Anfragebeantwortung zum Irak: Kirkuk: Arbeitsmarktlage [a‑11674-2]

28. September 2021

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Auskünften von Expert·innen und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.

Es konnten als Teil der Recherche keine verlässlichen Zahlen in Bezug auf die Arbeitslosenquote im Irak generell oder in Kirkuk im Speziellen gefunden werden. Verschiedene Quellen der vergangenen zwölf Monate geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8 und 40 Prozent an (Al-Ain, 2. November 2020; Al-Mada, 19. Oktober 2020; Rudaw, 12. Juli 2021; Shafaq News, 2. September 2021).

Die jordanische Tageszeitung Al-Ghad berichtet im Oktober 2020, dass dutzende arbeitslose Absolvent·innen vor dem Regierungsgebäude der Provinz demonstriert hätten, um staatliche Anstellungen zu fordern sowie die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in der Stadt (Al-Ghad, 28. Oktober 2020).

Das Washington Kurdish Institute (WKI) schreibt im August 2021, dass etwa 200 Personen in Kirkuk gegen die Verzögerung ihres Einstellungsverfahrens in die Reihen der Polizei protestiert hätten. Das Innenministerium habe im Jahr 2017 200 Männer eingestellt. Die Männer seien jedoch mit August 2021 immer noch arbeitslos, da laut des Finanzministers das nötige Budget fehle. (WKI, 26. August 2021)

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) veröffentlicht im Jänner 2020 einen Bericht über Herausforderungen und Chancen für Arbeitssuchende in der Stadt Kirkuk. IOM habe für diesen Zweck 31 Arbeitssuchende interviewt. In der Stadt Kirkuk gebe es kein Jobcenter, jedoch ein Jugendzentrum. Arbeitssuchende seien der Meinung, dass die Arbeitslosenquote in der Stadt Kirkuk im Durchschnitt 59 Prozent betrage. Zu den Sektoren, die derzeit Arbeitnehmer·innen einstellen, würden Geschäfte, Restaurants, Einkaufszentren und Märkte sowie Privatunternehmen gehören. 38 Prozent der Befragten seien jedoch der Meinung, dass diese Berufe von einer bestimmten demografischen Gruppe dominiert werden würden. 67 Prozent hätten das Internet, soziale Medien und die Medien als Informationsquelle für Stellenangebote genannt. (IOM, Jänner 2020, S. 44)

Ground Truth Solutions veröffentlicht im Juni 2021 einen Bericht über Iraks Tagelöhner·innen. Die Erfahrungsberichte von Tagelöhner·innen aus unterschiedlichen Städten Iraks werden darin wiedergegeben. In Kirkuk-Stadt wurde Rasha, eine 45-jährige verwitwete Schneiderin mit vier Kindern interviewt. Laut Rasha seien viele Menschen aufgrund mangelnder Alternativen von Tagelöhnerarbeit abhängig. Die meisten Arbeitnehmer·innen seien Männer. Für Frauen gebe es weniger Möglichkeiten, vor allem für Frauen mit geringer Bildung. Während der Pandemie seien die Möglichkeiten für Frauen wie auch für Männer gesunken.

Arbeitgeber·innen würden ihre Angestellten ausbeuten, indem sie lange Arbeitszeiten und Minimallöhne durchsetzen würden. Es gebe keine Garantie pünktlich bezahlt zu werden. Viele Arbeitgeber·innen würden Zahlungen verzögern.

Jobs finde man durch Beziehungen oder indem man Händler·innen und Ladenbesitzer·innen frage, ob sie eine freie Stelle hätten. Berufserfahrene und Hochschulabsolvent·innen hätten es leichter. In der Regel gebe es eine mündliche Vereinbarung mit dem/der Arbeitgeber·in über Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitstage pro Woche.

Vor Corona habe Rasha zwei Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche gearbeitet. Seit Corona würde sie nur mehr zehn Tage pro Monat arbeiten. Das Einkommen während der Pandemie sei instabil und decke die Bedürfnisse der Familie nicht ab. Aufgrund der Rezession hätten Staatsbedienstete ihre Löhne nicht erhalten. Dies habe sich auch auf die Tagelöhner·innen ausgewirkt.

Seit Ende des Lockdowns habe sich die Situation kaum verbessert. Es gebe weniger Arbeit und die Bezahlung sei geringer, während die Konkurrenz zugenommen habe. Es gebe weiterhin Schwierigkeiten, Arbeit zu finden.

Für die Zukunft erwarte Rasha keine Verbesserung der Situation. Gründe dafür seien ein Mangel an Arbeit in ihrer Region und die Schulden, die sie während der Coronapandemie aufgenommen habe, die niedrigen Löhne der Arbeiter·innen und die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes. (Groud Truth Solutions, Juni 2021, S. 20)

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 28. September 2021)

·      Al-Ain: Arbeitslosigkeit und Armut im Irak. Albträume verfolgen diejenigen, die eine Chance zum Leben suchen [البطالة والفقر في العراق.. كابوس يطارد أحلام الباحثين عن فرصة للعيش], 2. November 2020
https://al-ain.com/article/unemployment-poverty-iraq-job-opportunity

·      Al-Ghad: Demonstrationen gegen die irakische Regierung und gegen steigende Arbeitslosigkeit [مظاهرات ضد الحكومة العراقية احتجاجا على تزايد البطالة], 28. Oktober 2020
https://www.alghad.tv/%D9%85%D8%B8%D8%A7%D9%87%D8%B1%D8%A7%D8%AA-%D8%B6%D8%AF-%D8%A7%D9%84%D8%AD%D9%83%D9%88%D9%85%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82%D9%8A%D8%A9-%D8%A7%D8%AD%D8%AA%D8%AC%D8%A7%D8%AC%D8%A7-%D8%B9/

·      Al-Mada: 40% der Bürger sind arbeitslos. Corona zerbricht den Traum junger Menschen vom Job [من المواطنين يعانون البطالة..كورونا تجهض أحلام الشباب بالحصول على وظيفة % 40], 19. Oktober 2020
https://www.almadapaper.net/view.php?cat=230779

·      Ground Truth Solutions: Falling through the cracks: Iraq’s daily workers live without security, savings or support, Juni 2021
https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Falling-through-the-cracks-_-GTS-_-CCI-2021.pdf

·      IOM – International Organization for Migration: Labour Market Opportunities and Challenges, Kirkuk City, Kirkuk Governorate, Jänner 2020
https://iraq.iom.int/files/Kirkuk%20City%2C%20Kirkuk%20Governorate.pdf

·      Rudaw: Armut und Arbeitslosigkeit nehmen zu. Iraks Bevölkerung wächst um eine Million pro Jahr [تزداد معه نسبة الفقر والبطالة.. التعداد السكاني في العراق يزداد بنسبة مليون نسمة سنوياً], 12. Juli 2021
https://www.rudaw.net/arabic/middleeast/iraq/120720215

·      Shafaq News: Planungsministerium: Arbeitslosenquote im Irak bei 13,8% und Anbar an der Spitze der Provinzen mit der Zahl der Arbeitslosen
[
التخطيط: نسبة البطالة في العراق 13.8% والانبار تتصدر المحافظات بعدد العاطلين], 2. September 2021
https://shafaq.com/ar/%D8%A7%D9%82%D8%AA%D8%B5%D9%80%D8%A7%D8%AF/%D8%A7%D9%84%D8%AA%D8%AE%D8%B7%D9%8A%D8%B7-%D9%86%D8%B3%D8%A8%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D8%A8%D8%B7%D8%A7%D9%84%D8%A9-%D9%81%D9%8A-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82-13-8-%D9%88%D8%A7%D9%84%D8%A7%D9%86%D8%A8%D8%A7%D8%B1-%D8%AA%D8%AA%D8%B5%D8%AF%D8%B1-%D8%A7%D9%84%D9%85%D8%AD%D8%A7%D9%81%D8%B8%D8%A7%D8%AA-%D8%A8%D8%B9%D8%AF%D8%AF-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%A7%D8%B7%D9%84%D9%8A%D9%86

·      WKI – Washington Kurdish Institute: Kirkuk Minute August 26, 2021, 26. August 2021
https://dckurd.org/2021/08/26/kirkuk-minute-august-26-2021/

Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen

Ground Truth Solutions ist eine internationale Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Wien, die humanitären Organisationen direktes Feedback von Menschen gibt, die von Krisen betroffen sind.

·      Ground Truth Solutions: Falling through the cracks: Iraq’s daily workers live without security, savings or support, Juni 2021
https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Falling-through-the-cracks-_-GTS-_-CCI-2021.pdf

„Annex 3: In Rasha’s words

Profession: tailor, Age: 45, Location: urban Kirkuk, Family size: widowed, 4 children, Status: returnee

Perspectives on daily work

Many people depend entirely on daily wage work for their subsistence due to the lack of other work. Most workers are men, and for women there are less opportunities, especially for the uneducated. During the pandemic, opportunities decreased for both men and women. Daily work is not a choice, but it is arguably the only way to live and to get money.

There are no advantages in daily work because income is always unstable and workers can lose their job at any time without guarantees. Employers exploit their workers by enforcing long working hours and minimal wages since they know there are no other opportunities. I have a professional relationship with my employer and there is no guarantee she will pay me on time. There are a lot of employers delaying payments.

Job search

You find jobs through connections, and by asking traders and shop owners if they have a vacancy. Young people who have work experience and university degree holders find it easier. Normally there is a verbal agreement with the employer on wages, working hours, and working days per week.

Impact of COVID-19

I used to work every day of the week for two hours a day before Corona, but now I work ten days a month. I didn’t feel safe and my employer did not introduce any safety measures – I took responsibility for my own safety. Income during the pandemic is unstable and never meets our needs. Because of the recession, government employees did not get their salaries and this is also affecting the community. Daily workers are the most impacted because they totally depend on daily wages to cover their needs.

Changes since end of lockdown

The situation has improved very little because the virus is still present. Work has become less, pay is less, competition for work has increased, and education has not yet returned. There are still difficulties in finding jobs because lack of profits affects workers. The lockdown had a major impact on businesses, and consequently weak profits for employers, which led to business stagnation.

Access to education

My children attended school before the pandemic and now they will attend classes one day per week. On the other days, they will get lessons via the internet. Distance education is not effective in my opinion but the issue is that I do not have enough time to teach them due to work and other responsibilities.

Access to medical services

Before the pandemic it was easy to access medical care, but now, there are not enough medical staff and people are concerned about getting infected. The situation has changed for the worse with regard to treatment costs and legal access.

Future prospects

I do not expect a change in my career. What will change is the return of children to school. I do not expect things to improve because of the shortage of work in my area and the debt I’ve accumulated during the Coronavirus, the low wages paid to workers, and the poor economic situation of the country. There is no positive outcome resulting from this pandemic. I only care about my kids and their education.“ (Groud Truth Solutions, Juni 2021, S. 20)

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) ist eine weltweite aktive und völkerrechtliche Organisation im UNO-System, die auf nationaler und zwischenstaatlicher Ebene operationale Hilfsprogramme für Migrant·innen durchführt.

·      IOM – International Organization for Migration: Labour Market Opportunities and Challenges, Kirkuk City, Kirkuk Governorate, Jänner 2020
https://iraq.iom.int/files/Kirkuk%20City%2C%20Kirkuk%20Governorate.pdf

„1.3.3. Challenges and Opportunities Facing Job-seekers in Kirkuk city

• There is no job centre in Kirkuk city, although there is a youth centre;

• Job-seekers felt that the unemployment rate in Kirkuk city was, on average, 59%;

• Sectors noted as currently hiring workers included shops, restaurants, malls, and markets, as well as private companies, which job-seekers also mentioned as desirable types of work;

• 38% of respondents, however, felt that these jobs were dominated by a certain demographic group;

• 67% mentioned the internet, social media and the media as a source of information about job opportunities and hiring.“ (IOM, Jänner 2020, S. 44)

Das Washington Kurdish Institute (WKI) ist eine Bildungs- und Forschungsorganisation, die sich auf Kurd·innen konzentriert. Die Organisation wurde im September 1996 in Washington DC von Dr. Najmaldin Karim gegründet. Ihre Ziele sind die Sensibilisierung für kurdische Probleme, die Förderung der Menschenrechte in kurdischen Gebieten und die Unterstützung der Entwicklung der Zivilgesellschaft innerhalb der kurdischen Gemeinschaft.

·      WKI – Washington Kurdish Institute: Kirkuk Minute August 26, 2021, 26. August 2021
https://dckurd.org/2021/08/26/kirkuk-minute-august-26-2021/

„Meanwhile, about 200 people protested delaying their hiring process in police ranks by the finance ministry. The Ministry of Interior hired 200 men in 2017, but they remain unemployed since the finance minister says they lack a hiring budget.“ (WKI, 26. August 2021)