 24 weitere Medienschaffende weiterhin in Haft, gegen die wegen "Missbrauchs Sozialer Medien", "Verbreitung von Falschinformationen" oder "Terrorismus" ermittelt wurde bzw. Urteile verhängt worden waren.

Im Mai 2021 nahmen die Behörden den Arzt Hossam Shaaban fest, der sich als Freiwilliger an einem Hilfseinsatz beteiligt hatte. Er hatte kritisiert, dass die Behörden während der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen Solidaritätskundgebungen in Ägypten verboten hatten. Er blieb in Haft, während man wegen "Terrorismus" gegen ihn ermittelte.

Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen blockierten die Behörden weiterhin mindestens 600 Websites, die Nachrichten oder Informationen zu Menschenrechten und anderen Themen enthielten.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Angehörige des nationalen Geheimdienstes (National Security Agency – NSA) schüchterten Menschenrechtsverteidiger_innen und politische Aktivist_innen ein, indem sie diese rechtswidrig vorluden, in Verhören unter Druck setzten und ohne Gerichtsbeschluss polizeiliche Auflagen gegen sie verhängten.

Die Behörden inhaftierten 2021 zahlreiche Menschenrechtsverteidiger_innen und Oppositionspolitiker_innen willkürlich, warfen ihnen unbegründet "Terrorismus" oder "Verbreitung von Falschinformationen" vor und leiteten unfaire Strafverfahren gegen sie ein. Im Juli wurde Hossam Bahgat, der Direktor einer bekannten NGO, zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich friedlich zu den ägyptischen Parlamentswahlen im Jahr 2020 geäußert hatte. Die vor einem Jahrzehnt begonnenen politisch motivierten strafrechtlichen Ermittlungen gegen Menschenrechtsorganisationen wegen deren Aktivitäten und Finanzierung, die als "Fall 173" bekannt wurden, dauerten an: Im Juli verhörten Ermittlungsrichter_innen mindestens fünf Führungskräfte der betroffenen Organisationen und ermittelten erneut wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung. Die Ermittlungen gegen 12 NGOs wurden eingestellt, doch galten für deren Führungskräfte und Mitarbeiter_innen nach wie vor Reiseverbote, und ihr Vermögen blieb eingefroren. Mindestens 15 weitere Mitarbeiter_innen, gegen die weiterhin ermittelt wurde, unterlagen denselben Sanktionen.

Die Behörden setzten 408 Personen, darunter Aktivist_innen und Oppositionspolitiker_innen, willkürlich auf die "Terroristenliste", wodurch ihnen faktisch jede zivilgesellschaftliche oder politische Betätigung sowie Auslandsreisen für fünf Jahre untersagt waren. Im November bestätigte das Oberste Verwaltungsgericht die Entscheidung, sechs Rechtsanwälte, die auf der "Terroristenliste" standen, aus der Anwaltschaft auszuschließen.

Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren

Die Behörden ließen 13 Menschenrechtsverteidiger_innen, Journalist_innen und Politiker_innen frei, die seit Jahren in Untersuchungshaft saßen. Tausende Menschen blieben 2021 jedoch weiterhin ohne rechtliche Grundlage oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren willkürlich inhaftiert, nur weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen hatten. Die Sicherheitskräfte nahmen willkürlich Hunderte tatsächlicher oder vermeintlicher Regierungskritiker_innen fest.

Im Februar 2021 wurde der bekannte Geschäftsmann Seif Thabet willkürlich inhaftiert, nachdem die Behörden zwei Monate zuvor bereits seinen Vater Safwan Thabet festgenommen hatten. Beide hatten sich geweigert, Vermögenswerte ihres erfolgreichen Unternehmens Juhayna an die Behörden abzutreten. Sie befanden sich ohne Gerichtsverfahren oder Anklageerhebung in lang anhaltender Einzelhaft.

Staatsanwaltschaften und Gerichte verlängerten die Untersuchungshaft Tausender Inhaftierter, gegen die wegen fabrizierter Terrorismusanklagen ermittelt wurde, ohne ihnen die Möglichkeit einzuräumen, die Rechtmäßigkeit ihrer Haft anzufechten. Im Oktober erließ das Justizministerium eine Verordnung, wonach die Untersuchungshaft auch in Abwesenheit der Betroffenen und somit ohne ordnungsgemäße Verfahrensgarantien verlängert werden konnte.

Die für Staatssicherheit zuständige Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft (Supreme State Security Prosecution – SSSP) umging Entscheidungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften, die nach übermäßig langer Untersuchungshaft Freilassungen angeordnet hatten, indem sie neue Haftbefehle für ähnliche Anklagen auf Grundlage geheimer NSA-Ermittlungen ausstellte. Diese als "Rotation" bezeichnete Praxis betraf auch Häftlinge, die viel längere Zeit in Untersuchungshaft verbracht hatten als die zwei Jahre, die nach ägyptischem Recht maximal zulässig sind. Eine vergleichbare Taktik wandte die SSSP an, um verurteilte Gefangene nach Verbüßung ihrer Strafe weiter in Haft zu halten. Am 15. Juni 2021 ordnete die SSSP an, den Menschenrechtsanwalt Mohamed Ramadan bis zum Abschluss neu eingeleiteter Ermittlungen weiter zu inhaftieren, nachdem ein Gericht wenige Tage zuvor seine Entlassung nach dreijähriger Untersuchungshaft angeordnet hatte.

Die SSSP verwies mindestens 28 willkürlich inhaftierte Menschenrechtsverteidiger_innen, Oppositionspolitiker_innen und Aktivist_innen an Notstandsgerichte. Verfahren vor diesen Gerichten waren per se unfair und verweigerten den Angeklagten das Recht, Schuldsprüche und Urteile vor höheren Instanzen anzufechten. Die Sicherheitskräfte hinderten Rechtsbeistände daran, sich mit ihren Mandant_innen unter vier Augen zu treffen.

Im August 2021 verwies die SSSP das Verfahren gegen Ezzat Ghoneim, den Gründer einer Menschenrechtsorganisation, und gegen die Rechtsanwältin Hoda Abdelmoneim an ein Notstandsgericht. Man legte ihnen wegen ihres friedlichen Einsatzes für die Menschenrechte und ihrer politischen Arbeit "Verbreitung von Falschnachrichten" und "Terrorismus" zur Last.

Zwischen Juni und Dezember 2021 verurteilten Notstandsgerichte den Studenten Ahmed Samir Santawy, die Oppositionspolitiker Zyad el-Elaimy, Hossam Moanis und Hisham Fouad, den Aktivisten Alaa Abdel Fattah, den Menschenrechtsanwalt und NGO-Gründer Mohamed al Baqer und den Blogger Mohamed "Oxygen" Ibrahim wegen "Verbreitung von Falschnachrichten" zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren. Sie hatten nichts weiter getan, als die Menschenrechtslage, die Wirtschaftspolitik und den Lebensstandard in Ägypten zu kritisieren.

Verschwindenlassen

Hunderte Häftlinge wurden 2021 in Räumlichkeiten des NSA, auf Polizeistationen oder an anderen Orten Opfer des Verschwindenlassens. Der NSA transportierte gewaltlose politische Gefangene und andere aus politischen Gründen inhaftierte Personen, deren Freilassung gerichtlich angeordnet worden war, von ihren bisherigen Haftorten ab und erteilte bis zu drei Monate lang keine Auskunft über ihr Schicksal und ihren Verbleib.

Die Behörden leiteten keine Ermittlungen im Fall von Manar Adel Abu al-Naga ein, die gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn 23 Monate lang verschwunden war, bevor sie im Februar 2021 von der SSSP wegen Terrorismusvorwürfen verhört wurde. Ihr Ehemann, Omar Abdelhamid, der gemeinsam mit ihr und ihrem Kind im März 2019 verschleppt worden war, blieb verschwunden.

Folter und andere Misshandlungen

Die Sicherheitskräfte folterten und misshandelten Gefangene u. a. durch Schläge, Elektroschocks und Aufhängen in schmerzhaften Positionen sowie durch unbefristete Einzelhaft unter furchtbaren Bedingungen. Mindestens 56 Häftlinge starben 2021 infolge medizinischer Komplikationen, vier weitere Todesfälle waren Berichten zufolge auf Folter zurückzuführen. Die Behörden untersuchten die Ursachen und Umstände dieser Todesfälle nicht.

Im März 2021 wurde Mohamed Abdelaziz Berichten zufolge an seinem Arbeitsplatz in Shebin el-Qanater in der Provinz Qalyubia von einem Polizisten zu Tode geprügelt. Die Staatsanwaltschaft ging den entsprechenden Vorwürfen nicht nach.

Die Bedingungen in den Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen waren nach wie vor grausam und unmenschlich. Gefangene klagten über stark überbelegte Zellen, schlechte Belüftung, mangelnde Hygiene, fehlende sanitäre Anlagen, unzureichendes Essen, verunreinigtes Trinkwasser sowie mangelnde Möglichkeiten an der frischen Luft zu sein und sich zu bewegen.

Die Behörden beschränkten oder untersagten weiterhin Familienbesuche und Korrespondenz und verweigerten den Gefangenen den Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung – in einigen Fällen ganz offensichtlich mit dem Ziel, Andersdenkende zu bestrafen.

Todesstrafe

Die für Terrorismus zuständigen Kammern der Strafgerichte sowie Notstandsgerichte und andere Gerichte verhängten nach grob unfairen Verfahren Todesurteile.

Am 29. Juli 2021 verurteilte ein Notstandsgericht, gegen dessen Urteile keine Rechtsmittel eingelegt werden können, 16 Männer nach einem grob unfairen Verfahren, bei dem es um tödliche Angriffe ging, zum Tode.

Hinrichtungen erfolgten häufig im Geheimen und ohne dass die Angehörigen die Möglichkeit erhielten, Abschied zu nehmen. Am 26. April 2021 richteten die Behörden den 82-jährigen Abd al-Rahim Jibril und acht weitere Männer hin, die wegen Tötung von Polizist_innen im August 2013 zum Tode verurteilt worden waren. In ihrem Massenprozess waren unter Folter erpresste "Geständnisse" verwendet worden. In anderen Fällen wurden Männer wegen Straftaten hingerichtet, die im Völkerrecht nicht als "schwerste Verbrechen" eingestuft sind, wie z. B. Drogenhandel.

Geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt

Frauen wurden weiterhin sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben diskriminiert.

Im Februar 2021 legte das Kabinett dem Parlament einen Entwurf für ein neues Personenstandsgesetz vor, das Bestimmungen beibehielt, die Frauen in Bezug auf Heirat, Scheidung, Sorgerecht für die Kinder und deren Erziehung diskriminieren, und es männlichen Vormunden erlaubt, die Ehe einer Frau ohne deren Zustimmung gerichtlich aufheben zu lassen. Im April verschärfte das Parlament die Strafen für weibliche Genitalverstümmelung.

Im Oktober 2021 wurden 98 Frauen zu Richterinnen des Staatsrats ernannt. In den meisten Justiz- und Strafverfolgungsgremien gab es jedoch weiterhin keine Frauen, oder sie waren unterrepräsentiert.

Die Behörden verfolgten nach wie vor Influencerinnen wegen ihres Verhaltens, ihrer Kleidung und der Tatsache, dass sie ihr Geld mit Apps wie TikTok verdienten, strafrechtlich. Im Juni 2021 wurden die Influencerinnen Hanin Hossam und Mawada el-Adham zu zehn bzw. sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Man warf ihnen vor, "Menschenhandel" betrieben und junge Frauen zur Verbreitung "unanständiger" Inhalte angestiftet zu haben. Mindestens sieben Influencerinnen blieben wegen "moralischer" oder anderer fingierter Anschuldigungen inhaftiert.

Die Behörden unternahmen nichts, um die weitverbreitete Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern und strafrechtlich zu verfolgen. Im Fall einer Gruppenvergewaltigung in einem Kairoer Hotel im Jahr 2014 ließen die Behörden im Mai 2021 alle Verdächtigen aus "Mangel an Beweisen" frei. Mindestens zwei Zeuginnen berichteten, Sicherheitskräfte hätten sie unter Druck gesetzt, ihre Aussagen zu ändern.

Die Behörden nahmen weiterhin Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität fest und verfolgten sie strafrechtlich. Im August 2021 verurteilte ein Gericht vier Männer wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen zu Gefängnisstrafen zwischen sechs und neun Jahren.

Rechte von Arbeitnehmer_innen

Die Behörden unterdrückten das Streikrecht und das Recht, unabhängige Gewerkschaften zu gründen, und bestraften Beschäftigte, die ihre Meinung äußerten oder Forderungen stellten. Den zahlreichen Beschäftigten, die von privaten Unternehmen wegen ihrer Beteiligung an friedlichen Streiks ungerechtfertigt entlassen, bestraft oder schikaniert wurden, boten die staatlichen Stellen keinen Schutz.

Im September 2021 billigte ein Gericht in Alexandria die Entlassung eines Beschäftigten durch ein staatliches Unternehmen, weil er "öffentlich seine politische Meinung geäußert" hatte. Im selben Monat befanden sich drei Angestellte der Universal Company willkürlich zwei Tage lang in Haft, weil sie ihr Streikrecht wahrgenommen hatten.

Im August 2021 ratifizierte der Präsident ein neues Gesetz, das die ungerechtfertigte, automatische Entlassung von Beschäftigten des öffentlichen Diensts ermöglicht, die auf der "Terroristenliste" stehen. Vorausgegangen waren offizielle Erklärungen, in denen die Entlassung von Bahnbeschäftigten gefordert wurde, die der verbotenen Muslimbruderschaft nahestanden, welche für die häufigen tödlichen Zugunglücke verantwortlich gemacht wurde.

Recht auf Gesundheit

Das Gesundheitssystem hatte 2021 weiterhin Mühe, die Coronapandemie zu bewältigen. Die Regierung reagierte nicht auf die Sorgen von Beschäftigten im Gesundheitswesen, die auf ihre unsicheren Arbeitsbedingungen, u. a. die unzureichende Ausstattung und Fortbildung sowie den Mangel an Schutzausrüstungen, hinwiesen. Im November ratifizierte der Präsident ein Gesetz, das die Veröffentlichung von Informationen über Pandemien unter Strafe stellt und sehr vage Formulierungen enthält.

Im Januar 2021 wurde ein landesweites Impfprogramm gegen Covid-19 angekündigt, doch waren am Jahresende weniger als 22 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Die Impfkampagne wurde durch Intransparenz und Verzögerungen bei der Impfung von Gesundheitspersonal und anderen Risikogruppen beeinträchtigt. Außerdem versäumten es die Behörden, gesellschaftliche Randgruppen anzusprechen und in abgelegenen ländlichen und armen städtischen Gebieten Aufklärungsarbeit zu leisten, um Menschen, die zögerten, vom Nutzen der Impfung zu überzeugen.

Einige Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, wurden von den Impfungen in den Gefängnissen ausgeschlossen. Die Behörden lehnten den Antrag des inhaftierten 69-jährigen vorerkrankten Oppositionspolitikers Abdelmonim Aboulfotoh ab, der geimpft werden wollte. Mindestens acht Häftlinge starben, nachdem sie Covid-19-Symptome gezeigt hatten.

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Die Behörden räumten informelle Siedlungen und nahmen zahlreiche Menschen willkürlich fest, die gegen den drohenden Abriss ihrer Häuser protestierten.

Am 4. Juni 2021 setzten Sicherheitskräfte Tränengas ein, um in Ezbet Nady al-Seid, einem Stadtviertel von Alexandria, eine Demonstration aufzulösen, die sich gegen die geplante Umsiedlung der Bewohner_innen ohne Rücksprache oder angemessene Entschädigung richtete. Mindestens 40 Demonstrierende wurden festgenommen, in einem Lager der Bereitschaftspolizei inhaftiert und neun Tage später wieder freigelassen. Dreizehn von ihnen stellte man jedoch wegen "Teilnahme an nicht genehmigten Protesten", "Rowdytum" und "Sabotage einer öffentlichen Einrichtung" vor ein Notstandsgericht, das sie im Dezember freisprach.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Christ_innen wurden durch Gesetze und im täglichen Leben weiterhin diskriminiert. Ihr Recht auf Religionsausübung wurde nach wie vor durch ein diskriminierendes Gesetz aus dem Jahr 2016 eingeschränkt, wonach der Bau und die Sanierung von Kirchen von den Sicherheitsbehörden und anderen staatlichen Stellen genehmigt werden mussten, was mit einem langwierigen, komplizierten und undurchsichtigen Verfahren verbunden war. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte hatten die Behörden seit Inkrafttreten des Gesetzes weniger als 20 Prozent der Anträge vollständig genehmigt. Mindestens 25 Kirchen mussten weiterhin geschlossen bleiben, weil sie keine Genehmigung hatten oder unter dem behördlichen Vorwand, religiöse Spannungen vermeiden zu wollen.

Die Christ_innen im Nordsinai wurden von staatlicher Seite nicht gegen Gewalt durch bewaffnete Gruppen geschützt. Im April 2021 veröffentlichte die Gruppe Wilayat al Sinai (Provinz Sinai), die zur bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) gehört, ein Video, das zeigte, wie der Christ Nabil Habashy erschossen wurde. Die Tat erfolgte offenbar als Vergeltung dafür, dass er sich an der Gründung einer örtlichen Kirche beteiligt hatte. Die Behörden unterließen es, die sichere Rückkehr seiner Familie und Hunderter weiterer Christ_innen zu gewährleisten, die nach gewaltsamen Angriffen im Jahr 2017 aus dem Nordsinai vertrieben worden waren, und boten ihnen keine Entschädigung für den Verlust ihres Eigentums und ihrer Existenzgrundlagen.

Angehörige religiöser Minderheiten und Muslim_innen, die keine staatlich anerkannten religiösen Überzeugungen vertraten, wurden wegen "Diffamierung der Religion" und anderer fingierter Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Im November verurteilte ein Notstandsgericht den Rechtsanwalt Ahmed Maher für sein Buch über islamische Rechtsprechung zu fünf Jahren Gefängnis wegen "Diffamierung der Religion".

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Die Behörden nahmen weiterhin zahlreiche Flüchtlinge und Migrant_innen willkürlich fest und inhaftierten sie auf unbestimmte Zeit unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen, weil sie ohne gültige Reisedokumente nach Ägypten eingereist waren oder versucht hatten, das Land zu verlassen. Einige von ihnen wurden bereits seit Jahren festgehalten, ohne Zugang zu einem Asylverfahren oder einem ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren zu erhalten.

Von Oktober 2021 bis zum Jahresende schoben die Behörden 40 eritreische Staatsangehörige, die seit Oktober 2019 inhaftiert waren, nach Eritrea ab, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, die Entscheidung über ihre Abschiebung anzufechten oder Zugang zu einem Asylverfahren zu erhalten.

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