Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zur Volksgruppe der Sadat (Sayed, Sayyed, Sadaat, Sayyid, Sayid, Sayeed) [a-10374]

25. Oktober 2017

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Chris Johnson, die in den Jahren 1996 bis 2004 unter anderem als Mitarbeiterin in der im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO Oxfam und der Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) in Afghanistan tätig war, schreibt in einer aus dem Jahr 2000 stammenden Studie zum Hazarajat, dass dieses Gebiet die Provinz Bamiyan sowie Teile von benachbarten Provinzen umfasse. Das Hazarajat stelle das am stärksten mono-ethnische Gebiet Afghanistans dar. Das am stärksten ethnische gemischte Gebiet innerhalb des Hazarajat sei die Provinz Bamiyan, deren Bevölkerung sich zu 67 Prozent aus Hazara, 15 Prozent aus Tadschiken, 14 Prozent aus Sadat und zu knapp zwei Prozent aus Paschtunen sowie zwei Prozent aus Quizilabasch zusammensetze. Insgesamt habe es in den zwei Jahrzehnten vor Veröffentlichung der Studie eine Zunahme an ethnischen Spannungen gegeben, die sich nicht von der politischen Entwicklung loslösen lasse.

Innerhalb der ethnischen Gruppe der Hazara gebe es ein System von Untergruppen, das derart komplex sei, dass das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder dieser Gruppen als eigene Gruppe angesehen hätten, je nach Zeit und in Abhängigkeit von den in dem Gebiet aktiven politischen Bewegungen, unterschiedlich gewesen sei. Am ambivalentesten sei der Status der Sadat, welche die traditionelle religiöse Führung der Hazara bilden und rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung des Hazarajat ausmachen würden. Sie würden ihre Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführen und seien ursprünglich Araber gewesen. Während Ehen zwischen Hazara-Männern und Sadat-Frauen selten seien, komme es häufig zu Eheschließungen zwischen Sadat-Männern und Hazara-Frauen. Manchmal würden sich Sadat selbst als Hazara bezeichnen und auch von anderen als solche bezeichnet. In anderen Fällen würden sich die Sadat als eigene Gruppe bezeichnen. Es scheine, dass dieses Bewusstsein des Andersseins der Sadat durch die politischen Entwicklungen nach 1979, in deren Verlauf schiitische Parteien versucht hätten, Hazara von Sadat zu isolieren und Konflikte zwischen den beiden Gruppen zu schüren, zugenommen habe:

„The area known as Hazarajat comprises Bamiyan province and parts of adjacent provinces. The exact boundaries are open to debate, but for the purpose of this study are taken to be those of the old Shura area. This comprises the districts of Shebar, Bamiyan, Panjao, Waras, Yakawlang (Bamiyan province); Balkhab (Jowzjan); Dar-e-Souf (Samanghan); Lal o Sari Jangal (Ghor); Dai Kundi, Sharistan (Uruzgan); Malistan, Jaghori, Nawor (Ghazni); Behsud I and Behsud II (Wardak).” (Johnson, März 2000, S. 1)

Hazarajat is the most mono-ethnic area in Afghanistan. It is overwhelmingly Shia Imami Muslim, though there are some Ismaeli Shia and some Sunni Hazaras. Bamiyan is the most mixed area with 67% Hazara, 15% Tajik, 14% Sayyed, and just under 2% Pashtun and 2% Quizilabash. There are small numbers of other groups in some of the other districts, mostly traders.

In general there seems to have been an increase in tensions between ethnic groups over last 20 years which cannot be separated from politics. […]

But the issue isn’t simply one of divisions between major ‘ethnic’ groups, but also of division within. Beneath the broad designation Hazara, there are complex divisions and the extent to which members of these groups see themselves as separate has varied over time and is linked to the political movements in the area. Group membership derives from both traditional leadership patterns related to land and family and to religion, and these can overlap. Most ambiguous is the position of Sayyeds. The traditional religious leadership of the Hazaras and estimated to form between 4% and 5% of the population of Hazarajat, Sayyeds trace their lineage back to the prophet and originally were Arab. Although marriage of Hazara men to Sayyed women is rare, marriage of Sayyed men to Hazara women is common. Hence there are many Sayyeds with Hazara features, sometimes known as Hazara Sayyeds. Sometimes they describe themselves as Hazara, and are described so by others; at other times they describe themselves as a separate group.

This sense of separateness would appear to be on the increase. Prior to the revolution it seems that Hazara Sayyeds identified as Hazara and there was much less of a sense of Sayyeds as separate, but over the last 20 years this has changed. All those interviewed spoke of the problem as not being one created at community level, but as something brought about by politics and parties, with Shia parties seen as trying to isolate Hazara and Sayyed and trying to make conflict between them.” (Johnson, März 2000, S. 8-9)

Die Abteilung für Herkunftsländerinformation, die dem australischen Migration Review Tribunal (MRT) und dem Refugee Review Tribunal (RRT) Recherchedienste zur Verfügung stellt, schreibt in einem Hintergrundpapier vom März 2014, dass es sich bei den Sadat um Nachkommen des Propheten Mohammed handle, die sowohl schiitisch als auch sunnitisch sein könnten. Sie würden in muslimischen Gesellschaften sehr respektiert, insbesondere unter Schiiten, und hätten aus historischen Gründen unter Hazaras eine gehobene Position inne:

„Sayyeds (Sayids) are descendants of the Prophet Mohammad; there are both Shi’a and Sunni Sayyeds. They are greatly respected in Muslim societies, particularly Shi’a Muslim communities, and have also historically been held in an elevated position among Hazaras.” (MRT-RRT, März 2014, S. 7)

Bitte beachten Sie, dass die in dieser Anfragebeantwortung enthaltene Übersetzung aus dem Norwegischen unter Verwendung von technischen Übersetzungshilfen erstellt wurde. Es besteht daher ein erhöhtes Risiko, dass diese Arbeitsübersetzung Ungenauigkeiten enthält.

 

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt, schreibt in einer Anfragebeantwortung vom September 2015, dass es sich bei den Sadat angeblich um direkte Nachfahren von Mohammed handle, weshalb sie eine gehobenen religiöse Position und den Status als religiöse Elite innehätten. Quellen, die Landinfo konsultiert habe, seien übereingekommen, dass die Sadat in allen Gesellschaftsschichten großen Respekt genießen würden. Eine diplomatische Quelle habe im August 2015 angegeben, dass eine Andersbehandlung der Sadat, sollte es sie geben, im positiven Sinne sei, was auf die wichtige Rolle der Religion in Afghanistan zurückzuführen sei. Eine afghanische Menschenrechtsorganisation habe im Juli 2015 angegeben, dass alle die Sadat wegen ihres religiösen Hintergrunds und weil sie glauben würden, dass es sich um Familienmitglieder von Mohammed handle, respektieren würden. Laut Landinfo handle es sich bei den Sadat offenbar um eine Gruppe, die in der afghanischen Gesellschaft eine gute Position innehabe und nur selten mit Schikanen oder negativen Reaktionen konfrontiert sei. Laut der afghanischen Menschenrechtsorganisation gebe es auch keine Informationen darüber, dass die Sadat in Regionen, wo sie eine ethnische oder religiöse Minderheit darstellen würden, wegen ihres ethnischen Hintergrunds oder ihres Glaubens vulnerabel seien. Die diplomatische Quelle habe behauptet, dass die Sadat im Allgemeinen wirtschaftlich bessergestellt seien und dass im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung mehr Sadat Landeigentümer seien:

„Sadatenes/sayyedenes påståtte direkte nedstamming fra Mohammed gir en opphøyet religiøs posisjon, og status som religiøs elite. Kilder som Landinfo har konsultert er samstemte om at dette dreier seg om en gruppe som nyter stor respekt i alle lag av befolkningen. Diplomatkilden som har uttalt seg mener at i den grad sadat/sayyed forskjellsbehandles, vil det være i positiv retning. Bakgrunnen er den viktige rollen religion spiller i Afghanistan (epost, august 2015). Den lokale menneskerettighetsorganisasjonen beskriver det slik: ‘As people believe Sadat are the family of Mohammad and because of their religious background, everybody respects them’ (e-post, juli 2015). […]

Det synes med andre ord å dreie seg om en gruppe som har en god sosial posisjon i det afghanske samfunnet og som sjelden utsettes for trakassering eller negative reaksjoner. Selv i områder hvor de representerer en etnisk eller religiøs minoritet, foreligger det ikke informasjon om at sadater/sayyeder er utsatt på grunn av sin etnisitet eller tro (e-post, juli 2015). En av Landinfos kilder (august 2015) hevder at sadat/sayyed generelt også er bedre økonomisk stilt og at de, i større grad enn befolkningen for øvrig, er landeiere.(Landinfo, 4. September 2015, S. 2)

In der von ACCORD im Juni 2016 veröffentlichten Dokumentation zu einem Expertengespräch mit Thomas Ruttig und Michael Daxner vom 4. Mai 2016 wird Folgendes erwähnt:

„Es gibt ‚funktionale‘ (Berufs-)Gruppen religiöser Provenienz, die von Afghanen oft als separate Ethnien (und zwar arabische) betrachtet werden. Das betrifft v.a. die der Sayyeds, die als Nachkommen des Propheten Muhammad gelten, deshalb ‚Araber‘. (Sayyeds gibt es unter Sunniten und Schiiten.) Sie sind aber längst in die einzelnen afghanischen Ethnien assimiliert und sprechen auch nicht Arabisch. Es gibt darüber hinaus auch kleine Gruppen ‚ethnischer‘ Araber - aber auch diese habe ihre Sprache aufgegeben.“ (ACCORD, Juni 2016, S. 11)

In einer Publikation der BFA Staatendokumentation vom Juli 2016 zu Stammes- und Clanstruktur findet sich ein Beitrag von Lutz Rzehak, Afghanistan-Experte und Professor am Zentralasien-Seminar des Instituts für Afrika- und Asienwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, mit folgenden Informationen:

„Innerhalb der Gruppe der Hazara gibt es Personen, die für sich eine Abstammung vom Propheten in Anspruch nehmen und dementsprechend als Sayed gelten. Wegen ihres elitären Selbstverständnisses geben sie keine Töchter an Hazara ab, die selbst keine Sayed sind, können aber deren Töchter ehelichen.“ (BFA Staatendokumentation, Juli 2016, S. 18)

„Sayed ist ein Ehrentitel der Nachkommen des Propheten Muhammad. Sayed sind in der gesamten islamischen Welt zu finden, so auch in Afghanistan, wo sie inmitten der verschiedensten ethnischen Gruppen anzutreffen sind und als Erstsprache die jeweilige Sprache einer dieser Gruppe sprechen. So gibt es in Afghanistan Sayed, die Dari, Paschto, Usbekisch, Belutschi oder eine andere Sprache sprechen. Ihr Selbstverständnis beruht auf ihrer edlen Herkunft und deshalb fühlen sich Sayed keiner der Gruppen zugehörig, inmitten derer sie leben und deren Sprache sie sprechen. Nach der Annahme der Verfassung von 2004 setzte jedoch ein gewisser Umdenkungsprozess ein. Kleine Gruppen, die in Artikel 4 der Verfassung keine Erwähnung fanden, fürchten, nicht genügend politische Anerkennung zu finden. Aus diesem Grund haben sich Sayed mit den Arabern zusammengeschlossen und eine gemeinsame Organisation zum Schutz ihrer kulturellen und politischen Rechte mit dem Namen ‚Rat für die Harmonie der Araber von Afghanistan‘ gegründet. Auf diese Weise können Sayed unter dem Schutz einer in der Verfassungsnomenklatur geführten ethnischen Gruppe agieren.“ (BFA Staatendokumentation, Juli 2016, S. 23)

Das niederländische Außenministerium (Ministerie van Buitenlandse Zaken, BZ) schreibt in einem im November 2016 veröffentlichten Bericht, dass sich das Wort „Sadat“ in Afghanistan auf eine Abstammungslinie beziehe, bei dem man davon ausgehe, dass es sich um Nachfahren des Propheten Mohammed handle. Es gebe sowohl unter den Schiiten als auch unter den Sunniten Sadat. Die meisten Sadat seien Sunniten und würden in den nördlichen Provinzen Kundus und Balch sowie in der östlichen Provinz Nangarhar leben. Die schiitischen Sadat würden überwiegend in Bamyan in Zentralafghanistan leben. Soweit bekannt sei, seien die Sadat wegen ihrer Abstammung eine respektierte Minderheitengruppe und würden nicht diskriminiert:

„In Afghanistan, the word Sadaat refers to a lineage (and its members) that is believed to be descended from the prophet Mohammed. The Sadaat are a minority group in Afghanistan. Sadaat are found among both Sunni and Shiite Muslims. Most Sadaat are Sunni and live in the north in the provinces of Kunduz and Balkh and in the east in the province of Nangarhar. The Shiite Sadaat live mainly in central Afghanistan, in Bamyan Province. As far as is known, the Sadaat are seen as a respected minority group because of their descent, and they suffer no discrimination from being Sadaat.(BZ, 15. November 2016, S. 66)

Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network (AAN), schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom Oktober 2017 Folgendes:

„[…] klar ist jedenfalls, dass in Afghanistan zwischen den Hazara und den (hazara/schiitischen) Sayeds genau unterschieden wird. die Sayeds werden in manchen Statistiken sogar als gesonderte ethnische Gruppe geführt.

Im Grunde sind die Sayeds keine ethnische, sondern eine religiöse ‚Funktionsgruppe‘ (denn es handelt sich um die [wohl auch angenommenen] Nachfahren des Propheten Muhammad), die sich sozusagen ethnisch verselbständigt haben. Es gibt ja auch paschtunische, tadschikische u.a. Sayeds (die manchmal wiederum unter anderen Ethnonymen auftauchen).

Politisch gesehen waren Hazara und Sayed während des anti-sowjetischen Widerstands getrennt organisiert - Hauptgruppen: Hazara – Hezb-e Wahdat (die allerdings erst 1988 oder 1989 aus sieben verschiedenen Kleinparteien entstand - und inzwischen wieder in drei größere und mehrere kleinere Parteien zerfallen sind: Anführer: Khalili, Mohaqqeq, Akbari [inzwischen verstorben, wenn ich nicht irre]); Sayed - Harakat-e Islami (inzwischen auch mehrere Fraktionen). Die haben sich zeitweilig auch untereinander bekämpft, können also über Allianzen in unterschiedliche Lager geraten sein.

Die Akbari-Fraktion der Hezb-e Wahdat hat sich Ende der 1990er mit den Taleban verbündet. Alle anderen Gruppen waren eigentlich auf der Gegenseite. Das schließt aber Konflikte zwischen ihnen und mit anderen nicht aus.“ (Ruttig, 4. Oktober 2017)

Melissa Kerr Chiovenda, Afghanistan-Expertin mit Schwerpunkt Hazara und postdoctoral fellow im Fachbereich Global Health and Social Medicine an der Harvard Medical School, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 28. September 2017, dass Sadat, die als Nachfahren des Propheten betrachtet würden, im Kontext der Gebiete schiitischer Hazaras in Afghanistan als eigene, separate Gruppe gesehen würden. Dies sei ein Unterschied zu Sadat anderer ethnischer Gruppen. Zum Beispiel würden paschtunische Sadat als PaschtunInnen gesehen. Viele (aber nicht alle) Hazara-Sadat würden darauf bestehen, dass ihre Familien keine Hazara seien, sondern Araber, weil sie Nachfahren von Mohammed seien. Kerr Chiovenda führt diesen Unterschied darauf zurück, dass die Hazara traditionell die niedrigsten Stufen der Gesellschaft belegt hätten, sodass es für Hazara-Sadat vorteilhaft sei, zu betonen keine Hazara zu sein. Als Ergebnis würden viele Ehen innerhalb der Gruppe geschlossen. Ehen zwischen Cousin und Cousine seien in Afghanistan ohnehin üblich und würden als gut betrachtet. Sadat-Frauen könnten im Allgemeinen nicht außerhalb der Sadat-Gruppe heiraten (dies gelte für Hazara-Sadat – bei anderen wie PaschtunInnen oder TadschikInnen sei das anders). Sadat-Männer können dies manchmal, doch eine Hazara-Frau zu heiraten gelte als Ehe mit jemand, der gesellschaftlich niedriger stehe, selbst wenn es akzeptabel sei:

First, Sayeds, being considered descendants of the Prophet, are in the context of Shi’a Hazara areas of Afghanistan considered their own distinct group. This contrasts with Sayeds of other ethnic groups, for example Pashtuns, who are considered to be Pashtun. Many, though not all Hazara Sayeds, insist their families are not at all Hazara but are, being descended from Mohammad, Arabs. I believe there is this difference because Hazaras have traditionally occupied the lowest rungs of society, so Hazara Sayeds might get some benefit from not claiming to be Hazara, if that makes sense. So, as a result, many marriages are closed, within the group. Marriages between cousins are common and seen as good in Afghanistan any way. Sayed women generally can’t marry outside of the Sayed group (among the Hazara affiliated Sayeds, this would change for other ones like Pashtuns, Tajiks). Sayed men CAN sometimes, but marrying a Hazara would be considered marrying downwards socially, even if it acceptable.” (Kerr Chiovenda, 26. September 2017)

In einer E-Mail-Auskunft vom 4. Oktober 2017 schreibt Melissa Kerr Chiovenda, dass die Sadat und die Hazara, was ihre Identität angehe, ein sehr interessanter Fall in Afghanistan seien. Sadat seien per Definition Nachfahren von Mohammed, und überall in der Welt, wo es Muslime gebe, gebe es auch Sadat, die Schiiten oder Sunniten sein könnten. Sie hätten immer eine gewisse religiöse oder politische Autorität wegen ihrer Verbindung zu Mohammed, aber fast überall im restlichen Afghanistan seien sie mehr in die Gemeinschaften integriert als in Yakawlang. Die Sadat in paschtunischen Gebieten würden üblicherweise als Paschtunen angesehen. Sie hätten vielleicht ein paar Vorteile, weil sie Sadat seien, aber sie seien dennoch vollwertige Paschtunen. Unter den Hazara würden die Sadat als eigene Ethnie angesehen. Die Sadat würden sagen, sie seien wegen ihrer Abstammung von Mohammed Araber. Diese Unterscheidung werde wohl gemacht, weil die Hazara die untersten sozialen Stufen der Gesellschaft eingenommen hätten. Jeder, der einen Aspekt seiner Identität dazu nutzen könne, um dem zu entkommen, würde das vermutlich tun, und die Sadat in den Hazara-Gebieten dürften das auch getan haben.

Obwohl die Sadat auch irgendwie verehrt würden, gebe es Spannungen zwischen den beiden Gruppen. Die Hazara würden dazu neigen, die Sadat als Gruppe zu respektieren und ihnen politische Macht zuzugestehen, aber dann würden ihnen das viele Hazara übelnehmen. Es gebe ein Gefühl unter den Hazara, dass die Sadat in der politischen Klasse überproportional vertreten seien. Verschlimmert werde dies dadurch, dass die Sadat vom Staat als Hazara angesehen würden, die Hazara und Sadat sich selbst aber als unterschiedliche ethnische Gruppen ansehen würden. So würden die Hazara und Sadat nur als Hazara gezählt, was bei den Hazara zu der Wahrnehmung führe, unterrepräsentiert zu sein. Es habe auch Fälle gegeben, in denen Sadat beschuldigt worden seien, sich durch ihren politischen und religiösen Einfluss dem Gesetz zu entziehen.

Es gebe also viele Spannungen zwischen den beiden Gruppen, die sich um den Ärger der Hazara drehen würden, dass es den Sadat irgendwie gelungen sei, die eigene Gruppe als Elite zu präsentieren, sie aber gleichzeitig leugnen würden, Hazara zu sein. Daher könnten Sadat Diskriminierung ausgesetzt sein, obwohl sie gleichzeitig ziemlich viel politische Macht hätten:

[…] Sayeds and Hazaras are a very interesting case of identity in Afghanistan. Sayed by definition s someone descended from Mohammad - anywhere in the world were there are Muslims, there are Sayeds, and they can be Sunni and Shi'a. They always have some religious and political authority due to their relation to Mohammad, but in most of the rest of Afghanistan, they are more integrated into the community. So, Sayeds in Pashtun areas are generally considered to be Pashtuns. They might have some benefit from being Sayed but are still fully Pashtun. Among Hazaras, Sayeds have come to be considered a different ethnicity (they, like Hazaras, are in these areas Shi'a). They will say they are Arabs, often, as they are descended from Mohammad. I think this difference exists because Hazaras occupied the absolute lowest rungs of society, so anyone who could leverage an aspect of their identity to escape this, as Sayeds in Hazaras areas seem to have done, surely would.

Plus, while Sayeds are in some ways revered, there are tensions between the two groups. Hazaras tend to give respect to Sayeds as a group and so will give them political power, but then many among them resent this. There is a feeling among some Hazaras that Sayeds are disproportionately represented among the political class, and it is made worse that they are considered by the state Hazaras, but by Hazaras and Sayeds a separate ethnic group from each other. So Hazaras and Sayeds are counted as only Hazara among representation numbers, and this leads Hazaras to feel they are under represented. There have also been cases where Sayeds are accused of escaping rule of law by their political and religious influence, the murder of the teenager Shakila by the then head of the provincial council, a very important Sayed from an extremely important political family, Beheshti is the most clear example. […]

So, there are a lot of tensions between the two groups, and it centers on Hazaras anger that Sayeds somehow managed to promote themselves as a group as an elite class, and then at the same time deny they are Hazara. As a result Sayeds CAN suffer discrimination, although they also do maintain a fair amount of political power.” (Kerr Chiovenda, 4. Oktober 2017)

Fariba Adelkhah, Forschungsassistentin am Institut für politische Studien in Paris, erwähnt in einem akademischen Artikel von 2017, dass es insbesondere zwischen den Hazara und den Sadat Misstrauen und Feindseligkeit gebe. Die Sadat würden oft beschuldigt, die Herrschaft der Taliban ausgenutzt zu haben oder während der Monarchie einen Kompromiss mit der herrschenden Klasse der Paschtunen erzielt zu haben. Der Krieg habe den Hazara in gewisser Weise die Möglichkeit gegeben, sich gesellschaftlich von der Dominanz der Sadat, Paschtunen und Tadschiken zu befreien:

Hazaras and Shi’ites do not constitute a homogeneous group. Beyond their different backgrounds and inequalities in terms of education, wealth, and gender, they have been divided politically since the 1978 coup. As we have said, some joined the Sazman-i Nasr of Mohammad Abdul Ali Mazari while others supported the Hizb-i harakat of Ayatollah Mohseni (Mohaghegh, 1984), thus leading to the break-up of the Hizb-e Wahdat a few years after its establishment. After the split, some made their peace with the Taliban or even joined them (Alden Wily, 2004, 23), while others supported the Hizb-i harakat, including many Sayyids, Qizilbash or Ismailis (Mo’aseseye farhangi Saghalain 1999, 190 ff.). These internal political differences which have led to military confrontation for three decades, to conflicts over land and real estate, and to commercial and financial quarrels, fuel distrust and animosity between Shi’ites, especially between Hazaras and Sayyids, the latter often accused of taking advantage of Taliban domination (or, under the monarchy, of having compromised with the Pashtun ruling class). In some ways, the war gave the Hazaras an opportunity to emancipate themselves socially from the domination of the Sayyids, as well as from the Pashtuns and the Tajiks.” (Adelkhah, 2017)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 25. Oktober 2017)

·      ACCORD Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Afghanistan; Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner vom 4. Mai 2016, Juni 2016
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1466684031_dokumentation-coi-seminar-afg-20160623.pdf

·      Adelkhah, Fariba: War and State (Re)Construction in Afghanistan: Conflicts of Tradition or Conflicts of Development?, 2017
https://poldev.revues.org/2326?lang=de

·      BFA Staatendokumentation: AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, Juli 2016
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf

·      BZ - Netherlands Ministry of Foreign Affairs: Algemeen Ambtsbericht Afghanistan, 15. November 2016
https://coi.easo.europa.eu/administration/netherlands/PLib/Afghanistan_COI.pdf

·      Johnson, Chris: Hazarajat Baseline Study - Interim Report, März 2000
http://www.ecoi.net/file_upload/mv21_afg-hazara-cjohn.pdf

·      Kerr Chiovenda, Melissa: E-Mail-Auskunft, 26. September 2017

·      Kerr Chiovenda, Melissa: E-Mail-Auskunft, 4. Oktober 2017

·      Landinfo Norwegian Country of Origin Information Centre: Afghanistan: Sadat/sayyed, 4. September 2015
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443447780_3216-1.pdf

·      MRT-RRT Australian Government - Migration Review Tribunal & Refugee Review Tribunal: Background Paper Afghanistan: Political Parties and Insurgent Groups 1978-2001, März 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1369733568_ppig1.pdf

·      Ruttig, Thomas: E-Mail-Auskunft, 4. Oktober 2017