Anfragebeantwortung zum Irak: Informationen zu Kinderarmut, Kinderarbeit und Betteln von Kindern in Diyala [a-11475-3]

9. Februar 2021

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.

Kinderarmut in Diyala

Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN OCHA) erwähnt in seinem Ausblick zu humanitären Bedürfnissen im Irak im Jahr 2020, dass in Diyala 210.605 Menschen (von einer geschätzten Bevölkerung von 1,6 Millionen[1], Anm. ACCORD) humanitäre Hilfe benötigen würden. Ungefähr 46 Prozent aller Bedürftigen im Irak seien Kinder. (UN OCHA, November 2019, S. 6-7)

Kinderarbeit in Diyala

Das U.S. Department of Labor (USDOL) gibt fürs Jahr 2019 an, dass Kinder im Irak den schlimmsten Formen der Kinderarbeit ausgesetzt seien, einschließlich erzwungenem Betteln und kommerzieller sexueller Ausbeutung, die jeweils manchmal auf Menschenhandel zurückzuführen seien. USDOL führt eine Liste von Arten von Kinderarbeit an, die im Irak vorkommen würden. Diese inkludiert landwirtschaftliche Arbeit, Bauarbeiten, Tischlerarbeiten, Ziegelherstellung, Fabrikarbeiten, Arbeiten auf der Straße, an der Tankstelle und auf Mülldeponien, Hausarbeiten, Arbeiten in Hotels und Restaurants sowie auf Friedhöfen. Kinder würden weiters für illegale Aktivitäten wie Schmuggel eingesetzt, sie würden zum Betteln gezwungen, kommerziell sexuell ausgebeutet und von nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen für den Einsatz in bewaffneten Konflikten rekrutiert. (USDOL, 30. September 2020, S. 1-2)

Laut UNICEF und den irakischen Statistikorganisationen seien in Diyala im Jahr 2018 sechs Prozent der 5 bis 17-jährigen in Kinderarbeit tätig gewesen. (UNICEF et al., Februar 2019, S. 34)

Oxfam führte zwischen März und April 2019 Untersuchungen zur Schutzsituation in Diyala und Kirkuk durch. In diesem Rahmen wurden Fokusgruppendiskussionen und eine Haushaltsumfrage von Binnenvertriebenen, Rückkehrern und Aufnahmegemeinschaften sowie Interviews mit Schlüsselinformanten durchgeführt, die in Diyala (in den nördlichen Distrikten Khanaqin und Kifri) und Kirkuk, sowohl in städtischen Gebieten als auch in Dörfern leben. 56 Prozent der Beteiligten in den Fokusgruppendiskussionen hätten Fälle von Kinderarbeit gemeldet und dies sei von 41 Prozent der Schlüsselinformanten bestätigt worden. In Diyala hätten 70 Prozent der Befragten angegeben, dass Kinderarbeit zunehme, insbesondere in einkommensschwachen und schutzbedürftigen Familien wie Haushalten mit weiblichem Familienoberhaupt, Familien von Binnenvertriebenen und Haushalten mit Mitgliedern mit Behinderungen. Kinder würden am häufigsten in städtischen Gebieten wie Dschalawla und Khanaqin als Straßenhändler, Bettler oder Müllsammler arbeiten. Sie würden auch nach der Schule Teilzeit arbeiten. Kinderarbeit sei besonders im Binnenvertriebenenlager Alwand 1 sehr verbreitet. (OXFAM, März 2020, S. 18)

Kinder, die befragt worden seien, hätten angegeben, dass sie durchschnittlich 10 Stunden am Tag arbeiten würden und von ihren Eltern gebeten würden, zu arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen. Laut der Befragten sei 14 Jahre ein gutes Alter, um mit dem Arbeiten zu beginnen. Jedoch weitere Angaben einiger Befragter und Beobachtungen an manchen der Orte, an denen die Studie durchgeführt worden sei, würden nahelegen, dass Kinder möglicherweise auch schon in einem Alter von sieben Jahren arbeiten würden. Erwachsene Befragte hätten anscheinend Kinderarbeit als eine Bewältigungsstrategie betrachtet, auf die sie zurückgreifen würden, um den Mangel an Lebensgrundlagen und finanzielle Probleme der Familien zu mildern, die durch Sicherheitsbeschränkungen und die Angst, von Sicherheitskräften, Milizen oder dem IS angegriffen zu werden, noch verstärkt würden. Rund 70 Prozent der Befragten hätten angegeben, dass Kinder in Haushalten mit weiblichem Familienoberhaupt besonders gefährdet seien, da Kinderarbeit als einzig verfügbare Lösung für das Dilemma alleinstehender Frauen angesehen werde. (OXFAM, März 2020, S. 19)

Informationen zur Rekrutierung von Kindern durch bewaffnete Gruppen seien nur sporadisch aufgetaucht. In Diyala hätten Informanten an drei Orten berichtet, dass Kinder und Jugendliche Gefahr laufen würden, von bewaffneten Gruppen (insbesondere IS) rekrutiert zu werden und an einem weiteren Ort hätten Informanten von einer Gefahr der Rekrutierung durch vom Staat unterstützte bewaffnete Akteure berichtet. Die Befragten hätten angegeben, dass Jugendliche, in einigen Fällen auch minderjährige Kinder, sich den staatlichen bewaffneten Akteuren anschließen würden, um ein reguläres Gehalt zu bekommen. Nach Ansicht der Befragten sei die Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen weitgehend auf die weit verbreitete Arbeitslosigkeit und den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Menschen zurückzuführen. (OXFAM, März 2020, S. 19-20)

Verschiedene irakische Nachrichtenagenturen zitieren in einer Reihe von Artikeln aus 2020 und 2021 das Menschenrechtsbüro in Diyala und dessen Direktor, Salah Mahdi Al-Majma'i. Al-Majma'i gibt an, dass die Kinderarbeitsrate seit Juni 2014 um 50 Prozent gestiegen sei, (Al-Maalomah, 23. Jänner 2021) in einem Artikel von Shafaq News wird er mit einem Anstieg von mehr als 20 Prozent zitiert (Shafaq News, 27. Dezember 2020). Die Auswirkungen von COVID-19, die Reduzierung der Schulbesuchstage auf einen pro Woche sowie der heruntergekommene Privatsektor hätten die Bettel- und Kinderarbeitsrate erheblich erhöht (Shafaq News, 27. Dezember 2020). 70 Prozent der arbeitenden Kinder in Diyala seien Binnenvertriebene (AIN, 26. Juli 2020) und die Kinder würden unter anderem auf Mülldeponien arbeiten. (Al-Rafidain, 14. August 2020)

Betteln von Kindern in Diyala

Die irakische Nachrichtenagentur Al-Maalomah zitiert im Jänner 2020 den Bezirksvorsteher von Baquba, Abdullah al-Hayali, der angibt, dass Diyala in den vergangenen Jahren einen steten Anstieg der Zahl von Bettlern in großen Städten erlebt habe. Der Großteil der Bettler komme von außerhalb der Provinz. 50 Prozent der Bettler seien Kinder, einige von ihnen aus vertriebenen Familien, andere aus der Gemeinschaft der Roma und andere aus extrem armen Familien. (Al-Maalomah, 11. Jänner 2020)

Die irakische Nachrichtenagentur Mawazin News zitiert den Direktor des Menschenrechtsbüros in Diyala, Salah Mahdi, der im Mai 2019 angibt, dass die Mehrheit der Kinder, die betteln und arbeiten würden, Waisen seien oder aus sehr armen Familien stammen würden. 70 Prozent der Frauen, die betteln, würden von außerhalb Diyalas kommen. Das Phänomen von Bettlern in Diyala sei im Wachstum begriffen. (Mawazin, 26. Mai 2019)

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 9. Februar 2021)

·      AIN – All Iraq News: Menschenrechte in Diyala veröffentlichen erste Berichte über Kinderarbeit und bestätigen: 70% von ihnen sind vertrieben [حقوق الانسان في ديالى تصدر اول تقاريرها عن عمالة الاطفال وتؤكد: 70% منهم نازحون], 26. Juli 2020
http://www.alliraqnews.com/modules/news/article.php?storyid=96998

·      Al-Maalomah: Diyala: Mafias verwalten das Bettelgeschäft, und die Hälfte von ihnen sind Kinder [ونصفهم اطفال ديالى: مافيات تدير ملف التسول], 11. Jänner 2020
https://www.almaalomah.com/2020/01/11/449044/

·      Al-Maalomah: Menschenrechte: "Kinderarbeit" steigt in Diyala um 50 Prozent

[حقوق الانسان: ارتفاع نسبة “عمالة الاطفال” الى 50 بالمئة في ديالى], 23. Jänner 2021
https://www.almaalomah.com/2021/01/23/516845/

·      Al-Rafidain: Diyala Human Rights Office bestätigt fortgesetzte Kinderarbeit auf Deponien [مكتب حقوق الإنسان في ديالى يؤكد استمرار عمل الأطفال في مكبات النفايات], 14. August 2020
https://alrafidain.org/2589/

·      Mawazin: Betteln in Diyala [التسول بديالى], 26. Mai 2019
https://www.mawazin.net/Details.aspx?jimare=48333

·      OXFAM: Protection Landscapes in Diyala and Kirkuk, Iraq, März 2020
https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/rr-protection-landscapes-diyala-kirkuk-iraq-050320-en.pdf

·      Shafaq News: Child labor and beggary have increased by more than 20% in Diyala, The Human Rights Office says, 27. Dezember 2020
https://shafaq.com/en/Iraq-News/Child-labor-and-beggary-have-increased-by-more-than-20-in-Diyala-The-Human-Rights-Office-says

·      UN OCHA – UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: Iraq: Humanitarian Needs Overview 2020 (November 2019), November 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2021760/iraq_hno_2020.pdf

·      UNICEF – UN Children's Fund, Central Statistical Organization, Kurdistan Region Statistical Office: Iraq; 2018 Multiple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, Februar 2019
https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf

·      USDOL – US Department of Labor: 2019 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Iraq, 30. September 2020
https://www.ecoi.net/en/document/2040568.html


 

Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen

Oxfam International ist ein internationaler Verbund verschiedener Hilfs- und Entwicklungsorganisationen.

·      OXFAM: Protection Landscapes in Diyala and Kirkuk, Iraq, März 2020
https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/rr-protection-landscapes-diyala-kirkuk-iraq-050320-en.pdf

„Child labour13 was reported in 56% of FGDs held in Diyala and Kirkuk (27 out of 48), and it was confirmed by 41% of the key informants interviewed (19 out of 46).

In Diyala, respondents in 70% of research locations reported that child labour is on the increase, particularly in low-income and vulnerable families such as female-headed households, IDP families and households with members with disabilities. Children most commonly work in urban areas such as Jalawla and Khanaqin, as street pedlars, beggars or rubbish collectors. They can also work part-time after school. Child labour emerged as very common in Alwand 1 camp, where the people interviewed described it as a way to cope with the need for cash to buy food and pay for services, especially since cuts were introduced in the food distributions in the camp.” (OXFAM, März 2020, S. 18)

„Children who took part in FGDs indicated that they usually work for an average of 10 hours a day, and that they were asked to work by their parents – ‘you are a boy, you are a man, you should work to support your family’ – because they need to supplement the family income. In both Diyala and Kirkuk, IDP children in camps mentioned that their earnings are used by their parents first to buy food, and then medicines.

Across the two governorates in this study, FGD participants on average indicated that ‘a good age’ for a child to start working is 14 years, but other responses and direct observations in some of the surveyed locations suggest that children may start working when they are as young as seven.

Adult respondents appeared to perceive child labour as a coping strategy that they resort to in order to mitigate families’ lack of livelihoods and financial problems, which are further compounded by security constraints and the fear of being targeted, either by security forces, militias or ISIS. As one respondent in Taza explained: ‘When we returned to our village, we discovered that ISIS had demolished and looted our houses. Farming is difficult, and we are still afraid of travelling out of the village because ISIS is still around… It is difficult to support the family under these circumstances, and our children are doing their part.’

Some 70% of respondents perceived that children of female-headed households are particularly at risk, as child labour is seen as the ‘only available solution’ to the dilemma faced by single women, who have to balance the need to provide for their family with the need to protect themselves from the risk of harassment they perceive they would be exposed to if they worked or sought employment.“ (OXFAM, März 2020, S. 19)

„CHILD RECRUITMENT BY ARMED GROUPS AND MILITIAS

Information about child recruitment by armed groups emerged only sporadically. In Diyala, key informants reported that children and youth are at risk of being recruited by armed groups (specifically ISIS) in three locations, and by government-supported armed actors in one location (i.e. 40% of locations at risk in Diyala). FGD respondents mentioned that adolescents, in some cases also underage children, join the state armed actors, mainly attracted by the prospect of a regular salary. As viewed by respondents, recruitment by armed groups is largely driven by widespread unemployment and the lack of job opportunities for young people, compounded by what is perceived as a complete lack of vocational and social activities. As one participant explained: ‘Many young men from this neighbourhood tried to offer themselves for volunteer jobs with local institutions and hospitals, but they received only negative responses. Some boys decide to join an armed group because they want to marry, and they have to earn the money to pay for the dowry and the wedding.’” (OXFAM, März 2020, S. 19-20)

Shafaq News ist eine kurdisch-irakische Nachrichtenagentur.

·      Shafaq News: Child labor and beggary have increased by more than 20% in Diyala, The Human Rights Office says, 27. Dezember 2020
https://shafaq.com/en/Iraq-News/Child-labor-and-beggary-have-increased-by-more-than-20-in-Diyala-The-Human-Rights-Office-says

„The Human Rights Office in Diyala revealed that the rate of child labor and beggary in the governorate has increased by more than 20%.

 The director of the office, Salah Al-Majma'i, told Shafaq News agency that the conditions of COVID-19, reducing school attendance days to one per week, and the exacerbation of poverty rates have significantly increased the rates of beggary and child labor, adding that the disappearance of many trades and the deterioration of the private sector is also a major cause, in addition to the loss of breadwinners for families as a result of violence or other armed conflicts.

Al-Majma'i warned of the consequences of evacuating displacement camps in Diyala, and resorting many displaced families to renting houses instead of their homes and their destroyed areas, which will push their children to work and beg to secure life requirements.

During more than a decade, the violence in Diyala has caused the death and injury of tens of thousands of civilians and an increase in the rate of orphans in the governorate, which prompted them to leave their schools and pursue multiple professions and jobs to support their families and provide a living income.” (Shafaq News, 27. Dezember 2020)

UNICEF ist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund).

CSO ist die zentrale Statistikorganisation des Iraks, die Teil des Ministeriums für Planung ist.

UNICEF – UN Children's Fund, Central Statistical Organization, Kurdistan Region Statistical Office: Iraq; 2018 Multiple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, Februar 2019
https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf

„Percentage of children age 5 to 17 years engaged in child labour, by region: Diala: 6 per cent total child labour.“ (UNICEF et al., Februar 2019, S. 34)

Das U.S. Department of Labor (USDOL) ist das für Arbeitsangelegenheiten zuständige Ministerium der USA.

·      USDOL – US Department of Labor: 2019 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Iraq, 30. September 2020
https://www.ecoi.net/en/document/2040568.html

[Bild entfernt] „Children in Iraq engage in the worst forms of child labor, including in forced begging and in commercial sexual exploitation, each sometimes as a result of human trafficking.“

 (USDOL, 30. September 2020, S. 1/2)



[1] CSO – Central Statistical Organization Iraq: Schätzungen der irakischen Bevölkerung 2015-2018 [2015-2018 تقديرات سكان العراق], Juli 2018, S.12
http://cosit.gov.iq/documents/population/projection/projection2015-2018.pdf