Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Regeln für Obsorge, Adoption bei Waisen [a-10665]

27. Juli 2018

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Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht führt in einem Handbuch zum afghanischen Familienrecht vom Juli 2012 an, dass die elterliche Obsorge ein Schutzverhältnis sei, das den Interessen des minderjährigen Kindes diene. Sie stelle ein Recht dar, an das sich Verpflichtungen knüpfen und das für alle gelte. Das Hauptaugenmerk liege auf der elterlichen Verantwortung und damit auf dem verpflichtenden Aspekt. Im islamischen Recht sei das elterliche Sorgerecht in drei Kategorien eingeteilt:

1. Sorgerecht (hedānat) beziehe sich auf die Betreuung eines Kleinkindes in seinen frühen Lebensjahren, wenn es von einer Frau betreut werden müsse. Diese Pflege werde von der Mutter oder einer anderen zu diesem Zweck beauftragten Frau übernommen;

2. Die Vormundschaft der Person (velāyat-e nafs) oder Vormundschaft der Erziehung (velāyat‑e tarbiyat) beziehe sich auf die Verpflichtung des gesetzlichen Vertreters, für Bildung, Erziehung, Entwicklung, Gesundheit und Sicherheit des Kindes zu sorgen. Der Vater des Kindes werde vor allen anderen als sein gesetzlicher Vertreter zum Vormund der Person ernannt;

3. Die Vormundschaft des Eigentums (velāyat-e amvāl) beziehe sich auf die Verpflichtung des gesetzlichen Vertreters, das Eigentum des Kindes zu verwalten. Auch hier sei zunächst der Vater als gesetzlicher Vertreter verpflichtet, das Vermögen des Kindes zu verwalten:

„Parental custody is a protective relationship serving the interests of the minor child and constitutes a right bound by obligations, which is valid with respect to everyone. The main focus is on parental responsibility and thus the obligatory aspect. In Islamic law, parental custody is divided into three categories:

1. Custody (hedānat) refers to the care for an infant in his/her early years of life when it needs to be looked after by a woman. This care is provided by the mother or by another woman assigned for this purpose;

2. Guardianship of person (velāyat-e nafs) or guardianship of education (velāyat-e tarbiyat) refers to the obligation of the legal guardian to provide for education, upbringing, development, health and security of the child. The father of the child as his/her legal guardian is appointed as the guardian of person prior to others;

3. Guardianship of property (velāyat-e amvāl) refers to the obligation of the legal guardian to administer the property of the child. Here, too, it is first of all the father as the legal guardian who is obliged to administer the property of the child.” (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Juli 2012, S. 103)

Dieselbe Quelle schreibt, dass der Begriff Sorgerecht (hedānat) in Artikel 236 des Zivilgesetzbuches (ZGB) als die Betreuung und Erziehung des Kindes während eines Zeitraums, in dem es diese benötige, definiert sei. Die erforderliche Dauer der Betreuung und Erziehung des Kindes durch eine Frau sei im Detail gesetzlich geregelt. Nach Artikel 249 ZGB ende diese, wenn ein Junge sieben und ein Mädchen neun Jahre alt werde. Das Gericht sei jedoch ermächtigt, die Dauer nach Artikel 250 ZGB zu verlängern, sofern die Verlängerung eine Dauer von zwei Jahren nicht überschreite. Alle islamischen Rechtsschulen würden der Auslegung folgen, dass die Mutter vor allen anderen für das Sorgerecht in Betracht gezogen werden sollte, unabhängig davon, ob sie bei ihrem Mann lebe oder von ihm getrennt sei. Dieser Grundsatz sei im afghanischen Recht in Artikel 237 ZGB verankert. Demnach habe die biologische Mutter in erster Linie Anspruch auf Betreuung und Erziehung des Kindes während der Ehe oder nach deren Auflösung, sofern sie über die erforderliche Sorgerechtsfähigkeit verfüge. Diese sei in Artikel 238 ZGB festgelegt, wonach eine Mutter, die das Sorgerecht für ein Kind übernehme, gesund, volljährig und zuverlässig sein sollte, um sicherzustellen, dass das Wohl des Kindes nicht eingeschränkt werde und dass sie in der Lage sei, sich um das Kind zu kümmern und es zu erziehen. Im Fall, dass die Mutter sterbe oder unfähig werde sich um das Kind zu kümmern, hätten ihre eigenen Verwandten aufgrund des primären Sorgerechts der Mutter Vorrang vor den Verwandten ihres Mannes. Nach Artikel 239 ZGB seien folgende Frauen berechtigt, das Sorgerecht auszuüben:

1. Die Mutter, die mütterliche Großmutter und die weiblichen Vorfahren in der mütterlichen Linie;

2. Die Großmutter väterlicherseits;

3. Die Schwester (khāhar-e acyānī);

4. Die Halbschwester mütterlicherseits (khāhar-e akhyāfī);

5. Die Halbschwester väterlicherseits (khāhar-e callātī);

6. Die Tochter der Schwester;

7. Die Tochter der Halbschwester mütterlicherseits;

8. Die Tochter der Halbschwester väterlicherseits;

9. Die Schwester der Mutter;

10. Die Halbschwester der Mutter mütterlicherseits;

11. Die Halbschwester der Mutter väterlicherseits;

12. Die Tante des Vaters;

13. Die Halbtante des Vaters mütterlicherseits (khale-ye akhyāfī-ye pedar);

14. Die Halbtante des Vaters väterlicherseits;

15. Die Tante der Mutter väterlicherseits;

16. Die Tante des Vaters väterlicherseits.

Wenn es keine Frauen gebe, die mit der Mutter oder dem Vater verwandt seien, die für das Sorgerecht geeignet seien, sehe Artikel 240 ZGB vor, dass, das Sorgerecht gemäß der Reihenfolge der Erbfolge wie folgt übertragen werde:

1. Der Vater;

2. Der Großvater väterlicherseits und die männlichen Vorfahren in der väterlichen Linie;

3. Der Bruder;

4. Der Halbbruder väterlicherseits;

5. Die Söhne des Bruders;

6. Die Söhne des Halbbruders väterlicherseits;

7. Die Nachkommen des Bruders oder Halbbruders väterlicherseits;

8. Der Onkel väterlicherseits;

9. Der Sohn des Onkels väterlicherseits.

Wenn die oben genannten Personen nicht zur Verfügung stehen oder die erforderliche Sorgerechtsfähigkeit nicht besitzen, sehe Artikel 241 ZGB vor, dass das Kind seinem/ihrem nächsten Verwandten wie folgt zugesprochen werde:

1. Der Großvater mütterlicherseits;

2. Der Halbbruder mütterlicherseits (bar ā dar-e akhyāfī);

3. Der Sohn des Halbbruders mütterlicherseits (pessar-e barādar-e akhyāfī);

4. Der Halbbruder des Vaters väterlicherseits (kākā-ye akhyāfī);

5. Der Bruder der Mutter (māmā-ye acyānī);

6. Der Halbbruder der Mutter väterlicherseits (māmā-ye callātī);

7. Der Halbbruder der Mutter mütterlicherseits (māmā-ye akhyāfī)

Das Sorgerecht könne verloren werden, wenn die/der Sorgerechtsberechtigte nicht für die Ausübung qualifiziert sei. Die Anforderungen des Artikels 238 ZGB in Bezug auf die Sorgerechtsfähigkeit der Frau würden auch für alle anderen Sorgerechtsberechtigten gelten. Das Gesetz enthalte in Artikel 251 ZGB auch den allgemeinen Grundsatz, wonach das Gericht das Kind der Person zusprechen könne, die die nächste auf der Liste für das Sorgerecht sei. Es müsse jedoch nachgewiesen werden, dass es nicht im besten Interesse des Kindes sei, unter der Obsorge dieser Person zu sein, auch wenn dies der Vater des Kindes sei:

“The term custody (hedānat) is defined, in Article 236 CC, as the care and education of the child during a period in which they need such services. The necessary period of care and education of the child by a woman is regulated in detail by law. Under Article 249 CC, the period of custody ends when a boy reaches seven and a girl nine years of age. However, the court is authorised to extend the duration of custody under Article 250 CC, provided that the extended time does not exceed two years. […] All schools of Islamic law follow the belief that the mother should be considered for custody prior to anyone else, regardless of whether she is living with her husband or separated from him. This principle is laid down in Afghan law in Article 237 CC. According to this, the biological mother is primarily entitled to care and education of the child during the marriage or after its dissolution, provided she has the necessary aptitude for custody. This is determined in Article 238 CC, under which a mother who assumes custody for a child should be sane, of full age and reliable to ensure that the well-being of the child is not compromised and that she is capable of caring for the child and educating it. Due to the mother’s primary right to assume personal custody, if the woman dies or becomes incapable of looking after the child, her own relatives are given priority over her husband’s relatives. Under Article 239 CC, the women entitled to custody are the following:

1. The mother, the maternal grandmother and the female ascendants in the maternal line;

2. The paternal grandmother;

3. The full sister (khāhar-e acyānī);

4. The maternal half sister (khāhar-e akhyāfī);

5. The paternal half sister (khāhar-e callātī);

6. The daughter of the full sister;

7. The daughter of the maternal half sister;

8. The daughter of the paternal half sister;

9. The full sister of the mother;

10. The maternal half sister of the mother;

11. The paternal half sister of the mother;

12. The full aunt of the father;

13. The maternal half aunt of the father (khale-ye akhyāfī-ye pedar);

14. The paternal half aunt of the father;

15. The mother’s paternal aunt;

16. The father’s paternal aunt.

If there are no women related to either the mother or the father available for custody, Article 240 CC provides that if those listed in Article 239 CC are not available or lack the necessary aptitude for custody, it will be transferred, according to the order of succession, as follows:

1. The father;

2. The paternal grandfather and the male ascendants in the paternal line;

3. The full brother;

4. The paternal half brother;

5. The sons of the full brother;

6. The sons of the paternal half brother;

7. The descendants of the full or paternal half brother;

8. The paternal uncle;

9. The son of the paternal uncle.

If the above people are not available either or lack the necessary aptitude for custody, Article 241 CC provides that the child will be given to his /her closest relative as follows:

1. The maternal grandfather;

2. The maternal half brother (bar ā dar-e akhyāfī);

3. The son of the maternal half brother (pessar-e barādar-e akhyāfī);

4. The paternal half brother of the father (kākā-ye akhyāfī);

5. The full brother of the mother (māmā-ye acyānī);

6. The paternal half brother of the mother (māmā-ye callātī);

7. The maternal half brother of the mother (māmā-ye akhyāfī) […]

In some cases, the right to custody can be lost. This can be the case when the person entitled to custody is not qualified to exercise it. The requirements of Article 238 CC with regard to the woman’s aptitude to exercise custody noted above are also applicable to any other person entitled to custody. The law also contains a general principle in Article 251 CC that the court can give the child to the person who is the next on the list for custody. However, it has to be proven that it is not in the best interests of the child to be in the custody of that person, even if it is the father of the child.” (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Juli 2012, S. 103‑105)

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht gibt weiters an, dass die Vormundschaft einer Person im afghanischen Zivilgesetzbuch nicht ausdrücklich geregelt sei. Allerdings seien sich alle islamischen Rechtsschulen einig, dass der Vater verpflichtet sei, für Bildung, Erziehung, Entwicklung, Gesundheit und Sicherheit des minderjährigen Kindes zu sorgen. Diese Betreuung durch den Vater werde als Vormundschaft der Person bezeichnet. Wenn das Sorgerecht der Mutter ende, beginne die Phase der Vormundschaft der Person durch den gesetzlichen Vormund.

Das Recht des Vaters auf Vormundschaft sei im afghanischen Recht nicht verankert. Dieser Vorrang könne aus Artikel 71 Absatz 1 ZGB, der die Vormundschaft bei der Eheschließung eines Mädchens zwischen 15 und 16 Jahren betreffe, geschlossen werden. Außerdem seien im Abschnitt über die Verwaltung des Vermögens eines Kindes mit eingeschränkter Rechtsfähigkeit die Personen angeführt, die für die Vormundschaft des Vermögens in Frage kämen. Es sei umstritten, ob diese Bestimmungen auch auf die Vormundschaft einer Person angewendet werden können und ob die Hierarchie der Personen, die befugt seien, das Vermögen eines Kindes mit eingeschränkter Rechtsfähigkeit zu verwalten, auch auf die Vormundschaft eines Kindes angewandt werden könne. Da das Gesetz jedoch die Vormundschaft für das Vermögen eines Kindes mit eingeschränkter Rechtsfähigkeit ausdrücklich regle und zur Frage der Vormundschaft der Person schweige, erscheine es sinnvoller, von einer Gesetzeslücke zu sprechen. Mangels einer Rechtsvorschrift könnten nach Artikel 1 Absatz 2 ZGB die allgemeinen Grundsätze der hanafitischen Rechtsschule als Auslegungsmittel herangezogen werden, nach denen der Vater als Vormund eines Kindes mit eingeschränkter Rechtsfähigkeit noch vor allen anderen Personen bestimmt werde. Wenn der Vater tot oder für die Vormundschaft der Person ungeeignet sei, stelle sich die Frage, wer sonst noch das Recht habe, die Vormundschaft der Person an seiner Stelle auszuüben. Nach den allgemeinen Grundsätzen der hanafitischen Rechtsschule werde die Vormundschaft einer Person nach dem Tod des Vaters auf ihren väterlichen Großvater übertragen. Sei auch der Großvater nicht mehr am Leben, werde die Vormundschaft der Person dem nächsten väterlichen männlichen Verwandten nach der gesetzlichen Erbfolge übertragen. Die Hierarchie dieser so genannten agnatischen (d.h. in väterlicher Linie verwandten) Erben, die nach den allgemeinen Grundsätzen der hanafitischen Rechtsschule nach dem Tod des Vaters und des Großvaters väterlicherseits zur Ausübung der Vormundschaft berechtigt seien, ist bereits im Abschnitt über die sorgeberechtigten Personen beschrieben worden. Wenn es keine agnatischen Erben gebe, die für die Vormundschaft der Person geeignet seien, werde die Vormundschaft auf die weiblichen Verwandten übertragen, die zu den im Koran erwähnten Erben („quranic heirs“) gehören. Zu diesen Personen würden die Mutter gefolgt von der Großmutter väterlicherseits und schließlich der Großmutter mütterlicherseits gehören. Falls diese Personen nicht zur Vormundschaft berechtigt seien, werde sie dem Großvater mütterlicherseits erteilt. Wenn der Großvater mütterlicherseits tot sei, würden die Schwester und ihre Kinder und schließlich die Tanten väterlicherseits und mütterlicherseits und ihre Kinder für die Vormundschaft in Betracht gezogen. Für Personen, die keinen gesetzlichen Vormund hätten, sehe Artikel 78 ZGB vor, dass der Richter der gesetzliche Vormund sei.

Gemäß Artikel 42 ZGB ende die Vormundschaft der Person mit dem Erreichen der Volljährigkeit. Dieser Artikel befasse sich mit der Vormundschaft von nicht rechtsfähigen Personen oder Personen mit eingeschränkter Rechtsfähigkeit. Die volle Rechtsfähigkeit beginne mit Vollendung des 18. Lebensjahres nach Artikel 39 ZGB, sofern die Person gesund sei:

„[G]uardianship of person is not specifically regulated in the Civil Code of Afghanistan. However, all schools of Islamic law agree that the father is obliged to provide for education, upbringing, development, health and security of the minor child. This care by the father is called guardianship of person. When the custody of the mother ends, the phase of guardianship of person by the legal guardian begins.

The father’s right to exercise guardianship of person is not laid down in Afghan law. This priority can be concluded from the Article 71(1) CC regarding guardianship in marriage of a girl aged between 15 and 16. Moreover, in the section on the administration of property of a child of limited capacity of execution, the persons eligible for guardianship of property are listed. It is debatable whether these provisions can also be applied to the guardianship of person and whether the hierarchy of the persons authorised to administer the property of a child of limited capacity of execution can be applied to a child’s guardianship of person as well. However, as the law explicitly regulates the guardianship of property of a child of limited capacity of execution and is silent on the issue of guardianship of person, it seems more reasonable to speak of a legal loophole. In the absence of a legal provision, according to Article 1(2) CC the general principles of Hanafi law can be referred to as a means of interpretation, under which the father will be assigned as the guardian of person of a child with limited capacity of execution prior to anyone else. If the father is dead or unapt for guardianship of person, the question arises as to who else will be entitled to exercise guardianship of person in his place. According to the general principles of Hanafi law, after the death of the father the guardianship of a person is transferred to his paternal grandfather. If the grandfather is dead as well, the guardianship of person will be granted to the next paternal male relative according to the legal order of succession. The hierarchy of those so-called agnatic heirs, who, in accordance with the general principles of Hanafi law, are entitled to exercise the guardianship of person after the demise of the father and the paternal grandfather, has already been described in the section on the persons entitled to custody. If there are no agnatic heirs suitable for guardianship of person, the guardianship will be transferred to those female relatives who are classed among the quranic heirs. These persons include the mother, followed by the paternal grandmother and finally the maternal grandmother. In case these people fail to be eligible for guardianship, it will be granted to the maternal grandfather. If the maternal grandfather is dead, the sister and her children and finally the paternal and maternal aunts and their children will be considered for the guardianship. With regard to those persons who do not have any legal guardian of person, Article 78 CC provides that the judge will be the legal guardian. […]

Under Article 42 CC, the guardianship of a person ends when the child reaches the age of majority. This article deals with the guardianship of legally incapable persons or those with limited capacity of execution. Full capacity of execution begins with the completion of 18 years of age under Article 39 CC, provided the person is sane.” (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Juli 2012, S. 106‑107)

Laut dem Handbuch des Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sei der Unterhalt für Kinder in Artikel 256 ZGB geregelt. Demnach sei der Unterhalt für Kinder in jeglicher Form eine Verpflichtung des Vaters, bis ein Sohn arbeitsfähig und eine Tochter verheiratet sei. Wenn der Vater nicht in der Lage sei, für seine Kinder Unterhalt zu zahlen und arbeitsunfähig sei, sei die Person, die nach dem Vater zum Vormund ernannt werde, verpflichtet, für den Unterhalt der Kinder gemäß Artikel 259 ZGB zu sorgen. Nach Artikel 268 ZGB gelte nach dem Vater der sogenannte "wahre Großvater" (ein männlicher Vorfahre in männlicher Linie, zwischen dem und dem Kind keine Frau stehe, z.B. der Vater eines Vaters, während der Vater einer Mutter als "falscher" Großvater bezeichnet werde) als Vormund. Im Fall eines Kindes, das weder einen Vater noch eigenes Eigentum habe, das aber Verwandte einschließlich Vorfahren in gerader und seitlicher Linie habe, solle der Unterhalt gemäß Artikel 261 ZGB wie folgt bezahlt werden:

1. Wenn nur die Vorfahren in gerader Linie (Großeltern) oder die Verwandten in seitlicher Linie (Onkel und Tanten) Erben des Kindes seien, seien die Vorfahren verpflichtet, für den Unterhalt zu zahlen, egal ob sie tatsächlich vom Kind erben oder nicht;

2. Wenn die Vorfahren in gerader Linie sowie die Verwandten in seitlicher Linie Miterben des Kindes seien, werde der Unterhalt von jedem von ihnen im Verhältnis zu seinem Anteil an der Erbschaft bezahlt.

Die Unterhaltspflicht umfasse die Kosten für Unterkunft, Kleidung, Verpflegung, Gesundheitsfürsorge und alle anderen für das Wachstum und die Entwicklung eines Kindes wichtigen Ausgaben:

„The maintenance for children is regulated under Article 256 CC. In accordance with this, maintenance for children in any form is an obligation of the father until a son is capable of working and until a daughter is married. […] If the father is incapable of paying maintenance for his children and unable to work, the person who is appointed as the legal guardian after the father will be obliged to provide for the maintenance of the children in accordance with Article 259 CC. Under Article 268 CC, after the father, the so called ‘true grandfather’ [a male ascendant in the male line, i.e. between whom and the child no female intervenes, e.g. a father's father, whereas a mother's father is a ‘false’ grandfather] is considered as the guardian. According to Article 261 CC, a child who has neither father nor any property of their own, if there are relatives including ascendants in direct and collateral line, the maintenance should be paid as follows:

1. In case only the ascendants in direct line (grandparents) or the relatives in collateral line (uncles and aunts) are heirs to the child, the ascendants are obliged to pay for the maintenance whether they will effectively inherit from the child or not;

2. If the ascendants in direct line as well as the relatives in collateral line are joint heirs to the child, the maintenance will be paid by each of them in proportion to their shares of the inheritance. […]

The maintenance obligation includes the expenses for accommodation, clothing, food, health care and all other necessary expenditures important for a child’s growth and development.“ (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Juli 2012, S. 102‑103)

Die Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl bezieht sich in einer Anfragebeantwortung zur gesetzlichen Vertretung von Minderjährigen und der Übertragung der Sorgepflicht vom Juli 2018 auf die englischsprachige Email-Auskunft eines Anwalts in Kabul vom 15. Juli 2018 und führt in ihrer Übersetzung folgende Abfolge an Obsorge-berechtigten Personen an:

„Gemäß afghanischem Recht ist die Vormundschaft des Kindes in zwei Phasen geteilt. In der ersten Phase (von Geburt an bis 7 Jahre bei Buben bzw. 9 Jahre bei Mädchen) liegt die Vormundschaft bei der Mutter bzw. bei deren Abwesenheit bei ihren Nachfolgern (s. unten angeführte Liste, Anm.). In der zweiten Phase, ab 7 Jahre bei Buben bzw. 9 Jahre bei Mädchen bis zum Eintritt ins Erwachsenenleben, liegt die Vormundschaft beim Vater. […] Falls die Kindesmutter nicht am Leben ist oder nicht für die Vormundschaft qualifiziert sein sollte, geht die Vormundschaft anhand folgender Rangordnung an folgende Personen. Diese Personen sind berechtigt, die Vormundschaft für ein Kind zu übernehmen:

1.      Großmutter und Urgroßmutter

2.     Mutter des Vaters

3.     Schwester

4.     Stiefschwester

5.     Nichte (Tochter der Schwester)

6.     Halbnichte

7.     Tante (Schwester der Mutter)

8.     Halbtante

9.     Tante des Vaters (Schwester der Mutter des Vaters)

10.   Halbtante des Vaters

11.    Tante der Mutter (Schwester des Vaters der Mutter)

12.   Tante des Vaters (Schwester des Vaters des Vaters)

In allen Fällen ist der Vater für den Unterhalt (Alimente) des Sohnes verantwortlich, bis dieser in der Lage ist, zu arbeiten bzw. für die Tochter, bis diese verheiratet ist.

Wenn der Vater verstorben ist, wird die Vormundschaft gemäß der obenstehenden Rangordnung geregelt, trotzdem ist der Großvater für den Unterhalt verantwortlich. Wenn die Mutter verstorben ist, wird die Vormundschaft gemäß obenstehender Liste geregelt, aber der Vater ist weiterhin für den Unterhalt verantwortlich. Wenn beide Elternteile verstorben sind, wird die Vormundschaft gemäß obenstehender Liste geregelt, die Unterhaltspflicht geht an den Großvater. Dies ist auch anzuwenden, wenn ein Elternteil oder beide Elternteile verschwunden sind, vermisst werden oder ihr Aufenthaltsort unbekannt ist. […]

Wenn eine Person von Vormundschaft oder Unterhaltspflicht aus verschiedenen Gründen entbunden wird (Tod, Abwesenheit oder Unfähigkeit), wird die nächstrangige Person, die für die Vormundschaft bzw. Unterhaltspflicht qualifiziert ist, nominiert.“ (BFA, 18. Juli 2018, S. 3-4)

In Bezug auf die formelle Regelung vor Gericht bzw. die gängige Praxis verweist die BFA-Staatendokumentation wiederum auf die Auskunft des Anwalts und übersetzt:

„Wenn eine Person von Vormundschaft oder Unterhaltspflicht aus verschiedenen Gründen entbunden wird (Tod, Abwesenheit oder Unfähigkeit), wird die nächstrangige Person, die für die Vormundschaft bzw. Unterhaltspflicht qualifiziert ist, nominiert.

In der Praxis werden formelle Regelungen zur Übertragung der Vormundschaft oder Sorgepflicht selten eingehalten. Falls es Streitigkeiten gibt und der Fall einem Gericht übertragen wird, ist es verpflichtet, die formellen Regelungen zur Übertragung der Vormundschaft oder Sorgepflicht einzuhalten.

Es ist möglich, die Sorgepflicht oder die Vormundschaft von den Eltern auf andere Verwandte gemäß obenstehender Rangordnung zu übertragen, jedoch verbleibt in allen Fällen die Unterhaltsverpflichtung beim Vater, unabhängig davon, ob er emigriert ist oder die Familie verlässt.

Formalitäten, um die Vormundschaft zu übertragen, sind die Antragstellung an das Civil Department des Justizministeriums. Der Fall wird einem Gericht übertragen, das daraufhin eine Entscheidung fällt.

In der Praxis erfolgt die Übertragung der Vormundschaft in vielen Fällen informell und ohne Rücksicht auf die o.a. Rangordnung. In den meisten Fällen übernimmt ein großzügiger Angehöriger – unabhängig seines Standes in der Rangordnung – die Fürsorge für das Kind. Nur wenn es zu formellen Disputen oder Rechtsstreitigkeiten kommt, geht die Sache an ein Gericht.“ (BFA, 18. Juli 2018, S. 4)

Der von der BFA Staatendokumentation befragte Anwalt aus Kabul merkt in seiner Email-Auskunft vom Juli 2018 zudem an, dass das afghanische Zivilgesetzbuch das Thema Vormundschaft von Kindern als rechtliches Konzept und nicht bezogen auf den Verantwortungsaspekt verstehe. Deshalb könne die Vormundschaft leicht von den Eltern auf andere Personen in der obengenannten Abfolge übertragen werden. Auch das Gericht könne die Vormundschaft auf Personen in der obengenannten Abfolge übertragen, selbst wenn die Eltern noch am Leben seien, aber aufgrund von oben genannten Gründen nicht berechtigt seien, die Vormundschaft zu übernehmen. In jedem Fall sei der Vater aber für den Unterhalt verantwortlich:

„Note: The Afghanistan Civil Code has a “right approach” to the guardianship of the child, and don’t have a “responsibility approach” to it, so it can be easily transferred from parents to other people in the row, and court can transfer the guardianship to other people in the row as well, even if they are alive, off course if the parents are not entitled to have the guardianship due to some reasons which are mentioned above, but in all circumstance child support (covering financial costs) are responsibility of father.” (BFA, 18. Juli 2018, S. 8)

Die schwedische Einwanderungsbehörde (Migrationsverket) schreibt in der englischen Zusammenfassung ihres Berichts zum Sorgerecht in Afghanistan im Juni 2018, dass das Familienrecht in Afghanistan auf einer Vielzahl an Rechtsquellen wie dem Zivilgesetzbuch (1977), dem schiitischen Personenstandsgesetz (2009), dem islamischen Recht sowie dem lokalen Gewohnheitsrecht basiere. Die Gerichte seien verpflichtet, zunächst das gesatzte Recht anzuwenden, und wenn keine Bestimmungen in diesen Gesetzen gefunden würden, könnten sie den Prinzipien des islamischen Rechts folgen. In Fällen, in denen nach wie vor ein Rechtsvakuum bestehe, könnten die Gerichte auf die Anwendung des örtlichen Gewohnheitsrechts zurückgreifen. Trotz dieser Bestimmungen würden afghanische JuristInnen in Familienangelegenheiten häufig von Beginn an dem Gewohnheitsrecht folgen. Angelegenheiten, die die Vormundschaft von Kindern betreffen, seien sowohl im Zivilgesetzbuch als auch im schiitischen Personenstandsgesetz geregelt. Die Regelungen in den Gesetzbüchern würden in erster Linie auf dem islamischen Recht basieren, wobei der Vater als natürlicher Vormund eines Kindes angegeben sei, während die Mutter das Recht und die Verantwortung für das Sorgerecht und damit die tägliche Betreuung von Kleinkindern (Töchter bis zum Alter von neun Jahren und Söhne bis zum Alter von sieben Jahren) habe. Es sei jedoch üblich, dass die gesetzlichen Rechte von Frauen in Familienangelegenheiten in der afghanischen Gesellschaft aufgrund der anhaltenden kulturellen Anschauung und der stark patriarchalen Gesellschaftsordnung nicht beachtet würden:

„Family Law in Afghanistan is derived from a plurality of legal sources such as the Civil Code (1977); the Shiite Personal Status Law - SPSL (2009); Islamic law as well as local customary law. The courts are required to first apply statutory laws, and when no provisions are found in these laws they may follow the principles of Islamic law. If there is still a legal vacuum, courts may resort to the application of local customary law. Despite this, Afghan legal practitioners often follow customary law at first hand in family matters. Matters regarding guardianship of children are regulated in the Civil Code as well as in the SPSL. The regulations in the codes are primarily based on Islamic law with the father stated as the natural legal guardian of a child, while the mother has the right and responsibility of custody, and thus daily care of small children (daughters until the age of nine and sons until the age of seven). It is however common that the legal rights of women in family matters are not observed in the Afghan society due to persistent cultural views and the strong patriarchal order of society.” (Migrationsverket, 1. Juni 2018, S. 4)

In einer inoffiziellen englischen Übersetzung der afghanischen Jugendstrafprozessordnung, die vom Afghanistan Legal Documents Exchange Center (ALDEC), einer Website, die von der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID) finanziert und vom Afghanistan Rule of Law Project (ARoLP) gewartet wird, veröffentlicht wurde, finden sich in Kapitel 7 (Artikel 57‑62) Informationen bezüglich des gesetzlichen Vormunds. Die Jugendstrafprozessordnung befasst sich mit dem Verfahrensrecht im Umgang mit Kindern im Konflikt mit dem Gesetz. (Juvenile Law, 23. März 2005, Artikel 57‑62)

 

Der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes (CRC) führt in seinen Schlussbemerkungen zum Staatenbericht über die Umsetzung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes im April 2011 an, dass dem Staatenbericht zufolge Adoption oder Kafalah in Afghanistan nicht praktiziert werde. Der Ausschuss äußere diesbezüglich Bedenken darüber, dass der Vertragsstaat über kein System verfüge, das Kindern, die einer familiären Umgebung beraubt wurden, besonderen Schutz und Unterstützung biete. Der Ausschuss nehme zudem die Informationen zur Kenntnis, die während des interaktiven Dialogs vorgebracht worden seien, wonach es im Vertragsstaat ein Vormundschaftssystem für die Betreuung von Waisenkindern gebe und wonach Rechtsvorschriften zum Schutz dieser Kinder erwogen würden. Der Ausschuss sei jedoch besorgt über das Fehlen eines Rechtsrahmens, der eine solche Vormundschaft regle und Kinder, die einer familiären Umgebung beraubt sind, langfristig schütze:

„While noting the information provided in the State party’s report that the State party does not practice adoption or kafalah, the Committee expresses concern that the State party does not have a system that provides special protection and assistance to children deprived of a family environment. The Committee also takes note of the information provided during the interactive dialogue that a system of guardianship exists in the State party to take care of orphaned children, and that legislation to protect those children is being considered. Nevertheless, the Committee is concerned about the absence of a legal framework regulating such guardianship and protecting children deprived of a family environment on long-term basis.” (CRC, 8. April 2011, S. 9-10)

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht gibt in seinem Handbuch zum afghanischen Familienrecht vom Juli 2012 zum Thema Adoption an, dass die rechtliche Begründung einer Eltern-Kind-Beziehung durch Adoption im islamischen Recht nicht anerkannt werde. Dieser Grundsatz finde in Artikel 228 des Zivilgesetzbuches seinen Ausdruck, wonach eine Person, die adoptiert wird, nicht den Auswirkungen einer nachgewiesenen Abstammung unterworfen werde, wie zum Beispiel dem Recht auf Unterhalt oder dem Erbrecht:

„The legal creation of a parent-child relationship through adoption is not recognised in Islamic law. This principle finds its expression in Article 228 CC according to which a person who is adopted will not be subjected to the effects of proven descent, such as the right to maintenance, care costs, right of succession, and impediment to inheritance due to affinity or regarding the repudiated woman (adoptive mother).” (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Juli 2012, S. 117)

Das US-Außenministerium erwähnt im Rahmen von Informationen zu internationaler Adoption im Juli 2013, dass das afghanische Zivilgesetzbuch die Rechte und Interessen von Minderjährigen in Afghanistan regle. Das afghanische Familienrecht beruhe weitgehend auf der Scharia und würde die Adoption von Kindern in Afghanistan nicht erlauben:

„The Afghan Civil Code governs the rights and interests of minors in Afghanistan. Islamic Shari’a law, upon which Afghanistan family law is largely based, does not allow for adoption of Afghan children in Afghanistan.” (USDOS, 1. Juli 2013)

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 27. Juli 2018)

·      BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan: Gesetzliche Vertretung von Minderjährigen, Übertragung der Sorgepflicht, 18. Juli 2018 (verfügbar auf ecoi.net, Login der BFA-Staatendokumentation erforderlich)
https://www.ecoi.net/en/file/local/1438945/5209_1532337401_afgh-ra-gesetzliche-vertretung-von-minderjaehrigen-uebertragung-der-sorgepflicht-2018-07-18-ke.odt

·      CRC – UN Committee on the Rights of the Child: Consideration of reports submitted by States parties under article 44 of the Convention; Concluding observations: Afghanistan [CRC/C/AFG/CO/1], 8. April 2011
https://www.ecoi.net/en/file/local/1325958/1930_1332855444_crc-c-afg-co-1.pdf

·      Juvenile Law, 23. März 2005 (veröffentlicht von ALDEC)
http://afghantranslation.checchiconsulting.com/

·      Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht: Max Plack Manual on Family Law in Afghanistan, Juli 2012
https://www.mpipriv.de/files/pdf3/max_planck_manual_on_afghan_family_law_english.pdf

·      Migrationsverket – Schwedische Einwanderungsbehörde: Afghanistan – vårdnad av barn, 1. Juni 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1438277/1226_1531738709_180601552.pdf

·      USDOS - United States Department of State: Intercountry Adoption – Afghanistan, 1. Juli 2013
http://travel.state.gov/content/adoptionsabroad/en/country-information/learn-about-a-country/afghanistan.html