Iran: Aktivist monatelang in Einzelhaft; UA-007/2022 [MDE 13/5206/2022]

Angehörige des iranischen Geheimdienstministerium foltern den iranischen politischen Aktivisten Abbas Vahedian. Sie halten ihn in Maschhad in einer inoffiziellen Hafteinrichtung in verlängerter Einzelhaft fest. Außerdem werden ihm angemessene Gesundheitsversorgung, Bettwäsche, warme Kleidung, frische Luft und regelmäßige Besuche von Familienangehörigen verweigert. Zwei Revolutionsgerichte verurteilten ihn zu insgesamt 21 Jahren Gefängnis, und das nur aufgrund seines friedlichen Aktivismus für einen demokratischen, säkularen Iran. Amnesty International fordert seine sofortige Freilassung.

BETROFFENE PERSONEN

Abbas Vahedian

LÄNDER
Iran
DATE
UA-NUMMER
UA-007/2022
AI INDEX
MDE 13/5206/2022
 

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich dazu auf, Abbas Vahedian umgehend und bedingungslos freizulassen, da er nur aufgrund der friedlichen Ausübung seiner Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit festgehalten wird.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass er bis zu seiner Freilassung den vollen Impfschutz gegen Covid-19, sowie jegliche medizinische Versorgung erhält, die er außerhalb seiner Haft benötigt, darunter die für seine Zähne. Außerdem bitte ich Sie zu garantieren, dass er vor weiterer Folter und anderweitiger Misshandlung geschützt ist, wozu auch die Einzelhaft und die Verweigerung von medizinischer Versorgung zählen, und dass ihm regelmäßiger Kontakt zu seiner Familie und seinem Rechtsbeistand gestattet wird.

Sachlage

Seit seiner Festnahme am 1. September 2021 wird der 51-jährige politische Aktivist Abbas Vahedian beinahe 24 Stunden am Tag in einer inoffiziellen, anonymen Hafteinrichtung des Geheimdienstministeriums in Maschhad in Einzelhaft gehalten. Er hat dort keinen Zugang zu frischer Luft, Tageslicht, und auch keinen Kontakt zu anderen Häftlingen. Seine Zelle hat keine Fenster und wird 24 Stunden am Tag von grellen Lampen erleuchtet, weshalb er unter Schlaflosigkeit und Schmerzen leidet. Was körperliche Bewegung anbelangt, wird er nur alle paar Tage mit einer Augenbinde in einem Gang herumgeführt. Außerdem wird ihm der Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung, Bettwäsche, warmer Kleidung, und regelmäßigen Besuchen von Familienangehörigen verweigert. Angehörige des Geheimdienstministeriums sagten ihm, dass er bessere Haftbedingungen bekäme, wenn er alle seine politischen Aktivitäten schriftlich darlege und sein Handypasswort preisgäbe. Diese Menschenrechtsverstöße kommen der Folter gleich und stellen ein Verbrechen nach dem Völkerrecht dar. 

Die Geheimdienstangehörigen und die Staatsanwaltschaft weigern sich weiterhin, Abbas Vahedian gegen Covid-19 impfen zu lassen oder ihn an eine_n Spezialist_in für seine Lungenleiden, darunter Atembeschwerden und Husten, zu überweisen. Bis Januar 2022 wurden ihm die Inhalatoren, die seine Familienangehörigen für ihn hinterlegt hatten, nicht übergeben. Aufgrunddessen besteht für ihn im Falle einer Ansteckung mit dem Coronavirus während seiner Haft ein erhöhtes Risiko, schwer zu erkranken. Außerdem leidet er an einer Zahnfleischerkrankung, die er sich 2019 bzw. 2020 während seiner vorherigen elf-monatigen Haft zuzog. Sie entwickelte sich als Folge von medizinischer Vernachlässigung der offenen Wunden in seinem Mund, die er sich während seiner Haft zuzog. Im Dezember 2021 wurde er nach mehrfachem Drängen seiner Familienangehörigen an eine Zahnklinik außerhalb der Hafteinrichtung überwiesen, wo ihm zwei Zähne gezogen wurden. Obwohl sein Zahnarzt warnend darauf hinwies, dass er ohne eine regelmäßige Behandlung eine Verschlimmerung der Zahnfleischinfektion und den Verlust weiterer Zähne riskieren könnte, wurden Abbas Vahedian die weitere Behandlung und auch angemessene Schmerzmittel verwehrt. Da er ohne Kissen oder Matratze auf dem Boden schlafen muss, leidet er seit seiner Festnahme auch unter starken Nackenschmerzen. 

Im Dezember 2021 wurde Abbas Vahedian aufgrund fadenscheiniger Anklagen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit zu elf Jahren Haft verurteilt. Diese basierten allein auf seiner friedlichen Arbeit mit politischen Gruppen, die die Islamische Republik als eine "theokratische Diktatur" bezeichnen und dazu aufrufen, ein säkulares, demokratisches System im Iran einzuführen. Außerdem durfte er sich nur einmal Ende Dezember 2021 mit seinem Rechtsbeistand nach der Veröffentlichung seines Urteils treffen. Seine gesonderte 10-jährige Haftstrafe, die im Oktober 2021 verhängt wurde, steht ausschließlich im Zusammenhang mit einem Offenen Brief, den Abbas Vahedian im Juni 2019 mitunterzeichnete. Darin wurde der Rücktritt des Religionsführers des Iran, und eine grundlegende Änderung der iranischen Verfassung gefordert. Solche friedlichen politischen Aktivitäten sind durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Abbas Vahedian wurde zu insgesamt 21 Jahren Gefängnis verurteilt. Dieses Strafmaß setzt sich aus einer elfjährigen Haftstrafe (die im Dezember 2021 von Abteilung 3 des Revolutionsgerichts von Maschhad verhängt wurde) und einer zehnjährigen Haftstrafe (die im Oktober 2021 von Abteilung 5 des Revolutionsgerichts von Maschhad verhängt wurde) zusammen. In beiden Fällen wurde er ohne Vorankündigung aus der Haft zum Revolutionsgericht von Maschhad gebracht. Auch über die Art der gegen ihn erhobenen Vorwürfe war er nicht informiert worden. Vor dem Gericht sah er sich Richtern gegenüber, die er später als aggressiv und voreingenommen beschrieb. Diese teilten ihm mit, dass er wegen Handlungen vor Gericht stehe, die gegen die nationale Sicherheit verstießen, und fragten ihn, ob er etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen habe. In beiden Fällen antwortete er, dass er die Rechtmäßigkeit der einberufenen Gerichtsverhandlungen aufgrund schwerwiegender Rechtsverstöße nicht anerkenne und auf die Anwesenheit seiner Rechtsbeistände bestehe. Daraufhin beendeten die vorsitzenden Richter beide Verhandlungen bereits nach wenigen Minuten und weigerten sich, erneut zu tagen. Seine zehnjährige Haftstrafe wurde 20 Tage nach ihrer Verhängung rechtskräftig, nachdem Abbas Vahedian es abgelehnt hatte, Rechtsmittel einzulegen. Die gegen die elfjährige Haftstrafe eingelegten Rechtsmittel sind derzeit noch anhängig.

Diese setzt sich aus einem Jahr wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" und 10 Jahren wegen "Gründung mehrerer Gruppen zur Gefährdung der nationalen Sicherheit" zusammen. Bei den im Gerichtsurteil genannten Gruppen handelt es sich um den Gemeinsamen Rat der Iranischen Bewegungen, der unter dem persischen Akronym Schahjaa bekannt ist, und den Iran Think Room (Otagh-e Fekr-e Iran). Schahjaa setzt sich laut ihrer Website friedlich für einen Übergang vom System der Islamischen Republik – das sie als "korrupte und unterdrückerische Theokratie" bezeichnet – zu einem säkularen demokratischen System ein, das den internationalen Menschenrechtsnormen verpflichtet ist. Abbas Vahedian gibt an, dass er zwar nicht zu den Gründungsmitgliedern von Schahjaa gehört, aber seit der Gründung am 8. April 2021 bis zum 17. Mai 2021 als Sprecher der Gruppe tätig war. Bei Iran Think Room handelte es sich um eine informelle Brainstorming-Gruppe, die in den Monaten vor den iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni 2021 mehrere Online-Kampagnen durchführte, darunter "Nein zur Islamischen Republik" und "Die Kampagne, die Scham erzeugen soll". Die gesonderte zehnjährige Haftstrafe steht ausschließlich im Zusammenhang mit einem Offenen Brief, den Abbas Vahedian und 13 weitere Mitunterzeichnende am 12. Juni 2019 veröffentlichten. Darin forderten sie den Rücktritt des Religionsführers des Iran, Ali Khamenei, und eine grundlegende Verfassungsänderung. Dieser friedliche Aktivismus führte zu mehreren fadenscheinigen Anklagen, wegen derer Abbas Vahedian schließlich auch verurteilt wurde, darunter "Beleidigung des Religionsführers", "Beteiligung an Versammlungen und Verschwörungen gegen die nationale Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System" sowie "Störung der öffentlichen Meinung".

Abbas Vahedian wurde am 1. September 2021 von mehreren Geheimdienstangehörigen in einem Dorf in der Nähe der Stadt Rezvanshahr in der nördlichen Provinz Gilan festgenommen. Kurz zuvor hatte er sich in einer Online-Debatte für seine politischen Überzeugungen stark gemacht. Abgesehen von zwei kurzen Familienbesuchen im Dezember und Januar, die in Anwesenheit von Geheimdienstangehörigen stattfanden, beschränkt sich der Kontakt zu seiner Familie auf wöchentliche Anrufe. Auch diese müssen in Anwesenheit von Geheimdienstangehörigen stattfinden, so dass er nicht frei sprechen kann. Außerdem sind sie in der Regel auf nur wenige Minuten begrenzt.

In den letzten Jahren hatten die iranischen Behörden Abbas Vahedian wiederholt wegen seines friedlichen politischen Engagements im Visier: Sie haben ihn mehrfach willkürlich festgenommen, ließen ihn "verschwinden", er wurde gefoltert und anderweitig misshandelt. Zuletzt war er wegen des oben erwähnten Offenen Briefes vom Juni 2019 zwischen 18. August 2019 und 19. Juli 2020 willkürlich in Haft. Die an seiner damaligen Festnahme beteiligten Geheimdienstangehörigen setzten Gewalt ein: So schlug ihn einer von ihnen mit einem scharfen Gegenstand ins Gesicht, wovon er zahlreiche offene Wunden im Mund davontrug. Die Behörden hielten ihn anschließend ohne Kontakt zur Außenwelt fest. Zwei Monate lang gaben sie seiner Familie keinerlei Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib. Damit wurde Abbas Vahedian Opfer des Verschwindenlassens. Erst nach seiner Verlegung in das Gefängnis des Maschhader Stadtteils Vakilabad konnte er seiner Familie mitteilen, dass er zuvor in einer informellen Hafteinrichtung des Geheimdienstministeriums in Maschhad in Einzelhaft gehalten worden war. Im Gefängnis von Vakilabad wurde er in einer allgemeinen Abteilung gemeinsam mit Häftlingen untergebracht, die wegen Gewaltverbrechen verurteilt worden waren. Mehrere von ihnen drohten wiederholt, ihn zu verletzen oder gar zu töten. Einmal hätten mehrere Häftlinge versucht, ihm ein Messer in den Hals zu stechen. Mindestens dreimal seien Mithäftlinge auf ihn gesprungen während er schlief und hätten ihn so am Kopf verletzt. Anfang 2020 infizierte sich Abbas Vahedian im Gefängnis mit Lungentuberkulose, wahrscheinlich durch einen infizierten Zellengenossen. Dies führte zu schwerem Husten, Brustschmerzen und wochenlangen Atembeschwerden sowie Gewichtsverlust. Obwohl die von ihm benötigte fachärztliche Versorgung im Gefängnis nicht verfügbar war, weigerten sich sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Gefängnisleitung, ihn in eine medizinische Einrichtung außerhalb des Gefängnisses verlegen zu lassen. Bald darauf erkrankte er an Covid-19, wofür er ebenfalls keine angemessene medizinische Versorgung erhielt. Nach zahlreichen Anträgen seiner Angehörigen wurde er schließlich am 19. Juli 2020 gegen Kaution freigelassen. Seitdem leidet er an chronischen Lungenbeschwerden, die nach Angaben der Ärzt_innen, die er nach seiner Freilassung aufsuchte, auf die unzureichende medizinische Versorgung seiner Lungeninfektion während der Haft zurückzuführen sind.

 

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