Amnesty International Report 2020/21; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Venezuela 2020

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Bolivarische Republik Venezuela

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN

Nicolás Maduro Moros

Stand:
 

1/2021

Berichtszeitraum: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020

Die Menschenrechtskrise in Venezuela dauerte 2020 an. In Berichten war weiterhin von außergerichtlichen Hinrichtungen, exzessiver Gewaltanwendung und rechtswidrigen Tötungen durch die Sicherheitskräfte die Rede. Personen, die sich kritisch über die Regierungspolitik äußerten – darunter politische Aktivist_innen, Journalist_innen und Beschäftigte im Gesundheitswesen – waren strafrechtlicher Verfolgung, unfairen Gerichtsverfahren, willkürlicher Inhaftierung und anderen repressiven Maßnahmen ausgesetzt. Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen sowie über das Verschwindenlassen willkürlich inhaftierter Personen. Menschenrechtsverteidiger_innen wurden stigmatisiert und an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert. Die humanitäre Krise verschärfte sich. Während Versorgungsengpässe und extreme Armut zunahmen, ging die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems immer weiter zurück. All dies verschlimmerte sich noch durch die Corona-Pandemie. Personen, die nach Venezuela zurückkehrten, wurden in staatlichen Quarantänezentren festgehalten. Die dort herrschenden Bedingungen sowie die lange Zeitdauer kamen möglicherweise willkürlicher Inhaftierung und Misshandlung gleich. Die UN-Untersuchungskommission zu Venezuela stellte in ihrem Bericht fest, es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass in Venezuela seit 2014 Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden und dass Präsident Nicolás Maduro sowie hochrangige Militärs und Minister die in dem Bericht dokumentierten Verbrechen persönlich anordneten oder ihren Teil dazu beitrugen.

Außergerichtliche Hinrichtungen

Es gingen weiterhin Berichte über außergerichtliche Hinrichtungen durch die Sondereinsatzkräfte der Bolivarischen Nationalen Polizei (Fuerzas de Acciones Especiales de la Policía Nacional Bolivariana – FAES) und die Kriminalpolizei ein. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte sollen zwischen Januar und September mindestens 2.000 Personen bei Einsätzen der Sicherheitskräfte getötet worden sein. Das Menschenrechtskomitee des Bundesstaats Zulia verzeichnete bis Juni 377 Tote, die mutmaßlich Opfer von Polizeigewalt in dem Bundesstaat wurden. Die meisten von ihnen waren junge Männer aus einkommensschwachen Wohnvierteln, die willkürlich festgenommen worden waren. Die Behörden behaupteten, es sei zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen.

Willkürliche Inhaftierungen

Willkürliche Inhaftierungen waren auch 2020 Teil der Repressionspolitik gegen Andersdenkende.

Die venezolanische Menschenrechtsorganisation Foro Penal verzeichnete von Januar bis Oktober 413 willkürliche und politisch motivierte Inhaftierungen. Eine Zunahme gab es ab März, als die Regierung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie den Ausnahmezustand verhängte.

Neben politischen Aktivist_innen wurden auch zwölf Beschäftigte des Gesundheitswesens kurze Zeit inhaftiert und mit anschließenden Auflagen wie Hausarrest, regelmäßigem Erscheinen vor Gericht oder Reiseverboten belegt, weil sie die Reaktion der Regierung auf die Corona-Pandemie öffentlich kritisiert hatten.

Die Pandemie wurde als Vorwand genutzt, um Familienangehörige nach Inhaftierungen nicht zu benachrichtigen, sodass diese auf Gerüchte angewiesen waren, wenn sie etwas über den Verbleib der Inhaftierten erfahren wollten. Die Ungewissheit und Schutzlosigkeit der Inhaftierten wurde noch dadurch verstärkt, dass Gerichte und Staatsanwaltschaft ihre Arbeit im Zuge der Pandemiebekämpfung einstellten.

Es gab weiterhin Fälle von Verschwindenlassen, und Gefangene wurden nach wie vor während der Anfangsphasen der Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt in Einzelhaft gehalten, was mit einem erhöhten Risiko von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung einherging.

Die Parlamentsabgeordneten Renzo Prieto und Gilber Caro, die im März 2020 bzw. Dezember 2019 von den FAES inhaftiert worden waren, befanden sich über lange Zeiträume hinweg in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt. Beide wurden in Polizeiwachen festgehalten, die die Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen nicht erfüllten.

Im April 2020 wurde die Buchhalterin Maury Carrero willkürlich festgenommen, weil sie mutmaßlich Verbindungen zu einem Berater von Parlamentspräsident Juan Guaidó hatte. Sie wurde vor einem Gericht angeklagt, das für Fälle von "Terrorismus" zuständig war, und in das Frauengefängnis Instituto Nacional de Orientación Femenina gebracht. Die Behörden hielten sie dort fünf Monate lang ohne Kontakt zur Außenwelt fest, ohne über ihren Verbleib zu informieren.

Am 31. August wurden 110 Personen, die willkürlich strafrechtlich verfolgt worden waren, von Präsident Maduro begnadigt. Zu ihnen zählten auch Renzo Prieto, Gilber Caro and Maury Carrero. Doch schon wenige Tage später und im weiteren Verlauf des Jahres wurden weitere Personen willkürlich inhaftiert – unter anderem Roland Carreño, ein Journalist und Mitglied der Partei Voluntad Popular, der im Oktober festgenommen wurde.

Folter und andere Misshandlungen

2020 gab es erneut Meldungen über den Einsatz von Folter, um Geständnisse und belastende Aussagen zu erzwingen. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte dokumentierte 16 Fälle und berichtete von Schlägen, Elektroschocks, simuliertem Ersticken, sexualisierter Gewalt und anderen Foltermethoden. Die UN-Untersuchungskommission zu Venezuela teilte mit, die Foltermethoden des nationalen Geheimdienstes und des militärischen Geheimdienstes würden immer gewalttätiger. Letzterer nutze auch geheime Hafteinrichtungen.

Die Behörden gingen Meldungen über Folter und andere Misshandlungen nicht nach, und die Täter_innen blieben straffrei.

Exzessive Gewaltanwendung

Polizei, Militär und regierungsnahe bewaffnete Gruppen gingen 2020 regelmäßig mit exzessiver und rechtswidriger Gewalt gegen Demonstrierende vor. Die Behörden ergriffen keinerlei angemessene Maßnahmen, um dies zu verhindern.

Es gab zahlreiche Berichte über wahllose Gewaltanwendung bei Polizeieinsätzen. Im Mai war eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen mutmaßlich kriminellen Banden im einkommensschwachen Stadtviertel Petare von Caracas Anlass für einen gemeinsamen Einsatz von Polizei und Militär, der länger als eine Woche dauerte. Dabei soll es immer wieder wahllosen Schusswaffeneinsatz gegeben haben, zudem wurde der Vorwurf erhoben, die Sicherheitskräfte hätten außergerichtliche Hinrichtungen verübt.

Straflosigkeit

Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtliche Verbrechen wurden weiterhin nicht geahndet.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte veröffentlichte im Juli 2020 einen Bericht zur Unabhängigkeit des Justizwesens und zum Zugang zur Justiz in Venezuela. Darin wurde festgestellt, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen aus verschiedenen strukturellen Gründen keinen Zugang zur Justiz hatten, unter anderem, weil diese nicht unabhängig war.

Im September 2020 gab die Staatsanwaltschaft bekannt, sie habe gegen 565 Staatsbedienstete mit Polizeibefugnissen Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen erhoben.

Ebenfalls im September tauchten neue Beweise auf für die willkürliche Inhaftierung, das Verschwindenlassen, die Folter und Tötung von Rafael Acosta Arévalo durch den militärischen Geheimdienst im Juni 2019. Die Widersprüche und Lücken bei den strafrechtlichen Ermittlungen machten deutlich, dass in diesem sowie in ähnlichen Fällen eine unabhängige Untersuchung unabdingbar war. Die Staatsanwaltschaft rollte den Fall neu auf.

Unfaire Gerichtsverfahren

Unfaire Gerichtsverfahren waren weiterhin ein beliebtes Mittel, um Personen zu kriminalisieren, deren Meinungen von der Regierungslinie abwichen. Auch die Militärgerichtsbarkeit wurde weiterhin genutzt, um Zivilpersonen oder pensionierte Militärangehörige strafrechtlich zu verfolgen.

Der gewaltlose politische Gefangene und Gewerkschafter Rubén González, der 2018 inhaftiert worden war und eine Haftstrafe verbüßte, die ein Militärgericht in einem unfairen Verfahren gegen ihn verhängt hatte, kam im Zuge der am 31. August verkündeten Begnadigung frei.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte wies auf erhebliche Mängel im Justizwesen, bei Gerichten und der Staatsanwaltschaft hin und hob Fälle hervor, in denen es an Unabhängigkeit mangelte und andere staatliche Stellen sich einmischten.

Ab dem 15. März stellten die meisten Gerichtsbezirke aufgrund der Corona-Pandemie ihre Tätigkeiten ein. Lediglich, in Fällen, in denen die Täter_innen auf frischer Tat erwischt wurden, arbeiteten Gerichte weiter.

Internationale Kontrolle

Obwohl sich die Regierung von Nicolás Maduro der Kontrolle durch das Interamerikanische Menschenrechtssystem zu entziehen suchte, ordnete die Interamerikanische Menschenrechtskommission 2020 vorsorgliche Schutzmaßnahmen für sieben gefährdete Personen in Venezuela an. Ein von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission 2019 eingerichtetes Gremium zur Beobachtung der Lage in dem Land (Mecanismo Especial de Seguimiento para Venezuela) setzte seine Tätigkeit fort.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte war nach wie vor mit zwei Personen vor Ort vertreten und kündigte im September an, seine Präsenz in Venezuela verstärken zu wollen. Zudem kündigte es für 2020 den Besuch von drei Sonderberichterstatter_innen des UN-Menschenrechtsrats an.

Im September veröffentlichte die UN-Untersuchungskommission zu Venezuela ihren ersten Bericht. Darin hieß es, die venezolanischen Behörden und Sicherheitskräfte hätten seit 2014 schwere Menschenrechtsverletzungen geplant und verübt, von denen einige, wie zum Beispiel willkürliche Tötungen und die systematische Anwendung von Folter, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen seien. Es gebe überdies hinreichende Gründe für die Annahme, dass Präsident Maduro und Minister seiner Regierung die in dem Bericht dokumentierten Verbrechen angeordnet oder daran mitgewirkt hätten.

Unterdrückung Andersdenkender

Die repressive Politik mit dem Ziel, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen und die Bevölkerung zu kontrollieren, setzte sich 2020 fort und verstärkte sich noch während der Corona-Pandemie und im Vorfeld der Parlamentswahlen im Dezember.

Parlamentsabgeordnete wurden durch verschiedene Maßnahmen systematisch verfolgt, unter anderem indem man sie willkürlich inhaftierte, das Justizwesen gegen sie in Stellung brachte oder sie mit Verleumdungskampagnen überzog.

Gewaltlose politische Gefangene waren weiterhin drastischen Einschränkungen und willkürlicher strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt.

Das Justizwesen wurde nach wie vor politisch instrumentalisiert und trug mit Schuldsprüchen dazu bei, regierungskritische politische Parteien und andere, die abweichende Meinungen vertraten, zu maßregeln

Recht auf Versammlungsfreiheit

Einschränkungen der Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit waren auch 2020 an der Tagesordnung.

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Observatorio Venezolano de Conflictos Sociales gab es zwischen Januar und November mehr als 9.000 Protestkundgebungen. Ausgelöst wurden sie von einer Vielzahl von Problemen, wie zum Beispiel der mangelhaften Gesundheitsversorgung während der Corona-Pandemie, niedrigen Löhnen, hohen Lebensmittelpreisen, Verzögerungen bei der Verteilung von Nahrungsmittelhilfen, Benzinmangel und anderen Versorgungsengpässen. Mindestens 402 Protestkundgebungen wurden von Polizei, Militär oder regierungsnahen bewaffneten Gruppen angegriffen. Dabei wurden sechs Demonstrierende getötet und 149 verletzt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die zivilgesellschaftliche Organisation Espacio Público verzeichnete von Januar bis August 2020 mehr als 747 Angriffe auf Journalist_innen und die Presse, darunter Einschüchterungen, Hackerangriffe, Zensurmaßnahmen, willkürliche Inhaftierungen und tätliche Attacken. Die Angriffe traten gehäuft auf, nachdem die Regierung im März als Reaktion auf die Corona-Pandemie den Ausnahmezustand verhängt hatte.

Am 21. August wurden die Journalisten Andrés Eloy Nieves Zacarías und Víctor Torres bei einem Einsatz der FAES im Bundesstaat Zulia getötet. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Verdachts auf außergerichtliche Hinrichtungen ein und erließ Haftbefehle gegen sechs Angehörige der FAES.

Der Journalist Darvinson Rojas wurde im März willkürlich inhaftiert, weil er offizielle Zahlen zur Verbreitung des Coronavirus angezweifelt hatte. Der gewaltlose politische Gefangene wurde nach zwölf Tagen gegen Kaution freigelassen. Er hatte jedoch Auflagen zu erfüllen, und die gegen ihn erhobenen politisch motivierten Anklagen wurden nicht fallengelassen.

Auch der Journalist und gewaltlose politische Gefangenen Luis Carlos Díaz war weiterhin strengen Einschränkungen und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Frauen, die sich für die Menschenrechte engagierten, wurden nach wie vor bedroht und stigmatisiert. Die Menschenrechtsorganisation Centro para los Defensores y la Justicia verzeichnete im ersten Halbjahr 2020 mehr als 100 Angriffe auf Menschenrechtsverteidigerinnen, darunter strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen, Schikanen, Hackerangriffe und willkürliche Inhaftierungen.

Im August durchsuchten die FAES die Büros der humanitären Organisation Acción Solidaria und hielten acht Personen mehrere Stunden lang fest.

Im Oktober wurde die Menschenrechtsverteidigerin Vannesa Rosales im Bundesstaat Mérida willkürlich inhaftiert, weil sie eine 13-Jährige, die infolge einer Vergewaltigung schwanger war, über Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch informiert hatte.

Beschäftigte im Gesundheitswesen und Journalist_innen, die über die Corona-Pandemie berichteten, wurden schikaniert und bedroht. Einige wurden wegen "Anstiftung zum Hass" angeklagt.

Rechte von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migrant_innen

Die Zahl der Venezolaner_innen, die aus dem Land flüchteten, stieg weiter an und erreichte Ende 2020 die Gesamtzahl von 5,4 Mio. Menschen.

Während der Corona-Pandemie beschränkten die Behörden die Ein- und Ausreise venezolanischer Staatsbürger_innen und ließen pro Tag nicht mehr als 100 bis 300 Personen einreisen. In vielen Fällen war das Motiv der Rückkehrer_innen, dass sie in den Ländern, in denen sie Zuflucht gefunden hatten, von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen waren. Menschen, die abseits der offiziellen Grenzübergänge einreisen wollten, wurden kriminalisiert und stigmatisiert.

Zu den repressiven Maßnahmen, mit denen die Regierung auf die Corona-Pandemie reagierte, zählte eine Zwangsquarantäne von Rückkehrer_innen unter staatlicher Aufsicht. Offiziellen Angaben zufolge hatten bis August 90.000 Menschen die staatlichen Quarantänezentren (Puntos de Atención Social Integral) durchlaufen. Charakteristisch für die Quarantänezentren war ein willkürliches und militarisiertes Vorgehen, das mit Straf- und Unterdrückungsmaßnahmen einherging, während Gesundheitsversorgung und Infektionsprävention vernachlässigt wurden. In den Zentren herrschten unsichere Bedingungen, in vielen Fällen wurden die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation ignoriert. In Berichten war unter anderem von einem Mangel an Trinkwasser, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung die Rede. Wie lange die Menschen in diesen Zentren festgehalten wurden, war in vielen Fällen willkürlich und nicht von objektiven Kriterien abhängig. Die unbestimmte Zeitdauer in Verbindung mit den unzureichenden Zuständen in den staatlichen Quarantänezentren kam möglicherweise willkürlicher Inhaftierung und Misshandlung gleich.

Humanitäre Notlage

Die humanitäre Notlage hielt 2020 an und verschärfte sich noch. Die Corona-Pandemie verschlimmerte bestehende Probleme, wie die Engpässe bei der Versorgung mit Trinkwasser, Strom und Benzin, den Mangel an Nahrungsmittel und Medikamenten und den desolaten Zustand des Gesundheitssystems. Aufgrund dieser Bedingungen war es für die Bevölkerung sehr schwer, die Auflagen einzuhalten, die zur Eindämmung der Pandemie verhängt wurden.

Im Juli 2020 legten die Vereinten Nationen einen Plan vor, um auf die humanitäre Notlage zu reagieren. Er stellte einen Bedarf von 762,5 Mio. US-Dollar fest, um 4,5 Mio. Menschen in Venezuela humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.

Nach Schätzungen der humanitären Organisation Acción Solidaria erhielten etwa 10 Mio. Menschen, die unter Bluthochdruck, Diabetes, Parkinson, Krebs, Malaria und anderen Krankheiten litten, keine medizinische Versorgung.

Trotz der Empfehlung der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und Forderungen aus der Zivilgesellschaft gewährte die Regierung dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen keinen Zugang.

Wirtschaftliche Maßnahmen, wie die begrenzte Anhebung des monatlichen Mindestlohnes auf 1,71 US-Dollar, konnten die massive ökonomische Krise nicht lindern. Ende 2020 litt das Land unter einer Hyperinflation.

Die konsequente Einhaltung der Sanktionen, die von den USA verhängt worden waren, führte dazu, dass bestimmte Waren und Dienstleistungen in Venezuela nicht verfügbar waren.

Frauenrechte

Nach Angaben eines Verbands venezolanischer Nichtregierungsorganisationen verstärkte die Corona-Pandemie die Benachteiligung von Frauen, die bereits durch die vielschichtige humanitäre Notlage zugenommen hatte, noch weiter. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte und die Interamerikanische Menschenrechtskommission wiesen darauf hin, dass sich der Zugang von Frauen zur Gesundheitsversorgung verschlechtere, dies galt unter anderem für Dienste, die die Gesundheit von Müttern sowie die sexuelle und reproduktive Gesundheit betrafen.

Die Regierung veröffentlichte zwar seit 2013 keine offiziellen Daten mehr über Frauenmorde, Nichtregierungsorganisationen berichteten jedoch, dass die Gewalt gegen Frauen stetig ansteige. Außerdem wiesen sie darauf hin, dass es 2020 im ganzen Land kein einziges Frauenhaus für die Opfer von Gewalt gegeben habe.

Die UN-Untersuchungskommission zu Venezuela dokumentierte Folter, sexualisierte und andere geschlechtsspezifische Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Frauen erlitten, die von den Geheimdiensten und im Zusammenhang mit Protesten inhaftiert worden waren.

Recht auf Gesundheit

Die Gesundheitsversorgung verschlechterte sich 2020 noch mehr. Grundlegende Medikamente waren Mangelware und für die meisten Menschen unerschwinglich. Die schlechte Gesundheitsversorgung beeinträchtigte auch die Wirksamkeit der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Beschäftigte im Gesundheitswesen erhielten weder Schutzausrüstung, noch wurden andere angemessene Maßnahmen ergriffen, um sie vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen. Viele derjenigen, die sich darüber besorgt äußerten, wurden inhaftiert und strafrechtlich verfolgt. Anlass zur Sorge bot auch die mangelnde Transparenz der Behörden im Hinblick auf Tests, Infektionsraten und Todesfälle.

Schwangeren Frauen mit Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion soll eine angemessene Versorgung in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen verweigert worden sein.

Recht auf Nahrung

Im Mai 2020 teilte das Zentrum für Dokumentation und soziale Analyse der venezolanischen Lehrervereinigung (CENDAS-FVM) mit, für den monatlichen Warenkorb mit Grundnahrungsmitteln müsse eine Durchschnittsfamilie 513,77 US-Dollar aufbringen. Im August gab das Zentrum an, um sich den monatlichen Warenkorb leisten zu können, sei das 184-Fache des Mindestlohnes erforderlich.

Eine im Juli veröffentlichte Studie mehrerer venezolanischer Universitäten zu den Lebensbedingungen der Bevölkerung (Encuesta Nacional de Condiciones de Vida – ENCOVI) ergab, dass 96 % der Haushalte von Einkommensarmut und 79 % von extremer Einkommensarmut betroffen waren. Letztere konnten sich den monatlichen Warenkorb mit Grundnahrungsmitteln nicht leisten.

Im Februar berichtet das Welternährungsprogramm, dass 7,9 % der Bevölkerung unter starker Nahrungsmittelknappheit litten. Weitere 24 % (7 Mio. Menschen) waren von moderater Nahrungsmittelknappheit betroffen, sodass insgesamt etwa ein Drittel der Bevölkerung Hilfe benötigte. Damit zählte die Situation in Venezuela zu den zehn schlimmsten Nahrungsmittelkrisen weltweit.

Systeme zur Verteilung von Lebensmitteln, wie zum Beispiel die Comités Locales de Abastecimiento y Producción, konnten den Nahrungsmittelbedarf der Bevölkerung weiterhin nicht decken. Die Verteilung war zudem nicht frei von Diskriminierung, weil sie nach politischen Maßgaben funktionierte.

Recht auf Wasser

Die Probleme mit der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung verschärften sich 2020 und beeinträchtigten nicht nur die Lebensbedingungen der Bevölkerung, sondern erhöhten auch das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus.

Die ENCOVI-Studie stellte fest, dass nur jeder vierte Haushalt täglich über fließendes Wasser verfügte, während gut die Hälfte (59 %) nur an einzelnen Wochentagen und 15 % nur an einzelnen Tagen im Monat in den Genuss kamen. Die schutzbedürftigsten Bevölkerungsgruppen mussten sich weiterhin mit Wasser aus Tankwagen, Brunnen und Quellen versorgen.

Haftbedingungen

Es gab weiterhin Todesfälle in Gewahrsam, die nach wie vor keine Ermittlungen nach sich zogen. Im ersten Halbjahr 2020 registrierte die Nichtregierungsorganisation Ventana por la Libertad 118 Todesfälle in Gewahrsam.

Aufgrund der starken Überbelegung und der unhygienischen Bedingungen in den Gefängnissen bestand für die Inhaftierten ein erhöhtes Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.

Im Mai berichtete die Venezolanische Beobachtungsstelle für Gefängnisse (Observatorio Venezolano de Prisiones), dass bei gewaltsamen Auseinandersetzungen im Gefängnis Los Llanos in Guanare im Bundesstaat Portuguesa 46 Inhaftierte starben. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein, bis zum Jahresende gab es jedoch keine Fortschritte.

Rechte indigener Bevölkerungsgruppen

In der Region Arco Minero del Orinoco und anderen Teilen des Landes gefährdeten weiterhin illegale Bergbauaktivitäten die Rechte der indigenen Bevölkerung. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte teilte mit, die Ausbeutung von Arbeitskräften, Menschenhandel und Gewalt habe in diesen Gebieten ein hohes Ausmaß erreicht. Ursache seien Korruption und Bestechung durch kriminelle Gruppen, die die Minen kontrollierten und Bestechungsgelder an militärische Befehlshaber zahlten.

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Penal Forum wurden 13 indigene Männer aus Pemón mehr als 1.200 km von ihrer Gemeinschaft entfernt in Untersuchungshaft gehalten. Die Behörden ergriffen keine angemessenen Maßnahmen, um die kulturelle Identität der Inhaftierten zu schützen und ein faires Gerichtsverfahren zu gewährleisten.

Im April forderte die indigene Gemeinschaft der Wayuu im Bundesstaat Zulia bei einer Kundgebung grundlegende Versorgungsleistungen, insbesondere Zugang zu sauberem Wasser. Das seit Langem bestehende Problem war nach Ausbruch der Corona-Pandemie noch dringlicher geworden. Angehörige des Militärs reagierten mit exzessiver Gewaltanwendung auf den Protest und verletzten eine Wayuu-Frau.

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