Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Ethiopia

Die Regierung hob den Notstand im August 2017 auf. Im August kam es in der Region Oromia erneut zu Protesten gegen die Erhöhung der Einkommensteuer. Bei den Protesten wurde auch die Freilassung von Bekele Gerba, Merera Gudina und anderen politischen Gefangenen gefordert. Im Februar kamen 10000 Menschen frei, die willkürlich inhaftiert worden waren. Es gab jedoch nach wie vor Berichte über Folter und andere Misshandlungen, unfaire Gerichtsverfahren sowie Verletzungen der Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.

HINTERGRUND

Die Behörden setzten Reformen zur Behebung von Missständen, die sie nach Protesten in den Regionen Amhara und Oromia in den Jahren 2015 und 2016 versprochen hatten, nicht um. Die Demonstrierenden hatten gegen die seit 20 Jahren anhaltende rechtswidrige Vertreibung von Bauern in der Region Oromia von ihren Ländereien, die willkürliche Festnahme und Inhaftierung führender Oppositionspolitiker sowie gegen die gravierende Einschränkung der Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit protestiert. Stattdessen hatte die Regierung im Oktober 2016 den Notstand ausgerufen, nachdem in den Regionen Oromia und Amhara aufgebrachte Menschen Bauernhöfe und Geschäfte angezündet hatten. Auslöser hierfür war eine Massenpanik während der Feierlichkeiten anlässlich des Irreechaa-Festes (Erntedankfest der Oromo), bei der mindestens 55 Menschen getötet wurden. Bis Ende 2017 hatten die äthiopischen Behörden noch keine unabhängige und glaubwürdige Untersuchung zu den Umständen und dem genauen Ausmaß der Todesfälle veranlasst.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Nach wie vor gab es Berichte, denen zufolge Menschen, die man terroristischer Aktivitäten beschuldigte, gefoltert und auf andere Weise misshandelt wurden. Inhaftierte gaben vor Gericht immer wieder an, dass sie bei Verhören von Polizeikräften gefoltert und misshandelt worden waren. In einigen Fällen wiesen Richter die Äthiopische Menschenrechtskommission (Ethiopian Human Rights Commission EHRC) zwar an, den Vorwürfen nachzugehen, doch entsprachen die Untersuchungen der Kommission nicht den internationalen Menschenrechtsstandards. Angaw Tegeny, Agbaw Seteny und 35 weitere Personen wurden im Zusammenhang mit einen Brand im Qilinto-Gefängnis, das am Stadtrand der Hauptstadt Addis Abeba liegt, nach den Bestimmungen des Antiterrorgesetzes von 2009 vor Gericht gestellt. Die beiden Männer berichteten, dass Polizeikräfte eine mit Wasser gefüllte Flasche an ihre Hoden gehängt und sie auf die Fußsohlen geschlagen hätten. In dem Bericht, den die EHRC dem zuständigen Bundesgericht vorlegte, wurden die Foltervorwürfe jedoch nicht erwähnt.

WILLKÜRLICHE FESTNAHMEN UND INHAFTIERUNGEN

Unter Berufung auf die Notstandsgesetze, die bis August 2017 in Kraft waren, wurden Menschen weiterhin willkürlich inhaftiert. Die Regierung ordnete am 2. Februar 2017 die Freilassung von 10000 der 26000 Menschen an, die 2016 auf Grundlage der Notstandsgesetze willkürlich festgenommen und inhaftiert worden waren.

Hunderte Menschen wurden unter den Bestimmungen des Antiterrorgesetzes in Haft genommen. Das Gesetz enthält sehr weit gefasste und allgemein gehaltene Definitionen terroristischer Handlungen, die mit Freiheitsstrafen von bis zu 20 Jahren geahndet werden können. Die Festgenommenen wurden länger als die nach äthiopischem Recht erlaubten vier Monate in Untersuchungshaft gehalten. So befanden sich sieben Künstler aus der Region Oromia länger als sechs Monate in Haft, bis die Staatsanwaltschaft am 29. Juni 2017 schließlich Anklage gegen sie erhob.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Hunderten politisch engagierten Personen, Andersdenkenden und friedlich Protestierenden drohten unfaire Gerichtsverfahren aufgrund von Anklagen unter dem Antiterrorgesetz. Lange Untersuchungshaft, unzulässige Verfahrensverzögerungen sowie immer wieder vorgebrachte Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen waren bei den Prozessen die Regel.

Wegen ihrer Rolle bei der Organisation der Proteste in der Region Oromia im November 2015 wurden prominente Oppositionsführer wie Merera Gudina, Vorsitzender der Oppositionspartei Oromo Federalist Congress (OFC), und der stellvertretende Vorsitzende des OFC, Bekele Gerba, auf der Grundlage des Antiterrorgesetzes vor Gericht gestellt. Der Prozess gegen Bekele Gerba wurde mehrmals vertagt. Das Gericht ließ schließlich die Terrorismusvorwürfe gegen ihn fallen, entschied aber, dass er sich wegen der Anklagepunkte Provokation und Vorbereitung von Ausschreitungen mit verfassungsfeindlichen Zielen bzw. des Umsturzes der verfassungsmäßigen Ordnung nach dem Strafgesetzbuch zu verantworten habe.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG

Der Federal High Court verurteilte Journalisten, Blogger und andere Aktivisten wegen Terrorismus zu Haftstrafen. Yonatan Tesfaye wurde zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in seinen Facebook-Posts zum Terrorismus aufgerufen haben soll. Gegen Getachew Shiferaw wurde eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten verhängt, weil er an im Ausland lebende führende Mitglieder einer verbotenen Oppositionspartei E-Mails geschickt haben soll. Das Gericht befand ihn u. a. für schuldig, sich wohlwollend über eine Person geäußert zu haben, die im Jahr 2012 den verstorbenen Ministerpräsidenten Meles Zenawi öffentlich kritisiert hatte.

WIRTSCHAFTLICHE, SOZIALE UND KULTURELLE RECHTE

Am 11. März 2017 kamen auf der Koshe-Müllhalde 115 Menschen durch ins Rutschen geratenen Abfall ums Leben; ein Teil des Müllbergs hatte sich losgelöst. Die am Stadtrand von Addis Abeba gelegene Koshe-Müllhalde ist die größte Mülldeponie Äthiopiens und liegt in einem Gebiet, in dem Hunderte Menschen leben. Die meisten Opfer lebten direkt neben der Deponie und verdienten ihren Lebensunterhalt durch Müllrecycling. Den Behörden war bekannt, dass die Deponie keine Lagerkapazitäten mehr hatte und dass die Bewohner dort leben und arbeiten mussten, weil die Regierung das Recht dieser Menschen auf angemessenen Wohnraum und eine menschenwürdige Beschäftigung missachtete. Für die Umsiedlung der Betroffenen wurden mehr als 80 Mio. Birr (etwa 2,6 Mio. Euro) gespendet. Obwohl die Stadt das Geld verwaltete, hatten die Behörden bis Jahresende für die Betroffenen und ihre Familien noch keine Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet.

AUßERGERICHTLICHE HINRICHTUNGEN

Die Liyu-Polizei, eine Sondereinheit in der Region Somali im Osten Äthiopiens und lokal agierende äthiopische Miliz, richtete Hunderte Oromo, die in der Region Somali lebten, außergerichtlich hin. Unter den Getöteten waren auch sechs Monate alte Babys. Die Liyu-Polizei vertrieb außerdem seit September 2017 mindestens 50000 in der Region Somali lebende Oromo. Sie griff die angrenzenden Bezirke der Region Oromia an und vertrieb in den Monaten Februar, März, August, September und Oktober Tausende Einwohner.

ENTFÜHRUNGEN VON KINDERN

Die Behörden trafen keine Maßnahmen, um Menschen in der Region Gambella wirksam vor wiederholten Überfällen durch bewaffnete Angehörige der ethnischen Gruppe der Murle aus dem angrenzenden Südsudan zu schützen. Bewaffnete Murle überquerten am 12. März 2017 die Grenze nach Äthiopien und verschleppten 22 Kinder der Gemeinschaft der Anywaa. Soweit bekannt, haben die Behörden nichts unternommen, um die entführten Kinder zu ihren Familien zurückzubringen.

STRAFLOSIGKEIT

Nach wie vor genossen Polizei und Streitkräfte Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen, die sie in den Jahren 2015 und 2016 begangen hatten. Die Regierung wies auch 2017 Forderungen nach unabhängigen und unparteiischen Untersuchungen der Menschenrechtsverletzungen, die in mehreren Regionen im Zusammenhang mit Protesten begangen worden waren, zurück. In den wenigen Fällen, in denen die EHRC Untersuchungen durchführte und zu der Ansicht gelangte, dass Menschenrechtsverletzungen begangen worden waren, leitete die Regierung weder Ermittlungen ein, noch zog sie die mutmaßlichen Täter zur Rechenschaft.

Verknüpfte Dokumente