Anfragebeantwortung zu Serbien: Lage von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind: Schutz, Frauenhäuser [a-11076-1]

6. September 2019

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Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), eine internationale Organisation mit 36 Mitgliedstaaten, die sich für Demokratie und marktwirtschaftliche Strukturen einsetzt, hält in einem Bericht vom Dezember 2018 unter Verweis auf verschiedene Quellen fest, dass häusliche Gewalt in Serbien nach Artikel 194 des Strafgesetzbuches eine Straftat sei. Auch mit dem Familienrecht sei 2005 ein System zum Schutz vor häuslicher Gewalt geschaffen worden. Während es kein nationales Gesetz zu Gewalt gegen Frauen gebe, sei im November 2016 ein neues „Gesetz zur Verhinderung häuslicher Gewalt“ in Kraft getreten, das die Wegweisung des Täters aus dem Haus und den Erlass einer einstweiligen Verfügung für 48 Stunden vorsehe, die vom Gericht verlängert werden könne. Es gebe auch Maßnahmen zur Unterstützung der Durchsetzung, Überwachung und Förderung solcher Rechtsvorschriften, insbesondere im Rahmen eines Projekts unter der Leitung der sogenannten Koordinierungsstelle für die Gleichstellung der Geschlechter und in Übereinstimmung mit dem Nationalen Aktionsplan für Geschlechtergleichstellung. Dieser umfasse die Ausarbeitung der Anfang 2016 von Serbien verabschiedeten nationalen Strategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Das Strafgesetzbuch definiere einen Täter häuslicher Gewalt als jemanden, der durch Gewaltanwendung, Androhung von Angriffen auf das Leben oder den Körper, anmaßendes oder rücksichtsloses Verhalten die Ruhe, körperliche Unversehrtheit oder den geistigen Zustand eines Familienmitglieds gefährde. Das Gesetz schütze auch unverheiratete LebenspartnerInnen und ehemalige EhepartnerInnen. Eine umfassendere Definition finde sich im Familienrecht, das sexuelle, körperliche, psychische und verbale Gewalt sowie Einschränkungen der Bewegungs- und Kommunikationsfreiheit als häusliche Gewalt einstufe. Häusliche Gewalt werde mit Geldstrafen und Freiheitsstrafen geahndet, Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren, sofern ein Familienmitglied dabei ums Leben gekommen ist. Laut dem Familiengesetz sei es Gerichten möglich, einstweilige Verfügungen zu erlassen, die dem Täter verbieten, sich dem Opfer oder dessen Arbeitsplatz zu nähern, und ihn anweisen, das Familienhaus zu verlassen. Ein Verstoß gegen eine einstweilige Verfügung könne zu einer Freiheitsstrafe führen. Es gebe einige Bestimmungen zu Mediation, aber die Umsetzung dieser sei nach wie vor unzureichend.

In Serbien sei häusliche Gewalt nach wie vor weitverbreitet, zum Teil begünstigt durch Armut, Traumata aufgrund vergangener Kriegsgräuel und einer Kultur, in der Brutalität gegen Frauen traditionell vertuscht werde. Nach wie vor gebe es von staatlicher Seite nur verzögerte Reaktionen auf die Situation und die Umsetzung der bestehenden Rechtsvorschriften erfolge nur mangelhaft, allerdings gebe es Anzeichen für eine zunehmende Bereitschaft der Frauen, Fälle häuslicher Gewalt zu melden:

„Domestic violence is a criminal offence in Serbia under Article 194 of the Criminal Code. A system of protection from domestic violence was also established under the Family Law in 2005 (IRB [Immigration and Refugee Board of Canada], 2015). While there is no national law on violence against women, in November 2016 a new ‘Law on the Prevention of Domestic Violence’ came into effect, which stipulates the removal of the perpetrator from the home and the issuing of a temporary restraining order, for 48 hours, which can be prolonged by the court (CEDAW [Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women], 2017, pgs.8-9). There are also activities underway to help enforce, monitor and promote such legislation, mainly through a project led by the Coordination Body for Gender Equality and in accordance with the National Action Plan for Gender Equality, which includes the drafting of the National Strategy for Combating Violence against Women, adopted in early 2016.

The Criminal Code defines a perpetrator of domestic violence as someone who ‘by use of violence, threat of attacks against life or body, insolent or ruthless behaviour endangers the tranquillity, physical integrity or mental condition of a member of his family’ (IRB, 2015; Criminal Code, Article 194). The law also protects unmarried partners and former spouses (Criminal Code, Articles 112(28) and 194). A more comprehensive definition is found in the Family Law, which includes sexual, physical, psychological, and verbal violence, as well as restrictions on freedom of movement and communication as domestic violence (UNDP [United Nations Development Programme], 2015). Penalties for domestic violence are a fine and prison sentences of up to 15 years if a death of a family member occurs (Criminal Code, Article 194). Under the Family Law, courts can issue restraining orders, banning the perpetrator from approaching the victim or her place of work, and ordering him to leave the family home (UNDP, 2015, p. 10; Official Gazette of the Republic of Serbia, 18/05, 72/2011, 6/2015). Violation of a restraining order can result in imprisonment (Criminal Code, Article 194). There are some provisions for mediation (i.e. The 2015 Law on Settlement and Mediation in Resolving Disputes), but implementation of the law remains poor (Petrović and Počuča, 2015).

Domestic Violence remains high in Serbia, fed in part by poverty, vestiges of the trauma of wartime atrocities, and a culture where brutality against women has been traditionally hushed up. Slow official responses and poor implementation of existing legislation persists, although there are indications of an increasing willingness of women to report incidences of domestic violence.” (OECD, Dezember 2018, Abschnitt 2b)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Menschenrechtslage vom März 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass die Gesetzeslage Frauen in Serbien zwar ermögliche, eine einstweilige Verfügung gegen Täter häuslicher Gewalt zu erwirken, dass der Staat die Gesetze jedoch nicht wirksam durchsetze.

USDOS hält weiters fest, dass das Gesetz zur Verhinderung von Familiengewalt die Schutzmaßnahmen für Opfer häuslicher Gewalt effektiver mache, indem es die Möglichkeit für eine temporäre Wegweisung des Täters aus dem Haus für mindestens 48 Stunden und höchstens 30 Tage eröffne. Dieses Gesetz schreibe vor, dass die Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Sozialfürsorgezentren eine elektronische Datenbank über einzelne Fälle familiärer Gewalt zu führen und Notfallmaßnahmen sowie weiterführende Maßnahmen zu ergreifen habe. Frauenrechtsgruppen würden die Umsetzung des Gesetzes kritisieren und diesbezüglich auf mangelnde Genauigkeit bei der statistischen Erfassung der Fälle sowie auf eine sehr geringe Zahl tatsächlicher Verhaftungen verweisen. Im Laufe des Jahres 2017 und in der ersten Jahreshälfte 2018 habe das Justizministerium Schulungen für Staatsanwälte, Polizeibeamte und Sozialfürsorgezentren zur Umsetzung des Gesetzes durchgeführt:

Domestic violence is punishable by up to 10 years imprisonment. While the law provides women the right to obtain a restraining order against abusers, the government did not enforce the law effectively. […]

The Law on the Prevention of Family Violence strengthens protective measures for domestic violence victims by temporarily removing the perpetrator from a home from a minimum of 48 hours to a maximum of 30 days. This law requires that police, prosecutors’ offices, courts, and social welfare centers maintain an electronic database on individual cases of family violence and undertake emergency and extended measures. Women’s groups were critical of the implementation of the law, citing lack of precision in statistical reporting as well as very few actual detentions. Throughout 2017 and the first half of the year, the Justice Ministry conducted training for prosecutors, police officers, and centers for social welfare on the implementation of the law.” (USDOS, 13. März 2019, Section 6)

UN Women, eine Organisation der Vereinten Nationen, die sich der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Position von Frauen verschrieben hat, schreibt in einem undatierten Eintrag zu Serbien auf ihrer Webseite Folgendes zum Thema häusliche Gewalt: Gewalt gegen Frauen sei in Serbien weit verbreitet, jede zweite Frau sei dort Opfer irgendeiner Form von Gewalt geworden. Mechanismen zur Verhinderung häuslicher und anderer Gewalt gegen Frauen, zum Schutz vor und zur Strafverfolgung solcher Gewalt sowie entsprechende Unterstützungsstrukturen seien nach wie vor schwach ausgeprägt, auch wenn in den letzten Jahren mit der Verabschiedung von allgemeinen und speziellen Protokollen und dem Gesetz zur Verhütung häuslicher Gewalt im Jahr 2017 Verbesserungen erzielt worden seien. Allein in den letzten 10 Jahren (genauer Zeitraum ist unklar, Anm. ACCORD) seien 330 Frauen in Serbien durch geschlechtsspezifische Gewalt getötet worden:

„A violation of fundamental human rights, violence against women in Serbia is common, with every second woman having suffered some form of violence. Prevention, protection, prosecution and referral mechanisms on domestic and other violence against women in Serbia remain weak despite improvements made in recent years with the adoption of general and specialized protocols and the Law on Prevention of Domestic Violence in 2017. In the past 10 years alone, 330 women in Serbia have been killed in gender-based violence.” (UN Women, ohne Datum)

Eine offizielle Quelle, die statistische Zahlen zu häuslicher Gewalt anbietet, konnte im Zuge der zeitlich begrenzten Recherche nicht gefunden werden, daher werden einige Quellen angeführt, die – zum größten Teil unter Verweis auf offizielle Stellen - Angaben zu diesem Thema bereitstellen.

 

Das USDOS schreibt im oben angeführten Bericht, dass nach Angaben des Innenministeriums im Zeitraum 1. Jänner bis 15. August 2018 25 Frauen an den Folgen von häuslicher Gewalt gestorben seien. Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt habe sich in den ersten vier Monaten des Jahres gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2017 verdoppelt. Im Mai 2018 sei eine Frau in der Stadtgemeinde Kosjerić vor den Augen ihrer drei minderjährigen Kinder getötet worden. Ihr Ehemann und mutmaßlicher Mörder sei verhaftet, wegen schweren Mordes angeklagt worden und befinde sich derzeit in Untersuchungshaft. Er sei bereits zuvor wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden:

„According to the Ministry of Interior, 25 women were killed in domestic violence through August 15. The number of victims of domestic violence for the first four months of the year doubled compared with the same period in 2017. In May Jelena Grbic was killed in the Kosjeric municipality in front of her three minor children. Her alleged killer and common law partner, Ivan Radovanovic, was arrested, indicted for aggravated murder, and is currently in pretrial confinement. The alleged killer had previously been convicted of domestic violence.” (USDOS, 13. März 2019, Section 6)

Freedom House ist eine Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in Washington, D.C., die sich mit der Untersuchung und Förderung von Demokratie, politischer Freiheit und Menschenrechten weltweit beschäftigt. In einem Bericht vom Februar 2019 hält die Organisation fest, dass in Serbien im Jahr 2017 zwar ein neues Gesetz wirksam geworden sei, das häusliche Gewalt verhindern solle, dass häusliche Gewalt jedoch nach wie vor ein Problem darstelle. Serbien, so der Bericht, habe europaweit eine der höchsten Raten betreffend häusliche Gewalt. (Freedom House, 4. Februar 2019, Abschnitt G3)

 

Unter Verweis auf Angaben des serbischen Innenministeriums hält UN Women auf einer mit 2016 datierten Webseite fest, dass im Jahr 2015 insgesamt 5.371 Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt nach Artikel 194 des serbischen Strafgesetzbuchs erstattet worden seien, während es in den ersten vier Monaten des Jahres 2016 zu insgesamt 1.722 solcher Strafanzeigen gekommen sei:

„According to the data of the Ministry of Interior, in 2015 a total of 5371 criminal charges were submitted for the crime of domestic violence under Article 194 of the Criminal Code, while in the first four months of 2016 a total of 1722 criminal charges were submitted for this offense.” (UN Women, 2016)

Die United States Agency for International Development (USAID), eine US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, schreibt in einem mit November 2016 datierten Eintrag auf ihrer Webseite, dass die Statistiken für die Opfer häuslicher Gewalt in Serbien „düster“ aussehen würden. Im Jahr 2015 seien 36 Frauen an den Folgen von häuslicher Gewalt gestorben. Seit Anfang 2016 seien 16 Frauen getötet worden und 3.530 hätten sich an die Hotline der Counseling Against Family Violence gewandt, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die Opfer häuslicher Gewalt unterstütze:

November 2016—Statistics are grim for the victims of domestic violence in Serbia. In 2015, 36 women died from domestic violence. Since the beginning of 2016, 16 women have been killed and 3,530 have contacted the helpline of the Counseling Against Family Violence, a civil society organization that provides support for victims.” (USAID, November 2016)

Die serbische Regierung veröffentlicht im März 2019 einen Bericht zur Übereinstimmung von nationalem Recht und Rechtspraxis mit der Europäischen Sozialcharta. Darin finden sich Informationen zur Verfügbarkeit von Notunterkünften für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Laut dem Bericht gebe es nach derzeit verfügbaren Daten in Serbien 14 Notunterkünfte („safe houses“) / Unterkünfte für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden seien. Davon würden zehn Häuser vom Zentrum für Sozialarbeit verwaltet, nämlich jene in Novi Sad, Zrenjanin, Jagodina, Sombor, Niš, Pančevo, Leskovac, Šabac, Priboj und Smederevo. Weiters gebe es zwei Unterkünfte für Opfer häuslicher Gewalt, die den Zentren für Entwicklung von Sozialschutzdiensten zugerechnet würden, nämlich jene in Kragujevac und Vranje. Eine Unterkunft für dringende Fälle mit einer Notrufnummer für Frauen, Kinder und Gewaltopfer befinde sich in Vlasotince und in Belgrad gebe es eine Beratungsstelle für häusliche Gewalt mit kostenloser Rufnummer. Die Mehrheit der Notrufnummern sei rund um die Uhr erreichbar.

Basierend auf den Aufzeichnungen zu den erteilten Lizenzen für die Erbringung von sozialen Schutzdienstleistungen unter der Leitung des Ministerium für Arbeit, Beschäftigung, Veteranen und Soziales gebe es fünf lizenzierte Anbieter von Unterkünften für Opfer häuslicher Gewalt: Zwei in Belgrad und jeweils eine in Pancevo, Kragujevac und Leskovac. Darüber hinaus gebe es einen Anbieter für eine Notrufnummer für Frauen, die Gewalt ausgesetzt seien, nämlich das landesweite SOS-Telefon mit der Nummer 0800-011-011-011, die rund um die Uhr erreichbar sei. Weitere Anbieter solcher Dienstleistungen würden sich im Prozess der Lizenzierung befinden:

„Based on currently available data, there are 14 safe houses/lodging houses for women in Serbia who experienced violence; 10 houses are managed by the centre for social work (Novi Sad, Zrenjanin, Jagodina, Sombor, Niš, Pančevo, Leskovac, Šabac, Priboj and Smederevo), 2 lodging houses for domestic violence victims within the centres for the development of social protection services (Kragujevac and Vranje), then lodging house for urgent cases and SOS telephone for women and children, violence victims (Vlasotince) and Counselling Office against domestic violence Belgrade with free of charge call to the number 0800-011-011. Majority of safe houses phones is available 24/7.

Based on the records on issued licenses for social protection services provision, led by the Ministry of Labour, Employment, Veteran and Social Affairs, there are 5 licensed lodging house service providers for the victims of domestic violence: in Belgrade – 2, Pancevo, Kragujevac and Leskovac as well as 1 service provider of SOS phone for the women who experienced violence – national SOS telephone 0800-011-011 (24/7). Other providers of these services are in the process of licensing.” (Regierung der Republik Serbien, 21. März 2019, S. 43)

 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. September 2019)