Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - South Sudan

Der bewaffnete Konflikt weitete sich aus, und es bildeten sich neue bewaffnete Oppositionsgruppen. Die Konfliktparteien begingen weiterhin völkerrechtliche Verbrechen sowie Menschenrechtsverletzungen und -verstöße, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Kämpfe zwischen Einheiten der Regierung und der Opposition hatten verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Die Kampfhandlungen und der Hunger zwangen Hunderttausende Menschen zum Verlassen ihrer Wohnorte.

HINTERGRUND

Die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung/-armee in Opposition (Sudan People’s Liberation Movement/Army in Opposition – SPLM/A-IO), die größte Oppositionsgruppe, blieb in die beiden Flügel der Anhänger von Riek Machar und Taban Deng Gai gespalten. Taban Deng Gai hatte Riek Machar im Juli 2016 als ersten Vizepräsidenten abgelöst, nachdem es in der südsudanesischen Hauptstadt Juba zu Kämpfen zwischen Einheiten der Regierung und der Opposition gekommen war und Machar aus dem Südsudan fliehen musste. Es bildeten sich neue Oppositionsgruppen, darunter die Nationale Rettungsfront (National Salvation Front) unter dem ehemaligen stellvertretenden Generalstabschef General Thomas Cirillo Swaka, der die Streitkräfte im Februar 2017 verlassen hatte.

Im Jahresverlauf schwanden die Legitimation und die Relevanz des 2015 vereinbarten Abkommens über die Beilegung des Konflikts in der Republik Südsudan, weil keine Anstalten gemacht wurden, auf der Grundlage des Abkommens für mehr Sicherheit im Land zu sorgen. Die Zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung (Intergovernmental Authority on Development IGAD) kündigte im Juni 2017 die Einberufung eines hochrangigen Forums an, das nach Wegen zur Wiederherstellung eines dauerhaften Waffenstillstands und zur Umsetzung des Abkommens suchen sollte. Von August bis November 2017 beriet sich die IGAD mit den Parteien, die das Abkommen unterzeichnet hatten, sowie mit anderen Oppositionsgruppen und wichtigen Interessengruppen, einschließlich Vertretern der Zivilgesellschaft, über die Ausgestaltung des Forums und die möglichen Ergebnisse. Im Dezember 2017 wurde zwar eine Vereinbarung über die Einstellung der Feindseligkeiten unterzeichnet, doch kurz darauf flammten die Kämpfe in der Gegend von Yei wieder auf.

INTERNER BEWAFFNETER KONFLIKT

Fast das ganze Land litt unter den Kämpfen zwischen den Einheiten der Regierung und den Oppositionsverbänden von Riek Machar bzw. den anderen bewaffneten Oppositionsgruppen. Alle Konfliktparteien waren für Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht verantwortlich, darunter gezielte Tötungen von Zivilpersonen – häufig aufgrund ihrer ethnischen und ihrer vermuteten politischen Zugehörigkeit –, systematische Plünderungen und Zerstörung von Privateigentum, Entführungen und sexualisierte Gewalt.

Im Bundesstaat Upper Nile z. B. führten Regierungseinheiten im gesamten Jahr 2017 mit Unterstützung von Dinka-Padang-Milizen mehrfach Angriffe auf Gebiete am Westufer des Weißen Nils durch, die von mit der Opposition verbündeten Shilluk-Milizen gehalten wurden. Sie griffen wahllos Städte und Ortschaften an, bei denen es sich nicht um militärische Ziele handelte, darunter Wau Shilluk, Lul, Fashoda, Kodok und Aburoc, und waren für die willkürliche Tötung von Zivilpersonen, Plünderungen und die Vertreibung Zehntausender Menschen verantwortlich.

In der Region Equatoria forderten die während des gesamten Jahres andauernden Kämpfe ebenfalls zahlreiche Todesopfer unter der Zivilbevölkerung. In den Gebieten von  Yei und Kajo Keji wurden willkürliche Tötungen von Zivilpersonen, sexualisierte Gewalt, Plünderungen und Zerstörung von Privateigentum dokumentiert. Bei den Tätern handelte es sich in den meisten Fällen um Regierungssoldaten.

Sexualisierte Gewalt

Der Konflikt ging nach wie vor mit weitverbreiteter sexualisierter Gewalt einher. Frauen, Mädchen, Männer und Jungen wurden von Einzeltätern oder von Gruppen vergewaltigt, sexuell versklavt, sexuell verstümmelt, kastriert und zur Nacktheit gezwungen. Diese Gräueltaten wurden von allen Konfliktparteien bei Angriffen auf Ortschaften, Durchsuchungen von Wohngebieten, auf Straßen, an Kontrollpunkten, nach Entführungen oder Inhaftierungen verübt. Frauen und Mädchen, die in Lagern lebten, die unter dem Schutz der UN-Mission in der Republik Südsudan (United Nations Mission in the Republic of South Sudan – UNMISS) standen, wurden gezielt von Regierungseinheiten vergewaltigt, wenn sie unterwegs waren, um lebensnotwendige Dinge wie Nahrungsmittel oder Feuerholz zu kaufen bzw. zu sammeln. Für die Überlebenden sexualisierter Gewalt gab es kaum Möglichkeiten der medizinischen oder psychologischen Betreuung, weil diese entweder nicht verfügbar oder für die Betroffenen zu weit entfernt waren. Für sexualisierte Gewalt Verantwortliche wurden nur in Einzelfällen zur Rechenschaft gezogen.

Eingeschränkter Zugang für Hilfsorganisationen

Das feindliche Umfeld, in dem die Mitarbeiter von humanitären Hilfsorganisationen tätig waren, schränkte diese in ihren Möglichkeiten, die notleidende Bevölkerung mit Lebensmitteln, medizinischen Leistungen und Notunterkünften zu versorgen, erheblich ein. Regelmäßig behinderten die Konfliktparteien den Zugang zu humanitärer Hilfe, indem sie Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen bedrohten, schikanierten, festnahmen oder ihnen Gewalt antaten. Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs – UNOCHA) wurden 2017 mindestens 25 Helfer getötet. Immer wieder mussten sich Mitarbeiter von humanitären Hilfsorganisationen wegen der Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen aus der Gegend, in der sie tätig waren, zurückziehen und ihr Engagement einstellen. Die Konfliktparteien plünderten humanitäre Hilfslieferungen, darunter nach Angaben des UNOCHA im Juni und Juli 2017 mehr als 670 Tonnen Lebensmittel, die auf dem Gelände von Hilfsorganisationen lagerten.

RECHT AUF NAHRUNG

Durch die Behinderung der humanitären Hilfeleistungen, den bewaffneten Konflikt, die Massenvertreibungen und die Wirtschaftskrise waren schätzungsweise 4,8 Mio. Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, stark unterernährt. Im Februar 2017 wurde in den Bezirken Leer und Mayendit (Bundesstaat Unity) eine Hungersnot ausgerufen. Dank umfangreicher humanitärer Hilfe besserte sich die Lage bis Juni 2017.

In der Region Equatoria, in der die Versorgung mit Lebensmitteln früher sehr gut gewesen war, schränkten die Streitkräfte der Regierung und der Opposition den Zugang der Zivilbevölkerung zu Nahrung ein. Ziel dieser Strategie war es, die Mobilität der Bevölkerung zu kontrollieren bzw. sie aus ihren Häusern und von ihrem Land zu vertreiben. Den Menschen, die blieben, drohte akute Nahrungsmittelknappheit, und die Unterernährung nahm zu.

Vertreibungen und Gewaltandrohungen beeinträchtigten im ganzen Land die Bestellung der Äcker und hinderten die Zivilbevölkerung daran, sich um ihr Vieh zu kümmern oder nachhaltige und bedarfsgerechte Nahrungsmittelhilfe zu bekommen.

Die Nahrungskrise wurde durch die sich verschlechternde Wirtschaftslage zusätzlich verschärft. Infolge des niedrigen Ölpreises und der niedrigen Ölförderrate gingen die Staatseinnahmen zurück. Die Abwertung der Landeswährung und die Verknappung importierter Waren führten zu einem enormen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Regierung konnte ihren Mitarbeitern mehrmals kein Gehalt zahlen.

FLÜCHTLINGE, ASYLSUCHENDE UND BINNENVERTRIEBENE

Seit Beginn des Konflikts im Dezember 2013 waren mehr als 3,9 Mio. Menschen, etwa ein Drittel der Bevölkerung, vertrieben worden. 1,9 Mio. Menschen waren Binnenvertriebene, darunter auch die mehr als 200000 Menschen, die auf UN-Stützpunkten unter dem Schutz der UNMISS-Blauhelme lebten.

Mehr als 640000 Menschen flohen im Jahr 2017 außer Landes. Damit stieg die Zahl der Flüchtlinge aus dem Südsudan auf mehr als 2 Mio. Menschen an. Die meisten von ihnen fanden in den Nachbarländern, in Uganda (siehe Länderkapitel zu Uganda), Äthiopien und Kenia (siehe Länderkapitel zu Kenia), Zuflucht. In Uganda hielten sich etwa 1 Mio. Flüchtlinge auf.

WILLKÜRLICHE INHAFTIERUNGEN, FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Präsident Salva Kiir kündigte im März 2017 die Freilassung aller politischen Gefangenen an. Im Jahresverlauf erhielten mindestens 30 Gefangene die Freiheit zurück. Der Nationale Sicherheitsdienst (National Security Service – NSS) und der Militärgeheimdienst nahmen aber weiterhin vermeintliche Regierungsgegner willkürlich fest und inhaftierten sie über lange Zeiträume. Inhaftierten wurde das Recht auf eine richterliche Haftprüfung verweigert, und sie wurden häufig gefoltert und anderweitig misshandelt. Die Haftbedingungen waren hart. Inhaftierten wurde regelmäßig der Kontakt zu ihren Familien sowie eine angemessene Versorgung mit Nahrung und sauberem Wasser verweigert. Diese Zustände, darunter auch die mangelhafte medizinische Versorgung, führten zum Tod einiger Inhaftierter.

Der NSS ließ 21 Inhaftierte ohne Anklageerhebung aus dem Gefängnis in seinem Hauptquartier im Stadtteil Jebel von Juba frei. Ein Mann wurde im Januar, zwei Männer im März, einer im April, zwei im Mai und 15 weitere im August 2017 auf freien Fuß gesetzt. Alle waren willkürlich festgenommen und über lange Zeiträume hinweg inhaftiert worden. Die meisten hatten zwei oder drei Jahre in Haft zugebracht. Mindestens fünf weitere Männer blieben in der NSS-Zentrale in Haft. Sie wurden beschuldigt, mit der Opposition in Kontakt zu stehen oder sie zu unterstützen. Ein sechster, ebenfalls in dem Gefängnis inhaftierter Mann, der frühere SPLM/A-IO-Sprecher James Gatdet, war wegen Aufrufs zu Gewalt, "Verrats" und der "Veröffentlichung oder Verbreitung falscher Äußerungen, die dem Südsudan schaden" angeklagt. Er war in Haft genommen worden, nachdem er im November 2016 von Kenia in den Südsudan abgeschoben worden war.

Mike Tyson, Alison Mogga Tadeo, Richard Otti und Andria Baambe starben zwischen Februar und Juli 2017 im Gefängnis der NSS-Zentrale infolge der schlechten Haftbedingungen und der unzureichenden medizinischen Versorgung. Auch sie waren wegen angeblicher Verbindungen zur Opposition ohne Anklageerhebung in Gewahrsam gehalten worden und seit 2014 inhaftiert gewesen.

Die Regierung machte weder Anstalten, die Praxis der willkürlichen Inhaftierungen und der damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen seitens der staatlichen Sicherheitsdienste zu untersuchen, noch traf sie Maßnahmen, um die Personen zur Rechenschaft zu ziehen, die im Verdacht standen, sich strafbar gemacht zu haben. Auch leitete sie keine Schritte zur Wiedergutmachung gegenüber den Opfern ein, etwa durch finanzielle Entschädigung oder eine Rehabilitierung.

VERSCHWINDENLASSEN

Der NSS und der Militärgeheimdienst waren für das Verschwindenlassen vermeintlicher Regierungsgegner verantwortlich.

Dong Samuel Luak wurde seit dem 23. und Aggrey Idri seit dem 24. Januar 2017 in der kenianischen Hauptstadt Nairobi vermisst. Beide waren vehemente Kritiker der Regierung. Sie wurden in den Südsudan abgeschoben und in die Hafteinrichtung der NSS-Zentrale in Juba gebracht. Sie sollen am 27. Januar aus der Hafteinrichtung weggebracht worden sein. Ende 2017 war weder bekannt, was mit den beiden Männern geschehen war, noch wo sie sich befanden.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG

Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Mitglieder der politischen Opposition und andere, die sich zum Konflikt äußerten, waren Repressalien, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen sowie Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Dies führte zu Selbstzensur und zu einem politischen Umfeld, in dem die Menschen weder frei arbeiten noch sich offen äußern konnten.

Nachdem Adil Faris Mayat, Direktor des Fernsehsenders South Sudan Broadcasting Cooperation, die Ansprache von Präsident Kiir zum Unabhängigkeitstag nicht gesendet hatte, wurde er am 10. Juli 2017 vom NSS festgenommen. Er wurde neun Tage ohne Anklage in einer Hafteinrichtung in der Zentrale des NSS in Juba in Gewahrsam gehalten und anschließend von seinem Posten entlassen. Am 17. Juli 2017 sperrte die Nationale Kommunikationsbehörde des Südsudans die Webseiten von vier Nachrichtendiensten. Nach Angaben der betroffenen Medien begründete der Informationsminister die Sperrung damit, dass auf den Webseiten regierungsfeindliche Informationen veröffentlicht worden seien.

FEHLENDE RECHENSCHAFTSPFLICHT

Es gab keine glaubwürdige Untersuchung von Verstößen gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht und keine Strafverfolgung der mutmaßlichen Täter in fairen Prozessen vor Zivilgerichten. Einige Verbrechen, die Regierungssoldaten an Zivilpersonen verübten, sollen nach Angaben des Militärs vor Militärgerichten verhandelt worden sein, obwohl laut Gesetz über die Streitkräfte des Südsudans (South Sudan’s SPLA Act) die Zivilgerichte für Straftaten von Militärangehörigen gegen Zivilpersonen zuständig sind. Dies war z. B. bei dem Gerichtsverfahren gegen zwölf Regierungssoldaten der Fall, die sich wegen Vergewaltigungen, Mord und Plünderungen im Hotel Terrain in Juba 2016 seit Mai 2017 vor einem militärischen Sondergericht verantworten mussten.

Drei Organe der Übergangsjustiz, auf die man sich im Friedensabkommen von 2015 geeinigt hatte, waren Ende 2017 immer noch nicht eingerichtet. Die Kommission der Afrikanischen Union und die Regierung verständigten sich im Juli 2017 über den Inhalt eines Statuts und einer gemeinsamen Absichtserklärung für die Einrichtung eines der Organe, nämlich des mit internationalen und südsudanesischen Richtern besetzten Gerichtshofs (Hybrid-Gericht). Eine förmliche Zustimmung oder Annahme der beiden Dokumente gab es allerdings nicht. Ein Fachausschuss nahm Beratungen über die Ausgestaltung und den rechtlichen Rahmen der Kommission für Wahrheit und Aussöhnung auf.

Die Gesetzgebung des Südsudans enthielt keine Bestimmungen über die Definition von Folter, Verschwindenlassen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und keine Angaben zum Strafmaß für diese Verbrechen.

GESETZLICHE, VERFASSUNGSRECHTLICHE UND INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN

Die Generalversammlung der Richter rief im April 2017 einen Streik aus, um ihren Forderungen nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen. Zudem forderten sie den Rücktritt des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs wegen schlechter Amtsführung. Präsident Kiir reagierte auf den Streik am 12. Juli 2017 mit einem Erlass, der die Amtsenthebung von 14 Richtern vorsah. Dabei berief er sich auf eine Verfassungsbestimmung, nach der Richter wegen "Fehlverhaltens" entlassen werden können. Die Richter beendeten ihren Streik am 11. September 2017, u. a. weil der Präsident ihnen zugesichert hatte, dass er sich mit ihren Forderungen befassen und die Entlassung der 14 Richter rückgängig machen werde. Ende 2017 waren die Entlassenen noch nicht wieder in ihre Ämter eingesetzt worden. Ein Richter des Obersten Gerichtshofs trat im November 2017 zurück. Er begründete seinen Schritt mit der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz.

Die Nationale Übergangslegislativversammlung (Unterhaus) ratifizierte im Oktober 2017 das Maputo-Protokoll für die Rechte von Frauen in Afrika, ein Zusatzprotokoll zur Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker.

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