Anfragebeantwortung zum Iran: Umgang der Gesellschaft mit HIV-infizierten Personen; Diskriminierung in Beruf und Gesundheitswesen, Datenschutz zu HIV-Status durch Gesundheitsbehörden [a-11038-2]

26. Juli 2019

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Das US Department of State (USDOS) hält in seinem Bericht zur Menschenrechtslage vom März 2019 (Berichtszeitraum 2018) fest, dass es im Iran staatliche Programme zur Behandlung und Bereitstellung finanzieller und sonstiger Unterstützung von Menschen mit HIV/AIDS gebe. Allerdings gebe es vonseiten internationaler Nachrichtenquellen und Organisationen Berichte gebe, denen zufolge Personen, von denen bekannt sei, dass sie mit HIV/AIDS infiziert seien, einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Diskriminierung ausgesetzt seien. So sei beispielsweise Personen mit HIV/AIDS weiterhin die Beschäftigung als LehrerInnen verweigert worden:

„Despite government programs to treat and provide financial and other assistance to persons with HIV/AIDS, international news sources and organizations reported that individuals known to be infected with HIV/AIDS faced widespread societal discrimination. Individuals with HIV/AIDS, for example, continued to be denied employment as teachers.” (USDOS, 13. März 2019, Section 6)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) schreibt in ihrem Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2017/2018) vom Februar 2018, dass das Bildungsministerium im August 2017 diskriminierende Kriterien für den Ausschluss von KandidatInnen für Lehrtätigkeiten eingeführt habe. Dazu würden Krankheiten, Schielen, Muttermale im Gesicht, geringe Körpergröße und hohes Gewicht gehören. Nachdem es in Folge dessen zu öffentlicher Empörung gekommen sei, habe das Ministerium eine Überarbeitung der Bestimmungen versprochen, habe aber angegeben, dass Menschen mit HIV weiterhin von der Lehrtätigkeit ausgeschlossen werden würden, da es diesen Personen an der "moralischen Qualifikation" für diese Tätigkeit fehle:

„In August the Ministry of Education adopted discriminatory criteria for disqualifying candidates for teaching positions. This included illnesses, crossed eyes, facial moles, short height and heavy weight. Following public outrage, the Ministry promised revisions but said that people living with HIV would still be barred as they lacked ‘moral qualifications’.” (AI, 22. Februar 2018)

Das Gemeinsame Programm der Vereinten Nationen zu HIV/Aids (UNAIDS - Joint United Nations Programme on HIV/AIDS) ist eine Initiative der UNO-Mitgliedstaaten zur Koordination und Beschleunigung ihrer Aktivitäten bei der Bekämpfung von HIV/Aids. In ihrem Jahresbericht 2018 sind zum Iran keine statistischen Daten zu den Themenbereichen Stigmatisierung, Vertraulichkeitsverletzungen und dergleichen verfügbar (UNAIDS, 2018, S. 256-257). In dem Bericht wird festgehalten, dass in einigen Ländern der MENA-Region mutige Anstrengungen unternommen würden, um Diskriminierung und Ungleichheit zu bekämpfen. Als Beispiel werde unter anderem genannt, dass im Iran im Rahmen eines nationalen Programms sogenannte „Positive Clubs“ eingerichtet worden seien, die eine sichere Umgebung bieten sollten, in der HIV-positive Personen und andere von HIV betroffene Personen diskriminierungsfreie Gesundheits- und Präventionsdienste und psychosoziale Unterstützung erhalten sollten. Die Clubs würden sich in der Nähe von Test- und Behandlungseinrichtungen befinden und würden von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, darunter auch von Organisationen, die von Menschen mit HIV betrieben würden:

„Courageous efforts are underway in some countries to challenge discrimination and inequality. This includes the Leaders of the Future project in Egypt, which is tackling stigma and discrimination against women living with HIV. In the Islamic Republic of Iran, Positive Clubs have been established within the national programme as safe environments that provide discrimination-free health and prevention services and psychosocial support for people living with and affected by HIV. The clubs are located close to testing and treatment facilities and run by civil society organizations, including organizations of people living with HIV.” (UNAIDS, 2018, S. 243)

Ein von mehreren AutorInnen an der medizinischen Universität von Teheran verfasster und über das Electronic Physician Journal veröffentlichter Studienbericht zur Diskriminierung von Frauen mit HIV im Iran enthält folgende Informationen: Die 25 an der Studie partizipierenden Frauen hätten in Zusammenhang mit HIV verschiedenste Erfahrungen gemacht, darunter auch Erfahrungen in Zusammenhang mit Stigmatisierung. So seien die Teilnehmerinnen etwa mit Stigmatisierung konfrontiert gewesen, wann auch immer sie einen Zahnarztbesuch absolviert hätten, ein Phänomen, das auch bereits in älteren Studien beobachtet worden sei. Die Teilnehmerinnen hätten angegeben, dass ihnen die meiste Zeit ihres Lebens soziale Unterstützung zuteil geworden sei, und dass es hilfreich wäre, wenn sie auch jetzt im Umgang mit dieser Krankheit Unterstützung erhalten würden. Wenn Frauen sich dazu entscheiden würden, ihre HIV-Testergebnisse geheim zu halten, müssten sie jede Situation vermeiden, in der sie ihre Diagnose offenzulegen hätten. Nach Ansicht der Teilnehmerinnen sei die schwerwiegendste Auswirkung der Nicht-Offenlegung der Diagnose die Isolation. Sie würden glauben, dass diese Isolation notwendig sei. Sollten sie sich dazu entscheiden, ihre Testergebnisse anderen mitzuteilen, könne dies zu Ablehnung, Frustration und Kummer führen. Einige Teilnehmerinnen hätten angegeben, dass sie sich von Familie und Freunden fernhalten würden, um nicht auf Ablehnung zu stoßen. Die Diskriminierung verhindere ihren Erfolg und bereite ihnen Scham, dabei könnte die Offenlegung ein Weg sein, um Pflege und Unterstützung zu erhalten. Im Iran lebende Frauen mit HIV seien stark von Verlegenheit und Isolation betroffen und würden in der Regel keine medizinische Versorgung in einem der vorhandenen Programme aufsuchen:

„The 25 women who participated in our study had various experiences, not only related to stigma but also to situations where they lived. […] Participants in the present study encountered a great deal of stigma whenever they visited a dentist, which was in line with previous studies. Social support, which has been readily available most times in their lives, would now be useful in dealing with this disease. If women choose to keep their test results secret, they must avoid any situation where they may have to reveal their diagnosis. According to the women in this study, the most serious impact of non-disclosure is isolation. They believe this isolation is necessary if they choose to be less than honest with others. Their decision to reveal their test results to everyone may lead to rejection, frustration and pain. Some subjects revealed that they stayed away from family and friends in order not to be rejected. Discrimination deprived them of having success to others which made them feel ashamed and concealed their problem. Disclosure could be a way of gaining care and support. Updated programs and researches with profound religious values are supplemented by the Iran AIDS program; nevertheless, HIV positive women in Iran are greatly faced with embarrassment and isolation, and usually do not seek medical care in a scheduled program.” (Oskouie et al., Juli 2017, S. 4722-4723)

Ein von mehreren AutorInnen verfasster und im Jahr 2019 im Eastern Mediterranian Health Journal veröffentlichter Studienbericht, der allerdings bereits im August 2015 eingereicht worden war, enthält folgende Informationen zur Diskriminierung von Personen mit HIV im Iran:

Drei Jahrzehnte nach dem Auftreten von HIV/AIDS würden Personen mit HIV/AIDS immer noch sozial stigmatisiert und trotz der Schwerpunktlegung von UNAIDS auf Programme zur Verringerung der Stigmatisierung scheine in diesem Bereich kein Erfolg erzielt worden zu sein. Aufgrund der Zunahme von HIV/AIDS in ländlichen Gebieten sei es für die Behörden unerlässlich, Strategien zur Lösung der Probleme von HIV/AIDS-PatientInnen in Gesundheitszentren zu entwickeln. Fehlende Planung zur Bereitstellung angemessener medizinischer Leistungen in Ambulanzen und Krankenhäusern hätten dazu geführt, dass die Krankheit häufig nicht diagnostiziert werde, was Konsequenzen für die Gesellschaft habe. Nach den Ergebnissen dieser Studie würden sich die medizinischen Probleme dieser PatientInnen in drei Bereiche einteilen lassen: 1) Die Bereitstellung der Gesundheitsversorgung, 2) Die Kommunikation und Interaktion zwischen PatientInnen und medizinischem Personal und 3) fehlende oder unzureichende Informationen des medizinischen Personals zum Thema HIV und die Übertragung des Virus. Unter anderem werden vonseiten der AutorInnen folgende Maßnahmen empfohlen: Um die Interaktion und Kommunikation zwischen GesundheitsdienstleisterInnen und PatientInnen mit HIV zu verbessern, seien Maßnahmen zur Verringerung der Stigmatisierung erforderlich, wie beispielsweise spezielle Trainingsprogramme für GesundheitsdienstleisterInnen. Auch sei eine Schulung über die Bedeutung der Vertraulichkeit und Nichtveröffentlichung von Patienteninformationen erforderlich:

Three decades after the emergence of HIV/AIDS and people with HIV/AIDS still experience social stigma. Despite this and the emphasis of UNAIDS on programmes to reduce stigma, it seems that success has not been achieved in this area. Due to the increase in HIV/AIDS in the country, it is essential for authorities to develop strategies to resolve the problems that patients with HIV/AIDS face in health care centers. Lack of proper planning to provide appropriate health care services in outpatient departments and in hospital has led to the disease not being diagnosed, which has consequences for society. According to the results of our study, the medical problems of these patients can be divided into three areas: 1) providing health care, 2) communication and interaction between patients and medical staff, and 3) lack of or inadequate information of the medical staff about HIV and transmission of the virus. The authorities should determine the health services needed for patients with HIV in all therapeutic areas and should provide them with free health services packages. To improve interaction and communication between health care providers and patients with HIV, interventions are needed to reduce stigma, such as specialized training programmes for health care providers. […] Furthermore, training on the importance of confidentiality and non-disclosure of patient information is needed.” (Abedina et al., 2019)

Eine im September 2017 eingereichte und im März 2018 im Journal AIDS Research and Treatment veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit zum von HIV-infizierten Personen erlebten sozialen Stigma im Iran, verfasst von Nooshin Zarei und Hassan Joulaei, enthält zu diesem Thema folgende Informationen: Aufgrund der im Iran vorherrschenden Kultur sei die stigmatisierende Haltung gegenüber Personen mit HIV mit einer Schuldfrage und dem „Wissen um die Beteiligung der PatientInnen an einem unmoralisches Verhalten“ verflochten. Unter Verweis auf eine Studie von Alinaghi, et al., aus dem Jahr 2013 schreiben die AutorInnen weiters, dass daher die interne Stigmatisierung und die Diskriminierung im Iran im Vergleich zu anderen Ländern stärker präsent seien, was bei Menschen mit HIV vermehrt zu suizidalen Gedanken führen könne. Daher sei diese Studie entwickelt worden, um die Auswirkungen des empfundenen Stigmas, der Lebensqualität, von spirituellen Überzeugungen und einigen anderen damit verwandten Faktoren auf Suizidgedanken von Personen mit HIV zu untersuchen.

Nach den Ergebnissen der Studie, bei der 351 Personen mit HIV/AIDS teilgenommen hätten, hätten 15,4 Prozent in den sechs Monaten vor Durchführung der Studie Selbstmordgedanken gehabt, während dieser Prozentsatz in der Allgemeinbevölkerung zwischen 10 und 12,7 Prozent liegen würde:

„Due to the culture of the Iranians, stigmatized attitude is associated with more prominent role of guilt and knowing the patients involved in immoral behavior. Therefore, internal stigma and discrimination are higher in Iran in comparison with other countries which can lead to more suicidal ideation in HIV-positive individuals. Therefore, this study was designed to investigate the impact of perceived stigma, quality of life, spiritual beliefs, and some other related factors on suicidal ideations among HIV-positive patients.” (Zarei/Joulaei, 26. März 2018, Abschnitt 1)

„According to the results of the present study, 15.4% of PLHA [people living with HIV/AIDS] had suicide ideations over the six months prior to the study, whereas in the general population this rate is between 10 and 12.7%.” (Zarei/Joulaei, 26. März 2018, Abschnitt 4)

In einer von mehreren AutorInnen verfassten wissenschaftlichen Studie, veröffentlicht im Jahr 2015 im Eastern Mediterranian Health Journal, finden sich die folgenden Informationen zu HIV/AIDS im Iran: Obwohl Interventionen wie die antiretrovirale Therapie die Lebenserwartung der PatientInnen erhöht habe, hätten Personen mit HIV/AIDS nach wie vor viele soziale und psychologische Probleme sowie Schwierigkeiten beim Zugang zu Leistungen des Gesundheitssystems. Im Vergleich zu nicht infizierten Personen würden Personen mit HIV/AIDS unter Stigmatisierung, Angstzuständen, Depressionen, Arbeitsplatzverlust, schlechterem Zugang zu Gesundheitsdiensten und geringerer Lebensqualität leiden. Diese Studie habe die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Problemen gelenkt, denen Personen mit HIV/AIDS im Iran bezüglich der Gesundheitsversorgung ausgesetzt seien. In Bezug auf die Erbringung von Leistungen seien dies etwa die unvollständige Abdeckung von Leistungen, insbesondere spezialisierter Leistungen sowie die Unzufriedenheit der PatientInnen. In Bezug auf Zugangsprobleme wird in der Studie angeführt, dass PatientInnen nicht in der Lage seien Transport oder Dienstleistungen zu bezahlen. In Bezug auf Personalprobleme werden Burnout und, Vertraulichkeitsverletzungen genannt. Darüber hinaus gebe es Probleme aufgrund des geringen Bewusstseins in der Gesellschaft und der Angst der PatientInnen vor Stigmatisierung. Die PatientInnen seien darüber hinaus auch von finanziellen Schwierigkeiten und Schwierigkeiten im Bereich Beschäftigung sowie von Drogenkonsum betroffen:   

Although interventions such as antiretroviral therapy have increased patients’ lifespan, PLHIV still face many social and psychological problems and difficulties in accessing health services. Compared with uninfected individuals, PLHIV suffer from stigma, anxiety, depression, job loss, poorer access to health-care services and lower quality of life.”(Moradi et al., 2015, S. 21)

„[T]his study has drawn attention to a number of health-care problems for PLHIV in the Islamic Republic of Iran, in terms of service provision issues (incomplete coverage of services, especially specialized services, patient dissatisfaction); access problems (patients’ inability to pay for transport or for services); staffing problems (burnout, confidentiality violations); low community awareness; patients’ fear of stigma; patients’ financial/employment problems; and patients’ drug use.” (Moradi et al., 2015, S. 24)

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 26. Juli 2019)