Dokument #2027731
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Autor)
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Lage von LGBT-Personen in Gebieten unter Kontrolle der Zentralregierung
Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom März 2020 (Berichtszeitraum 2019), dass einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen gesetzlich verboten seien. Sie seien als „körperliche Beziehungen wider die natürliche Ordnung“ definiert und seien mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren strafbar. In vorangegangenen Jahren habe die Polizei diese gesetzliche Bestimmung angewandt, um LGBT-Personen anzuklagen und strafrechtlich zu verfolgen. Im Jahr 2019 habe es keine Berichte über strafrechtliche Verfolgungen dieser Art gegeben, NGO-Berichte hätten jedoch aufgezeigt, dass die syrische Regierung seit 2011 dutzende LGBT-Personen basierend auf Vorwürfen des Missbrauchs gesellschaftlicher Werte, des Kaufs, Verkaufs und Konsums illegaler Drogen sowie des Organisierens und Anpreisens ‚obszöner‘ Feiern inhaftiert habe. Lokale Medien und NGOs hätten von Fällen berichtet, in denen Regierungstruppen oder mit der Regierung verbündete Truppen den Vorwurf der Homosexualität genutzt hätten, um Zivilisten festzunehmen, zu inhaftieren, foltern und töten. Es sei schwierig gewesen, die Häufigkeit derartiger Vorfälle zu bestimmen, da die Polizei nur selten den Grund für ihre Verhaftungen angegeben habe. Obwohl es keine bekannten lokalen NGOs gegeben habe, die sich auf LGBT-Themen spezialisiert hätten, gebe es mehrere Netzwerke online, auch eine LGBT-orientierte Zeitschrift. Mehrere Menschenrechtsaktivisten hätten berichtet, dass es in allen Teilen der Gesellschaft eine offene Diskriminierung auf Basis von sexueller Orientierung und Genderidentität gegeben habe:
„The law criminalizes consensual same-sex sexual conduct, defined as ‘carnal relations against the order of nature’ and punishable by imprisonment up to three years. In previous years police used this charge to prosecute LGBTI individuals. There were no reports of prosecutions under the law during the year, but NGO reports indicated the regime arrested dozens of LGBTI persons since 2011 on charges such as abusing social values; selling, buying, or consuming illegal drugs; and organizing and promoting ‘obscene’ parties. Local media and NGOs reported instances in which regime and proregime forces used accusations of homosexuality as a pretext to detain, arrest, torture, and kill civilians. The frequency of such instances was difficult to determine, since police rarely reported their rationale for arrests.
Although there were no known domestic NGOs focused on LGBTI matters, there were several online networking communities, including an online LGBTI-oriented magazine. Human rights activists reported there was overt societal discrimination based on sexual orientation and gender identity in all aspects of society.” (USDOS, 11. März 2020, Section 6)
Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, veröffentlicht im März 2020 einen Bericht zur Lage bestimmter Personengruppen in Syrien, darunter auch LGBT-Personen. Artikel 520 des syrischen Strafgesetzes von 1949 sehe eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren für Geschlechtsverkehr wider die natürliche Ordnung vor. Artikel 517 des Strafgesetzes sehe eine Haftstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren für Verstöße gegen die gesellschaftliche Sittlichkeit vor. Laut ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association), einem weltweiten Dachverband von LGBTI-Interessensgruppen, gehe es hierbei um Verstöße in der Öffentlichkeit oder im Freien, wo eine andere Person absichtlich oder unabsichtlich die Tat sehen könne:
„13.1 Legal framework
The Syrian legislation makes same-sex activities punishable by law as stipulated in the Penal Code of 1949 in Book Two under ‘morality and public morals’. Article 520 states: ‘any sexual intercourse against the order of nature can be punished with up to three years of imprisonment’ [informal translation]
Article 517 of the Penal Code states: 'Violation' of public decency in one of the means mentioned in Article 208 is punishable with imprisonment from three months to three years’ [informal translation]. Article 208 of the Syrian Penal Code provides a definition for ‘public indecencies’ as follows [informal translation]: ‘Considered as means for publicity:
1. Actions and movements if they took place in a public space (sphere), or a space accessible for the public or visible, or if observed by outsiders/third parties due to the fault of the person carrying them [actions and movements] out.
2. Speech or shouting whether uttered openly or transmitted by mechanical means whereby they [the speech or shouting] are heard by third parties.
3. Writings, paintings, pictures (whether manual or solar [taken by camera], videos, signs, and all kinds of photography if displayed in public or in a space that is accessible for public or visible, or if sold or presented for sale, or if distributed to one person or more’.
The International Lesbian and Gay Association (ILGA) interprets this text as ‘any act carried out in a public or open area where one could possibly see, intentionally or accidentally, the act’. The law makes no explicit reference to same-sex marriage.“ (EASO, März 2020, S. 98)
Was staatlichen Schutz angeht, so hält der EASO-Bericht fest, dass es keine Antidiskriminierungsgesetzgebung und daher auch keinen rechtlichen Schutz für LGBT-Personen in Syrien gebe. Der Bericht verweist auf eine undatierte Übersicht zu Syrien auf der Webseite GlobalGayz, einer von einem homosexuellen Aktivisten unterhaltene Seite, die Informationen zur Lage von LGBT-Personen in verschiedenen Ländern zur Verfügung stellt. Laut GlobalGayz seien Fälle von Verfolgung von LGBT-Personen vereinzelt bis nicht existent und das Gesetz sei de facto aufgehoben. Die syrischen Behörden könnten die sexuelle Orientierung einer Person jedoch ausnutzen, um sie zu erpressen, zu schikanieren oder zu misshandeln. Die Strafverfolgung zeige gegenüber der LGBT-Gemeinschaft keinerlei Toleranz. ILGA habe die Menschenrechtssituation von Homosexuellen in Syrien als gefährlich beschrieben. LGBT seien vor Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 und während des Konflikts von den Behörden ins Visier genommen worden. Es habe Fälle gegeben, bei denen LGBT-Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung an Checkpoints der Regierung Opfer von Schlägen, Vergewaltigung, Inhaftierung und Folter geworden seien. 2016 seien in einer Einreichung mehrerer NGOs an die Allgemeine Regelmäßige Überprüfung des UNO-Menschenrechtsrats die Verwehrung der Chancengleichheit bei Bildung und Arbeit sowie die gesellschaftliche Stigmatisierung als Probleme der LGBT-Gemeinschaft in Syrien genannt worden:
„Anti-discrimination laws have not been established and hence there is no legal protection of LGBTI people in Syria. Recent reliable information on the enforcement of laws regarding LGBTI persons is available but limited. According to GlobalGayz.com ‘instances of persecution are limited to non existent’ and ‘the law is de-facto suspended.’ Yet the same source mentions a leverage for mistreatment by Syrian authorities towards LGTBI persons: ‘[...] the Syrian authorities can use individuals’ sexual orientation to blackmail, harass and eventually abuse members of the LGBT community. Law enforcement officers have zero tolerance toward the LGBT community’. […]
ILGA described the human rights situation of homosexuals in Syria, stating that the country remained a dangerous place for same-sex orientated people. Targeting by authorities took place before the civil war began in 2011, and during the conflict that ensued. Cases of LGBTI persons who were subjected to rape, beating, detention and torture at government checkpoints due to their sexual orientation occurred during 2011 and 2016. Denial of equal opportunities to education and employment, as well as societal stigmatisation were also mentioned as problems for LGBTI in a 2016 submission to the 2016 Universal Periodic Review by the NGO-umbrella Alliance for Writing and Advocating Syrian UPR Report.” (EASO, März 2020, S. 98-99)
NBC News, die Nachrichtenabteilung des US-amerikanischen Fernsehsenders NBC, veröffentlicht im Oktober 2019 einen Artikel zu syrischen LGBT-Flüchtlingen und ihren Erfahrungen mit ihrer LGBT-Identität in ihrer Heimat. Der Vater eines Homosexuellen habe gesagt, dass er hoffe, sein Sohn werde in der Hölle brennen. Eine lesbische Frau habe erzählt, dass ihr Vater sie lieber tot sehe und ein junger Syrer habe seit seinem Coming Out keinerlei Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch hätten gegenüber NBC erwähnt, dass sie aufgrund der eingeschränkten Ressourcen vor Ort nicht in der Lage gewesen seien, sich mit dem Thema LGBT in Syrien auseinanderzusetzen. Laut Outright International, der US-amerikanischen nichtprofitorientierten Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte für LGBT-Personen, sei Syrien eines von 30 Ländern weltweit, in dem man keine registrierte oder nicht-registrierte LGBT-Organisation gefunden habe. Das heiße, dass es kein gemeinschaftliches Eintreten für Veränderung gebe und dass SyrerInnen der LGBT-Gemeinschaft keine Gruppen hätten, an die sie sich für Rat, Information und Unterstützung wenden könnten. Ein konservativer Imam in der Stadt Idlib im Nordwesten Syriens habe gesagt, dass es keine homosexuellen Muslime gebe und dass der Islam für Homosexualität die Todesstrafe vorsehe. Das religiöse und gesellschaftliche Stigma, mit dem Homosexualität in Syrien behaftet sei, führe dazu, dass Familien es als enorme Schande verstehen würden, wenn ihre Söhne oder Töchter sich nach der Flucht ins Ausland offen zu ihrer Homosexualität bekennen würden:
„A Syrian father of a gay man says he hopes his son will burn in hell. A woman says her once-loving father now wants her dead. And the day one young Syrian told his parents he was gay was the last time he spoke to anyone in his family. […]
Their numbers are not widely documented as even human rights organizations, such as Amnesty International and Human Rights Watch, have told NBC News they had been unable to do much work on LGBTQ issues in Syria due to limited resources on the ground. OutRight Action International, a U.S.-based nonprofit that works to defend human rights for LGBTQ people around the world, said they have found that Syria is one of 30 countries in the world where no LGBTQ organizations could be found, whether registered or unregistered — meaning there is no concerted advocacy for change. It said it also means LGBTQ Syrians don't have any groups to turn to for advice, knowledge, information or support, making their lives that much more challenging. […]
According to Abo Abdulrahman al-Ansari, a conservative imam and member of the Shariah council in the northwestern Syrian city of Idlib, homosexuality is strictly forbidden. ‘I can assure you that there are no homosexual Muslims,’ he said. ‘Its punishment according to Islam is death.’ The religious and societal stigma surrounding homosexuality in Syria means that for many families, having a son or daughter who comes out after escaping the country can bring enormous shame.” (NBC News, 6. Oktober 2019)
Weitere Artikel, in denen LGBT-Personen aus Syrien insbesondere über die Probleme und die mangelnde Akzeptanz in ihren eigenen Familien sprechen, finden sich unter folgenden Links:
· UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Overcoming hate: an activist’s journey from Syria to San Francisco, ohne Datum
https://www.unhcr.org/innovation/overcoming-hate-one-activists-journey-from-syria-to-san-francisco/
· Biber: "Ich foltere dich bis du tot bist", 8. April 2016
https://www.dasbiber.at/content/ich-foltere-dich-bis-du-tot-bist
Im Februar 2020 veröffentlicht die Schweizerische Flüchtlingshilfe eine ausführliche Anfragebeantwortung zur Lage von Homosexuellen in Syrien, die auch ältere Quellen miteinbezieht und unter anderem auf Verfolgung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure, gesellschaftliche Einstellung und mangelnden staatlichen Schutz eingeht. Der Fokus liegt dabei auf Gebieten unter Kontrolle der Zentralregierung in Damaskus. Die Anfragebeantwortung findet sich unter folgendem Link:
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Syrien: Situation von homosexuellen Personen, 18. Februar 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2026455/200218-syr-lgbtiq.pdf
Lage von LGBT-Personen in unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten, darunter insbesondere transidente Personen
Der in Doha ansässige arabische Nachrichtensender Al Jazeera berichtet im August 2017, dass eine Gruppe internationaler Kämpfer und Freiwilliger, die an der Seite der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Kurdish People's Protection Units, YPG) kämpfen würden, die Gründung einer Untergruppe von LGBT-Kämpfern bekannt gegeben habe. Die Gruppe nenne sich TQILA und habe vor, am Kampf gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) teilzunehmen. Der Artikel gibt dazu die Meinung einer syrisch-kurdischen Transfrau namens Ziya Gorani wieder, die vormals in der unter kurdischer Verwaltung stehenden Region Rojava gelebt habe. Sie sei über das Bild erbost, das die Partei der demokratischen Union PYD (die regierende Partei in der kurdischen Selbstverwaltung, Anm. ACCORD) versuche, von sich in der Welt zu präsentieren. Parteianhänger würden von sich selbst als „Anarchisten“ sprechen, die feministische Ansätze übernehmen würden. Und nun würden sie dafür gefeiert, auch LGBT-Personen zu inkludieren. Gleichzeitig würden sie jedoch nichts für den Schutz marginalisierter Gruppen tun. Allein die Tatsache, dass es keine anti-LGBT Gesetze in Rojava gebe heiße nicht, dass es LGBT-Rechte gebe. Es habe Fälle von Diskriminierung gegenüber LGBT-Personen gegeben und die PYD habe nichts dagegen unternommen, da sie das Thema nicht interessiere und nicht zu ihren Prioritäten zähle. Als LGBT-Person in Rojava habe man laut Gorani zwei Möglichkeiten: entweder man mache seine sexuelle Orientierung öffentlich und riskiere, getötet zu werden, oder man lebe sein ganzes Leben mit der Angst, dass die eigene sexuelle Orientierung von jemand anderem öffentlich gemacht werde. Sie selber sei wegen ihrer Ansichten angegriffen und beschuldigt worden, rivalisierende Gruppen zu unterstützen. Als queere Frau wisse sie, dass sie nicht nach Rojava zurückgehen könne und es dort keinen Schutz für sie gebe. Die Welt müsse damit aufhören, Rojava als Utopie zu sehen. Bei der TQILA handle es sich um internationale Kämpfer in den Reihen der Volksverteidigungseinheiten, die versuchen würden den Eindruck zu vermitteln, dass LGBT-Personen sich frei von Diskriminierung auf den Straßen von Rojava bewegen könnten. Dies sei jedoch eine Lüge und die Zustände in Rojava seien anders:
„On July 24 the International Revolutionary People's Guerrilla Forces (IRPGF), a group of international fighters and volunteers fighting alongside the Kurdish People's Protection Units (YPG), announced on their Twitter page the creation of a ‘subgroup comprised of LGBTQI comrades and others who seek to smash the gender binary’. The group, called TQILA, was to join the fight against the Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL) in Syria. […]
For example, a Syrian Kurdish queer transwoman, Ziya Gorani, who lived under the Rojava administration, has a different perception of Rojava than the international left and TQILA. She told me: ‘I am angry about the image PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] is trying to sell to the outside world. They say they're 'anarchists' adopting feminism and now they are being celebrated for their inclusion of LGBTQ individuals. But at the same time, they do nothing to provide protection to marginalised groups. Just because there are no laws against LGBTQ in Rojava, this doesn't mean there are rights. There have been cases of discrimination against LGTBQ people, and the PYD watched and did nothing about it, because they don't care - it is not one of their priorities. As a LGBTQ person in Rojava you are faced with two options: Either you choose to come out and [be] killed, or live your life afraid of being outed. I was attacked for these views and accused of supporting rival groups. As a queer woman, I know for a fact that I cannot go back to Rojava without being attacked, and I know there is no protection for me there. So I am most certainly not defending anyone in this war. As a Kurdish Syrian queer woman, I have the right to criticise the PYD without being accused of defending other sides. The world has to stop seeing Rojava as a utopia. We do not know who are the members of this subgroup [TQILA], we do not know if they're Kurds themselves, or Syrian. They're a bunch of international fighters with YPG, trying to sell an image that LGTBQ people can wander the streets of Rojava without being discriminated against - that's a lie. That's not how things are in Rojava.’" (Al Jazeera, 5. August 2017)
Die publizistische Webseite The Intercept, die sich auf investigativen Journalismus spezialisiert hat, berichtet im August 2017 ebenfalls über die Gründung von TQILA. AktivistInnen und Personen mit Erfahrungen in der Region seien jedoch der Meinung, dass die maskierten ausländischen Kämpfer von TQILA nicht der richtige Weg seien, um die Rechte von LGBT-Personen in der vom Krieg erfassten Region voranzubringen. Rojava, die politisch autonome Region im kurdischen Gebiet in Nordsyrien, habe aufgrund ihrer radikalen Experimente mit partizipativer Demokratie und ihrem Engagement für die Gleichheit der Frau politisch Linksgerichte aus der ganzen Welt angezogen. Laut LGBT-AktivistInnen sei der Weg jedoch noch lang. Zoza, eine 28-jährige Transfrau aus Rojava, die mittlerweile als Flüchtling in Kanada lebe, habe gesagt, dass Rojava nie ein einladender Ort für LGBT-Personen gewesen sei und auch in Zukunft nicht werde. Im Grunde sei LGBT in Rojava nicht kriminalisiert, jedoch laut Zoza gebe es auch kein Gesetz, das gegen LGBT-Personen gerichtete Schikanen kriminalisiere. Als sie in Syrien gelebt habe, sei sie auch vonseiten kurdischer Kämpfer Schikanen und Drohungen ausgesetzt gewesen. Sie habe ihre Identität nicht frei ausleben können ohne enormer Gefahr ausgesetzt gewesen zu sein. Viele Bekannte von Zoza aus der LGBT-Gemeinschaft hätten sich in Rojava frei bewegen können solange sie ihre sexuelle oder Genderidentität geheim gehalten hätten. Für Zoza sei es als weiblich aussehender Junge jedoch nie eine Option gewesen, ihre Identität geheim zu halten. Laut der Autorin und Aktivistin Rahila Gupta würden LGBT- und Minderheitenrechte als Teil der Frauenrechte und der kurdischen Befreiung angesehen, die wiederum zu den angeblichen Prioritäten von Rojava zählen würden. Jedoch würden sexuelle Beziehungen jeder Art kritisch gesehen, als Ablenkung von der Revolution betrachtet und seien mit Schikanen und Schande belegt:
„But while TQILA’s rainbow flags and catchy banners may have been clickbait for certain parts of left Twitter, other activists and people with experience on the ground argue that masked foreign fighters are not the way to advance the rights of LGBTQ people in the war-torn region. Rojava, a politically autonomous region in the Kurdish region of northern Syria, has attracted leftists from around the world thanks to its radical experiments in participatory democracy and commitment to women’s equality. But LGBTQ activists say there is a long way to go. 'I was pissed off when I saw these images, ' said Zoza, a 28-year-old Syrian-Kurdish transgender woman who grew up in Rojava. She was resettled as a refugee in Toronto last year. 'Rojava never was, and never will be, a welcoming place for queer people,' said Zoza, who goes by one name. Technically being LGBT isn’t criminalized in Rojava, giving it a reputation as one of the most tolerant regions of the Middle East. But, as Zoza put it, 'there’s no law against harassing LGBT people either.' During her time in Syria, she said she was harassed and threatened by both ISIS and Kurdish fighters alike. 'I wasn’t able to freely live as myself without facing enormous danger,' she said. Many of Zoza’s queer acquaintances in Rojava were able to move freely — so long as they remained closeted. But in her case, living at the time as an effeminate boy, keeping her identity hidden was never an option. […]
While many in the Western left idealize Rojava as an anti-patriarchy, anti-capitalist socialist utopia, some visitors find themselves questioning how deep this liberation goes. As author and activist Rahila Gupta observed, while there is extensive female participation in the government and military, the majority of housework is also left to women. Gupta also noted that LGBTQ and minority rights are often lumped in with women’s rights and Kurdish liberation as Rojava’s alleged priorities, but sexual relations of any kind are frowned upon as distractions from the revolution, and often met with shaming and harassment.“ (The Intercept, 10. August 2017)
Die in London ansässige Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher JournalistInnen und Beiträge von Think Tanks veröffentlicht, schreibt im Juli 2017, dass kurdische Amtsträger, die den Kampf gegen die Gruppe Islamischer Staat anführen würden, sich von der LGBT-Einheit bestehend aus ausländischen Kämpfern distanziert hätten. In einer Mitteilung des Anführers der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF, von denen ein Großteil kurdische Kämpfer der YPG sind, Anm. ACCORD) sei bekanntgegeben worden, dass die Einheit nicht offiziell Teil der SDF sei. Während man Menschenrechten, darunter den Rechten für Homosexuelle, den tiefsten Respekt entgegenbringe, sei es unwahr, dass sich so ein Bataillon innerhalb der SDF gebildet habe:
„Kurdish officials leading the fight against Islamic State in Syria's Raqqa have distanced themselves from a group of foreign fighters who have formed the first ever LGBT unit to fight IS. […]
In a statement Mustafa Bali, director of the SDF [Syrian Democratic Forces] media centre, told the Kurdish news site ARA that the unit was not officially part of its forces. ‘Social media sites today reported on the formation of a battalion of homosexuals within the Syrian Democratic Forces in Raqqa,’ Bali said in a statement. ‘We in the Syrian Democratic Forces (SDF), while emphasising our deep respect for human rights, including the rights of homosexuals, we deny the formation of such a battalion within the framework of our forces and we consider this news to be untrue,’ he said.” (MEE, 26. Juli 2017)
Corporate Watch, ein in London ansässiger linksgerichteter Verlag und journalistisches Outlet, veröffentlicht im Mai 2016 ein Buch zu gesellschaftlichen Bewegungen in den kurdischen Gebieten der Türkei und Syriens. Die Kapitel zu Rojava, dem unter kurdischer Selbstverwaltung stehenden Gebiet in Nordsyrien, basieren auf Interviews, die bei einem Besuch in der Region im Jahr 2015 mit Mitgliedern lokaler Kommunen und Frauengruppen geführt wurden. Man habe eine Frauengruppe auf LGBT-Rechte angesprochen. Sie hätten geantwortet, dass sie in Rojava keine LGBT-Personen angetroffen hätten. Für die AutorInnen sei es wahrscheinlicher, dass diese Aussage daher rühre, dass LGBT-Personen in Rojava nicht offen ihre Identität zeigen würden. Als man diese Frage an die Gruppe gestellt habe, habe sich ein Mann zu Wort gemeldet, der gesagt habe, dass die Menschen in Rojava Homosexualität nicht akzeptieren würden, da es nicht zu ihrer Kultur passe:
„LGBT movements in Rojava
We asked the Women's Body about the rights of LGBT (lesbian, gay, bisexual, transgender) people. They replied to us that they have met no LGBT people in Rojava. It seems more likely to us that this is because LGBT people are not happy to be open about their identities in Rojava. When we asked this question, a man in the room voiced his opinion that people in Rojava would not accept homosexuality as it was 'against their culture’.” (Corporate Watch, Mai 2016, S. 79)
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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 3. April 2020)
· Al Jazeera: Decolonising Syria's so-called 'queer liberation', 5. August 2017
https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/08/decolonising-syria-called-queer-liberation-170803110403979.html
· Biber: "Ich foltere dich bis du tot bist", 8. April 2016
https://www.dasbiber.at/content/ich-foltere-dich-bis-du-tot-bist
· Corporate Watch: Struggles for Autonomy in Kurdistan - Corporate Watch & Corporate Complicity in the repression of social movements in Rojava and Bakur, Mai 2016
https://corporatewatch.org/wp-content/uploads/2017/09/Struggles-for-autonomy-in-Kurdistan.pdf
· EASO – European Asylum Support Office: Syria; Targeting of individuals, März 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2026226/03_2020_Syria_Targeting_of_individuals.pdf
· MEE – Middle East Eye: LGBT unit not officially part of SDF, says Kurdish official, 26. Juli 2017
https://www.middleeasteye.net/news/lgbt-unit-not-officially-part-sdf-says-kurdish-official
· NBC News: LGBTQ Syrian refugees forced to choose between their families and identity, 6. Oktober 2019
https://www.nbcnews.com/news/world/lgbtq-syrian-refugees-forced-chose-between-their-families-identity-n1062446
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Syrien: Situation von homosexuellen Personen, 18. Februar 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2026455/200218-syr-lgbtiq.pdf
· The Intercept: Is the Queer Brigade Fighting ISIS in Syria a Force for Liberation or Alienation?, 10. August 2017
https://theintercept.com/2017/08/10/is-the-queer-brigade-fighting-isis-in-syria-a-force-for-liberation-or-alienation/
· UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Overcoming hate: an activist’s journey from Syria to San Francisco, ohne Datum
https://www.unhcr.org/innovation/overcoming-hate-one-activists-journey-from-syria-to-san-francisco/
· USDOS – US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, 11. März 2020
https://www.ecoi.net/de/dokument/2026345.html