Expertenauskunft zu Somalia: Region Buhoodle: Konflikte zwischen Stämmen Hayaag und Reer Hagar (beide Dhulbahante) im August 2019 (Autor: Markus Höhne) [a-11550]

9. April 2021

Diese Expertenauskunft wurde von Markus Höhne im Auftrag von ACCORD verfasst.

Markus Höhne ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie der Universität Leipzig. Seit 2001 arbeitet er zu Somalia und hat insgesamt über drei Jahre im Land (vor allem im Norden) als Feldforscher und Consultant verbracht und spricht die Landessprache fließend. Seit 2005 arbeitet Dr. Höhne als Gutachter in somalischen Asylfällen für europäische und amerikanische Gerichte. Er hat zahlreiche akademische und populärwissenschaftliche Texte zu Somalia veröffentlicht. Der Autor hat sich zwischen 2004 und 2015 mehrmals in Buuhoodle und Umgebung aufgehalten hat und pflegt intensiven Kontakt zu lokalen Quellen.

Die inhaltliche Verantwortung für die Richtigkeit dieser Expertenauskunft liegt allein beim Autor. Die Inhalte entsprechen nicht notwendigerweise der Sichtweise von ACCORD. Dieses Produkt stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar.

Hintergrundinformationen zu Buuhoodle

Buuhoodle ist eine Kleinstadt ca. 190 km südöstlich von Bur’o (auch: Burao) in Somaliland (Nordwest-Somalia), die von geschätzt ca. 50.000 Menschen bewohnt wird. Es ist eine Distrikthauptstadt in der Region Togdheer, die zur sezessionistischen Republik Somaliland gehört. Gleichzeitig wird Buuhoodle von der autonomen Republik Puntland beansprucht. Puntland liegt im Nordosten Somalias und ist eine Region der Bundesrepublik Somalia. Puntland wird vor allem von den Angehörigen der Harti-Klanföderation dominiert. Zu dieser Föderation gehört der Dhulbahante-Klan. Buuhoodle ist zu fast 100 Prozent von Dhulbahante bewohnt.

Buuhoodle wird hauptsächlich von Mitgliedern des Faarah Garaad/Ahmed Garaad-Zweigs des Dhulbahante-Klans bewohnt. Ahmed Garaad ist in sechs Gruppen unterteilt: Aaden Ahmed, Ali Ahmed (Ali Geri), Samakaab Ahmed, Igaal Ahmed, Warfa Ahmed und Naaleeye Ahmed. Aadan Ahmed ist weiter unterteilt in Hagar Aaden (Reer Hagar), Wa’ays Aaden, Faarah Aaden und Mahad Aaden. Reer Hagar ist die dominante (bevölkerungsreichste und einflussreichste) Gruppe in Buuhoodle.

Neben den verschiedenen Abstammungslinien von Ahmed Garaad leben in Buuhoodle mehrere andere Gruppen wie Guleed Garaad (Barkad), Ali Garaad, Hayaag, Yahye, Khaalid, Mohamed Muuse und Osmaan Muuse. Dies sind alles Dhulbahante-Subklans und -Linien. Darüber hinaus gibt es Angehörige von Minderheiten- oder Kastengruppen wie Madhiban, Tumal und Yibir (die zusammen als Gabooye bezeichnet werden) und Binnenvertriebene aus Südsomalia.

Die hauptsächliche Autorität in Buuhoodle liegt in der Hand der traditionellen Autoritäten.[1] Der oberste Älteste am Ort ist Garaad Abdirisak Garaad Soofe (Garaad ist ein Ehrentitel). Er gehört der Reer Hagar-Linie an. Gewöhnliche Konflikte vor Ort werden von Ältestenräten bearbeitet. Der Garaad hat das letzte Wort bezüglich der Streitschlichtung oder auch bezüglich anderer kommunaler Entscheidungen. Allerdings ist seine Autorität traditional begründet. Er kann sich nicht auf einen Polizeiapparat stützen, sondern muss bei der Durchsetzung seiner Entscheidungen auf den Respekt bauen, den er als erster Ältester vor Ort genießt. Die Regionalmächte Somaliland und Puntland haben beide konkurrierende Vertreter vor Ort – auf Verwaltungsebene, aber auch auf der Ebene von Polizei und Militär. Allerdings gehören alle Angestellten der Regionalmächte in Buuhoodle den gleichen lokalen Abstammungsgruppen an. Das bedeutet, sie sind offiziell antagonistisch eingestellt, praktisch allerdings kooperieren sie im Alltag. Letzteres bedeutet, dass weder die somaliländische noch die puntländische Regierung (in Hargeysa bzw. Garowe) viel Einfluss vor Ort hat.

Allgemeine Konfliktlage

Die Menschen in und um Buuhoodle leben vornehmlich als Pastoralnomaden. Um sich zu ernähren, müssen Sie mit ihren Tieren (Ziegen, Schafen und Kamelen) je nach Saison zum Teil weit umherschweifen, um genügend Wasser und Weide zu finden. In diesem Kontext kommt es immer wieder zu Zusammenstößen mit Pastoralnomaden aus anderen Abstammungsgruppen, die um die gleichen Ressourcen konkurrieren. Eine lang anhaltende Feindschaft besteht zwischen den Dhulbahante in und um Buuhoodle und den Isaaq (der dominierenden Gruppe in Zentral-Somaliland), vornehmlich den Isaaq-Linien aus Bur’o (der zweitgrößten Stadt Somalilands) und südlich davon, aus dem kleinen Ort Qorulugud.[2] Schon in der Vergangenheit, z.B. 2010-2011, kam es zu tödlichen Konflikten zwischen Individuen dieser verfeindeten Gruppen, die dann rasch auf kollektiver Ebene eskalierten und in kurzer Zeit zu über hundert Toten führten. Die große Zahl von Opfern in Konfliktfällen in ländlichen Gegenden, wie um Buuhoodle herum, ist der allgemeinen schweren Bewaffnung der lokalen Bevölkerung in der Region geschuldet und der „Rachelogik“, die zwischen somalischen Abstammungsgruppen, besonders zwischen Pastoralnomaden, herrscht. Wenn eine Person eine andere aus einer anderen Abstammungslinie tötet (absichtlich oder unabsichtlich), versammeln sich die patrilinearen Verwandten des Opfers und nehmen kollektiv Rache an den nächsten patrilinearen Verwandten des Täters. Dies führt oft zum Gegenschlag und somit zu einer Fehde, die über Jahre andauern kann. Generell ist die Sicherheitslage in und um Buuhoodle deshalb sehr instabil.

Der Konflikt zwischen Reer Hagar und Hayaag (2019-2021)[3]

Im Jahr 2019 kam es zu einem Streit zwischen der dominanten Gruppe in und um Buuhoodle, Reer Hagar, und der kleineren Gruppe Hayaag. Auslöser des Konflikts war ein Streit um die Besiedlung eines Ortes etwas südöstlich von Buuhoodle, der in der Region Somali (Region 5) in Äthiopien liegt (Dhulbahante leben auch in dieser Region und die Staatsgrenze wird nicht kontrolliert; ein Übertritt ist den lokalen Gruppen jederzeit und ohne Dokumente möglich). Mitglieder von Hayaag wollten sich an dem Ort ansiedeln; Mitglieder von Reer Haggar wollten das verhindern; sie beanspruchten den Ort exklusiv für sich. Über diesen Streit kam es zu einer ersten Tötung eines Hayaag-Mannes vonseiten Reer Haggar. Daraufhin begann ein Rachezyklus, wie oben angedeutet. Innerhalb von ca. einem Jahr wurden 27 Männer auf beiden Seiten getötet (11 Reer Hagar und 16 Hayaag). Die lokalen Ältesten unter Führung von Garaad Abdirisaq Garaad Soofe versuchten, das Blutvergießen zu beenden; allerdings gelang dies nicht (wohl auch, weil der Garaad selbst Teil einer der Konfliktparteien war). Anfang 2020 wurde der höchste Garaad des Dhulbahante-Klans, Garaad Jaama Garad Ali (der der Baharasame-Linie angehört und in Saahdheer, südlich von Lasanod lebt) um Hilfe gebeten. Unter seinem Vorsitz begann im Juni 2020 ein Konfliktbeilegungsprozess. Dieser führte im September 2020 zu einem Abkommen zwischen den Konfliktparteien. Es wurde übereingekommen, dass das Blutvergießen gestoppt wird, dass die durch den Konflikt Vertriebenen in ihre Häuser zurückkehren können und dass Kompensationen für die getöteten Männer bezahlt werden. Kompensationszahlungen richten sich nach islamischem Recht, erweitert um somalisches traditionelles Recht. In dem konkreten Fall wurden für einen getöteten Mann 120 Kamele als Zahlung vereinbart. Da die Toten im Fall einer Fehde gegeneinander aufgerechnet werden, ergab sich eine Zahlung für die von Reer Hagar „zuviel“ Getöteten an Hayaag. Im September 2020 wurde festgelegt, dass diese Zahlung im März 2021 zu leisten ist, zu Beginn der Regenzeit. Allerdings hat, Stand April 2021, die Regenzeit noch nicht begonnen (es kommt regelmäßig zu saisonalen Schwankungen in der Region). Die aktuelle Abmachung ist daher, dass die Kompensationszahlungen im Mai 2021 geleistet werden. Damit soll der Konflikt zwischen Reer Hagar und Hayaag offiziell beendet werden.

Neuer Konflikt zwischen Dhulbahante und Isaaq

Während der Konflikt zwischen Reer Hagar und Hayaag sich dem Ende zuneigt, ist im März 2021 ein neuer Konflikt zwischen Dhulbahante in und um Buuhoodle und Isaaq in Qorolugud, südlich von Bur’o ausgebrochen. Bisher (Stand 6. April 2021) wurden zwei Männer auf jeder Seite getötet. Die Verkehrsverbindung zwischen Bur’o und Buuhoodle ist unterbrochen. Reisende oder Pastoralnomaden in der Region, die einer der beiden Abstammungsgruppen angehören, laufen ein hohes Risiko, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Eine weitere Eskalation dieses Konfliktes ist, auf Grund der Vorgeschichte des Streites zwischen Dhulbahante und Isaaq in der Region[4] und entsprechend der oben erwähnten Rachelogik, die in solchen Fällen greift, in den kommenden Monaten zu erwarten.

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 9. April 2021)

·      Gespräch des Autors mit Mitarbeiter des NGO Safety Program (NSP) in Somalia, der unter anderem als Analyst für die Sicherheitslage in Buuhoodle zuständig ist, 6. April 2021

·      Hoehne, Markus V.: Traditional Authorities in Northern Somalia: Transformation of powers and positions. Working Paper Nr. 82. Halle/Saale: Max Planck Institute for Social Anthropology, 2006

·      Hoehne, Markus V.: Between Somaliland and Puntland: Marginalization, Militarization and Conflicting Political Visions. Nairobi: RVI, 2015



[1] Siehe dazu: Hoehne, Markus V.: Traditional Authorities in Northern Somalia: Transformation of powers and positions. Working Paper Nr. 82. Halle/Saale: Max Planck Institute for Social Anthropology, 2006

[2] Hoehne, Markus V.: Between Somaliland and Puntland: Marginalization, Militarization and Conflicting Political Visions. Nairobi: RVI, 2015

[3] Die Informationen in den folgenden Abschnitten beruhen auf einem Gespräch des Autors mit einer sehr gut informierten lokalen Quelle am 6. April 2021. Der Informant ist als Sicherheitsanalyst für das NGO Safety Program (NSP) in Somalia tätig.

[4] Hoehne, Markus V. 2015: Between Somaliland and Puntland: Marginalization, Militarization and Conflicting Political Visions. Nairobi: RVI, S. 92-97.