Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Guinea

Die Sicherheitskräfte wandten auch 2017 exzessive Gewalt gegen Demonstrierende an. Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Personen, die abweichende Meinungen äußerten, wurden willkürlich festgenommen. Straflosigkeit war in Guinea weit verbreitet. Das Recht auf angemessenen Wohnraum wurde nicht erfüllt.

Hintergrund

Durch das Verschieben der Kommunalwahlen auf Februar 2018 und Spekulationen darüber, ob Staatspräsident Alpha Condé für eine dritte Amtszeit kandidieren werde, blieb die politische und soziale Lage in Guinea angespannt.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Bei Demonstrationen wurden mindestens 18 Menschen getötet, viele weitere wurden verletzt. Im Februar 2017 kamen in der Hauptstadt Conakry bei Protesten sieben Menschen ums Leben. Die Proteste waren aus einem Lehrerstreik und der damit einhergehenden Schließung von Schulen hervorgegangen. Die Lehrkräfte streikten, weil die Behörden ihre Arbeitsbedingungen geändert hatten. Die Sicherheitskräfte trieben die Protestierenden mit Tränengas, Schlagstöcken und scharfer Munition auseinander.

Am 20. Februar 2017 nahm die Polizei sieben Menschenrechtsverteidiger der Bürgerbewegung Voice of the People fest, die in Conakry einen Sitzstreik für die Wiedereröffnung der Schulen organisiert hatten. Die Anklage gegen die Festgenommenen lautete zunächst auf „Störung der öffentlichen Ordnung“, wurde dann aber auf „Teilnahme an einer Zusammenrottung“ geändert. Die Festgenommenen wurden noch am Abend wieder freigelassen. Drei Tage später wurde einer der festgenommenen Menschenrechtsverteidiger, der für das staatliche Fernsehen tätige Journalist Hassan Sylla, wegen groben Fehlverhaltens ohne weitere Erklärung für sechs Monate vom Dienst suspendiert.

Bei gewaltsamen Protesten gegen den schlechten Lebensstandard in der Region Boké setzten die Sicherheitskräfte im April, Mai und September 2017 scharfe Munition ein. Mindestens vier Menschen starben durch Schussverletzungen.

Am 22. August 2017 nahmen Gendarmen den ehemaligen Soldaten und Gewerkschafter Jean Dougou Guilavogui in Matoto, einem Stadtteil von Conakry, fest und brachten ihn in eine Hafteinrichtung der Gendarmerie. Er wurde der „Teilnahme an einer Zusammenrottung“ angeklagt und in der Maison Centrale, dem Zentralgefängnis von Conakry, ohne Gerichtsverfahren festgehalten, bis er am 21. Dezember 2017 auf Kaution freikam.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und andere Personen, die abweichende Meinungen äußerten, wurden geschlagen und willkürlich inhaftiert. Mindestens 20 Frauen und Männer wurden festgenommen, weil sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatten. Bei 20 weiteren Personen wandte die Polizei Gewalt an.

Im Februar 2017 wurde die für den Radiosender Radio Lynx FM tätige Journalistin Mariam Kouyaté bei Recherchen über die medizinische Versorgung im Ignace Deen Hospital in Conakry von Sicherheitskräften festgenommen. Nachdem sie sich geweigert hatte, ihren Presseausweis und ihre Aufnahmegeräte auszuhändigen, wurde sie auf einer Polizeiwache befragt, aber noch am selben Tag ohne Anklageerhebung freigelassen. Im Mai 2017 schlugen Gendarmen den Journalisten Aboubacar Camara vom Sender Gangan TV, als er in einem Vorort von Conakry einen Landstreit filmte, bei dem die Sicherheitskräfte seiner Ansicht nach exzessive Gewalt anwandten. Die Gendarmen zerrten Aboubacar Camara mit Gewalt in ihr Fahrzeug und brachten ihn zur Gendarmerie. Nachdem sie seine Aufnahmen gelöscht hatten, ließen sie ihn noch am gleichen Tag frei.

Im Juni 2017 belegte die Hohe Kommunikationsbehörde von Guinea Mohamed Mara, Moderator des Radiosenders Espace FM, mit einem einmonatigen Arbeitsverbot, weil er sich während einer Radiodebatte über Polygamie „beleidigend“ geäußert haben soll. Im November 2017 ordnete die Behörde ein einwöchiges Sendeverbot für den Radiosender an. Espace FM hatte über die unzureichende Ausstattung der Armee berichtet, was laut Behörden die nationale Sicherheit und Moral der Streitkräfte hätte untergraben können. Im Juli 2017 beurlaubte das staatliche Fernsehen den Journalisten Alia Camara, weil er die niedrige Bestehensquote bei Abiturprüfungen kritisiert hatte.

Amadou Sadio Diallo, Journalist der Internetzeitung Guinée Matin, wurde am 27. Juni 2017 in Lélouma von Gendarmen wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ festgenommen, nachdem er über einen möglichen Cholera-Ausbruch geschrieben hatte. Nach Angaben der Behörden handelte es sich um „Falschinformationen“. Die Gendarmen ließen ihn am nächsten Tag frei.

Am 30. Oktober nahmen Gendarmen in Matam, einem Stadtteil von Conakry, vier Journalisten von Gangan TV fest. Sie wurden der Verbreitung falscher Informationen und der Beleidigung des Staatspräsidenten angeklagt, weil sie Gerüchte über den Tod von Präsident Condé verbreitet haben sollen. Drei von ihnen wurden nach einigen Stunden freigelassen, der vierte am nächsten Tag. Sicherheitskräfte schlugen mindestens 18 Journalisten, die sich vor der Gendarmerie von Matam zu einer Solidaritätskundgebung für ihre inhaftierten Kollegen versammelt hatten, und zerstörten deren Ausrüstung.

Rechtliche Entwicklungen

Im Juni 2017 verabschiedete die Nationalversammlung das neue Militärstrafrecht. Sollte die Reform in Kraft gesetzt werden, wäre damit die Todesstrafe in Guinea abgeschafft. Das neue Militärstrafrecht enthält allerdings Bestimmungen, die die Rechte auf einen fairen Prozess und auf Gerechtigkeit aushöhlen könnten, weil es u. a. vorsieht, dass auch Zivilpersonen vor Militärgerichte gestellt werden können.

Straflosigkeit

Im Februar 2017 wurde ein Hauptmann der Einheit für Verbrechensbekämpfung in Kipé, einem Stadtteil von Conakry, festgenommen und wegen der Folter eines Mannes in Polizeigewahrsam angeklagt. Der Vorfall hatte sich im März 2016 ereignet. Mindestens zehn weitere Gendarmen und Polizisten wurden wegen des Vorfalls beurlaubt, jedoch nicht vor Gericht gestellt.

Das strafrechtliche Verfahren im Zusammenhang mit dem Massaker im Stadion von Conakry im Jahr 2009 zeigte Fortschritte. Sicherheitskräfte hatten damals mehr als 150 friedliche Demonstrierende getötet und mindestens 100 Frauen vergewaltigt. Im März 2017 lieferte Senegal Abubacar Toumba Diakité nach Guinea aus, wo dieser wegen des Massakers unter Anklage stand. Er war 2009 Adjutant des Chefs der Militärjunta, Moussa Dadis Camara, gewesen und hatte sich mehrere Jahre lang der Justiz entzogen. Mehrere Männer, die im Zusammenhang mit den Tötungen und Vergewaltigungen im Stadion angeklagt waren, hatten 2017 nach wie vor einflussreiche Posten inne. Dies galt u. a. für Mathurin Bangoura, Moussa Tiégboro Camara und Claude Pivi, die 2009 zur Führung der Militärjunta gehört hatten. Die Untersuchungsrichter gaben im November 2017 bekannt, dass die Ermittlungen abgeschlossen seien, doch wurde bis Jahresende keiner der mutmaßlichen Täter vor Gericht gestellt.

Im September 2017 verklagte eine Gruppe von Opfern Sékouba Konaté, der 2009 Verteidigungsminister und von 2009 bis 2010 Übergangspräsident gewesen war.

In den Prozessen gegen Angehörige der Sicherheitskräfte, die sich für Menschenrechtsverletzungen während Demonstrationen in Conakry von 2011 bis 2017, in Zogota im Jahr 2012 und in der Ortschaft Womey im Jahr 2014 verantworten mussten, gab es keine Fortschritte.

Recht auf Wohnen

Im August 2017 wurden mindestens zehn Menschen, unter ihnen zwei Kinder, in Dar-Es-Salam, einem Stadtteil von Conakry, von rutschenden Müllbergen begraben und getötet. Ein Regierungssprecher räumte im September 2017 Fehler der Abfallentsorgungsdienste ein. Der Nationale Direktor für humanitäre Hilfe des Ministeriums für Territorialverwaltung sagte, dass die noch dort lebenden Menschen umgehend zur Räumung des Geländes veranlasst werden müssten.

Bericht von Amnesty International

Guinea: 8 years later, justice for massacre needed (Press release, 27 September)

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