Anfragebeantwortung zum Irak: Lage für unverheiratete Männer, die mit einer verheirateten Frau Geschlechtsverkehr hatten: Sanktionen, Verfolgungen von Seite der Familie der verheirateten Frau, gerichtliche Sanktionen, Sanktionen der eigenen Familie [a-10710]

31. August 2018

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Das Global Justice Project Iraq (GJPI), ein vom US-Außenministerium gefördertes Projekt der Universität Utah, veröffentlicht im Mai 2018 eine Übersetzung des irakischen Strafgesetzbuches Nummer 111 aus dem Jahr 1969 mit aktuellen Änderungen vom März 2010. In Artikel 377 des Strafgesetzbuches wird angeführt, dass eine Ehebrecherin und der Mann, mit dem sie Ehebruch begangen habe, mit Haft bestraft würden. Es werde davon ausgegangen, dass der Schuldige von der Ehe gewusst habe, es sei denn er könne nachweisen, nicht darüber informiert gewesen zu sein:

Article 377 - (1) An adulteress and the man with whom she commits adultery are punishable by detention. The offender is assumed be aware of the marriage unless he can prove that he was not capable of being aware of it.” (GJPI, 29. Mai 2018)

Die Heartland Alliance, eine seit 2004 im Irak tätige Organisation, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen unterstützt, bezieht sich 2011 in einem Bericht zu institutionalisierter Gewalt gegen Frauen auf Artikel 377 des Strafgesetzbuches und gibt an, dass auch Männer strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten, doch dass das irakische Recht Frauen diskriminiere, indem es sie für Ehebruch verantwortlich mache, während Männer nur für Ehebruch in der ehelichen Wohnung zur Verantwortung gezogen werden könnten. Laut Artikel 377 könnten auch unverheiratete Personen, die mit verheirateten Personen in Beziehung stehen würden, zur Verantwortung gezogen werden. Das Verbrechen des Ehebruchs sei ein Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren nach Artikel 26 des Strafgesetzbuchs bestraft werden könne:

„Men are also criminally liable under the IPC Article 377, however Iraqi law discriminates against women by holding them responsible for adultery committed anywhere, whereas men are only liable for acts of adultery committed in the marital home. In 2001 the Kurdistan Regional Government amended Article 377 in Law No. 9 to hold men liable to the same extent as women; thus a married man may be charged and convicted of committing adultery whether the act is committed inside or outside the home. Also liable under Article 377 are unmarried persons who engage in relationships with married persons. The crime of adultery is a misdemeanor offense which is punishable with a jail sentence from three months to five years under the IPC Article 26.” (Heartland Alliance, 2011, S. 21)

Die Minority Rights Group International (MRG), eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, schreibt in einem Bericht über Frauen im Irak im November 2015, dass sogenannte Ehrenverbrechen Gewalttaten seien, die von Familienmitgliedern gegen einen Verwandten, der Schande über die Familie gebracht habe, verübt würden. Ehrenverbrechen würden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Verwandte verübt, wobei gelegentlich auch Männer Opfer dieser Gewalt würden:

„So-called ‘honour’ crimes are acts of violence perpetrated by family members against a relative who is perceived to have brought shame upon the family or tribe. ‘Honour’ crimes are overwhelmingly perpetrated by male family members against female relatives, although occasionally males are also the victims of such violence.” (MRG, 4. November 2015, S. 26)

Im Mai 2018 führt die finnische Migrationsbehörde (Finnish Immigration Service) an, dass die überwiegende Mehrheit der Ehrenverbrechen von Männern gegen weibliche Verwandte verübt werde, Männer aber auch gelegentlich Opfer solcher Delikte würden. Laut UNO (2013) seien Ehrenmorde im Irak zum Teil auch deshalb häufig, weil das Strafgesetzbuch eine Strafmilderung erlaube, wenn die Straftat aus Gründen der Ehre begangen werde:

„The vast majority of honour-related offences are committed by men against female relatives, although men occasionally fall victim to such offences. […]

According to the UN (2013), honour killings are common in Iraq, partly because the Penal Code allows for the mitigation of punishment if the offence is committed for an honour - related motive.” (Finnish Immigration Service, 22. Mai 2018, S. 22-23)

Laut der Übersetzung des Strafgesetzbuches von GPJI legt Artikel 128 fest, dass gesetzliche Rechtfertigungen („legal excuse“) eine Person entweder entlasten oder die Strafe reduzieren würden. Rechtfertigungen würden nur unter Bedingungen existieren, die vom Gesetz festgeschrieben seien. Ungeachtet dieser Bedingungen gelte das Verüben einer Straftat aus „ehrenwerten Motiven“ oder als Reaktion auf die ungerechtfertigte und schwerwiegende Provokation des Opfers der Straftat als mildernde Umstände:

„Article 128 - (1) Legal excuse either discharges a person from a penalty or reduces that penalty. Excuse only exists under conditions that are specified by law. Notwithstanding these conditions, the commission of an offence with honourable motives or in response to the unjustified and serious provocation of a victim of an offence is considered a mitigating excuse.” (GJPI, 29. Mai 2018)

Die Organization of Women's Freedom in Iraq (OWFI), die sich für marginalisierte Frauen im Irak einsetzt, die International Women‘s Human Rights Clinic der juristischen Fakultät der City University von New York und die internationale Frauenrechtsorganisation MADRE veröffentlichen 2015 einen gemeinsamen Bericht an den UNO-Ausschuss gegen Folter. Bezugnehmend auf lokale Menschenrechtsverteidigerinnen heißt es im Bericht, dass nach den kulturellen Normen derjenigen, die Gewalt im Namen der „Ehre" rechtfertigen würden, die Ermordung einer weiblichen Verwandten, die angeblich Schande über ihre Familie gebracht habe, ihr persönliches Recht sei. Ein solcher Mord sei als Familienrecht anerkannt. Der Täter werde daher in der Regel nicht einmal angeklagt, und jeder Polizeibericht bleibe anonym. Wenn die Tat aber die Tötung einer Frau und einer anderen Person (z.B. eines Geliebten) außerhalb der Familie umfasse, werde diese Form des Ehrenmordes als verhaftungspflichtig („as requiring arrest“) wahrgenommen, werde aber immer noch durch „ehrenhafte Motive“ gerechtfertigt und durch das irakische Strafrecht abgeschwächt:

„Local women’s human rights advocates explain that according to cultural norms held by those who justify violence in the name of ‘honor’, one exercises a personal right if they kill a female relative who has purportedly brought shame to their family. This killing is accepted as a familial right. The perpetrator is therefore not even usually charged, and any police report is left anonymous. If one exercises a ‘public right’, however, that involves killing a woman and someone else (such as a lover) outside of one’s family; this form of honor killing is recognized as requiring arrest, but still falling within the category of being justified by ‘honorable motives’ and mitigated under Iraqi Penal Law.” (OWFI et al., 2015, S. 19-20)

Dr. Aisha Gill, eine Lektorin für Kriminologie an der Universität Roehampton, die sich unter anderem mit Ehrenverbrechen wissenschaftlich auseinandersetzt, führt in einem auf der britischen Medienplattform Media Diversified veröffentlichten Beitrag Gründe an, aufgrund derer auch Männer Opfer von Ehrenverbrechen werden können. Männer würden am ehesten durch ihr Verhalten gegenüber Frauen Schande verursachen, unter anderem durch (i) die Wahl ihrer romantischen und/oder sexuellen Partner, (ii) die Ablehnung einer arrangierten Ehe, (iii) das Outing als schwul, bisexuell oder transsexuell, und/oder (iv) die Weigerung ein Ehrenverbrechen zu begehen. Dennoch sei es eine Tatsache, dass die Mehrheit der Opfer weiblich und die Mehrheit der Täter männlich sei:

„Subordinate men are most likely to cause dishonour as a result of their behaviour towards women, including through (i) their choice of romantic and/or sexual partners, (ii) refusing an arranged marriage, (iii) coming out as gay, bi-sexual or transgender, and/or (iv) refusing to commit an act of HBV [honour-based violence]. Nevertheless, the fact remains that the majority of victims are female and the majority of perpetrators male.” (Gill, 14. März 2014)

Die dänische Migrationsbehörde (Danish Immigration Service, DIS), der dänische Flüchtlingsrat (DRC) und das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo geben im Juli 2009 in ihrem Bericht zur gemeinsamen Fact-Finding Mission im März 2009 im Irak zu Ehrenverbrechen im Süd- und Zentralirak an, dass diese laut der Internationale Organisation für Migration (IOM) seit Generationen im Irak begangen würden. Es sei hinzugefügt worden, dass Ehrenverbrechen nichts Neues seien und die Regierung kaum in der Lage sei, diese zu verhindern, da es sich um eine Stammespraxis handle. Es sei selten der Fall, dass Angelegenheiten im Zusammenhang mit Ehrenverbrechen in Stammesräten behandelt würden. Wenn ein solches Problem jemals außerhalb der eigenen vier Wände angesprochen werde, würden die Stammesführer miteinbezogen. Dies geschehe zum Beispiel, wenn Personen außerhalb der Familie in den Vorfall verwickelt seien, wie bei außerehelichen Affären. Unabhängig vom Ausgang einer sogenannten illegalen Liebesaffäre, in die unverheiratete Personen verwickelt seien, komme es häufig vor, dass beide Parteien ihren Heimatort verlassen müssten. In vielen Fällen würden große Geldbeträge nach traditionellen Regeln als Entschädigung gezahlt. Es komme auch vor, dass der Stamm des Täters den Täter drängt, seinen Stamm zu verlassen oder der Stamm, dessen Ehre verletzt worden sei, das Opfer zur Flucht dränge. Es könne auch vorkommen, dass Menschen sich aufgrund der wahrgenommen Verletzungen ihrer Rechte rächen würden. In Stammesangelegenheiten sei alles möglich, und auch wenn eine Entschädigung gezahlt worden sei, könne das Opfer immer noch von Racheakten bedroht sein:

„7 .1.1 Honour crimes in South/Central Iraq (S/C Iraq): IOM, Amman stated that honour crimes have been going on for generations in Iraq. It was added that honour crimes is nothing new and the Government is almost unable to restrain this as this is a tribal practice. A female victim of an honour crime needs the support of her family if she wants to address the issue. It is rare that issues concerning honour crimes are dealt with in tribal councils. If such a problem ever is addressed outside the walls of the house, the tribal leaders get involved. This happens for instance in cases involving persons outside of the family, like in the event of extra marital affairs. Irrespective of the outcome [in a case involving unmarried persons who have been involved in so - called illegal love affairs], the result is often that both parties will have to leave their home area. In many cases huge amounts of money is being paid in compensation, according to traditional rules. It also happens that the tribe of the offender will urge the perpetrator to leave his tribe or the offended tribe will urge the victim to escape. It can also happen that individuals will take revenge against perceived violations of their rights. In tribal matters anything is possible and even though compensation has been paid the victim might still be at risk of revenge.” (DIS/DRC/Landinfo, Juli 2009, S. 46)

Die nachfolgenden Quellen beziehen sich vorrangig auf die kurdischen Gebiete im Irak:

 

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Umsetzung der praktischen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Asylbereich, veröffentlicht im Juli 2017 den Bericht eines COI-Meetings zum Irak. In einer Fragen- und Antworten-Runde gibt der Leiter des Ceasefire Centre for Civilian Rights, Mark Lattimer, an, dass auch Männer beispielsweise in der kurdischen Region Opfer von Ehrenmorden werden könnten, Frauen jedoch von dieser Praxis stärker betroffen seien (z.B. bei Ehebruch oder problematischer Mischehe). Es sei weniger wahrscheinlich, aber es könne passieren, dass auch Männer ins Visier geraten. Eine Sache, die man über Ehrenverbrechen im irakischen Kontext im Allgemeinen verstehen sollte, sei die Art und Weise, wie das Rechtssystem damit umgehe. Nach dem irakischen Strafgesetzbuch würden Argumente, dass das begangene Verbrechen aus ehrenwerten Motiven verübt worden sei, bei der Verurteilung als mildernder Faktor im Hinblick auf die Strafe berücksichtigt:

„Are men also subject to honour violence in the Kurdish region, for example?

(Lattimer) Men may also become victims of honour killings, but women are more affected by this practice (for example, in the case of adultery or a problematic mixed marriage). Maybe you have a Muslim and a Christian or a Sunni and a Shia who are in a relationship and want to marry but the families do not approve. It is also the men who can be targeted as well as the women. It is less likely but it can happen. One thing to understand about honour crimes generally in the Iraqi context is the way in which the legal system deals with them. Under the Iraqi penal code if you can argue that the crime you committed was done for honourable motives – that is taken into account in sentencing, so that is a mitigating factor in terms of punishments. For example, if you kill someone/murder someone when the death penalty is available and if often awarded, though infrequently carried out - if you prove that you killed the woman for ‘honourable’ purposes then the sentence becomes one year. In the case of serious assault, it’s down to six months. The potential implications of being able to argue that it was done for honourable reasons has profound consequences, and you do have these kinds of situations when men kill their wives because they want to remarry, or they want a n inheritance, but then they will allege that there was adultery and use that as a cover to effectively avoid punishment for the crime. And that mitigation is not available if the family then retaliates against the family that did the honour killing. So, f or example, if the husband kills the wife but the wife’s family/brother then kills the husband in retaliation – the mitigation is not open to him – he cannot plead in mitigation that his killing of the killer was honourable.” (EASO, Juli 2017, S. 24)

Die dänische Migrationsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) und der dänische Flüchtlingsrat (DRC) veröffentlichten im April 2016 ihren Bericht zur Fact-Finding Mission vom September/Oktober 2015 in den kurdischen Gebieten im Irak. Bezugnehmend auf Vertreter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt die Quelle an, dass manche Fälle von Ehrenstreitigkeiten leichter zu lösen seien als andere. Wenn ein Teenager-Mädchen und ein Teenager-Junge eine Beziehung außerhalb der Ehe haben würden, könne dies durch eine Einigung zur Verheiratung beider Parteien manchmal leicht gelöst werden. Wenn jedoch beispielsweise eine verheiratete Frau eine Beziehung mit einem anderen Mann führen und ihre Familie dies herausfinden würde, könnte ihre Familie ihren Geliebten töten, noch bevor eine Streitschlichtung stattfinden hätte können. In diesem Fall könne eine Blutfehde („blood fight“) zwischen den beiden Familien beginnen, die jahrelang andauern könne:

„Some cases of honour related disputes are easier to solve than others. If a teenage girl and a teenage boy have a relationship outside marriage, it could sometimes easily be solved by reaching an agreement about marriage between the two parties. However, if for instance a married woman has a relationship with another man than her husband and her family finds out, her family might kill her lover before any mediation can take place. Then a blood fight between the two families might start, and a blood fight can go on for years.” (DIS/DRC, April 2016, S. 138)

In einem Bericht zu Ehrenverbrechen gegen Männer in den kurdischen Gebieten des Irak, bezieht sich das DIS im März 2010 auf die Einschätzungen unterschiedlicher Experten. Dr. JwanIhsan Fawzi, ein Wissenschaftler an der Universität von Sulemaniyah, habe erklärt, dass es die Norm in der kurdischen Gesellschaft darstelle, dass Männer sich auf verbotene sexuelle Beziehungen einlassen würden. Die Gesellschaft in den kurdischen Gebieten im Irak sei männlich dominiert und viele Männer wären bereit, das Risiko, das mit verbotenen sexuellen Beziehungen verbunden sei, auf sich zu nehmen. Hassan Berwari, der Landesvertreter von Diakonia in Dahuk, habe angeführt, dass sowohl Frauen als auch Männer Opfer von Ehrenverbrechen seien und beide wegen Verbrechen gegen die Ehre getötet würden. Es sei betont worden, dass Männer gleich stark gefährdet seien, Opfer von Ehrenverbrechen zu werden wie Frauen. Ari Rafiq, der Leiter, und Huda S. Zangan, ein Mitglied des Beratungsausschusses des Aufsichtsrates zur Verfolgung von Gewalt gegen Frauen („Advisory Committee, Directorate to Follow-up Violence against Women“, DVW) in Erbil, hätten darüber informiert, dass das Risiko, wegen eines Verbrechens gegen die Ehre Opfer von Rache zu werden, real sei und langfristig sein könne. Es sei auf einen Mann in Sulemaniyah hingewiesen worden, der noch immer um sein Leben fürchte, 18 Jahre nachdem er die Ehre einer Familie verletzt habe. Man habe hinzugefügt, dass ein Vater oder Ehemann, dessen Ehre verletzt worden sei, oft eine Haftstrafe aufgrund eines Ehrenverbrechens vorziehen würde, anstatt sich der Gesellschaft und der Schande zu stellen, die Ehre seiner Familie nicht wiederhergestellt zu haben. Sardasht Abdulrahman Majid und Aree Jaza Mahmoud vom Democracy and Human Rights Development Center (DHRD) in Sulemaniyah hätten erklärt, dass jeder, der traditionelle Werte und Regeln durch das Eingehen einer verbotenen sexuellen Beziehung verletze, riskiere, von seiner Familie oder seinem Stamm bestraft zu werden. Mahdi M. Qadr und Fakhir Ibrahim von der Public Aid Organization (PAO) in Erbil, hätten mitgeteilt, dass auch Fälle von verheirateten Frauen mit Kindern, die illegale Beziehungen mit einem jungen Mann gehabt hätten, bekannt seien. In diesen Fällen könnten die Anführer der beteiligten Stämme oder ein Vermittler auch eine Lösung finden, bei der der junge Mann die Frau heiraten könnte. Es sei jedoch hinzugefügt worden, dass die meisten jungen Männer die Frau, mit der sie eine Affäre gehabt hätten, nicht heiraten wollen würden, da sich die jungen Männer um ihren Ruf sorgen würden. Ari Rafiq und Huda S. Zangana von DVW in Erbil, hätten angegeben, dass die Gefahr einer Vergeltung für ein Verbrechen gegen die Ehre immer bestehe. Das Problem einer befleckten Familienehre, die nicht bereinigt worden sei, würde ewig anhalten. Wenn eine dauerhafte Versöhnung nicht erreicht werde, werde der Angreifer der Familienehre zu jeder Zeit in Gefahr sein. Selbst wenn ein Mann, der denjenigen, der die Familienehre beschädigt habe, bedrohe, im Gefängnis sei, bestehe die ernsthafte Gefahr, dass ein anderes Mitglied der angegriffenen Familie Rache, einschließlich der Tötung des Täters, nehme. Hassan Berwari habe erklärt, dass sexuelle Beziehungen zwischen einem unverheirateten Paar als Verbrechen gemäß der Stammestradition angesehen würden. Sollte ein männlicher Täter zur Polizei gehen, weil er Rache von Verwandten der Frau, mit der er eine Beziehung geführt habe, befürchte, würde ihm höchstwahrscheinlich Schutz geboten werden. Die einzige Möglichkeit, ihn zu schützen, wäre jedoch, ihn in Polizeigewahrsam zu nehmen. Gleichzeitig würde die Polizei höchstwahrscheinlich versuchen, das Problem zu lösen, indem sie die Stammesführer auffordere, den Streit zu schlichten. Es sei betont worden, dass eine verheiratete Frau, die eine sexuelle Beziehung zu einem anderen Mann habe, definitiv aufgrund ihrer Auffassung von Ehre von der Familie oder dem Stamm ihres Mannes getötet würde. Hassan Berwari habe weiters darüber informiert, dass es Beispiele gebe, wonach Männer von nahestehenden Verwandten beschützt würden, beispielsweise von einem Onkel, der einflussreicher sei und mehr respektiert werde als der Vater des Mannes. Ein Täter werde dennoch niemals vor der Rache der Familie des Mädchens geschützt werden können. Ehre sei zeitlos und auch nach einiger Zeit müsse die Ehre der angegriffenen Familie geschützt werden. Auch nach vielen Jahren kann der Täter noch ernsthaft gefährdet sein, Opfer eines Ehrenverbrechens zu werden:

„Dr. JwanIhsan Fawzi, Researcher/Lecturer, University of Sulemaniyah, explained that it is the norm in Kurdish society that men embark on illicit sexual relationships. Society in KRI is male - dominated and many men are ready to take on the risk that is associated with illicit sexual relationships. […]

Hassan Berwari, Country Representative, Diakonia, Dahuk, stated that women, as well as men, are victims of honour crimes, and both are being killed for honour offenses. It was emphasized that men are equally at risk of becoming victims of honour crimes as women. […]

Ari Rafiq, Director, and Huda S. Zangan, Member of Advisory Committee, Directorate to Follow-up Violence against Women (DVW), Erbil, informed that the risk of falling victim to revenge because of an honour-related offense is real and can be long-term. Reference was made to an incident in Sulemaniyah where a man still fears for his life 18 years after he wronged a family’s honour. It was added that the offended father or husband would often prefer imprisonment for having committed an honour crime rather than face society and the shame associated with not having re-established the honour of his family.” (DIS, März 2010, S. 3)

„Sardasht Abdulrahman Majid and Aree Jaza Mahmoud, DHRD, Sulemaniyah, explained that anyone violating traditional values and rules, by having an illicit sexual relationship, will be at high risk of being punished [by their family or tribe].” (DIS, März 2010, S. 4)

„Mahdi M. Qadr and Fakhir Ibrahim, PAO, Erbil, informed that PAO is also aware of cases concerning married women with children who have had illicit relations with young men. In some cases, the husband has attempted to seek revenge on the young man’s family. In these cases, the heads of the tribes involved, or a mediator, might also find a solution which could involve the young man marrying the woman. However, it was added, mostly young men will not wish to marry the woman with whom they have had an affair as young men are concerned with their reputation.” (DIS, März 2010, S. 6)

„Ari Rafiq and Huda S. Zangana, DVW, Erbil, stated the risk of retribution for an honour - related offense is always there. The matter of a tarnished honour of a family not yet rectified is eternal, and if a lasting reconciliation is not accomplished, the offender of that family honour will be at risk at all times. Even if a man responsible for threats against a man who has offended his family’s honour is imprisoned, there is a serious risk that another member of the offended family will undertake the revenge, including the killing of the offender.“ (DIS, März 2010, S. 7)

„Hassan Berwari, Diakonia, Dahuk, stated that sexual relations between an unmarried couple is considered a crime according to tribal tradition. Should a male offender fear revenge from relatives of the woman with whom he has had a relationship approach the police, he would most likely be offered protection. However, the only possible way for him to be protected would be to be kept in police custody. At the same time, the police would most likely try to solve the issue by requesting the tribal leaders to settle the dispute. It was emphasized that if a married woman has a sexual relationship with another man, she would definitely be killed by her husband’s family or tribe due to their perception of honour.” (DIS, März 2010, S. 10)

„Hassan Berwari, Diakonia, Dahuk, informed that there are examples of men being protected by close relatives, for instance an uncle that is more influential and respected than the man’s own father. However, an offender will never be able to be protected against the revenge of the girl’s family. Honour is eternal and even after time has passed, the honour of the offended family will still have to be protected. Even after many years, the offender can still be at serious risk of becoming a victim of an honour crime.” (DIS, März 2010, S. 13)

Das kanadische Verwaltungsgericht, das sich mit Fällen von Asyl und Migration befasst (Immigration and Refugee Board, IRB) schreibt in einem Bericht über Ehrenverbrechen im Gebiet Kurdistan im Februar 2016, dass es laut einem Vertreter von WADI, einer deutschen im irakischen Kurdistan tätigen NGO, für Jungen und Männer nicht sehr wahrscheinlich sei, Opfer von Ehrenverbrechen im irakischen Kurdistan zu werden. Sollte dies doch der Fall sein, liege es meist an vermeintlicher Homosexualität:

„In contrast, in the opinion of the WADI representative, boys and men are ‘not very likely’ to become victims of honour-based violence in Iraqi Kurdistan, and when they are affected, ‘most’ of the time it is due to ‘supposed homosexuality’.” (IRB, 15. Februar 2016)

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 31. August 2018)

·      DIS – Danish Immigration Service: Honour Crimes against Men in Kurdistan Region of Iraq (KRI) and the Availability of Protection, Report from Danish Immigration Service’s fact-finding mission to Erbil, Sulemaniyah and Dahuk, KRI, 6 to 20 January 2010, März 2010
http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/3E22AAC6-C28F-420B-9EDB-B8D2274D3E2D/0/KRGrapport%C3%86resdrabjan2010SLUTRAPPORT.pdf

·      DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council: The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015, April 2016
https://www.ecoi.net/en/file/local/1302021/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf

·      DIS/DRC/Landinfo – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council/Landinfo: Security and Human Rights Issues in Kurdistan Region of Iraq (KRI), and South/Central Iraq (S/C Iraq) Report from the Danish Immigration Service´s (DIS), the Danish Refugee Council´s (DRC) and Landinfo’s joint fact finding mission to Erbil and Sulaymaniyah, KRI; and Amman, Jordan, 6 to 23 March 2009, Juli 2009
http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/5EAE4A3C-B13E-4D7F-99D6-8F62EA3B2888/0/Iraqreport09FINAL.pdf

·      EASO – European Asylum Support Office: EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, Juli 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf

·      Finnish Immigration Service: Overview of the Status of Women Living Without a Safety Net in Iraq, 22. Mai 2018
https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/PLib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf

·      Gill, Aisha: Challenging Mistaken Assumptions about Honour-Based Violence, 14. März 2014 (veröffentlicht von Media Diversified)
https://mediadiversified.org/2014/03/14/challenging-mistaken-assumptions-about-honour-based-violence/

·      GJPI - Global Justice Project Iraq: Penal Code No. 111 of 1969 (as amended to 14 March 2010), 29. Mai 2018
http://gjpi.org/wp-content/uploads/gjpi-pc-1969-v1-eng.doc

·      Heartland Alliance: Institutionalized Violence against Women and Girls. Laws and Practices in Iraq, 2011
https://www.heartlandalliance.org/international/wp-content/uploads/sites/15/2017/02/Institutionalized-Violence-Against-Women-and-Girls-in-Iraq-Laws-and-Practices-January-2011.pdf

·      IRB – Immigration and Refugee Board of Canada: Iraq: Honour-based violence in the Kurdistan region; state protection and support services available to victims [IRQ105424.E], 15. Februar 2016
https://www.ecoi.net/de/dokument/1334232.html

·      MRG – Minority Rights Group International: The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, 4. November 2015
https://www.ecoi.net/en/file/local/1127801/1788_1447079735_mrg-report-a4-october-2015-web.pdf

·      OWFI - Organization of Women's Freedom in Iraq; The International Women's Human Rights Clinic, City University of New York School of Law; MADRE: Seeking Accountability and Demanding Change: A Report on Women's Human Rights Violations in Iraq under the UN Convention against Torture, 2015 MADRE (veröffentlicht von CAT – UN Committee Against Torture)
https://www.ecoi.net/en/file/local/1133908/1930_1437565505_int-cat-css-irq-21156-e.pdf