Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Argentina

Frauen und Mädchen, die legale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen wollten, sahen sich mit Hindernissen konfrontiert. Indigene Bevölkerungsgruppen wurden weiterhin kriminalisiert und diskriminiert. Die Rechte von Migranten wurden stark eingeschränkt.

Hintergrund

Die Lage der Menschenrechte in Argentinien wurde im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschensrechtsrat sowie den Ausschuss gegen Folter der UN begutachtet. Im Laufe des Jahres 2017 besuchten die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, der Unabhängige Experte für sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität und der Berichterstatter der Interamerikanischen Menschenrechtskommission Argentinien. 

Das nationale Gesetz über Geschlechterparität bei Kandidaturen für das Parlament (Ley de Paridad del Género en Ámbitos de Representación Política) wurde im November 2017 vom Kongress verabschiedet.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Frauen und Mädchen, die legale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen wollten, weil die Schwangerschaft ihre Gesundheit gefährdete oder sie Folge einer Vergewaltigung war, sahen sich mit Hindernissen konfrontiert. Die Gesetzesvorlage zur vollständigen Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen lag dem Parlament noch zur Beschlussfassung vor.

Gewalt gegen Frauen

Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden zwischen Januar und November 2017 mindestens 254 Femizide begangen. Dem Nationalen Fraueninstitut (Instituto Nacional de las Mujeres) sowie dem Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (Plan Nacional de Acción para la Prevención, Asistencia y Erradicación de la Violencia contra las Mujeres 2017–2019) fehlten offenbar die notwendigen Ressourcen, die für die vollständige Umsetzung ihrer Aufgaben notwendig waren.

Rechte indigener Bevölkerungsgruppen

Obwohl die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen auf ihr angestammtes Land und die dort vorhandenen natürlichen Ressourcen in der Verfassung verankert sind, blieb der Mehrzahl der indigenen Gemeinschaften die legale Anerkennung ihrer Landrechte weiterhin versagt. 

Im Januar 2017 riegelten die lokale Polizei und Angehörige der Argentinischen Nationalen Gendarmerie (GNA) – eine militarisierte föderale Polizei – alle Zugangswege zu der Gemeinde Pu Lof en Resistencia in der Provinz Chubut ab. Die dort lebende indigene Gemeinschaft der Mapuche berichtete von Übergriffen durch die Polizei, u. a. Schlagstockeinsatz und Einschüchterung von Kindern. Mindestens zehn Angehörige der Gemeinschaft bzw. deren Unterstützer wurden festgenommen. Im August 2017 führte die GNA in der Gemeinde eine illegale Razzia durch, in deren Verlauf Santiago Maldonado, ein nichtindigener Unterstützer der Mapuche-Gemeinde, „verschwand“. Im Oktober wurde Santiago Maldonados Leichnam an einem Fluss in der Nähe der Gemeinde aufgefunden. Die strafrechtliche Untersuchung seines Todes war bis zum Jahresende noch nicht abgeschlossen.

Die Regierung der Provinz Neuquén sowie Erdölgewerkschaften und -industrie arbeiteten einen Investitionsplan für das Ölfeld Vaca Muerta aus, das zum Teil auf dem Land der indigenen Gemeinde Lof Campo Maripe liegt, ohne die Gemeinschaft daran zu beteiligen. 

Die Behörden bedienten sich gerichtlicher Verfahren, um Angehörige indigener Gemeinschaften einzuschüchtern. Dazu gehörten Anklagen wegen Aufwiegelung, Widerstands gegen die Staatsgewalt, Diebstahls, versuchten Überfalls und Tötung. Agustín Santillán, indigener Sprecher der Gemeinschaft der Wichí in der Provinz Formosa, verbrachte zwischen April und Oktober 190 Tage in Untersuchungshaft. Ihm wurden mehr als 28 Straftatbestände zur Last gelegt.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Unter Umgehung einer Debatte im Parlament modifizierte die Regierung das Einwanderungsgesetz aus dem Jahr 2004. Mit den neuen Bestimmungen wurden Einwanderungs- und Aufenthaltsrechte eingeschränkt und Abschiebungen potenziell beschleunigt. 

Elf Jahre nach seiner Verabschiedung war das Asylgesetz noch nicht vollständig umgesetzt worden, und das Nationale Komitee für Flüchtlinge verfügte über kein eigenes Budget. Das Aufnahmesystem für Asylsuchende war weiterhin langsam und unzureichend, und es gab keinen Integrationsplan, um Asylsuchenden und Flüchtlingen dabei zu helfen, ihre Grundrechte wie die Rechte auf Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und Spracherwerb in Anspruch zu nehmen. 

Obwohl sich Argentinien im Jahr 2016 verpflichtet hatte, 3000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, wurde kein Programm zur Neuansiedlung aufgelegt. Nur weniger als 400 syrische Flüchtlinge fanden dank privater Trägerschaft und einer Visaerteilung aus humanitären Gründen Aufnahme.

Straflosigkeit

Zur Aufarbeitung der während der Militärregierung (1976–83) verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit fanden weiterhin Verfahren vor ordentlichen Zivilgerichten statt. Zwischen 2006 und Mai 2017 wurden 182 Gerichtsurteile erlassen. Die Gesamtzahl der Verurteilungen belief sich damit auf 756, die der Freisprüche auf 74. 

Im Juli 2017 traf das Bundesgericht von Mendoza eine historische Entscheidung, mit der vier ehemalige Justizmitarbeiter zu lebenslanger Haft verurteilt und von der Bekleidung öffentlicher Ämter ausgeschlossen wurden, weil sie während der Militärherrschaft an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren. 

Der Oberste Gerichtshof entschied im Fall von Luis Muiña, der schuldig befunden worden war, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, dass seine in der Untersuchungshaft verbrachten Tage doppelt auf das Strafmaß angerechnet werden müssten, da die Untersuchungshaft mehr als zwei Jahre gedauert habe, ohne dass sein Urteilsspruch erfolgt sei. Danach verabschiedete der Kongress jedoch ein Gesetz, das klarstellte, dass die sogenannte 2x1-Formel nicht bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord oder Kriegsverbrechen Anwendung finden solle.

Die öffentlichen Anhörungen über die Vertuschung der Untersuchungsergebnisse im Fall des 1994 verübten Anschlags auf das Gebäude des Jüdischen Gemeindezentrums (Asociación Mutual Israelita Argentina – AMIA) wurden fortgeführt. Mit einem im April 2017 erlassenen Regierungsdekret wurde angeordnet, klassifizierte Dokumente, die sich im Besitz der Strafverfolgungsbehörde befanden, dem Justizministerium zu übergeben. Damit wurde die Unabhängigkeit der Ermittlungen gefährdet und der Zugang der Beschwerdeführer zu Beweismitteln eingeschränkt.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Während einer Demonstration anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März 2017 kam es zu willkürlichen Festnahmen. Viele Frauen berichteten, dass sie von der Polizei misshandelt, festgenommen und gedemütigt worden seien. Einige sagten aus, man habe sie gezwungen, sich vollständig zu entkleiden. 

Im April 2017 ging die Polizei gewaltsam gegen Lehrer vor, die für faire Gehälter demonstrierten. Protestteilnehmende berichteten, dass die Polizei Tränengas eingesetzt und auf sie eingeprügelt habe. Das Militär habe währenddessen in Bereitschaft gestanden. Mindestens vier Lehrer wurden festgenommen. 

Im September 2017 wurden 31 Personen unter Anwendung von Gewalt festgenommen und in mehreren Polizeiwachen der Hauptstadt Buenos Aires für mehr als 48 Stunden festgehalten, weil sie nach dem Verschwindenlassen von Santiago Maldonado (siehe oben) an einer Massendemonstration teilgenommen hatten. Die Festgenommenen berichteten, dass sie geschlagen wurden und einige Frauen gezwungen worden seien, sich zu entkleiden. 

Im Dezember 2017 gingen zahlreiche Menschen in Buenos Aires auf die Straße, um gegen eine von der Regierung vorgeschlagene Gesetzesreform zu protestieren. Die Polizei setzte unverhältnismäßige Gewalt ein, und es wurde von willkürlichen Festnahmen während der Demonstrationen berichtet. 

Die argentinische Regierung kam der Anordnung der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen nicht nach, die Sprecherin der sozialen Organisation Tupac Amaru, Milagro Sala, unverzüglich freizulassen. Im August 2017 forderte die Interamerikanische Menschenrechtskommission Argentinien auf, Milagro Sala Hausarrest oder eine andere Alternative zur Gefängnisstrafe anzubieten. Dem Ersuchen wurde jedoch nur teilweise stattgegeben, da die damit verbundenen Bedingungen weder nationalen noch internationalen Standards entsprachen.

Berichte von Amnesty International

Argentina: Violent repression of Mapuche Peoples (AMR 13/5477/2017

Argentina: Amnistía Internacional repudia la aplicación del 2x1 a delitos de lesa humanidad y estará presente en Plaza de Mayo (News story, 9 May) 

Argentina: Autoridades deben garantizar protesta pacífica e investigar violaciones a derechos humanos tras represión frente al Congreso de la Nación (News story, 15 December)

Verknüpfte Dokumente