Anfragebeantwortung zum Irak: Medizinische Behandlung von Fettgewebsnekrose; Zugang zu und Kosten von bestimmten Medikamenten [a-11610-1]

  1. Juni 2021

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Auskünften von Expert·innen und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Dieses Produkt stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.

Die folgenden Quellen und Informationen beziehen sich alle auf Bagdad. Äquivalente Behandlungen und Zugang zu Medikamenten sind nicht notwendigerweise im ganzen Land verfügbar.

Behandlung von beidseitig glutealer Fettgewebsnekrose im Sinne einer diffusen Pannikulitis

Im Dezember 2014 veröffentlichen vier Ärzte der medizinischen Fakultät der Universität Bagdad sowie des Baghdad Teaching Hospital der Baghdad Medical City einen Artikel im Journal of Cosmetics, Dermatological Sciences and Applications mit ihren Ergebnissen einer Fallstudie zu Kerosin-induzierter Pannikulitis bei irakischen Patient·innen. Die Fallstudie sei im Zeitraum von Jänner 2003 bis Dezember 2012 in der Abteilung für Dermatologie und Venerologie am Bagdad Teaching Hospital in Bagdad durchgeführt worden. Elf Fälle seien untersucht worden. Einer dieser Fälle wird im Artikel näher beschrieben, mit Details zur vorgenommenen Behandlung. Die junge Frau sei vor ihrer Ankunft im Spital von einem privaten Arzt in Bagdad mit Kortisonsalbe und Schmerztabletten therapiert worden. Im Spital sei unter Narkose ein chirurgischer Eingriff erfolgt, bei dem das gesamte nekrotische Gewebe sowie vaskuläres Gewebe entfernt worden sei. Sie habe dann einen Verband bekommen sowie eine intravenöse Flüssigkeit mit Antibiotikum. Die Patientin habe nach ihrer Entlassung Termine von der Hautklinik zur Nachbehandlung erhalten. Der Artikel gibt weiters an, dass die Geschwüre der Patient·innen antiseptisch gereinigt worden seien und dass topische und orale Antibiotika verabreicht worden seien. Die Narben seien mit einer starken topischen Steroidsalbe und einem oralen Antihistaminikum behandelt worden, um das kosmetische Erscheinungsbild zu verbessern. (Sharquie et al., Dezember 2014, S. 325)

Zugang zu und Kosten von dermatologischer Behandlung

Eine Krankenschwester eines Gesundheitszentrums in Bagdad gab in einem Gespräch mit ACCORD im Juni 2021 an, dass Patient·innen, die die staatliche Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen, bei Beschwerden zunächst das Gesundheitszentrum aufsuchen würden. Man müsse bei jedem Besuch im Gesundheitszentrum ein Ticket lösen, um einen Arzt oder eine Ärztin zu sehen. Ein Ticket koste 2000 IQD (1,12 Euro[1]). Wenn der Patient / die Patientin Medikamente oder sonstige Materialen, wie einen Verband, benötige, würden diese – sofern vorhanden – vom Gesundheitszentrum zur Verfügung gestellt werden. Die Kosten dafür seien in dem gelösten Ticket bereits enthalten. Das Gesundheitszentrum verfüge jedoch nur über Basismedikamente. Wenn benötigte Medikamente nicht vorhanden sind, müssten Patient·innen sich diese in einer privaten Apotheke selbst besorgen. In dem Gesundheitszentrum, in dem sie arbeitet, seien Schmerzmittel, Antibiotika und Verbände generell verfügbar.

Sollte eine spezialisierte Behandlung notwendig sein, würden Patient·innen an ein öffentliches spezialisiertes Krankenhaus überwiesen. Auch in einem öffentlichen Krankenhaus sei es notwendig pro Besuch ein Ticket für 2000 IQD (1,12 Euro) zu erwerben. Notwendige Untersuchungen seien dem Wissen der Krankenschwester nach inbegriffen. In einem Krankenhaus gebe es eine größere Auswahl an öffentlich zugänglichen Medikamenten als in den Gesundheitszentren. Sie, die Krankenschwester, habe keine Informationen zu Operationen im dermatologischen Bereich. Es sei zurzeit üblich, dass Menschen, die ihre Diagnose kennen und wissen würden, wie sie ihre Beschwerden behandeln müssten, selbst zu einer privaten Apotheke gehen, sich die notwendigen Medikamente besorgen und sich selbst therapieren würden. Es sei ebenso üblich, dass Menschen, die es sich leisten könnten, direkt einen privaten Spezialisten aufsuchen würden und nicht die Dienste des öffentlichen Gesundheitszentrums und der öffentlichen Krankenhäuser in Anspruch nehmen würden. Es gebe eine Reihe von Dermatologen in Bagdad, die eine private Praxis führen würden. Sofern man nicht einen spezifischen Arzt sehen wolle, sei es generell möglich in Bagdad einen Termin bei einem privaten Spezialisten am gleichen Tag zu erhalten. Ein Termin koste, je nach Arzt, unter normalen Umständen zwischen 15 und 25 US-Dollar (zwischen 12,37 und 20,62 Euro). Man müsste jedoch für alle zusätzliche Untersuchungen, wie Blutbefunde, Scans und auch Medikamente, extra bezahlen. Dies sei nicht für alle Menschen leistbar. Es gebe in Bagdad generell auch die Möglichkeit, sich unterschiedlichen Operationen privat zu unterziehen. Je nach Operation würden hier die Kosten auf jeden Fall zwischen mehreren Hundert bis Tausenden US-Dollar liegen. (Krankenschwester, 15. Juni 2021)

Eine Liste von Dermatolog·innen im Irak, mit Adresse und Telefonnummer, findet sich im online zugänglichen irakischen Ärzteleitfaden, tabibiraq.

Dieser ist unter folgendem Link zugänglich:

·      tabibiraq: Ärzteleitfaden [دليل الأطباء], ohne Datum
https://www.tabibiraq.com/ar/specialty/%D8%A7%D8%B7%D8%A8%D8%A7%D8%A1-%D8%AC%D9%84%D8%AF%D9%8A%D8%A9-%D9%88%D8%AA%D8%AC%D9%85%D9%8A%D9%84

Das Al-Yarmouk Teaching Hospital und das Bagdad Teaching Hospital sind zwei öffentliche Spitäler in Bagdad, über deren Abteilungen für Dermatologie online berichtet wurde (siehe: Sharquie et al., Dezember 2014, S. 324; Al-Battat/Taie, 2016, S. 40). Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass es nicht auch andere dermatologische Abteilungen an Krankenhäusern in Bagdad gibt.

Weitere Informationen zum Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem, zur Qualität der öffentlichen Gesundheitsversorgung, zu Kosten sowie regionalen Unterschieden und zum Zugang zu Medikamenten finden Sie in der ebenfalls an Sie übermittelten ACCORD-Anfragebeantwortung a-11610-2 vom 30. Juni 2021.

Zugang zu und Kosten von Verbänden und Medikamenten (Cortison, Schmerzmittel, Antibiotika, Urbason, Molaxole)

Ein Apotheker einer privaten Apotheke in Bagdad erklärte gegenüber ACCORD im Juni 2021, dass gebräuchliche Medikamente in Bagdad generell verfügbar seien. Es gebe in jedem Viertel Bagdads private Apotheken, die häufig benötigte Medikamente führen würden. Bei manchen Medikamenten gebe es auch eine Auswahl an aus verschiedenen Ländern importierten Marken, jedoch seien nicht immer die Medikamente der gleichen Marke vorrätig. Es könne zum Beispiel vorkommen, dass ein Kunde oder eine Kundin ein bestimmtes Antibiotikum benötige. Die Art des Antibiotikums sei zwar immer vorrätig, jedoch nicht vom gleichen Hersteller. Antibiotika seien ohne ärztliches Rezept erhältlich. Es gebe unterschiedliche Antibiotika für unterschiedliche Preise. Im Durschnitt koste eine Packung 3000 IQD (1,72 Euro).

Schmerzmittel für den allgemeinen Gebrauch seien verfügbar. Es gebe auch hier eine Auswahl. Beim Schmerzmittle der Marke Samadol, das Paracetamol beinhaltet, würden zehn Tabletten 1500 IQD (0,86 Euro) kosten.

Das Abführmittel Molaxole führe der Apotheker nicht in seiner Apotheke, jedoch gebe es andere Abführmittel um ungefähr 2000 IQD (1,12 Euro).

Auch das Medikament Urbason führe der Apotheker nicht. Er habe jedoch ein Medikament mit gleichem Inhaltsstoff (Methylprednisolon), namens Medrol. Eine Packung Medrol 4mg, mit 30 Tabletten, koste 14000 IQD (8,03 Euro).

Es sei auch möglich in der Apotheke eine Anzahl unterschiedlicher Verbände zu kaufen. Preise würden je nach Größe und Hersteller variieren. Der Apotheker habe Cortison-Cremes lagernd. (Apotheker, 16. Juni 2021) 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 30. Juni 2021)

·      Al-Battat, Rzan A./Taie, Kawthar M.: Dermatological diseases among children attending Al-Yarmouk Teaching Hospital-outpatient department of dermatology, Mustansiriya Medical Journal, Volume 15, Issue 2, 2016
https://www.mmjonweb.org/article.asp?issn=2070-1128;year=2016;volume=15;issue=2;spage=40;epage=45;aulast=Al-Battat;type=0

·      Apotheker: Gespräch mit ACCORD, Apotheke, Palästina Straße, Bagdad, 16. Juni 2021

·      Krankenschwester: Gespräch mit ACCORD, Bagdad, 15. Juni 2021

·      Sharquie, Khalifa E. et al: Kerosene-Induced Panniculitis in Iraqi Patients, Journal of Cosmetics, Dermatological Sciences and Applications 2014, 4. Dezember 2014
https://www.researchgate.net/publication/276498659_Kerosene-Induced_Panniculitis_in_Iraqi_Patients

·      tabibiraq: Ärzteleitfaden [دليل الأطباء], ohne Datum
https://www.tabibiraq.com/ar/specialty/%D8%A7%D8%B7%D8%A8%D8%A7%D8%A1-%D8%AC%D9%84%D8%AF%D9%8A%D8%A9-%D9%88%D8%AA%D8%AC%D9%85%D9%8A%D9%84


Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren die Autoren des Artikels wie folgt tätig: Khalifa E. Sharquie: Abteilung für Dermatologie, medizinische Fakultät, Universität Bagdad; Adil A. Noaimi: Abteilung für Dermatologie, medizinische Fakultät, Universität Bagdad; Maha S. Younis: Abteilung für Psychiatrie, medizinische Fakultät, Universität Bagdad; Bashar S. Al-Sultani: Abteilung für Dermatologie, Bagdad Teaching Hospital, Medical City, Bagdad

·      Sharquie, Khalifa E. et al: Kerosene-Induced Panniculitis in Iraqi Patients, Journal of Cosmetics, Dermatological Sciences and Applications 2014, 4, Dezember 2014
https://www.researchgate.net/publication/276498659_Kerosene-Induced_Panniculitis_in_Iraqi_Patients

„One case study of patient number eleven is reported here. A thorough psychiatric semi-structured interview has been conducted with one of the patients as a detailed example: A 19-year old Iraqi Muslim single girl, a student in the college of education, living in Baghdad with her parents and younger two brothers, was brought to the emergency Department of Baghdad Teaching Hospital Medical City in March 2010 after three days of outpatient treatment by a private local doctor, where she received cortisone ointment and analgesic tablets for suspected erosive contact dermatitis on her left arm without improvement. The lesion was expanding to involve the whole arm with generalized redness and swelling and in ability to move it freely with intensifying pain and tenderness for which she was referred for consultation. The Patient admitted using a 5 ml disposable syringe filled with household kerosene injecting it into her left arm just below the cubital fossa. This was in response to her total failure in her first term examination four days before consultation. She was taught about this method by a friend in the college. Urgent surgical debridement of the all necrotic and a vascular tissues was done under anesthesia. Minor injury to the flexors of the forearm occurred, but did not affect full movement. She had neither previous medical or psychiatric problems nor family history of mental illness. She was described as a pleasant friendly girl by her mother with no record of impulsivity or anti-social behavior. The patient denied any emotional or family conflict. Both parents were college graduates and government employees living in comfortable accommodation with a reasonable financial status. On assessing her mental state, she was fully conscious and alert with the injured arm wrapped up to the wrist and an intra-venous fluid containing anti-biotic running in the healthy arm, but looked pale and gloomy. Speech was coherent and logical, there were no thought or perceptual disorders, her affect were sad and congruent with her mood. She expressed full ignorance of the toxic nature of kerosene and denied any suicidal thoughts justifying her act as a self punishment for school failure. She denied feeling psychological relief by the injection and ex-pressed regret and concerns about future disfigurement or paralysis. The patient was jointly followed up in the skin clinic and psychiatry outpatient clinic in the Medical City Teaching Hospital according to an appointment protocol. In eight cases the injection was on the upper arms specifically on the forearms while three cases on the lower limbs specifically thigh, buttock, popliteal fossae. Patients were seen after few days to few weeks following the injection. The course of the disease started as erythematous plaques that were hot and tender simulating a picture of panniculitis, after a while there was rupture of the lesions leaving discharging deep ulcers. No smell of kerosene was detected in any lesion. These ulcers were managed by antiseptic clearance, topical and oral antibiotics were given, and the healing time took few too many weeks. In all cases there was disfiguring scar at the site of injection and one patient with the wrist injection left severe fibrosis and contracture of the wrist and hand. The scars were managed by strong topical steroid ointment with oral antihistamine to improve the cosmetic appearance.“ (Sharquie et al., Dezember 2014, S. 325)

 



[1] Alle Währungsumrechnungen wurden mithilfe von https://www1.oanda.com/currency/converter/ im Juni 2021 durchgeführt.