Anfragebeantwortung zu Serbien: Zwangsheirat bei Angehörigen der albanischen Volksgruppe [a-11076-2]

6. September 2019

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes veröffentlicht im Juni 2016 einen Staatenbericht Serbiens über die Umsetzung des Übereinkommens über die Rechte von Kindern. Darin wird angemerkt, dass es in Serbien innerhalb der Gemeinschaften der Roma, Ägypter, Ashkali, Gorani und Albaner nach wie vor Früh- und Zwangsehen gebe:

„Juvenile and forced marriages still exist in Roma, Egyptian, Ashkali, Gorani and Albanian communities. The number of girls who entered into a child marriage and who are victims of sexual harassment is far bigger, particularly in multigenerational households which they most often marry into. Upon entering into marriage, girls and boys often leave school in order to enter the labour market and/or take on domestic responsibilities. The reasons for entering into marriage are most often political, economic and social.” (Office for Human and Minority Rights of Serbia, 21. Juni 2016, S. 41-42)

Es konnten im Zuge der Recherche keine weiteren Informationen zur Situation betreffend Zwangsheirat bei Angehörigen der albanischen Minderheit gefunden werden. Im Folgenden werden einige Informationen zur allgemeinen Situation betreffend Zwangsheirat und Frühehen in Serbien angeführt:

 

Ein von der serbischen Regierung verfasstes Dokument, das im Juli 2018 veröffentlicht wurde, enthält Bemerkungen der Regierung betreffend den Endbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, einem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Das Dokument enthält auch einen Überblick zu diesbezüglich relevanten gesetzlichen Bestimmungen, darunter auch Artikel 187a des serbischen Strafgesetzes, zuletzt novelliert im Jahr 2016. Laut dem Artikel wird jeder, der mit Gewalt oder durch Drohung eine Person zum Eingehen einer Ehe zwingt, mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis drei Jahren bestraft:

„Article 187а

(1) Whoever uses force or threat to coerce a person to conclude marriage, shall be punished with imprisonment of three months to three years. (2) Whoever, with the aim to commit the offence referred to in paragraph 1, takes the person abroad or incites the person to go abroad for the purposes of committing the offence, shall be punished with imprisonment of up to two years.” (Strafgesetz der Republik Serbien 2005 idF von 2016, Artikel 187a, zitiert nach Regierung der Republik Serbien, 3. Juli 2018, S. 73)

Bei einer Suche im serbischen Rechtsinformationssystem (Pravno Informacioni Sistem, http://www.pravno-informacioni-sistem.rs) wird als neueste Version des serbischen Strafgesetzbuches von 2005 die Fassung inklusive Novellierungen bis 21. Mai 2019 ausgegeben. Der darin enthaltene Artikel 187a entspricht der oben zitierten englischen Übersetzung. (Strafgesetzbuch 2005, inklusive Novellierungen bis 21. Mai 2019, Artikel 187a)

 

Der UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen (UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women, CEDAW) veröffentlicht im Jänner 2019 einen Bericht der Nichtregierungsorganisation Roma Women’s Network, aus dem hervorgeht, dass im Rahmen einer Novellierung des serbischen Strafgesetzes im Jahr 2016 neue Straftatbestände hinzugefügt worden seien, die vor der Novellierung nicht strafrechtlich relevant gewesen seien, darunter auch Zwangsheirat. (Roma Women’s Network, Jänner 2019, S. 26)

 

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Co-operation and Development, OECD), eine internationale Organisation mit 36 Mitgliedstaaten, die sich für demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen einsetzt, veröffentlicht im Dezember 2018 einen Bericht zu sozialen Institutionen und Genderthemen. Unter Verweis auf verschiedene Quellen hält der Bericht fest, dass das gesetzlich festgesetzte Mindestalter für Heirat bei 18 Jahren liege, dass jedoch ein Gericht in Ausnahmefällen eine Herabsetzung des Mindestalters auf 16 Jahre bewilligen könne, wenn dieses die minderjährige Person als ausreichend reif ansehe. Kinderehen seien gemäß Artikel 23 und 37 des Familiengesetzes als nichtig zu betrachten. Während die Rate an Kinder- und Zwangsehen in Serbien unter der Allgemeinbevölkerung relativ gering sei, seien Kinderehen in den ländlichen Gebieten des südlichen und östlichen Teils des Landes sowie unter den Roma-Gemeinschaften häufiger:

„The legal minimum age of marriage for women and men is 18. However, a court may grant an exemption from the age of 16, if it deems that the minor is mature enough to ‘enjoy the rights and fulfil the responsibilities of marriage’ (US Department of State, 2015; Family Law, Articles 11 and 23). It is a criminal offence for an adult to live in a common-law (unregistered) marriage with a minor (aged 14-18 years). However, prosecution can be avoided if the couple marry (Criminal Code, Article 190). The UNFPA [United Nations Population Fund] also reports that in cases of an adult cohabiting with a minor, where convictions are brought, courts most often issue a suspended sentence. In most cases, such relationships involve an older man living with an underage girl (UNFPA, 2014, p. 3). In 2015, 114 persons were reported for this crime; 60 of whom were convicted (Statistical Office of the Republic of Serbia, 2016, pp. 4 and 9).

Child marriage is void (Family Law, Articles 23 and 37) and while the rate of child and forced marriage among the general population is relatively low, child marriage is more common in rural areas of the southern and eastern parts of the country and among the Roma communities in Serbia. The United Nations Population Fund (UNFPA) reports that marriage within Roma communities is rarely officially registered and laws in regard to minimum marriage age are not adequately implemented (Family Law, Articles 23 and 37; CEDAW, 2013, p. 12).” (OECD, Dezember 2018, Abschnitt 1b)

Die Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings (GRETA) des Europarates veröffentlicht im Jänner 2018 einen Bericht zu Menschenhandel und der Umsetzung der entsprechenden Konvention des Europarates. Darin wird festgehalten, dass im Zeitraum 2013 bis 2016 in Serbien eine Gesamtzahl von 296 Opfern von Menschenhandel dokumentiert worden sei, darunter 72 Frauen und 94 Kinder. Unter den 72 Frauen sei es in fünf Fällen zu Zwangsverheiratungen gekommen. Unter den 94 betroffenen Kindern seien 78 Mädchen gewesen, bei 15 dieser Mädchen sei der Zweck des Menschenhandels Zwangsverheiratung gewesen:

„Serbia remains primarily a country of origin of victims of trafficking in human beings (THB) and is significantly affected by internal trafficking. In the period 2013-2016, a total of 296 victims of trafficking were identified in Serbia (76 in 2013, 125 in 2014, 40 in 2015 and 55 in 2016). The majority of them were men (130) who were subjected to trafficking for the purpose of labour exploitation (20 in 2013, 98 in 2014, 1 in 2105, 6 in 2015), exploitation of begging (2 in 2013) or forced criminality (2 in 2013, 1 in 2015). The number of women identified as victims of trafficking was 72, most of whom were trafficked for the purpose of sexual exploitation (17 in 2013, 8 in 2014, 13 in 2015, 22 in 2016), but there were also 5 cases of forced marriage, 1 case of labour exploitation, 1 case of forced begging and 5 cases of multiple exploitation. There were 94 children among the identified victims (including 78 girls), trafficked primarily for the purpose of sexual exploitation, followed by forced begging (12 girls and 10 boys), forced marriage (15 girls), labour exploitation (6 girls) and forced criminality (3 boys and 1 girl).” (CoE-GRETA, 29. Jänner 2018, S. 7)

Das statistische Büro der Republik Serbien veröffentlicht im Juli 2014 gemeinsam mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund, UNICEF) eine Umfrage (Multiple Indicator Cluster Survey, MICS) zur Lage der Frauen und Kinder in Roma-Siedlungen Serbiens. Darin finden sich verschiedene Kennzahlen zu Frühehen, nicht nur zur Bevölkerung in Roma-Siedlungen (in grün), sondern auch zur serbischen Gesamtbevölkerung (links davon). So seien unter den Frauen in Serbien im Alter von 15 und 49 Jahren 0,8 Prozent vor Vollendung des 15. Lebensjahres verheiratet gewesen:

 

[Bild entfernt]


(Statistical Office of the Republic of Serbia/UNICEF, Juli 2014, S. 22)

Der bereits erwähnte Bericht der Nichtregierungsorganisation Roma Women's Network vom Jänner 2019 behandelt hauptsächlich die Lage von Roma-Frauen, enthält aber einige allgemeine Informationen. So findet sich etwa die Information, dass neben den (oben angeführten) MICS und einigen Umfragen und Berichten von Frauenrechtsorganisationen der Roma-Minderheit für den Bericht keine weiteren verlässlichen Zahlen zur Prävalenz von Frühehen gefunden werden konnten (Roma Women’s Network, Jänner 2019). Darüber hinaus wird festgehalten, dass das Phänomen der Frühehen, der Ehen von Minderjährigen und relativ häufig auch jenes der arrangierten Ehen nicht nur für die Roma-Gemeinschaft typisch sei, auch wenn die häufigsten Fälle von Frühehen bei der Roma-Gemeinschaft beobachtet worden seien. Das Auftreten von Ehen von Minderjährigen sei auch in den Gebieten der Walachen im Nordosten Serbiens, sowie im Süden Serbiens zu finden. Das dort weit verbreitete Phänomen der Frühehen, das auf breiterer sozialer Ebene als inakzeptable soziale Praxis angesehen würde, sei in sozial marginalisierten Gemeinschaften wie jener der Roma weiterhin präsent. Der Bericht führt in weiterer Folge einige der Ursachen dafür an:

„Although the phenomenon of early marriages, marriages of minors, and quite often of arranged marriages is not typical only to the Roma community [Footnote 32: The occurrence of marriages of minors is also found in the Vlachs of northeastern Serbia, and again in the south of Serbia], the most common early marriages are in Roma community.” (Roma Women's Network, Jänner 2019, S. 45)

„[T]he widespread phenomenon of early marriages, which would be regarded as unacceptable social practice at wider social level, persist in socially marginalized communities such as Roma. The respect for the cult of virginity, the concept of family honor, gender roles in which women do not have ability to be educated and economically productive, altogether represent factors creating internal constraints acting within those communities, predefining early marriage as a desirable social practice. […]

The common denominator of all causes of marriages of minors is poverty and social exclusion. The interconnection of a number of causal factors makes this network quite difficult to break: patriarchal relations, uneven distribution of power, control of women's bodies and their sexuality, gender stereotypes and prejudices. The economic dependence of women in the already poor family reduces their influence in the family. Acceptance of traditional practices based on stereotypes about sexuality and the role of women in society contributes to the prevalence of marriages of minors. Causes and drivers of early marriages in the Republic of Serbia are similar to those around the world. Gender-based discrimination, structural inequality, poverty, lack of education, accepted cultural practices, inadequate institutional responses to marriages of minors and many other factors contribute to the emergence and maintenance of the practice of early marriages.” (Roma Women's Network, Jänner 2019, S. 46-49)

 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. September 2019)