Anfragebeantwortung zu Türkei: Ehrenmorde an heterosexuellen Männern aufgrund von Scheidung; Verbreitung; Umgang der türkischen Sicherheitsbehörden [a-11574]

21. Mai 2021

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Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.

Ehrenmorde (bei Kurd·innen) in der Türkei

Eine türkische Juristin teilte in einer E-Mail-Auskunft vom 17. Mai 2021 mit, dass Morde im Namen der Ehre in der Türkei heute weniger häufig seien als früher beziehungsweise man seltener davon höre. Ehrenmord sei ein Straftatbestand mit erheblichem Strafmaß. Ehrenmord werde vorwiegend an Frauen verübt. Das bedeute nicht, dass Männer nicht davon betroffen sein könnten. Die patriarchale Denkweise der Familie könne schwer nachvollziehbar sein, sie sei jedoch für die Tat ausschlaggebend (Juristin, 17. Mai 2021).

Erol Pohlreich von der Juristischen Fakultät der Leibniz-Universität Hannover legt in einem Beitrag von 2011 den Straftatbestand des Ehrenmordes dar: Unter „Ehrenmord“ sei eine „vorsätzliche Tötung zur Abwendung einer dem Täter oder seiner Familie drohenden oder (vermeintlich) eingetretenen gesellschaftlichen Herabsetzung aufgrund der Verletzung sexueller Verhaltensregeln durch ein Familienmitglied“ zu verstehen. „Ehrenmorde“ würden beispielsweise „wegen eines Verlustes der Jungfräulichkeit vor der Ehe, einer vorehelichen Beziehung zu einem Mann ohne Einverständnis der Familie, im Fall ehelicher Untreue, wegen Verlassens des Ehepartners“ oder unter Umständen wegen der Eigenschaft als Opfer einer Vergewaltigung begangen. Auch Männer könnten Opfer eines „Ehrenmordes“ sein. Das betreffe „nicht nur offen homosexuell lebende Männer, sondern auch diejenigen Männer, welche an der Verletzung sexueller Verhaltensregeln durch ein weibliches Familienmitglied des Täters mitgewirkt“ hätten. Ehrmotive würden auch bei der Blutrache eine Rolle spielen. Hier stehe der „Gedanke der Vergeltung einer als Ehrverletzung empfundenen vorherigen Tötung einer Person aus dem persönlichen Umfeld des Blutracheübenden im Vordergrund.“ Blutrachetötungen würden allerdings nicht innerhalb des eigenen Familienverbandes begangen und es lege ihnen kein sexuelles Ehrverständnis zugrunde (Pohlreich, 2011, S. 735). Eine Publikation der Politikwissenschafterin Filiz Kardam von der Çankaya-Universität aus dem Jahr 2005 zu Ehrenmorden in der Türkei befasst sich mit dem Ehrbegriff u.a. in kurdischen Gemeinschaften sowie mit Fallstudien von betroffenen Frauen. Demnach werde Scheidung als unehrenhaftes Verhalten angesehen, allerdings dargelegt anhand von Fällen, in welchen sich Frauen scheiden ließen oder scheiden lassen wollten (Kardam, November 2005, S. 32).

Ein Artikel des freien Journalisten, Politik- und Islamwissenschafters Fabian Goldmann vom Februar 2020 erläutert den Unterschied zwischen Ehrenmorden und Partnertötungen: Bei Ehrenmorden sei das Tatmotiv nicht individuelle Kränkung oder Wut, sondern die Tat diene der Wiederherstellung der Ehre einer ganzen Familie. Der Entschluss zur Tat werde häufig im Familienkreis gefasst und durch mehrere Angehörige gemeinsam geplant (Goldmann, 5. Februar 2020). Für die Region Ostanatolien beschreibt Fabian Goldmann die Bedeutung von Ehre als soziales Prestige und Kapital der Familie. Ehrenmorde würden zur Absicherung des sozialen Gefüges innerhalb einer Gemeinschaft beitragen (Goldmann, 1. November 2018). Zum Ehrbegriff in Bezug auf Männer und die Familie führt ein Beitrag in der Sendung Zeitfragen von Deutschlandfunk Kultur vom August 2018 unterschiedliche Konzepte von „Ehre“ an. Die türkischen Begriffe „onur“ und „namus“ würden die Ehre des Mannes und der Familie bezeichnen, die durch das Verhalten der Frauen bestimmt werde (Deutschlandfunk Kultur, 29. August 2018).

Im Rahmen dieser Recherche konnten keine Informationen dazu gefunden werden, wie sich Ehrenmorde in kurdischen und in nicht-kurdischen Kontexten unterscheiden.

Ehrenmorde an heterosexuellen Männern aufgrund von Scheidung

Der Rechtswissenschafter Recep Doğan beschäftigte sich in einer Studie mit Ehrenmorden an Frauen in der Türkei und (Doğan, 2. Juli 2014). Die Studie schließt Ehrenmorde mit männlichen Opfern nicht ein, dennoch enthält sie vereinzelt Hinweise darauf, dass heterosexuelle Männer Opfer von Ehrenmorden werden können (Doğan, 2. Juli 2014, S. 392-394, 397). Außerdem gebe es bei Ehrenmorden prinzipiell wenige qualifizierte Informationen über die Charakteristika der Opfer oder die Profile der Täter (Doğan, 2. Juli 2014, S. 390).

Im Zuge dieser Recherche konnten keine Hinweise darauf gefunden werden, dass Scheidungen, die vom Ehemann ausgehen, einen Grund für Ehrenmorde darstellen können.

Filiz Kardam bemerkt in ihrer Studie am Rande, dass Scheidung im von ihr untersuchten Kontext in der Türkei gesellschaftlich nicht akzeptiert sei (Kardam, November 2005, S. 21). Einem Zeitungsbericht zufolge seien bei einem Vorfall im Jänner 2021 eine junge Frau und ihr Partner Opfer eines Ehrenmordes durch die Familie der Frau geworden, da die Familie der Frau die Beziehung nicht legitimiert hätte (The Scottish Sun, 6. Jänner 2021).

Verbreitung

Im Zuge dieser Recherche konnten keine Informationen zur Verbreitung von Ehrenmorden an heterosexuellen Männern in der Türkei gefunden werden.

Zur Verbreitung von Ehren- und familiär motivierten Morden wurde ein Zeitungsartikel vom Mai 2009 gefunden. Laut eines Zeitungsberichts der Wiener Zeitung sei es im Mai 2009 im Dorf Bilge im Osten der Türkei bei einer Hochzeit zum Mord an 44 Menschen, unter ihnen das Brautpaar, gekommen. Die türkischen Behörden würden von einer familiär motivierten Tat ausgehen. Angeblich habe einer der Täter die Braut selbst heiraten wollen (Wiener Zeitung, 5. Mai 2009). Im November 2018 schreibt Fabian Goldmann, dass Ehrenmorde, Blutrache, und Familienfehden besonders im Osten der Türkei verbreitet seien (Goldmann, 1. November 2018).

 [Passage aus dem Asylbericht des Auswärtigen Amtes entfernt]

Umgang der türkischen Sicherheitsbehörden mit Ehrenmorden

Tötung aus Gründen der Tradition seien in der Türkei ein strafrechtlich relevanter Tatbestand, worunter auch Ehrenmord fallen könne. Seit der Einführung des neuen Strafgesetzbuches (Türk Ceza Kanunu, TCK) am 1. Juni 2005 sei dieser Tatbestand mit einer Höchststrafe von erschwerter lebenslanger Freiheitsstrafe bemessen sei. (Pohlreich, 2011, S. 734, 737). Seither stehe auch die Anstiftungen unter Verwandten unter Strafe (Pohlreich, 2011, S. 737). Nach Recep Doğan werde zwischen Ehrenmorden (namus cinayetleri) und Morden aufgrund von Tradition oder Brauchtum (töre cinayetleri) unterschieden und Ehrenmorde seien im Strafrecht nicht gesondert geregelt. Die Höchststrafe von lebenslanger Haft sei für Morde aufgrund von Tradition oder Brauchtum vorgesehen (Doğan, 2. Juli 2014, S. 393).

Laut Jahresbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zur Menschenrechtslage in der Türkei (Berichtszeitraum: 2020) gebe es Meldungen von NGOs, darüber, dass bei Ehrenmorden häufig nicht lebenslange Haft, sondern ein geringeres Strafmaß verhängt werde. Grund dafür seien Milderungsgründe, die geltend gemacht würden. Denn das Gesetz erlaube es Richtern, Wut oder Zorn aufgrund des „Fehlverhaltens“ des Opfers in der Urteilsbemessung zu berücksichtigen. (USDOS, 30. März 2021, S. 64)

Weitere Informationen dazu, inwieweit diese Gesetzgebung umgesetzt wird beziehungsweise ob die Täter zur Verantwortung gezogen werden, konnten im Zuge dieser Recherche nicht gefunden werden.

Da keine Informationen zu Fällen mit männlichen Opfern von Ehrenmorden gefunden wurden, konnten auch keine Informationen zum Umgang der türkischen Sicherheitsbehörden damit gefunden werden.

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 21. Mai 2021)

·      AA – Auswärtiges Amt (Deutschland): Auswärtiges Amt; Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2020), 24. August 2020

·      Deutschlandfunk Kultur: Der Kampf mit der Ehre: Über einen schwierigen Begriff, 29. August 2018
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ueber-einen-schwierigen-begriff-der-kampf-mit-der-ehre.976.de.html?dram:article_id=426695

·      Doğan, Recep: The Profiles of Victims, Perpetrators, and Unfounded Beliefs in Honor Killings in Turkey. In: Homicide Studies, 2014, Vol. 18 (4), 2. Juli 2014, S. 389-416 (Verfügbar auf SAGE Journals: DOI:10.1177/1088767914538637)

·      Goldmann, Fabian: Fünf Fakten über Ehrenmorde, Heinrich-Böll-Stiftung, 1. November 2018
https://www.gwi-boell.de/de/2018/11/01/fuenf-fakten-ueber-ehrenmorde

·      Goldmann, Fabian: Ehrenmord - eine unscharfe Kategorie: Mythen und Fakten zu einem unehrenhaften Phänomen, Neues Deutschland, 5. Februar 2020
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1132484.femizide-ehrenmord-eine-unscharfe-kategorie.html

·      Juristin: E-Mail-Auskunft, 17. Mai 2021

·      Kardam, Filiz: The Dynamics of Honor Killings in Turkey: Prospects for Action, United Nations Population Fund – UNFPA, November 2005
https://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/honourkillings.pdf

·      The Scottish Sun: Savage Slaughter: Woman murdered as boyfriend is raped and killed in horrific honour killing after she refused to marry cousin (Justin Lawrence), 6. Jänner 2021 (verfügbar auf Factiva)

·      Pohlreich, Erol: Aktuelle Entwicklungen bei der strafrechtlichen Bewertung sogenannter „Ehrenmorde“ in der Türkei. In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS), 6. Jahrgang, Ausgabe 8-9, 2011, S. 734-742
http://www.zis-online.com/dat/artikel/2011_8-9_607.pdf

·      USDOS – US Department of State: 2020 Country Report on Human Rights Practices: Turkey, 30. März 2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2048106.html

·      Wiener Zeitung: Ein Hochzeitsfest mit 44 Toten - Blutrache, Ehrenmorde und Familienfehden wiegen in der Osttürkei schwerer als das Gesetz, 5. Mai 2009
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/chronik/oesterreich/238442_Ein-Hochzeitsfest-mit-44-Toten.html


 

Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen

Deutschlandfunk Kultur gehört zu Deutschlandradio, Körperschaft des öffentlichen Rechts, mit Sitz in Köln. Das wöchentliche Zeitfragen-Feature von Deutschlandfunk Kultur beleuchtet die Hintergründe aktueller Fragen aus Politik, Umwelt, Wirtschaft, Geschichte, Literatur, Wissenschaft und Forschung.

·      Deutschlandfunk Kultur: Der Kampf mit der Ehre: Über einen schwierigen Begriff, 29. August 2018
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ueber-einen-schwierigen-begriff-der-kampf-mit-der-ehre.976.de.html?dram:article_id=426695

„[Es gibt] zum einen die persönliche Ehre des Mannes – türkisch ‚şeref‘ – die in seinem eigenen Verhalten liegt: Ist er gastfreundlich, höflich und respektvoll gegenüber anderen, hilft er Armen, hält sein Wort? Und dann ist da, was im türkischen ‚onur‘ und ‚namus‘ heißt: Die Ehre des Mannes und der Familie, die durch das Verhalten der Frauen bestimmt wird.“ (Deutschlandfunk Kultur, 29. August 2018)

·      Doğan, Recep: The Profiles of Victims, Perpetrators, and Unfounded Beliefs in Honor Killings in Turkey. In: Homicide Studies, 2014, Vol. 18 (4), 2. Juli 2014, S. 389-416 (Verfügbar auf SAGE Journals: DOI: 10.1177/1088767914538637)

„Despite increasing awareness about honor killings, there is minimal qualified information currently available about the characteristics of the victims, the profile of perpetrators, or the variations of the committed crimes. As this article will show, journalists, campaign groups, and even currently researching academics argue conflicting claims concerning those victims, perpetrators, and crimes.“ (Doğan, 2. Juli 2014, S. 390)

„The empirical research in this article is mainly concerned with male offenders and female victims. This is because the available published data showed that the victims of honor killings were generally female.“ (Doğan, 2. Juli 2014, S. 392-393)

„In Turkey, a distinction is drawn between ‘honor killings’ (namus cinayetleri) and ‘murders of tradition or custom’ (töre cinayetleri). Although there is no specific provision in the current Turkish Penal Code regulating honor killings, Article 82 of the Turkish Penal Code now stipulates that killings in the name of töre (custom or tradition) have to be considered as a case of aggravated homicide and the perpetrator(s) must be sentenced to life imprisonment. However, this distinction seems very artificial when it is considered that the concept of honor is, itself, shaped by the cultural norms, traditions, or customs.“ (Doğan, 2. Juli 2014, S. 393)

„[T]he empirical research in this part of the article is mainly concerned with male offenders and female victims, and therefore cases committed by a male offender against a male victim are outside the scope of this study.“ (Doğan, 2. Juli 2014, S. 394)

„Although male victims killed by male defendants are outside the scope of this research, the fieldwork found that in 10 out of a total of 34 honor killing incidents committed by 34 male defendants (29%), the male defendant not only retaliated against his female relative but also against the male involved in the alleged dishonorable conduct, as the lover of his wife, sister, or mother. In addition, 7 male defendants who killed their female relatives and did not, or could not, retaliate against the other male person involved in the dishonorable conduct, expressed their desire about killing the lovers or partners of their female relatives.“ (Doğan, 2. Juli 2014, S. 397)

·      Goldmann, Fabian: Fünf Fakten über Ehrenmorde, Heinrich-Böll-Stiftung, 1. November 2018
https://www.gwi-boell.de/de/2018/11/01/fuenf-fakten-ueber-ehrenmorde

„In Ost-Anatolien, wo Ehrenmorde besonders verbreitet sind, steht Ehre für soziales Prestige, sie ist das Kapital einer Familie. Die Beseitigung einer Ehrverletzung sichert das soziale Gefüge innerhalb der Gemeinschaft.“ (Goldmann, 1. November 2018)

·      Goldmann, Fabian: Ehrenmord - eine unscharfe Kategorie: Mythen und Fakten zu einem unehrenhaften Phänomen, Neues Deutschland, 5. Februar 2020
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1132484.femizide-ehrenmord-eine-unscharfe-kategorie.html

„Was Ehrenmorde von klassischen Partnertötungen unterscheidet: Nicht individuelle Kränkung oder Wut steht als Tatmotiv im Vordergrund. Stattdessen diene die Tat der Wiederherstellung der ‚Ehre‘einer ganzen Familie.“ (Goldmann, 5. Februar 2020).

„Der Entschluss zur Tat wird häufig im Familienkreis gefasst. Sie wird durch mehrere Angehörige gemeinsam geplant.“ (Goldmann, 5. Februar 2020).

·      Kardam, Filiz: The Dynamics of Honor Killings in Turkey: Prospects for Action, United Nations Population Fund – UNFPA, November 2005
https://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/honourkillings.pdf

„If a married woman wants to divorce her husband or leaves her husband this is also considered ‘dishonorable conduct’ which deserves punishment. At the same time respondents in Şanlıurfa told us that there were cases in which men divorce their first wives when they want to have a second wife and the second wife insists on official marriage. In those cases sometimes the men send their first wives to a lawyer to open a divorce case (Şanlıurfa, female, unknown age, judge). There were also cases in which the women’s family and relatives forced the woman to divorce if they decided that the husband’s conduct was improper or that he couldn’t fulfill his responsibilities to the family. However, if a woman decides on her own to divorce, then this is considered a devious step.

Four cases under this category resulted in murder. In one case, a woman who returned to her family when her husband was at military service was killed by her husband’s brother. In another case, a woman who left home and went to another city to get a divorce from her husband was killed by her 19 year-old son. In a third case a woman given as ‘berdel’ to a deaf and dumb man was killed by him after getting a divorce. The person who told the second story stated that: ‘I visited this family later and also had meetings with the women in that area. It was a very sad situation because most of the women were saying that she deserved to die. I felt very bad when women said something like that so I had meetings with these women to learn why they were saying so… They said ’she shouldn’t leave her home; she should be with her husband; one can be loved or beaten, but this is her fate and she should bear it.’ This was how they were approaching the situation.’ (Adana, female, age 40, elementary school, local administrator)

In the last case in this category, a woman who was treated with violence at home wanted to divorce her husband. Her family, however, resisted this and wanted to kill her. The woman sought protection from an NGO and with their help her family was convinced to accept her divorce. The situation was related by an NGO activist: ‘The woman did not want to return home to her husband and she was on the street for three days. She was in a very bad condition. When we took her to her family they said, ’if you were not with her, we would kill her.’ Yes these were the first words of the father which affected me a lot…The reason is this. How can she be away from home for three days? This is enough reason to kill a woman. The issue here is honor. Normally, the family did not want her divorce. They thought that once you are married, you remain married until you die. If she had gone home alone, this would cause her death definitely.’ (Batman, female, age 27, elementary school, NGO activist)“ (Kardam, November 2005, S. 32)

The Scottish Sun ist eine schottische Tageszeitung.

·      The Scottish Sun: Savage Slaughter: Woman murdered as boyfriend is raped and killed in horrific honour killing after she refused to marry cousin (Justin Lawrence), 6. Jänner 2021 (verfügbar auf Factiva)

„A WOMAN was murdered while her boyfriend was raped and killed in an honour killing after she refused to accept marrying her cousin in Turkey. Vilda Ince, 24, was forced to marry her cousin in a religious ceremony after being put under immense pressure by her family. But she refused to accept this outcome and instead ran off with her lover Osman Celik, 25, nearly two months ago. Her family searched for the pair but were unable to find them until they turned up for a New Year’s Eve party in the central Turkish city of Kirsehir. The woman’s family invited the couple to their home claiming they wanted to make peace. But when they arrived, Vilda was instead taken to the bathroom where she was butchered and her boyfriend was stripped and raped before being stabbed to death, according to local media. The victims were each placed in the bath in turn so that blood would not stain the floor. After they were killed, the bodies were taken to a pit outside the village where they were covered with soil. When Osman’s family could not reach their son, they reported the situation to the police. Officers then detained the Ince family for questioning, and after being interrogated, the family members confessed to the murder and showed the police where they buried their bodies. The police said that after recovering the bodies, they arrested the woman’s father, brother, the cousin she had been forced to marry, and two other relatives linked to the murders. An investigation into the killings continues.“ (The Scottish Sun, 6. Jänner 2021)

·      Pohlreich, Erol: Aktuelle Entwicklungen bei der strafrechtlichen Bewertung sogenannter „Ehrenmorde“ in der Türkei. In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS), 6. Jahrgang, Ausgabe 8-9, 2011, S. 734-742
http://www.zis-online.com/dat/artikel/2011_8-9_607.pdf

„Auf Druck der Europäischen Union wie auch der türkischen Zivilgesellschaft führte der türkische Gesetzgeber im Jahr 2005 strafrechtliche Vorschriften ein, um eine strenge Bestrafung sogenannter ‚Ehrenmorde‘ zu ermöglichen.“ (Pohlreich, 2011, S. 734)

„Es fällt schwer, den Begriff ‚Ehrenmord‘ präzise und trennscharf zu definieren. Eine Negativdefinition des Begriffs fällt noch relativ leicht, stimmen doch die bereits unternommenen Versuche einer Inhaltsbestimmung dahingehend überein, dass nicht jede Tötung aus Gründen der Ehre schon allein deshalb als ‚Ehrenmord‘ zu bezeichnen ist. Probleme bereitet demgegenüber die Formulierung einer abschließenden Positivdefinition. Man wird vereinfachend unter ‚Ehrenmord‘ eine vorsätzliche Tötung zur Abwendung einer dem Täter oder seiner Familie drohenden oder (vermeintlich) eingetretenen gesellschaftlichen Herabsetzung aufgrund der Verletzung sexueller Verhaltensregeln durch ein Familienmitglied zu verstehen haben. Ab wann eine solche Ehrverletzung anzunehmen ist, entzieht sich einer auf eine Formel verkürzten Darlegung und bildet den Kern der Schwierigkeit bei der Formulierung einer Positivdefinition. ‚Ehrenmorde‘ werden beispielsweise begangen wegen eines Verlustes der Jungfräulichkeit vor der Ehe, einer vorehelichen Beziehung zu einem Mann ohne Einverständnis der Familie, im Fall ehelicher Untreue, wegen Verlassens des Ehepartners, ja sogar wegen der Eigenschaft als Opfer einer Vergewaltigung. Auch Männer können Opfer eines ‚Ehrenmordes‘ sein. Betroffen sind nicht nur offen homosexuell lebende Männer, sondern auch diejenigen Männer, welche an der Verletzung sexueller Verhaltensregeln durch ein weibliches Familienmitglied des Täters mitgewirkt haben, also etwa der Liebhaber einer verheirateten oder der von der Familie missbilligte Lebensgefährte einer ledigen Frau. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dem Begriff des ‚Ehrenmordes‘ eine soziale Zuschreibung aus dem Umfeld des Täters immanent ist: Nicht vom Täter hängt es ab, ob seine Tat als ‚Ehrenmord‘ gilt, sondern von der gesellschaftlichen Billigung der Tat und des in ihr ausgedrückten sexuellen Ehrverständnisses. Auch die Blutrache ist von Ehrmotiven geleitet. Bei ihr steht jedoch der Gedanke der Vergeltung einer als Ehrverletzung empfundenen vorherigen Tötung einer Person aus dem persönlichen Umfeld des Blutracheübenden im Vordergrund. Außerdem spielen sich Blutrachetötungen – anders als ‚Ehrenmorde‘ – nie innerhalb eines Familienverbandes ab. Im Übrigen liegt Blutrachetötungen kein sexuelles Ehrverständnis zugrunde.“ (Pohlreich, 2011, S. 735)

„Am 1.6.2005 trat in der Türkei ein neues Strafgesetzbuch (Türk Ceza Kanunu, TCK) in Kraft, welches Forderungen der türkischen Zivilgesellschaft folgend in Art. 82 lit. k dem Täter einer Tötung aus Gründen der Tradition mit erschwerter lebenslanger Freiheitsstrafe die Höchststrafe androht. Hierunter können auch ‚Ehrenmorde‘ fallen. Ergänzend führte der Gesetzgeber Strafschärfungsvorschriften für Familienratsmitglieder ein, die sich zur Tatbegehung eines unter 12 Jahre alten Kindes bedienen. Daneben verschärft Art. 38 Abs. 2 TCK die Strafe für Anstiftungen unter Verwandten beziehungsweise die Anstiftung eines nicht unbedingt mit dem Anstifter verwandten Kindes.“ (Pohlreich, 2011, S. 737)

·      USDOS – US Department of State: 2020 Country Report on Human Rights Practices: Turkey, 30. März 2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2048106.html

„Individuals convicted of honor killings may receive life imprisonment, but NGOs reported that courts often reduced actual sentences due to mitigating factors. The law allows judges, when establishing sentences, to take into account anger or passion caused by the ‘misbehavior’ of the victim.“ (USDOS, 30. März 2021, S. 64)

Die Wiener Zeitung ist eine österreichische überparteiliche, multimediale Tageszeitung im Eigentum der Wiener Zeitung GmbH, die im Eigentum des Bundes steht.

·      Wiener Zeitung: Ein Hochzeitsfest mit 44 Toten - Blutrache, Ehrenmorde und Familienfehden wiegen in der Osttürkei schwerer als das Gesetz, 5. Mai 2009
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/chronik/oesterreich/238442_Ein-Hochzeitsfest-mit-44-Toten.html

„Der Nachrichtensender CNN-Türk berichtete, dass einer der Täter die künftige Braut selbst heiraten wollte. Es soll zudem familiäre Verbindungen zwischen den Mördern und dem getöteten Paar geben.“ (Wiener Zeitung, 5. Mai 2009)

„Das Massaker von Bilge mag zwar besonders blutig gewesen sein, eine Ausnahme stellt es aber im Grunde nicht dar. Familienfehde, Blutrache, Ehrenmord - diese Handlungsmuster sind im Osten der Türkei älter als die vor Jahrhunderten erbauten Sandsteinhäuser von Mardin. Dabei gilt nicht das Recht des Staates, sondern das Gesetz der Familien. Streitigkeiten werden nicht vor Gericht, sondern untereinander ausgetragen. Und im schlimmsten Fall werden Rechnungen mit Blut beglichen. Der Begriff der Schande spielt dabei eine große Rolle. Manchmal reicht schon das Gerücht, dass sich die unverheiratete Tochter mit einem Mann trifft, und schon ist die Familie entehrt. Der Vater muss rasch handeln, andernfalls schauen die anderen im Dorf auf ihn herab, kaufen ihm kein Schaf mehr ab. Das Mädchen muss so schnell wie möglich verheiratet werden, um die Familienehre wiederherzustellen. Manchmal geht es auch um verletzten Stolz. Ein Dorfbewohner ärgert sich etwa, dass auf seinem Feld immer die Tiere des Nachbarn weiden. Der mehrmals zur Rede gestellte Nachbar lacht nur. Der Mann, der seine Landrechte verletzt sieht, ist zutiefst beleidigt und erschlägt seinen Nachbarn. Dessen Sohn sühnt die Tat und ersticht den Sohn des anderen. So kann eine Familienfehde entstehen, die auch jahrzehntelange Feindseligkeiten mit sich bringt - bis durch Verhandlungen oder eine Heirat wieder Frieden hergestellt wird. Zu den Familienfehden der Clans, die noch tief in alten feudalen Strukturen mit ihren strengen Hierarchien verwurzelt sind, kamen mit der Zeit moderne Waffen hinzu. Wurden Ehrenmorde früher mit Steinen und Messern ausgeführt, sind es nun Gewehre. Die Gegend um Mardin, Diyarbakir, Van, unweit der syrischen, irakischen, iranischen Grenze ist voller Waffen. Hier lieferten sich die türkische Armee und Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK Gefechte, die tausende Tote forderten. Hier stattete das Militär selbst ausgesuchte Dorfbewohner mit Waffen aus. Die sogenannten Dorfwächter sollten ihren Ort vor PKK-Angriffen schützen - und vor allem alles Verdächtige melden. Besonders in den 1990er Jahren rekrutierte die Armee zehntausende Dorfwächter, die oft kaum mehr als einen Volksschulabschluss besaßen, sich aber mit dem neuen Gewehr mächtig fühlten. Auf die Weise kamen in die Dörfer Südostanatoliens immer mehr Waffen. Mit ihnen rotteten ein paar Männer jetzt ein Viertel des Dorfes Bilge aus.“ (Wiener Zeitung, 5. Mai 2009)