Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Azerbaijan

Die Behörden verschärften ihr Vorgehen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, insbesondere nach Enthüllungen über politische Korruption, in großem Stil. Unabhängige Medienkanäle wurden gesperrt und ihre Inhaber festgenommen. Regierungskritiker wurden nach wie vor aus politischen Gründen angeklagt und nach unfairen Verfahren inhaftiert. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI) wurden willkürlich festgenommen und misshandelt. Verdächtige Todesfälle in staatlichem Gewahrsam wurden noch immer nicht wirksam untersucht.

Hintergrund

Im Juli 2017 führten erneute Feindseligkeiten in der abtrünnigen Region Bergkarabach nach dem Beschuss durch die von Armenien unterstützten Streitkräfte zum Tod von mindestens zwei aserbaidschanischen Zivilpersonen, unter ihnen eine Minderjährige.

Internationale Aufmerksamkeit erregte Aserbaidschan nach einem im September 2017 veröffentlichten Bericht des Journalistennetzwerks Organized Crime and Corruption Reporting Project, in dem Angehörige der politischen Elite Aserbaidschans beschuldigt wurden, ein großangelegtes internationales Geldwäschesystem zu betreiben. Ein Teil des Geldes soll u. a. dazu verwendet worden sein, europäische Politiker dafür zu bezahlen, den Ruf Aserbaidschans im Bereich der Menschenrechte aufzupolieren. Am 11. Oktober 2017 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) zwei kritische Entschließungen zu Aserbaidschan, nachdem Vorwürfe laut geworden waren, einige Mitglieder der PACE hätten ebenfalls von dem Geldwäschesystem profitiert.

Am 5. Dezember leitete das Ministerkomitee des Europarats ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Aserbaidschan gemäß Artikel 46 Absatz 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein. Gegenstand war das fortgesetzte Versäumnis Aserbaidschans, eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umzusetzen und den seit 2013 willkürlich inhaftierten Oppositionsführer Ilgar Mammadov freizulassen.

Die EU und Aserbaidschan setzten ihre Verhandlungen über ein neues strategisches Partnerschaftsabkommen zur Vertiefung ihrer Wirtschaftsbeziehungen fort. Im Oktober 2017 genehmigte die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) ein Darlehen in Höhe von 500 Mio. US-Dollar (rund 417 Mio. Euro) für den Bau einer staatlichen Gaspipeline. Die Genehmigung erfolgte, obwohl Aserbaidschan im März 2017 wegen Unterdrückung der Zivilgesellschaft von der durch die EBWE unterstützten internationalen Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft ausgeschlossen worden war.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Führende Menschenrechtsorganisationen konnten ihre Arbeit nach wie vor nicht wieder aufnehmen. Die Behörden setzten auch weiterhin restriktive Bestimmungen und willkürliche Strafverfolgung ein, um die wenigen noch verbliebenen kritischen Organisationen schließen zu lassen.

Am 2. Mai 2017 wurde Aziz Orujev, Leiter des unabhängigen Fernsehsenders Kanal 13, von einem Polizisten festgenommen. Dieser erklärte, Aziz Orujev säehe aus wie ein gesuchter Flüchtiger, und hielt ihn wegen der vermeintlichen Missachtung polizeilicher Anweisungen 30 Tage in Verwaltungshaft. Am Tag seiner Freilassung wurde Aziz Orujev auf Grundlage fingierter Anklagen wegen illegalen Unternehmertums und Amtsmissbrauchs wieder festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht. Am 15. Dezember verurteilte ihn das Gericht für schwere Straftaten in Baku zu sechs Jahren Haft.

Im August 2017 leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die einzige noch verbliebene unabhängige Nachrichtenagentur Turan ein und nahm deren Leiter Mehman Aliyev auf Grundlage einer konstruierten Anklage wegen illegalen Unternehmertums fest. Auf internationalen Druck hin wurde Mehman Aliyev am 11. September in den Hausarrest verlegt. Am 2. November ließ die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen ihn fallen und stellte die Ermittlungen gegen Turan ein.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Alle führenden Medien standen weiterhin faktisch unter staatlicher Kontrolle. Unabhängige Medienkanäle waren nach wie vor mit unverhältnismäßigen Einschränkungen konfrontiert. Unabhängige Journalisten mussten auch im Jahr 2017 mit Schikanen rechnen. Der Zugang zu den Websites oppositioneller Zeitungen blieb gesperrt. 

Auch der Zugang zu den Sendern Azadliq Radiosu (Radio Free Europe/Radio Liberty in aserbaidschanischer Sprache), Meydan TVund Azerbaycan SAATI blieb gesperrt, nachdem die Staatsanwaltschaft die Ansicht vertreten hatte, sie würden eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Am 12. Mai 2017 urteilte ein Gericht in der Hauptstadt Baku zugunsten einer Aufrechterhaltung der Website-Sperre.

Strafrechtliche Verfolgung von Kritikern

Unabhängige Journalisten und Blogger wurden auch 2017 willkürlich festgenommen und inhaftiert. Aserbaidschanischen Menschenrechtsverteidigern zufolge befanden sich 2017 mehr als 150 Menschen wegen politisch motivierter Anklagen in Haft, und die Anzahl dieser Fälle nahm zu.

Am 9. Januar 2017 nahmen Polizeibeamte den Blogger Mehman Huseynov fest und behielten ihn über Nacht ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Seinen Angaben zufolge wurde er im Gewahrsam von der Polizei geschlagen und Elektroschocks unterzogen. Am 3. März wurde er von einem Gericht in Baku wegen „Verleumdung“ von Polizisten zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Am 12. Januar wurde Afgan Sadygov, ein Journalist und Blogger aus dem Bezirk Jalilabad, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er war wegen Rowdytum angeklagt worden, nachdem er über Korruption in der Regierung geschrieben und sich geweigert hatte, seine Artikel aus dem Internet zu entfernen. 

Am 14. Juni 2017 wurde Fikret Faramazoglu, Chefredakteur der unabhängigen Nachrichtenwebsite Journalistic Research Centre, zu sieben Jahren Haft und einem anschließenden zweijährigen Berufsverbot verurteilt. Er war am 30. Juni 2016 festgenommen worden, weil er Geld von einem Restaurantbesitzer erpresst haben soll; ein Vorwurf, den er dementierte. 

Rückführungen 

Die Behörden intensivierten ihren Druck auf Kritiker, die aus dem Land geflüchtet waren, holten viele von ihnen widerrechtlich nach Aserbaidschan zurück und schikanierten ihre Familien.

Der investigative Journalist Afgan Mukhtarli wurde am 29. Mai 2017 in der georgischen Hauptstadt Tiflis entführt und tauchte am nächsten Tag im Gewahrsam der aserbaidschanischen Grenzpolizei wieder auf. Seinen Angaben zufolge wurde er von Sicherheitskräften entführt und über die Grenze geschmuggelt. Ihm wurden verschiedene Vergehen zur Last gelegt, u. a. Schmuggel. Afgan Mukhtarli verblieb in Haft; sein Verfahren war zum Jahresende noch nicht abgeschlossen. 

Der russisch-israelisch-ukrainische Blogger Aleksandr Lapshin, der kritische Beiträge zur Situation der abtrünnigen aserbaidschanischen Region Bergkarabach im Internet veröffentlicht hatte, wurde in Belarus verhaftet und im Februar 2017 an Aserbaidschan ausgeliefert. Im Juli verurteilte ihn ein Gericht in Baku wegen des illegalen Betretens der abtrünnigen Region zu drei Jahren Haft. Nach einer Begnadigung durch den Präsidenten wurde er am 11. September 2017 freigelassen.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Am 22. September 2017 wurden mehr als 100 Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche von der Polizei an öffentlichen Plätzen zusammengetrieben und festgenommen. Einige kamen wieder frei, doch mindestens 48 Personen wurden zu Verwaltungshaftstrafen von zehn bis 20 Tagen verurteilt. Man beschuldigte sie, „sich rechtmäßigen Anordnungen der Polizei widersetzt“ zu haben, und auf der Grundlage der Angaben der Polizei ohne weitere Beweise für schuldig befunden. Die Schnellverfahren entsprachen nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Wie die Häftlinge berichteten, wurden sie im Gewahrsam von der Polizei geschlagen und anderweitig misshandelt. Alle Gefangenen kamen am 2. Oktober wieder frei.

Unfaire Gerichtsverfahren

Unfaire Gerichtsverfahren waren an der Tagesordnung, insbesondere im Rahmen von politisch motivierten Verfahren, bei denen die Verdächtigen meist ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl inhaftiert und angeklagt wurden. Die Polizei griff auch weiterhin auf Folter und andere Misshandlungen zurück, um „Geständnisse“ zu erzwingen, die später vor Gericht als belastendes Beweismaterial eingesetzt wurden. Vorwürfe wegen Folter und anderer Misshandlungen wurden nicht wirksam untersucht.

Am 25. Januar 2017 verurteilte das Gericht für schwere Straftaten in Baku 18 Männer, die mit der schiitischen Bewegung für die Einheit der Muslime (Muslim Unity Movement – MUM) in Nardaran in Verbindung standen, zu langen Haftstrafen. Ihr Verfahren entsprach nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren und war von zahlreichen Foltervorwürfen begleitet. Während des Prozesses äußerten die Angeklagten den Vorwurf, durch Folter zur Unterschrift von „Geständnissen“ gezwungen worden zu sein. Auch von der Staatsanwaltschaft berufene Zeugen berichteten, von der Polizei gezwungen worden zu sein, gegen die MUM-Angeklagten auszusagen. Die erzwungenen „Geständnisse“ wurden vor Gericht zugelassen und während des gesamten Prozesses von der Anklage verwendet. 

Elgiz Garhaman, ein Aktivist der Jugendbewegung NIDA, wurde nach einem unfairen Prozess auf Grundlage konstruierter Anklagen im Zusammenhang mit Drogendelikten zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm wurde der Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl verweigert. Nach seiner Festnahme wurde er eine Woche lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Während des Prozesses teilte er dem Richter mit, dass die Polizei ihn geschlagen, bedroht und erniedrigt habe, um ihn zu einem „Geständnis“ zu zwingen. Der Richter tat diese Vorwürfe als unbegründet ab und weigerte sich, eine Untersuchung einzuleiten.

Am 1. Dezember 2017 traten Änderungen der Zivil- und Verwaltungsprozessordnung in Kraft. Seither dürfen Rechtsbeistände, die nicht Mitglied der Anwaltskammer sind, nicht mehr in Gerichtsprozessen auftreten.

Todesfälle in Gewahrsam

Die Behörden gingen Berichte über Todesfälle in Gewahrsam nicht unverzüglich und wirksam nach.

Am 4. Mai 2017 entschied der EGMR, dass die aserbaidschanische Regierung das Recht auf Leben von Mahir Mustafayev verletzt habe, weil sie nicht sichergestellt hatte, sein Leben in der Haft zu schützen und eine wirksame Untersuchung der Umstände seines Todes durchzuführen. Mahir Mustafayev war im Dezember 2006 an den Folgen von Verbrennungen gestorben, die er sich durch ein Feuer in seiner Zelle zugezogen hatte. 

Am 28. April 2017 wurde der Aktivist und Blogger Mehman Qalandarov in seiner Gefängniszelle in Kurdakhani erhängt aufgefunden. Die Polizei hatte ihn wegen mutmaßlichen Drogenbesitzes festgenommen. Er hatte sich zuvor in seinen Facebook-Beiträgen für zwei andere Aktivisten starkgemacht, die wegen des Sprayens politischer Graffiti festgenommen worden waren. Lokalen Menschenrechtsverteidigern zufolge wurde Mehman Qalandarov vor seinem Tod gefoltert und sein Leichnam heimlich vergraben, um dies zu vertuschen. Die Gefängnisverwaltung gab seinen Tod am 29. April bekannt. Die Untersuchung in seinem Fall war Ende des Jahres noch nicht abgeschlossen.

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