Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Kazakhstan

Die Leitung bzw. Mitgliedschaft in einer nicht zugelassenen Organisation galt nach wie vor als Straftat. Die Aktivitäten von Gewerkschaften und NGOs wurden in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. In Haftanstalten wurden weiterhin Folter und andere Misshandlungen angewandt. Journalisten waren politisch motivierter Strafverfolgung sowie Angriffen ausgesetzt. Frauen und Menschen mit Behinderungen wurden nach wie vor diskriminiert. 

Arbeitnehmerrechte

Unabhängige Gewerkschaften waren mit restriktiven Gesetzen konfrontiert und mussten bei Zuwiderhandlungen mit der Schließung ihrer Organisation rechnen. Gewerkschafter wurden mit konstruierten Anklagen überzogen, beispielsweise wegen Anstiftung zu illegalen Streiks oder wegen Veruntreuung.

Am 4. Januar 2017 wurden die Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften Kasachstans (KNPRK) sowie zwei ihrer Mitgliedsorganisationen, die Nationale Gewerkschaft der Arbeiter im Gesundheitswesen und die Nationale Gewerkschaft der Hausangestellten, auf gerichtliche Anordnung hin aufgelöst. Zur Begründung hieß es, dass sie die Frist für ihre Registrierung nicht eingehalten hätten. Am 5. Januar begannen Hunderte Ölarbeiter einen Hungerstreik, um gegen die Auflösung der KNPRK zu protestieren. Drei Gewerkschaftsführer wurden festgenommen. Am 7. April verurteilte ein Gericht Nurbek Kushakbaev, den stellvertretenden Vorsitzenden der KNPRK, zu zweieinhalb Jahren Haft. Am 16. Mai wurde Amin Yeleusinov, Vorsitzender der Gewerkschaft des Bauwesens in der Ölindustrie, wegen der rechtswidrigen Aneignung bzw. Veruntreuung von Eigentum angeklagt und zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Am 25. Juli folgte die Anklage gegen die KNPRK-Vorsitzende Larisa Kharkova, die von einem Gericht in Schymkent wegen Machtmissbrauch zu vier Jahren „eingeschränkter Bewegungsfreiheit“ verurteilt wurde. Zwischen dem 19. und dem 24. Januar wurden 63 Ölarbeiter wegen ihrer Teilnahme an dem Hungerstreik strafrechtlich verfolgt und mit Geldstrafen belegt. Im Juni 2017 nannte der Ausschuss für die Anwendung der Normen der Internationalen Arbeitsorganisation die Auflösung der KNPRK ein „ernstes Problem“ und forderte die Behörden auf sicherzustellen, dass die KNPRK und ihre Mitgliedsorganisationen „in der Lage sind, ihre Gewerkschaftsrechte in vollem Umfang auszuüben“.

Gewaltlose politische Gefangene

Am 20. Januar 2017 bestätigte das Regionalgericht Atyrau im Westen Kasachstans ein gegen die Menschenrechtsverteidiger und gewaltlosen politischen Gefangenen Maks Bokaev und Talgat Ayan ergangenes Urteil. Die beiden Männer waren wegen ihrer Beteiligung an der Organisation friedlicher Demonstrationen und ihrer kritischen Veröffentlichungen zum Bodengesetz in den sozialen Medien zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Ende Januar 2017 wurden sie in eine Strafkolonie in das 1500 km von ihrem Heimatort entfernte Petropawlowsk im Norden Kasachstans gebracht. Maks Bokaev und Talgat Ayan waren vorab nicht über die Verlegung informiert worden, und sie besaßen keine geeignete Kleidung für die winterlichen Wetterbedingungen im Norden Kasachstans. Am 13. April wies der Oberste Gerichtshof die Rechtsmittel der beiden Männer ab. Nachdem sich sein Rechtsbeistand erfolgreich für ihn eingesetzt hatte, wurde Talgat Ayan am 22. August in eine Strafkolonie in Aktobe im Nordwesten des Landes verlegt, wo er näher bei seinen Kindern war.

Folter und andere Misshandlungen

Im Anschluss an seinen zweiten periodischen Bericht an den UN-Menschenrechtsausschuss vermeldete Kasachstan im April 2017, dass die Generalstaatsanwaltschaft im Jahr 2016 insgesamt 700 Anzeigen wegen mutmaßlicher Folter in Haftanstalten erhalten habe und dass in den vergangenen fünf Jahren 158 Beamte wegen Folter schuldig befunden worden seien. 

Im Juni 2017 befand der UN-Ausschuss gegen Folter, dass Aleksei Ushenin gefoltert und anderweitig misshandelt worden sei und die Behörden keine sofortige, unparteiische und wirksame Untersuchung der von ihm erhobenen Vorwürfe durchgeführt hätten. Aleksei Ushenin gab an, im August 2011 zwei Tage lang geschlagen worden zu sein, um ihn dazu zu zwingen, einen Raubüberfall zu gestehen. Polizisten hätten ihm eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt, bis er ohnmächtig geworden sei. Außerdem hätten sie auf seinem Körper Zigaretten ausgedrückt und wiederholt einen Gummiknüppel in seinen After eingeführt.

Straflosigkeit

Die Behörden hatten noch immer keine vollständigen und wirksamen Untersuchungen der Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und streikenden Ölarbeitern in Schangaösen im Dezember 2011 eingeleitet. Damals waren mindestens 15 Personen getötet und mehr als 100 schwer verletzt worden, als die Polizei Berichten zufolge mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Demonstrierenden vorging.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Ende des Jahres 2015 waren gesetzliche Bestimmungen eingeführt worden, nach denen NGOs übermäßigen Einschränkungen unterlagen, strikte Auflagen zur Berichterstattung befolgen mussten und häufigen Steuerprüfungen unterzogen wurden. Organisationen, die der zentralen Datenbank für NGOs nicht regelmäßig präzise Informationen zukommen ließen, wurden mit Geldstrafen oder einem zeitweiligen Verbot ihrer Aktivitäten belegt. 

Die NGOs International Legal Initiative (ILI) und Liberty Foundation erhielten Bescheide über Strafzahlungen wegen vermeintlich nicht gezahlter Steuern. Am 6. April 2017 bestätigte ein Wirtschaftsgericht in Almaty die Entscheidung der Steuerbehörde, dass ILI verpflichtet sei, Körperschaftssteuer auf finanzielle Zuwendungen ausländischer Geldgeber zu zahlen, obwohl gemeinnützige Organisationen eigentlich Steuerfreiheit genießen. Am 31. Mai wies dasselbe Gericht die Rechtsmittel der Liberty Foundation gegen die von der Steuerbehörde getroffene Entscheidung ab. Die Organisationen mussten Geldstrafen in Höhe von 1300000 bzw. 3000000 Tenge (etwa 4000 bzw. 8300 Euro) zahlen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Regierungskritische unabhängige Journalisten waren politisch motivierter Strafverfolgung sowie Angriffen ausgesetzt. 

Im September 2017 wurde Zhanbolat Mamai, Herausgeber der unabhängigen regierungskritischen Wochenzeitung Sayasi Kalam Tribuna, wegen Geldwäsche zu drei Jahren eingeschränkter Bewegungsfreiheit verurteilt. Er bezeichnete die Anschuldigungen als politisch motiviert. Zhanbolat Mamai befand sich seit Februar 2017 in Haft. Am 14. Mai wurde der Journalist und Vorsitzende der NGO Journalisten in Schwierigkeiten, Ramazan Yesergepov, niedergestochen, als er mit dem Zug in die Hauptstadt Astana unterwegs war, um mit ausländischen Diplomaten und internationalen Experten über den Fall von Zhanbolat Mamai zu sprechen. Seiner Ansicht nach hing der Angriff mit seiner kritischen Berichterstattung und seinem Interesse am Fall Zhanbolat Mamai zusammen. 

Recht auf Versammlungsfreiheit

Das Organisieren einer friedlichen Demonstration oder die Beteiligung daran ohne vorherige Genehmigung durch die Behörden galt weiterhin als Verletzung sowohl der Bestimmungen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten als auch des Strafgesetzbuchs und konnte mit hohen Geldbußen oder mit Freiheitsstrafen von bis zu 75 Tagen geahndet werden. 

Am 13. Juli 2017 befand der UN-Menschenrechtsausschuss, dass das Recht auf friedliche Versammlung von Andrei Sviridov im Jahr 2009 verletzt wurde. Wegen Abhaltung seiner Mahnwache, mit der er gegen die strafrechtliche Verfolgung des Menschenrechtsverteidigers Yevgeny Zhovtis protestiert hatte, war er wegen des Organisierens einer nicht vorab genehmigten Demonstration angeklagt und zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 12960 Tenge (etwa 33 Euro) verurteilt worden. 

Am 1. August 2017 wurden die friedlich protestierenden Menschenrechtsverteidiger Askhat Bersalimov und Khalilkhan Ybrahamuly festgenommen und zu fünf bzw. drei Tagen Verwaltungshaft verurteilt, weil sie an einer nichtgenehmigten Demonstration teilgenommen hatten. Sie gehörten zu einer kleinen Gruppe von Personen, die am 29. Juli im Mahatma-Ghandi-Park in der Stadt Almaty zusammengekommen und danach zum Hauptpostamt gegangen waren, um Appelle an ausländische Regierungen und internationale Organisationen zu verschicken. Damit wollten sie diese bitten, sich für Zhanbolat Mamai und andere Gefangene einzusetzen.

Frauenrechte

Das Innenministerium gab bekannt, dass während des ersten Halbjahrs 2017 insgesamt 35253 Schutzanordnungen in Fällen häuslicher Gewalt verhängt wurden. NGOs berichteten jedoch, dass die Dunkelziffer in Fällen von Gewalt gegen Frauen sehr hoch sei. Zudem würde Gewalt gegen Frauen wie auch sexuelle Belästigung nur in wenigen Fällen strafrechtlich verfolgt. 

Entgegen einer Entscheidung des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) aus dem Jahr 2015 leugneten die Behörden weiterhin, dass Anna Belousova Opfer sexueller Belästigung geworden war. Der CEDAW-Ausschuss hatte Kasachstan empfohlen, Anna Belousova angemessen zu entschädigen. Im März 2017 bestätigte der Oberste Gerichtshof den Urteilsspruch eines Gerichts in Kostani, das entschieden hatte, dass Anna Belousova keinen Anspruch auf Entschädigung habe. Im Juli lehnte auch das Bezirksgericht Saryarkinsk eine gegen das Finanzministerium erhobene Entschädigungsforderung ab. Anna Belousova war seit 1999 an einer Grundschule in Pertsevka angestellt gewesen. Im Januar 2011 drohte ihr der neue Direktor der Schule mit Entlassung, falls sie sich nicht auf eine sexuelle Beziehung mit ihm einlasse. Als sie dies zurückwies, wurde sie im März 2011 entlassen.

Internationale Kontrolle

Im April 2017 übergab die NGO Koalition zur Verteidigung von Menschenrechtsverteidigern und Aktivisten dem Staatspräsidenten eine Petition, mit der sie ihn aufforderte, gesetzliche Bestimmungen zur Umsetzung der Kasachstan betreffenden Entscheidungen der UN-Vertragsorgane zu erlassen. Die NGO wies darauf hin, dass von den 25 Entscheidungen, die UN-Vertragsorgane seit 2011 zugunsten von Antragstellern aus Kasachstan getroffen hatten, bisher keine einzige umgesetzt worden war, weil die dafür notwendigen gesetzlichen Bestimmungen fehlten.

Im September 2017 stattete die UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte von Menschen mit Behinderung Kasachstan einen Besuch ab. Sie forderte das Land auf, die kasachische Gesetzgebung über Rechtsfähigkeit und geistige Gesundheit mit den internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards in Einklang zu bringen. Insbesondere hob sie kritisch hervor, dass es auf Grundlage der geltenden kasachischen Gesetzgebung möglich sei, Menschen mit Behinderungen ohne ihre freie und informierte Zustimmung in Anstalten einzuweisen und medizinische Eingriffe an ihnen vorzunehmen.

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