Amnesty International Report 2020/21; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Tansania 2020

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Vereinigte Republik Tansania 

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN

John Pombe Magufuli

Stand:
 

1/2021

Die Regierung schränkte die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung vor den Wahlen im Oktober 2020 ein. Präsident Magufuli erklärte im Juni 2020, Tansania sei frei von Covid-19. Die staatlichen Stellen schränkten die Medienfreiheit massiv ein. Zur Begründung hieß es, man wolle so "die Verbreitung von Falschnachrichten" über die Pandemie unterbinden. Medienunternehmen mussten schließen, weil sie über politische Ereignisse berichtet hatten. Schwangeren Schüler_innen war der Besuch von Regelschulen untersagt. Sie wurden getrennt von anderen Schüler_innen in alternativen Bildungseinrichtungen unterrichtet

Hintergrund

Im 28. Oktober 2020 fanden in Tansania die sechsten Parlamentswahlen seit der Wiedereinführung des Mehrparteiensystems im Jahr 1992 statt. Nach einer umstrittenen Wahl trat Präsident Magufuli im November 2020 seine zweite Amtszeit an. Vor, während und nach den Wahlen wurden Oppositionspolitiker sowie Hunderte Anhänger_innen der Opposition von der Polizei willkürlich festgenommen und geschlagen. Andere wurden getötet. Aus Angst vor Verfolgung verließen nach den Wahlen mehrere Politiker_innen das Land. Unter ihnen waren auch Tundu Lissu, Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei Chadema, sowie der Oppositionspolitiker Godbless Lema und seine Familie.

Recht auf Gesundheit

Die Regierung hielt Informationen über Covid-19 zurück und ignorierte die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Umgang der Regierungen, Beschäftigten im Gesundheitswesen und der allgemeinen Öffentlichkeit mit der Pandemie. Ende 2020 gab es immer noch kein System, das zeitnah und zuverlässig über die Pandemie informierte. Am 29. April 2020 stellte die Regierung die Veröffentlichung von Informationen über die Infektionsraten ein. Am 5. Juni 2020 verkündete der Präsident, dass Tansania frei von Covid-19-Fällen sei. Damit war es für die Bevölkerung schwieriger, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sich selbst vor einer Infektion zu schützen.

Haftbedingungen

Im April 2020 begnadigte der Präsident 3.717 Gefangene und entsprach damit den Empfehlungen der WHO zum Abbau der Überbelegung in den Gefängnissen, um die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen. Die Gefängnisse waren allerdings weiterhin überfüllt, und die Gesundheit der Gefangenen blieb gefährdet. Insgesamt befanden sich 32.438 Personen in den Gefängnissen, 17.974 von ihnen in Untersuchungshaft. Die Belegungsquote der Gefängnisse lag 9 % über der Kapazitätsgrenze.

Diskriminierung – Frauen und Mädchen

Schwangere Mädchen und junge Mütter wurden im Bildungswesen diskriminiert. Nach wie vor verbot ihnen die Regierung den regulären Schulbesuch und verwendete einen Kredit der Weltbank dafür, sie getrennt in alternativen Bildungseinrichtungen zu unterrichten. In diesen Einrichtungen wurde der Unterrichtstoff der normalerweise vier Jahrgänge umfassenden Sekundarunterstufe auf zwei Jahre verdichtet. Der Kredit war eigentlich dafür vorgesehen, die Bildungschancen von Mädchen in weiterführenden Schulen zu verbessern.

Unterdrückung Andersdenkender

Die staatlichen Stellen griffen auf Gesetze zurück, um friedlich geäußerte kritische Meinungen im Keim zu ersticken und schränkten das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Medienfreiheit besonders im Vorfeld der Wahlen drastisch ein.

Im April 2020 verhängte die tansanische Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen (Tanzania Communication Regulatory Authority – TCRA) gegen die Medienunternehmen Star Media Tanzania Limited, Multichoice Tanzania Limited und Azam Digital Broadcast Limited eine Geldstrafe von je 5 Mio. tansanischen Schilling (etwa 1.760 Euro). Die Behörde wies die Unternehmen außerdem an, sich für "die Verbreitung von falschen und irreführenden Informationen" über den Umgang der Regierung mit der Corona-Pandemie zu entschuldigen. Dies sei ein Vergehen, das gegen ein Gesetz zum Kommunikationswesen (Tanzania Communications Regulatory Authority Act) verstoße. Im selben Monat belegte die Behörde die Onlinezeitung Mwananchi mit einem sechsmonatigen Erscheinungsverbot sowie ebenfalls mit einer Geldstrafe von 5 Mio. tansanischen Schilling (etwa 1.760 Euro). Die Zeitung hatte ein Foto des Präsidenten veröffentlicht, das ihn dabei zeigte, wie er sich augenscheinlich nicht an die Abstandsregeln hielt. Die Behörden gaben an, dass Mwananchi gegen die Vorschriften für Onlineinhalte der 2018 erlassenen Bestimmungen über elektronische Kommunikation und Postdienste verstoßen habe.

Die Regierung strafte Zeitungen und Sendeanstalten ab, weil sie über das politische Geschehen im Zusammenhang mit den Wahlen berichteten. Besonders rigoros ging sie dabei zwischen Juni und Oktober 2020 vor. Die Zeitung Tanzania Daima wurde auf unbestimmte Zeit mit einem Druck- und Vertriebsverbot für die gesamte Auflage belegt. Dem Online-Fernsehsender Kwanza TV wurde für elf Monate, den Sendern Clouds TV und Clouds FM Radio für sieben Tage die Lizenz entzogen.

Im August 2020 änderte die Regulierungsbehörde die Vorschriften der Bestimmungen über elektronische Kommunikation und Postdienste für Rundfunk- und Fernsehdienste, um die internationale Berichterstattung über die Wahlen einzuschränken. Tansanische Sender mussten nun die Genehmigung der Regulierungsbehörde einholen, wenn sie Inhalte senden wollten, die in Zusammenarbeit mit ausländischen Medien oder von diesen produziert worden waren. Die Änderungen schrieben außerdem vor, dass ausländische Journalist_innen bei ihren Recherchen von Regierungsvertreter_innen begleitet wurden.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Die staatlichen Stellen gingen mit Einschüchterungsversuchen, Schikanen, Drohungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen sowie strafrechtlichen Ermittlungen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen vor. Menschenrechtsorganisationen drohte die Schließung oder der Entzug ihrer Zulassung, wenn sie die überzogenen Anforderungen nicht erfüllten, die ihnen durch Gesetze und Verordnungen aufgezwungen wurden.

Der Menschenrechtsanwalt Tito Elia Magoti und der mit ihm angeklagte Theodory Giyani, die im Dezember 2019 willkürlich festgenommen worden waren, kamen nicht frei. Sie wurden im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten in den Sozialen Medien in Gewahrsam gehalten und waren auf Grundlage mehrerer Gesetze unter Anklage gestellt worden, darunter auch das Gesetz über Internetkriminalität. Einer der Anklagepunkte bezog sich auf den "Besitz eines Computerprogramms zum Zweck des Begehens einer Straftat", in einem weiteren Anklagepunkt war von der "Anführung organisierter Kriminalität und Geldwäsche" die Rede. Ein Gericht in Daressalam vertagte die Gerichtsverhandlung mehr als zehnmal, da die Anklagebehörde mehrfach Aufschub beantragt hatte, um die Ermittlungen abzuschließen.

Im Juli 2020 nahmen Polizisten in Ilala, einem Stadtviertel von Daressalam, den islamischen Geistlichen Sheikh Issa Ponda fest und hielten ihn zehn Tage lang in Polizeigewahrsam. Dem Geistlichen wurde die Verbreitung eines Artikels zur Last gelegt, was nach Ansicht der Polizei im Vorfeld einer Wahl der Aufwiegelung und einer Störung des öffentlichen Friedens gleichkam. Sheikh Issa Ponda hatte in seinem Artikel auf die Notwendigkeit eines unabhängigen Wahlgremiums hingewiesen und hatte geltend gemacht, dass Muslime vor allem bei der Vergabe von Posten im Staatsdienst diskriminiert wurden. Nachdem Sheikh Issa Ponda die Freiheit zurückerhalten hatte, drohten ihm mehrere Männer mit erneuter Festnahme. Er vermutete, dass es sich um Polizisten handelte, und ist seit August 2020 untergetaucht.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die Regierung schränkte das Recht auf Vereinigungsfreiheit immer massiver ein. So gelang es ihr, NGOs noch stärker zu kontrollieren und sie an ihrer Tätigkeit zu hindern.

Die Leiterin des NGO-Registers untersagte der Organisation Inclusive Development for Citizens – Tanzania am 24. Juni 2020 die weitere Betätigung. Der Organisation, die sich für verantwortungsbewusste Regierungsführung engagierte, wurde vorgeworfen, Einzelheiten über ihre Aktivitäten im Jahr 2019, wie u. a. eine Liste ihrer Mitglieder und Vereinbarungen mit Geldgeber_innen nicht vorgelegt zu haben. Damit habe sie gegen die Bestimmungen des NGO-Gesetzes und gegen die für NGOs geltenden Rechtsvorschriften verstoßen.

Die Registerleiterin forderte am 24. Juni außerdem das Bündnis der Menschenrechtsverteidiger_innen (Tanzania Human Rights Defenders Coalition – THRDC) und das Zentrum für Rechtsfragen und Menschenrechte (Legal and Human Rights Centre – LHRC) auf, binnen sieben Tagen darzulegen, warum gegen sie keine rechtlichen Maßnahmen – einschließlich des Verbots der beiden Organisationen wegen Verstößen gegen die NGO-Vorschriften – verhängt werden sollten. Des Weiteren wies sie das LHRC an, sämtliche wahlbezogenen Aktivitäten einzustellen. In der Folge lehnte die Nationale Wahlbehörde den Antrag der beiden NGOs auf Zulassung zur Wahlbeobachtung bei den Parlamentswahlen ab.

Das THRDC, in dem mehr als 160 Einzelpersonen und Organisationen zusammengeschlossen sind, gab im August 2020 die Einstellung seiner Aktivitäten bekannt. Die Polizei hatte zuvor das Einfrieren der Konten des THRDC angeordnet, da die NGO gegen das NGO-Gesetz verstoßen haben soll. Dem THRDC wurde vorgeworfen, Vereinbarungen mit Geldgeber_innen ohne Rücksprache mit dem Amt für die Verwaltung öffentlicher Gelder und dem NGO-Register getroffen zu haben.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Im Juni 2020 nahmen Polizeikräfte in der Region Kilwa den Vorsitzenden der Oppositionspartei ACT-Wazalendo Zitto Kabwe und sieben weitere Parteimitglieder fest. Die Partei erklärte, den Männern werde die "Gefährdung des öffentlichen Friedens" vorgeworfen, da sie an einer Parteiversammlung teilgenommen hatten, die nach Angaben der Polizei illegal war. An Tag darauf kamen sie gegen Kaution frei. Einzelheiten zu den Straftaten, die sie begangen haben sollen, wurden ihnen jedoch nicht mitgeteilt.

Im Juli 2020 nahmen Polizeikräfte Nusrat Hanje, Generalsekretärin der Jugendorganisation der Chadema, und fünf weitere Parteimitglieder in der Region Singida westlich der Hauptstadt Dodoma fest. Sie hatten die Flagge der Partei gehisst und dabei die Nationalhymne gesungen. Sie wurden u. a. wegen "illegaler Versammlung, Verhöhnung der Nationalfahne und der Nationalhymne sowie wegen Verhaltens, das dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören" unter Anklage gestellt. Am 10. Juli 2020 wurde den sechs Betroffenen die Freilassung gegen Kaution verweigert und sie wurden in das Gefängnis von Singida überstellt. Dort waren sie 133 Tage inhaftiert, obwohl das Hohe Gericht in Dodoma das von ihnen eingelegte Rechtsmittel gegen die Kautionsverweigerung am 26. August 2020 zugelassen hatte. Am 23. November stellte die Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren gegen die sechs Oppositionellen ein.

Im August 2020 nahm die Polizei Joseph Mbiliny fest, der im Wahlkreis Mbeya Urban für ein Abgeordnetenmandat kandidierte, und beschuldigte ihn der Durchführung einer nicht zugelassenen Demonstration. Er wurde auf dem Weg zum regionalen Büro der Wahlbehörde festgenommen, wo er die Nominierungsunterlagen abholen wollte. Er wurde noch am selben Tag ohne Anklageerhebung wieder freigelassen.

Im November 2020 nahm die Polizei den Chadema-Vorsitzenden Freeman Mbowe sowie drei weitere Parteimitglieder fest. Weil sie zu landesweiten Protesten gegen die Durchführung der für Oktober anberaumten Wahlen aufgerufen hatten, wurden sie wegen "terroristischer Straftaten" angeklagt. Tundu Lissu (siehe Abschnitt Hintergrund) wurde einen Tag später festgenommen. Alle wurden gegen Kaution wieder freigelassen.

Unfaire Gerichtsverfahren

Das Amtsgericht von Kisutu in Daressalam veranlasste im Februar 2020 die Freilassung des Investigativjournalisten Erick Kabendera aus dem Gefängnis, nachdem dieser mit der Staatsanwaltschaft eine Vereinbarung getroffen hatte. Unbekannte hatten ihn im Juli 2019 entführt. Erst nach 24 Stunden hatte die Polizei zugegeben, dass sie ihn in Gewahrsam genommen hatte. Er wurde wegen Geldwäsche und der Verwicklung in die organisierte Kriminalität unter Anklage gestellt.

Erick Kabendera musste einen langwierigen Gerichtsprozess über sich ergehen lassen, der sechzehnmal vertagt wurde. Er berichtete, dass er im Segerea-Gefängnis in Daressalam gefoltert wurde. Außerdem erkrankte er in der Haft mehrfach und durfte seine ebenfalls kranke Mutter nicht besuchen. Sie starb, als er noch im Gefängnis war. Das Gericht verurteilte ihn zur Zahlung von mehr als 273 Mio. tansanischen Schilling (etwa 100.000 Euro) an die Generalstaatsanwaltschaft. Damit sollten angebliche Steuerschulden wegen Hinterziehung und eine Geldstrafe beglichen werden. Der Betrag sollte binnen sechs Monaten gezahlt werden, um eine erneute Inhaftierung zu vermeiden.

Im Mai 2020 nahmen Polizeikräfte den Komiker Idris Sultan fest. Gegen die Zahlung einer Kaution von 15 Mio. tansanischen Schilling (etwa 5.300 Euro) entließen sie ihn zehn Tage später aus dem Gewahrsam. Er war wegen eines von ihm in den Sozialen Medien geteilten Videos in Gewahrsam genommen worden, in dem er den Präsidenten verspottet haben soll. Idris Sultan wurde wegen "der Nichtregistrierung einer SIM-Karte, die zuvor einer anderen Person gehört hatte" und weil er "es unterlassen hatte, den Besitzerwechsel einer SIM-Karte zu melden" unter Anklage gestellt. Das Amtsgericht von Kisutu in Daressalam vertagte den Prozess gegen ihn mindestens neunmal. Ende 2020 war das Verfahren immer noch anhängig.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Im Juni 2020 verabschiedete das Parlament das Artikelgesetz Nr. 3 in 2020 (Written Laws (Miscellaneous Amendments) Act No. 3 of 2020), mit dem mehrere Gesetze geändert wurden. Nach diesem Gesetz mussten u. a. Personen, die nach dem Gesetz zur Durchsetzung der Grundrechte und Grundpflichten Klage erhoben, eidesstattlich versichern, dass sie direkt von einer Grundrechtsverletzung betroffen waren. Mit dieser Gesetzesänderung wurden Klagen im öffentlichen Interesse torpediert und die Rechenschaftspflicht der Regierung bei Verletzungen der Menschenrechte geschwächt.

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