Demokratische Republik Kongo 2019

Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2019

Hunderte gewaltlose politische Gefangene und andere Inhaftierte wurden freigelassen. Einige Menschenrechtsverteidiger_innen durften aus dem Exil in die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) zurückkehren. Gleichzeitig unterdrückten die Behörden nach wie vor die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Der bewaffnete Konflikt wütete weiter. Bei den Auseinandersetzungen starben mehr als 2.000 Zivilpersonen, mindestens 1 Mio. Menschen wurden durch die Gewalt vertrieben. Es wurden zwar einige Schritte unternommen, um diejenigen, die im Zusammenhang mit den bewaffneten Konflikten für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, vor Gericht zu bringen, doch unternahmen die Behörden nichts, um die hochrangigen Beamt_innen und Funktionäre zur Rechenschaft zu ziehen, die verdächtigt wurden, völkerrechtliche Verbrechen begangen zu haben. Straflosigkeit war nach wie vor weitverbreitet. Dem größten Teil der Bevölkerung wurden grundlegende Rechte wie z. B. das Recht auf Gesundheit vorenthalten. Mit der Einführung einer kostenlosen Primarschulbildung gab es hier jedoch gewisse Fortschritte zu verzeichnen.

Hintergrund

Im Dezember 2018 fanden die immer wieder verschobenen Präsidentschafts-, Parlaments- und Provinzwahlen statt. Aus Sicherheitsgründen und weil Bedenken in gesundheitlicher Hinsicht im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie bestanden, entzog die Wahlbehörde über 1 Mio. Menschen im Osten und Westen des Landes ihr Stimmrecht. Diese Entscheidung löste in den betroffenen Gemeinden Empörung aus und verschärfte die im Zusammenhang mit den Wahlen bestehenden Spannungen. Die Präsidentschaftswahl wurde in diesen Gebieten abgesagt und die Parlaments- und Provinzwahlen wurden verschoben.

Am 10. Januar 2019 gab die Unabhängige Nationale Wahlkommission die vorläufigen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl bekannt und rief Félix-Antoine Tshisekedi Tshilombo zum neuen Staatsoberhaupt aus. Am 15. Januar ließen an die Öffentlichkeit gelangte Daten der Server und Strichlisten der Wahlkommission darauf schließen, dass eigentlich Martin Fayulu Madidi, ein Kandidat der Opposition, die meisten Stimmen erhalten hatte. Dies veranlasste die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (South African Development Community) und die Afrikanische Union, ein Krisentreffen auf hochrangiger Ebene einzuberufen, in dessen Folge die Staats- und Regierungschef_innen in der Region zu dem Schluss kamen, dass ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der vorläufigen Wahlergebnisse bestanden. Sie riefen die Behörden der DR Kongo auf, die Bekanntgabe der Endergebnisse zu verschieben. Diese Bitte wurde jedoch abgelehnt. Am 20. Januar wies das Verfassungsgericht den Antrag von Martin Fayulu Madidi auf eine Neuauszählung der Stimmen ab und bestätigte Félix-Antoine Tshisekedi Tshilombo als Sieger der Wahl.

Die Gemeinsame Front für den Kongo (Front Commun pour le Congo – FCC), das Parteienbündnis von Ex-Präsident Kabila, errang die Mehrheit der Mandate bei den Parlaments- und Provinzwahlen und behielt die Kontrolle in der Nationalversammlung, im Senat sowie in den Parlamenten und Regierungen von 25 der 26 Provinzen. Die Regierung von Präsident Tshisekedi, die im September 2019 vereidigt wurde, war von der FCC dominiert, deren Mitglieder die Mehrheit hatten. Dies könnte den Handlungsspielraum des neuen Präsidenten bei wichtigen Reformvorhaben einschränken, so z. B. bei Reformen des Justizsystems. Vor dem Hintergrund von Streitigkeiten über die Machtverteilung hielten die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Anhänger_innen der FCC und der Koalition des Präsidenten Cap pour le Changement an.

Bewaffneter Konflikt

Im Zuge der Kämpfe in der Provinz Mai-Ndombe im Westen der DR Kongo sowie in den östlichen Provinzen Ituri, Nordkivu und Südkivu waren bis Anfang Dezember 2019 mehr als 1.500 Zivilpersonen getötet und Tausende verletzt worden. Mindestens 1. Mio. Menschen mussten wegen der Gewalt ihre Heimat verlassen. Nach wie vor begingen zahlreiche lokale und ausländische bewaffnete Gruppen sowie die kongolesischen Sicherheitskräfte gravierende Menschenrechtsverstöße, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

Durch die weitverbreiteten Menschenrechtsverstöße von bewaffneten Gruppen trat deutlich zutage, dass weder die Sicherheitskräfte, die selbst für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, noch die UN-Friedensmission für die Stabilisierung in der DR Kongo (MONUSCO) in der Lage waren, die Zivilbevölkerung wirksam zu schützen und den Frieden wiederherzustellen.

Fehlende Rechenschaftspflicht

Die staatlichen Stellen unternahmen zwar einige Schritte, um diejenigen, die im Zusammenhang mit den bewaffneten Konflikten für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, vor Gericht zu bringen. Sie machten jedoch keine Anstalten, die hochrangigen Beamt_innen und Militärs zur Rechenschaft zu ziehen, die verdächtigt wurden, die Verbrechen begangen oder begünstigt zu haben, die von August 2016 bis Dezember 2017 allein in der Region Kasaï zu mehr als 3.000 Toten und 2 Mio. Binnenvertriebenen geführt hatten. Es war vielmehr so, dass einige Politiker_innen und hochrangige Beamt_innen, die unter dem Verdacht standen, gravierende Menschenrechtsverstöße begangen zu haben, ihre Ämter behielten oder privilegierte Posten in staatlichen Institutionen wie z. B. beim Militär oder bei der Polizei erhielten. Der Präsident sagte französischen Journalist_innen, die ihn im September 2019 zu seinem Standpunkt bezüglich vergangener Menschenrechtsverletzungen befragten, er habe keine Zeit, um die Vergangenheit aufzuwühlen.

Die strafrechtliche Verfolgung der Gewalt, die im Dezember 2018 zwischen den Gemeinschaften der Banunu und Batende in Yumbi (Provinz Mai-Ndombe) im Westen des Landes ausgebrochen war, blieb erfolglos. Damals waren mehr als 600 Zivilpersonen getötet worden. Bei den zwei Tage dauernden orchestrierten Ausschreitungen könnte es sich nach Einschätzung des Büros der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte um Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehandelt haben. 

Im Juni 2019 erließ die militärische Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Guidon Shimiray Mwisa, Anführer der Miliz Nduma Défense du Congo-Rénové (NDC-R). Ihm bzw. seiner Miliz wurden völkerrechtliche Verbrechen einschließlich Mord, Massenvergewaltigungen sowie die Rekrutierung von Kindern zur Last gelegt. Nach Angaben der UN-Expert_innengruppe für die DR Kongo verübte die NDC R in der Provinz Nordkivu weiterhin Menschenrechtsverstöße, und zwar im Verbund mit hochrangigen Angehörigen der kongolesischen Streitkräfte. Die Behörden trafen keine zielführenden Maßnahmen, um den Haftbefehl zu vollstrecken und Guidon Shimiray Mwisa vor Gericht zu stellen. 

Der Prozess gegen Ntabo Ntaberi Sheka, Anführer eines Flügels der Miliz Nduma Défense du Congo, geriet Mitte 2019 ins Stocken, da das Gericht das Verfahren ohne Angabe triftiger Gründe immer wieder vertagte. Ntabo Ntaberi Sheka musste sich wegen schwerwiegender Menschenrechtsverstöße in der Provinz Nordkivu verantworten. Seine Miliz soll für mehrere Verbrechen verantwortlich sein, so u. a. für die Vergewaltigung von mindestens 387 Frauen, Männern und Kindern im Jahr 2010. 

Das gesamte Jahr 2019 über appellierten lokale und internationale Menschenrechtsgruppen wiederholt an die Regierung, Gédéon Kyungu Mutamba für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen, für die er bereits im Jahr 2009 von einem Militärgericht in Lubumbashi im Südosten des Landes verurteilt worden war. Nachdem Gédéon Kyungu Mutamba 2011 aus dem Gefängnis ausgebrochen war und sich 2016 selbst gestellt hatte, lebte er auch 2019 nach wie vor unbehelligt in einer vom Staat finanzierten Villa in Lubumbashi.

Vor den Militärgerichten wurde eine Reihe von Verfahren verhandelt, in denen es um sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten ging. So wurde z. B. der Milizanführer Frédéric Masudi Alimasi (auch genannt Koko di Koko) im November 2019 in der Stadt Bukavu im Osten des Landes für Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, Folterungen und Vergewaltigungen zu lebenslanger Haft verurteilt. Außerdem wurde im November 2019 ein Soldat in der Provinz Bas-Uélé zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er zwei Kinder im Alter von drei und vier Jahren vergewaltigt hatte. 
 

Internationale Strafverfolgung

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) befand den Rebellenführer Bosco Ntaganda im Juli 2019 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er in den Jahren 2002–2003 in der östlichen Provinz Ituri begangen hatte, für schuldig. Im November setzte der Gerichtshof das Strafmaß für diese Verbrechen auf 30 Jahre fest.

Die kongolesische Armee gab im September 2019 bekannt, dass sie den militärischen Kommandeur der Demokratischen Kräfte für die Befreiung Ruandas (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda – FDLR), Sylvestre Mudacumura, erschossen habe. Sylvestre Mudacumura war seit 2012 vom IStGH per Haftbefehl wegen der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die FDLR im Osten der DR Kongo begangen hatte, gesucht worden.
 

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Im Januar 2019 blockierte die Regierung das gesamte Internet für 20 Tage und belegte mehrere Medienkanäle mit einem Erscheinungsverbot. Damit versuchte sie, die Veröffentlichung nichtoffizieller Wahlergebnisse zu verhindern und Proteste wegen des Vorwurfs des massiven Wahlbetrugs einzudämmen. 

Im März 2019 gaben die Behörden bekannt, dass auf Anordnung des Präsidenten mehr als 700 Personen aus den Gefängnissen entlassen worden und sämtliche illegalen Hafteinrichtungen des Geheimdienstes geschlossen worden seien. Unter den Haftentlassenen waren auch gewaltlose politische Gefangene und andere Gefangene, die willkürlich festgenommen und über lange Zeiträume hinweg inhaftiert worden waren. Die Behörden erlaubten mehreren exilierten politisch und zivilgesellschaftlich engagierten Bürger_innen sowie ausländischen Journalist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen, die einige Jahre im Land nicht willkommen gewesen waren, wieder in die DR Kongo einzureisen und ihren Aktivitäten nachzugehen. 

Allerdings verboten die Zivilbehörden und die Polizei weiterhin friedliche Versammlungen und Proteste und lösten sie gewaltsam auf, ohne sich für dieses Vorgehen strafrechtlich verantworten zu müssen. Die Behörden schrieben die vorherige Genehmigung von Demonstrationen vor, womit sie gegen die Verfassung verstießen. 

Im Jahr 2019 wurden mindestens 35 friedliche Demonstrationen von der Polizei mit exzessiver Gewalt aufgelöst. Dabei verletzen die Polizeikräfte mindestens 90 Personen und nahmen zahlreiche Demonstrierende willkürlich fest. Im Juni starb in Goma im Osten des Landes mindestens eine Person an den Folgen einer Schussverletzung, nachdem Sicherheitskräfte auf friedlich Demonstrierende geschossen hatten. Im Juli verbot der Gouverneur von Kinshasa eine Demonstration, die sich gegen die Nominierung eines ehemaligen Justizministers als Kandidat für den Senat richtete. Als sich die Demonstrierenden in Bewegung setzten, ging die Polizei mit exzessiver Gewalt gegen sie vor. Im August verhinderten Polizeikräfte gewaltsam eine Versammlung zugunsten der Union für Demokratie und sozialen Fortschritt. Mit der Versammlung sollte gegen Korruption in den Reihen der Regierung und für eine verantwortungsbewusste Staatsführung protestiert werden.

Recht auf Gesundheit

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) starben 2019 mindestens 1.680 Menschen an Ebola, 5.000 Menschen an den Masern, und 260 an Cholera. 310.000 Menschen waren mit Masern, 12.000 Menschen mit Cholera infiziert. Die hartnäckigen Bemühungen der Behörden und der internationalen Gemeinschaft, die notwendigen Maßnahmen gegen diese Zustände durchzuführen, wurden durch die schlechte finanzielle Ausstattung, Sicherheitsprobleme und logistische Herausforderungen, die anhaltenden bewaffneten Konflikte und ethnisch motivierte Gewalt konterkariert.
 

Recht auf Bildung

Im September 2019 führte die Regierung die kostenfreie Primarschule ein, ein Recht, das in der Verfassung verankert ist. Millionen Kinder hätten davon profitieren können. Schlechte Planung, eine mangelhafte Infrastruktur und die unzureichende finanzielle Ausstattung für Primarschulen standen jedoch einem Fortschritt im Wege. Angesichts deutlich steigender Schüler_innenzahlen warfen die Lehrer_innengewerkschaften der Regierung vor, ihre Politik ohne Rücksicht auf die Lehrkräfte umzusetzen. Streiks der Lehrkräfte führten dazu, dass bei Unterrichtsbeginn im September Hunderte Schulen wochenlang geschlossen waren.
 

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen waren weiterhin katastrophal. Mindestens 120 Häftlinge starben an den Folgen von Unterernährung und weil es für sie weder sauberes Wasser noch eine angemessene Gesundheitsfürsorge gab - davon allein 45 zwischen Januar und Oktober 2019 im Zentralgefängnis von Bukavu. Die Gefängnisse waren stark überbelegt und mit zu geringen Finanzmitteln ausgestattet. Zudem wurde kaum bzw. gar nicht versucht, die Zustände zu verbessern. Mehr als 300 Inhaftierte brachen aus Gefängnissen in den Provinzen Kongo-Central, Kasaï-Central, Ituri und Tshuapa aus.
 

Indigene Gemeinschaften

Die Parkverwaltung des Nationalparks von Kahuzi Biga war mit der indigenen Gemeinschaft der Twa im Dialog über eine Lösung für herrschende Streitigkeiten. Die Twa waren im Osten der DR Kongo im Zuge der Einrichtung des Nationalparks im Jahr 1975 ohne freiwillige, vorherige und in Kenntnis der Sachlage erteilte Zustimmung aus ihrer Heimat vertrieben worden. Die wiederholt gegebenen Versprechen, ihnen alternatives Land, Arbeitsplätze und die Teilhabe an öffentlichen Dienstleistungen zu gewähren sowie inhaftierte Angehörige der Twa freizulassen, wurden allerdings nicht gehalten. Viele Twa kehrten deshalb als Zeichen des Protests auf ihr Land im Nationalpark zurück. 

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