Syrien 2019

Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2019

Die am bewaffneten Konflikt in Syrien beteiligten Parteien verübten auch 2019 schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, Kriegsverbrechen und grobe Menschenrechtsverstöße, die nicht geahndet wurden. Regierungskräfte sowie russische und andere verbündete Streitkräfte griffen Zivilpersonen und zivile Einrichtungen sowohl wahllos als auch zielgerichtet mit Bomben und Artillerie an. Dabei wurden in Idlib und Hama im Nordwesten Syriens Hunderte Menschen getötet oder verletzt. In Gebieten, die von Regierungskräften kontrolliert wurden, hatten Zivilpersonen weiterhin kaum Zugang zu humanitärer Hilfe und medizinischer Versorgung. Die Sicherheitskräfte nahmen Zivilpersonen und ehemalige Kämpfer_innen, die die Seiten gewechselt und sich dem Regierungslager angeschlossen hatten, willkürlich fest. Außerdem hielten sie weiterhin Zehntausende Menschen in Haft, darunter friedliche Aktivist_innen, Mitarbeiter_innen humanitärer Hilfsorganisationen, Rechtsanwält_innen und Journalist_innen. Viele von ihnen wurden Opfer des Verschwindenlassens oder starben in Gewahrsam, nachdem man sie gefoltert oder anderweitig misshandelt hatte. Bewaffnete Gruppen, die von der Türkei unterstützt wurden, plünderten und beschlagnahmten Privateigentum, inhaftierten Zivilpersonen willkürlich und verübten viele weitere Menschenrechtsverstöße in Afrin. Es deutete vieles darauf hin, dass diese Gruppen und die Türkei auch für wahllose Angriffe bei ihrer Militäroffensive im Nordosten Syriens verantwortlich waren. In derselben Region nahm die Autonomiebehörde unter Leitung der Partei der Demokratischen Union (PYD) einige Zivilpersonen willkürlich fest. Die US-geführte internationale Koalition hatte noch immer keine Untersuchung zu den zahlreichen zivilen Opfern ihrer Luftschläge gegen den Islamischen Staat (IS) in Rakka im Jahr 2017 eingeleitet. Militäroffensiven führten dazu, dass im Nordwesten Syriens rund 400.000 Menschen und im Nordosten etwa 174.600 vertrieben wurden. Zehntausende Binnenvertriebene lebten nach wie vor in provisorischen Notunterkünften, Schulen und Moscheen, die keinen angemessenen Lebensstandard boten.

Hintergrund

Der bewaffnete Konflikt ging auch im Jahr 2019 unvermindert weiter. Im Februar startete die syrische Regierung mit verbündeten russischen Streitkräften eine Militäroffensive in der Provinz Idlib, die von der bewaffneten oppositionellen Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham gehalten wurde. Ziel war die Rückeroberung der strategisch wichtigen Hauptverbindungsstraße M5 von Aleppo nach Damaskus. Im August 2019 resultierten Vermittlungen durch Russland und die Türkei in einer Vereinbarung zu einem Waffenstillstand in Idlib. Am 19. September legten Russland und China im UN-Sicherheitsrat ihr Veto gegen einen Resolutionsentwurf über einen Waffenstillstand in Idlib ein, da er keine Ausnahmegenehmigung für Angriffe auf die Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham enthielt.

Am 9. Oktober begann die Türkei gemeinsam mit der syrischen Nationalarmee (Syrian National Army – SNA), einem Bündnis oppositioneller bewaffneter Gruppen, eine Militäroffensive auf Gebiete im Nordosten Syriens, die unter der Kontrolle des kurdisch dominierten Militärbündnisses Demokratische Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces – SDF) standen, und nahm die Städte Tel Abyad und Ras al-Ain an der Grenze zur Türkei ein. Gleichzeitig zogen die USA ihre Truppen aus dem Nordosten Syriens ab, beließen jedoch die US-Soldaten, die in der al-Tanf-Militärbasis in der Provinz Homs stationiert waren. Um zu verhindern, dass die Türkei und die SNA die restlichen syrischen Gebiete an der Nordostgrenze übernahmen, trafen die SDF eine Vereinbarung mit der syrischen Regierung, die das Einrücken der syrischen Armee in das Gebiet erlaubte. 

Am 17. Oktober einigten sich US-Vizepräsident Mike Pence, der die SDF unterstützt hatte, und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf eine fünftägige Waffenruhe. Sie sollte es den SDF-Kämpfern ermöglichen, sich aus einer 32 Kilometer breiten "Sicherheitszone" entlang der Grenze zur Türkei zurückzuziehen. Kurz vor Ablauf der Waffenruhe am 21. Oktober vereinbarten Präsident Erdoğan und der russische Präsident Wladimir Putin, dass die Türkei ihre Militäroffensive beende, jedoch die Kontrolle über Tel Abyad und Ras al-Ain behalte. Ferner einigten sie sich darauf, dass die syrische Regierung und Russland den Rückzug der SDF überwachen und Truppen in die Nähe der türkischen Grenze entsenden solle – was sie am 22. Oktober auch taten, indem sie in Kamischli, Hassake und Derbassiye einmarschierten. Außerdem verabredeten sie gemeinsame russisch-türkische Patrouillen ab dem 29. Oktober in einem engeren, zehn Kilometer breiten Streifen in der "Sicherheitszone".
Israel flog mehrere Luftangriffe auf iranische Kräfte und Stellungen der Hisbollah in Syrien.

Die Vereinten Nationen erzielten gewisse Fortschritte bei ihrem Versuch, eine Verhandlungslösung zu finden und einen Ausschuss zu bilden, der eine neue syrische Verfassung ausarbeiten soll. Am 30. September gaben sie die Bildung eines Verfassungsausschusses mit 150 Mitgliedern bekannt, von denen 50 der syrischen Regierung, 50 der politischen Opposition und 50 der syrischen Zivilgesellschaft angehören. Die von Russland, dem Iran und der Türkei unterstützten Gespräche sollen sich auch mit Fällen von Inhaftierungen und Entführungen in Syrien und mit der Lage in Idlib befassen. 

Die 2011 vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für Syrien (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic) beobachtete auch 2019 Verstöße der Konfliktpartner gegen das Völkerrecht und berichtete darüber. Die syrische Regierung verweigerte der Kommission weiterhin die Einreise in das Land. 
Im März 2019 bestätigte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen, dass im April 2018 in der Stadt Douma in der Provinz Damaskus-Land ein chemischer Kampfstoff eingesetzt worden war. 
 

Menschenrechtsverletzungen durch Regierungstruppen und ihre Verbündeten Wahllose und gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Gebäude

Regierungskräfte und ihre Verbündeten begingen 2019 weiterhin Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Sie verübten sowohl wahllose als auch gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Gebäude. Mit Unterstützung Russlands griffen Regierungskräfte immer wieder die von der bewaffneten Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham kontrollierten Provinzen Idlib und Hama im Nordwesten und die nördlichen Gebiete der Provinz Aleppo an. Sie verübten sowohl wahllose als auch gezielte Angriffe auf Wohnhäuser, Schulen, Bäckereien, Rettungseinsätze, Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen. Durch Luftangriffe und Artilleriebeschuss wurden Hunderte Zivilpersonen getötet oder verletzt, darunter auch Rettungskräfte und medizinisches Personal.

Am 26. März 2019 feuerten syrische Regierungskräfte Raketen auf eine Schule in Sheikh Idriss ab, einem Ort östlich der Stadt Idlib. Dabei wurde ein zehnjähriger Junge getötet, zwei weitere Jungen im Alter von neun und zehn Jahren erlitten Verletzungen. 

Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs – UNOCHA) wurden zwischen April und September 2019 mindestens 51 Gesundheitseinrichtungen und 59 Schulen in Idlib, Hama und Nord-Aleppo durch Kampfhandlungen beschädigt. So warfen syrische Regierungstruppen bei einem Luftangriff am 9. März vier Bomben ab, die das al-Hayat-Krankenhaus, eine Blutbank, eine Notfallambulanz und eine Einrichtung des syrischen Zivilschutzes (auch bekannt unter dem Namen Weißhelme) trafen. Die Ziele lagen jeweils 100 Meter voneinander entfernt. Benachbarte Wohngebiete wurden ebenfalls getroffen. Mindestens zwei Zivilpersonen wurden bei dem Angriff getötet, ein Angehöriger des medizinischen Personals wurde verletzt. 

Am 1. August 2019 berief der Generalsekretär der Vereinten Nationen eine Kommission ein, um "Vorfälle" zu untersuchen, bei denen Einrichtungen in Idlib beschädigt oder zerstört wurden, die von den UN unterstützt werden, sowie Einrichtungen, die auf einer speziellen Liste der UN stehen, weil sie "konfliktentschärfend" sind und geschützt werden sollen.
 

Verweigerung des humanitären Zugangs

Regierungskräfte schränkten auch 2019 den Zugang zu humanitären Hilfsleistungen der Vereinten Nationen in ganz Syrien ein. Die UN gaben an, die Behörden hätten etwa die Hälfte ihrer Anträge auf Durchführung humanitärer Einsätze, auf Beobachtung und Begleitung von Hilfslieferungen und auf Sicherheitsmaßnahmen und logistische und administrative Unterstützung abgelehnt.

Trotz der katastrophalen Bedingungen, die im Flüchtlingslager Rukban nahe der jordanischen Grenze herrschten, behinderte die Regierung dort weiterhin den Zugang für humanitäre Hilfe. Regierungstruppen erlaubten UN-Organisationen nur dreimal während des gesamten Jahres, ihre lokalen Partnerorganisationen bei Hilfslieferungen zu begleiten. Am 20. Dezember legten Russland und China ihre Vetos gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Fortführung der humanitären Hilfe der Vereinten Nationen in Syrien ein. Hintergrund ist die seit 2014 bestehende Resolution 2165, die es den Vereinten Nationen erlaubt, wichtige Hilfsgüter über Grenzübergänge in Teile des Landes zu bringen, die von der syrischen Opposition kontrolliert werden.
 

Willkürliche Festnahmen und Verschwindenlassen

Nach Angaben lokaler Beobachtungsstellen nahmen Regierungskräfte in Gebieten unter ihrer Kontrolle Zivilpersonen willkürlich fest und ließen sie in einigen Fällen verschwinden, vor allem in Daraa und Ost-Ghouta in der Provinz Damaskus-Land. Zu den willkürlich Inhaftierten zählten ehemalige Kämpfer, die die Seiten gewechselt und sich den Regierungskräften angeschlossen hatten, Familienangehörige von Befehlshabern bewaffneter Gruppen, Beschäftigte von Hilfsorganisationen und Familien von Aktivisten, die aus dem Nordwesten Syriens fliehen mussten. Viele wurden Opfer von Folter und anderweitigen Misshandlungen, und einige starben in der Haft an den Folgen.
Die syrischen Sicherheitskräfte hielten 2019 noch immer Tausende Menschen, die sie in den vergangenen Jahren festgenommen hatten, ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren über lange Zeit in Haft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen galten weiterhin als verschwunden, die meisten von ihnen seit 2011. Unter ihnen befanden sich Beschäftigte von Hilfsorganisationen, Rechtsanwält_innen, Journalist_innen, friedliche Aktivist_innen, Regierungskritiker_innen und -gegner_innen sowie Personen, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. 

Für die Familien der Verschwundenen hatte die Ungewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen weitreichende emotionale und psychologische Folgen, die durch die verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen noch verstärkt wurden.
 

Menschenrechtsverletzungen durch die Türkei und verbündete bewaffnete Gruppen Wahllose Angriffe

Nach dem Beginn der Militäroffensive der Türkei und der SNA gegen die SDF im Nordosten Syriens am 9. Oktober 2019 waren die Kampfhandlungen von wahllosen Angriffen auf Wohngebiete geprägt, unter anderem auf ein Wohnhaus, eine Bäckerei und eine Schule. Beweise deuteten stark darauf hin, dass die Türkei und die mit ihr verbündeten bewaffneten Gruppen für die Angriffe verantwortlich waren. 

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights) wurden zwischen dem 9. und 20. Oktober 120 Zivilpersonen getötet. Am 13. Oktober traf ein türkischer Luftangriff auf einen Marktplatz einen zivilen Konvoi mit vielen Medienschaffenden, die auf dem Weg nach Ras al-Ain waren. Der kurdische Rote Halbmond teilte mit, bei dem Angriff seien sechs Zivilpersonen getötet und 59 verletzt worden. In einem anderen Fall konnte medizinisches Personal das Leben eines achtjährigen verletzten Mädchens retten, während ihr elfjähriger Bruder seinen Verletzungen erlag. Die Kinder hatten am 10. Oktober vor ihrem Elternhaus in Kamischli gespielt, als dort Granaten einschlugen. 
 

Beschlagnahmungen und Plünderungen

Türkische Streitkräfte und bewaffnete oppositionelle Gruppen wie Ferqa 55, al-Jabha al-Shamiye, Faylaq al-Sham, Sultan Mourad und Ahrar al-Sharqiye, die von der Türkei militärisch unterstützt wurden, kontrollierten weiterhin Afrin, ein Gebiet mit überwiegend syrisch-kurdischer Bevölkerung im Norden der Provinz Aleppo. Mitglieder der bewaffneten Gruppen und deren Familien hatten sich dort fremdes Privateigentum angeeignet und verweigerten den ursprünglichen Eigentümer_innen den Zugang zu ihrem Hab und Gut. Einige der beschlagnahmten Anwesen wurden von den jeweiligen bewaffneten Gruppen als militärische Stützpunkte genutzt. Nach Angaben der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission der UN bezahlten einige Menschen Geld, um ihre gestohlenen Fahrzeuge und andere Dinge zurückzuerhalten. Eigentümer_innen von Olivenhainen mussten den bewaffneten Gruppen eine Steuer auf ihre Ernte entrichten. 

Willkürliche Haft, Folter und andere Misshandlungen

Nach Angaben lokaler Beobachtungsstellen nahmen von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppen mindestens 54 Zivilpersonen willkürlich fest, um Lösegeldzahlungen zu erpressen. Die Strafmaßnahmen betrafen Personen, die ihr Eigentum zurückgefordert hatten oder denen Kontakte zu syrisch-kurdischen Gruppen wie der PYD oder den Volksverteidigungseinheiten (YPG) unterstellt wurden. So nahm die Gruppe al-Jabha al-Shamiye im April 2019 in Afrin einen Mann fest, den sie fälschlicherweise bezichtigte, er habe zur früheren Autonomiebehörde unter Leitung der PYD gehört. Die bewaffnete Gruppe verweigerte den Angehörigen des Mannes Auskunft über seinen Aufenthaltsort und sein Schicksal. 

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der UN stellte fest, dass vor allem Aktivist_innen und andere Einzelpersonen, die das Vorgehen bewaffneter Gruppen kritisierten oder denen man nachsagte, die frühere Autonomiebehörde unterstützt zu haben, Gefahr liefen, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und erpresst zu werden. 
 

Außergerichtliche Hinrichtungen und Entführungen

Am 12. Oktober 2019 überfiel die von der Türkei unterstützte bewaffnete oppositionelle Gruppe Ahrar al-Sharqiye einen Konvoi aus zivilen und militärischen Fahrzeugen aus dem Hinterhalt. Der Konvoi war auf der vom SDF kontrollierten internationalen Straße M4 von Latakia nach Saraqeb unterwegs. In einem der Zivilfahrzeuge saß die kurdische Politikerin und Generalsekretärin der Syrischen Zukunftspartei (Future Syria Party), Hevrin Khalaf. Sie wurde aus dem Wagen gezerrt, geschlagen und erschossen. Laut Obduktionsbericht wies die Leiche zahlreiche Verletzungen auf, darunter viele Schusswunden, Brüche an Beinen, Gesicht und Schädel. Ihre Kopfhaut war teilweise abgelöst, weil man sie an den Haaren gezogen hatte. Die bewaffnete Gruppe tötete auch den Leibwächter der Politikerin. An derselben Stelle ergriff die bewaffnete Gruppe außerdem zwei kurdische Kämpfer und tötete sie. Zudem entführte sie zwei Zivilisten, die für eine örtliche Gesundheitsorganisation arbeiteten und dabei waren, Medikamente zu transportieren, als sie verschleppt wurden. Die bewaffnete Gruppe machte keine Angaben über den Aufenthaltsort und das Schicksal der beiden Männer. 

Verstöße durch die Autonomiebehörde unter Leitung der PYD Willkürliche Inhaftierungen

Im Nordosten Syriens kontrollierte weiterhin die Autonomiebehörde unter Leitung der PYD die kurdisch dominierten Grenzgebiete, darunter auch die Städte Rakka und Kamischli. In Rakka wurden acht Zivilpersonen von der Autonomiebehörde willkürlich festgenommen, inhaftiert und fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. Sie arbeiteten für lokale und internationale Bildungs- und Entwicklungshilfeorganisationen, die seit 2017 in Rakka tätig sind. Nach mehr als zwei Monaten Gewahrsam, in denen sie keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand hatten, wurden die Inhaftierten ohne Anklageerhebung freigelassen.

Verstöße der US-geführten internationalen Koalition Keine Untersuchung zu zivilen Todesopfern

Trotz wachsenden politischen Drucks lehnte es die US-geführte internationale Koalition weiterhin ab, die Verantwortung für den Tod von Hunderten Zivilpersonen in Rakka zu übernehmen, die bei den viermonatigen Luftschlägen gegen Stellungen des IS im Jahr 2017 ihr Leben verloren hatten. Am 28. Februar 2019 räumte die Koalition ein, für 25 weitere Todesfälle unter der Zivilbevölkerung in Rakka verantwortlich zu sein. Damit erhöhte sich die Zahl der bisher anerkannten Opfer auf 180. Es wurden jedoch keine Maßnahmen ergriffen, um mögliche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu untersuchen oder die Familien der Opfer zu entschädigen. Außerdem weigerte sich die Koalition weiterhin, die näheren Umstände der tödlichen Angriffe offenzulegen.

Flüchtlinge und Binnenvertriebene

Seit Beginn des bewaffneten Konflikts 2011 bis zum Jahresende 2019 wurden insgesamt 6,6 Mio. Menschen innerhalb Syriens vertrieben, mehr als 5 Mio. Menschen waren ins Ausland geflohen. Die Nachbarstaaten Libanon, Jordanien und Türkei, die einen Großteil der Flüchtlinge beherbergten, beschränkten 2019 weiterhin die Aufnahme neuer Flüchtlinge und setzen sie dadurch weiteren Angriffen, Menschenrechtsverletzungen und Entbehrungen in Syrien aus. Wie das Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) mitteilte, boten europäische und andere Staaten bei weitem nicht genug Aufnahmeplätze im Rahmen von Resettlement-Programmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge oder andere sichere und legale Einreisemöglichkeiten an, um den vom UNHCR festgestellten Bedarf zu decken. 

Laut UNHCR bzw. UNOCHA kehrten zwischen Januar und Oktober 2019 insgesamt 82.554 Flüchtlinge nach Syrien zurück; auch 412.662 Binnenvertriebene suchten wieder ihre Herkunftsorte auf. Die katastrophalen Lebensbedingungen in den Nachbarstaaten, die durch mangelnde humanitäre Hilfe, Arbeitslosigkeit sowie bürokratische und finanzielle Hürden bei der Beantragung oder Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen noch verstärkt wurden, veranlassten einige Flüchtlinge, trotz einer ungewissen Zukunft nach Syrien zurückzukehren. 

Nach Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (Syrian Network for Human Rights) nahmen Regierungskräfte von 2014 bis 2019 mindestens 1916 Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr nach Syrien fest. Ende 2019 galten 638 von ihnen als "verschwunden". 

UNOCHA teilte mit, dass aufgrund der Militäroffensiven im Laufe des Jahres 2019 im Nordwesten Syriens rund 400.000 Menschen und im Nordosten etwa 174.600 innerhalb des Landes vertrieben wurden. Zehntausende Binnenvertriebene lebten nach wie vor in provisorischen Notunterkünften, Schulen und Moscheen, die keinen angemessenen Lebensstandard boten. Sie hatten dort nur begrenzt Zugang zu Hilfsgütern, grundlegenden Versorgungsleistungen, Nahrungsmitteln, Gesundheitsfürsorge, Bildung und Arbeitsmöglichkeiten. Weitere 3.122 Menschen flohen vor den Kämpfen im Nordosten Syriens in die Region Kurdistan im Irak. 

Eine gemeinsame Offensive der US-geführten internationalen Koalition und der SDF gegen den IS in Deir ez-Zor führte dazu, dass zwischen Januar und März 2019 Zehntausende Menschen, darunter Frauen und Kinder mit ausländischer Staatsbürgerschaft, vertrieben wurden und in Lager und Notunterkünfte im Nordosten Syriens kamen. Die Binnenvertriebenen verteilten sich auf mindestens zehn Lager und große informelle Siedlungen. Im Oktober 2019 wurden zwei Lager nahe der türkischen Grenze aufgrund der Militäroffensive im Nordosten Syriens geschlossen und die dort untergebrachten Personen an andere Orte verlegt. Das Lager Al-Hol in der Provinz Deir ez-Zor beherbergte mit etwa 68.000 Personen die größte Zahl von Binnenvertriebenen, die überwiegende Mehrheit von ihnen waren Frauen und Kinder. Nach Angaben der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission der UN starben dort mindestens 390 Menschen an Lungenentzündung, Dehydrierung und Unterernährung. Einige wenige Regierungen in Europa, Afrika und Asien holten vertriebene Frauen und Kinder mit entsprechender Staatsbürgerschaft zurück in ihre Heimatländer.

Zwischen März und September 2019 verließen etwa 18.787 Binnenvertriebene das Lager Rukban und zogen in die Provinzen Homs, Hama, Latakia, Damaskus, Damaskus-Land und weitere Herkunftsregionen zurück. Rund 12.000 Menschen lebten jedoch weiterhin unter katastrophalen Bedingungen in Rukban. Sie hatten nur begrenzten Zugang zu Nahrungsmitteln und anderen grundlegenden Versorgungsleistungen sowie zu Gesundheitsfürsorge und Medikamenten. 
 

Todesstrafe

Die Todesstrafe blieb für eine große Zahl von Straftaten in Kraft. Die Behörden machten so gut wie keine Angaben zu Todesurteilen und keinerlei Angaben zu Hinrichtungen im Jahr 2019.

Verknüpfte Dokumente