Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Guatemala

Berichtszeitraum: 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016

Amtliche Bezeichnung: Republik Guatemala
STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN: Jimmy Morales (löste im Januar 2016 Alejandro Maldonado Aguirre im Amt ab)

Verleumdungskampagnen und die missbräuchliche Anwendung des Strafrechts dienten weiterhin dazu, Menschenrechtsverteidiger zu bedrohen und einzuschüchtern. Diejenigen, die sich für Landrechte, indigene Territorien und Umweltschutz einsetzten, waren besonders gefährdet. Menschen flohen weiterhin aus Guatemala, um dem hohen Maß an Ungleichheit und Gewalt zu entgehen. Das Hochsicherheitsgericht A fällte ein historisches Urteil in einem Verfahren über sexualisierte Gewalt gegen elf indigene Frauen und deren häusliche Versklavung während des internen bewaffneten Konflikts (1960–96). In anderen aufsehenerregenden Verfahren gegen ehemalige Militärangehörige kam es nach wie vor zu Rückschlägen und unnötigen Verzögerungen. Die parlamentarische Menschenrechtskommission legte einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe vor.

JURISTISCHE AUFARBEITUNG DER VERGANGENHEIT

Im Januar 2016 wurde das wieder neu aufgenommene Verfahren gegen José Efraín Ríos Montt, Ex-Präsident und ehemaliger Oberbefehlshaber der Streitkräfte, sowie gegen José Mauricio Rodríguez Sánchez, ehemaliger Chef des militärischen Geheimdienstes, ausgesetzt. Beide sind wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Nachdem der Prozess vor einem Hochsicherheitsgericht im März 2016 begonnen hatte, gab ein Berufungsgericht im Mai dem Antrag der Nebenklage statt, künftig gegen die beiden Angeklagten in getrennten Verfahren zu verhandeln. Das Verfahren gegen Ríos Montt findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da spezielle Regelungen für ihn getroffen wurden, nachdem er aus Gesundheitsgründen für prozessunfähig erklärt worden war. In beiden Verfahren gab es bis zum Jahresende keine Fortschritte.

Fünf ehemalige Militärangehörige, darunter der ehemalige Chef des Oberkommandos der Streitkräfte Benedicto Lucas García, wurden im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Inhaftierung, der Folterung und der Anwendung sexualisierter Gewalt gegen Emma Guadalupe Molina Theissen sowie wegen des Verschwindenlassens von Marco Antonio Molina Theissen angeklagt. Angaben lokaler NGOs zufolge wurden mehrere Anhörungen vertagt und der Familie der Opfer sowie der allgemeinen Öffentlichkeit bestimmte Einschränkungen und Bedingungen auferlegt. Familienangehörige der Molina Theissens wurden schikaniert, teils auch über das Internet. Weibliche Familienangehörige waren verschiedenen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, einschließlich Schikanen und Verunglimpfung.

Im Februar 2016 befand das Hochsicherheitsgericht A in einem richtungsweisenden Urteil zwei ehemalige Militärangehörige für schuldig, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Sie wurden wegen ihrer Beteiligung an sexualisierten Gewalttaten gegen elf Frauen der indigenen Bevölkerungsgruppe der Maya-Q’eqchi’ sowie deren häuslicher Versklavung verurteilt. Die Verbrechen ereigneten sich während des internen bewaffneten Konflikts auf einem Militärstützpunkt in der Gemeinde Sepur Zarco.

Im Juni 2016 entschied das Hochsicherheitsgericht A, gegen acht ehemalige Militärangehörige ein Verfahren zu eröffnen. Ihnen wurde die Beteiligung an Fällen des Verschwindenlassens und rechtswidrigen Tötungen zur Last gelegt. Diese Straftaten wurden auf der heute unter CREOMPAZ bekannten Militärbasis in dem im Norden des Landes gelegenen Departamento Alta Verapaz verübt. Familienangehörige der Opfer wurden per Internet schikaniert, innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals eingeschüchtert, überwacht und bedroht. Zivilgesellschaftliche Organisationen forderten weiterhin die Verabschiedung des Gesetzes 3590, durch das eine Nationale Kommission für die Suche nach den Opfern aller Formen des Verschwindenlassens (Comisión Nacional de Búsqueda de Personas Víctimas de Desaparición Forzada y otras Formas de Desaparición) geschaffen werden soll. Über den Gesetzentwurf, der dem Kongress zum ersten Mal im Jahr 2006 vorgelegt worden war, hatte bis Ende 2016 noch keine Debatte stattgefunden.

MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Menschenrechtsverteidiger wurden auch 2016 weiterhin bedroht, stigmatisiert, eingeschüchtert und angegriffen. Laut Angaben der Menschenrechtsorganisation UDEFEGUA (Unidad de Protección a Defensoras y Defensores de Derechos Humanos Guatemala) wurden 14 Menschenrechtsverteidiger getötet. Besonders Menschenrechtsverteidiger, die sich für den Umweltschutz engagierten, waren von Angriffen bedroht. Menschenrechtsverteidiger, die sich für Landrechte, indigene Territorien und Umweltschutz einsetzten, waren mit Verleumdungen und Versuchen konfrontiert, sie als Straftäter zu brandmarken. Dafür verantwortlich waren sowohl Beamte, die diesbezügliche öffentliche Erklärungen abgaben, als auch Privatpersonen. Gegen Menschenrechtsverteidiger wurden darüber hinaus haltlose Strafverfahren eingeleitet.

Das Strafverfahren gegen den wegen Verleumdung, übler Nachrede und Diffamierung angeklagten Menschenrechtsverteidiger Daniel Pascual wurde im Jahr 2016 fortgeführt. Die Vorwürfe bezogen sich auf öffentliche Äußerungen, die er im Jahr 2013 gemacht hatte. Der Richter ignorierte den Antrag des Angeklagten, das Verfahren auf der Grundlage des Verfassungsgesetzes über freie Meinungsäußerung und nicht als gewöhnliches Strafverfahren durchzuführen. Am 7. Juni 2016 erließ das Verfassungsgericht eine einstweilige Verfügung, mit der das Verfahren gegen Daniel Pascual vorübergehend ausgesetzt wurde.

Zu Beginn des Jahres 2016 erhielt eine bekannte Menschenrechtsverteidigerin Morddrohungen, die sich gegen sie selbst und ihre Kinder richteten. Die Drohungen fielen zeitlich mit einer am 6. April veröffentlichen bezahlten Anzeige in einer Tageszeitung zusammen, in der der Geschäftsführer eines Privatunternehmens behauptete, es sei die Absicht von Menschenrechts-NGOs, das Wirtschaftswachstum aufzuhalten. Er bezeichnete sie deshalb als “Staatsfeinde”.

Am 22. Juli 2016 sprach das Hochsicherheitsgericht A in Guatemala-Stadt sieben Menschenrechtsverteidiger frei, die sich für die Rechte der indigenen Bevölkerungsgruppe der Maya-Q’anjobal eingesetzt hatten. Sie waren der rechtswidrigen Inhaftierung, Bedrohung und Anstiftung zur Verübung eines Verbrechens beschuldigt worden. Zum Zeitpunkt ihrer Freilassung hatten sie bereits mehr als ein Jahr in Untersuchungshaft verbracht.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Seit Jahrzehnten wandern Guatemalteken über Mexiko in die USA aus, um dem im eigenen Land herrschenden hohen Maß an Ungleichheit und Gewalt zu entgehen, von dem marginalisierte Gruppen – darunter auch indigene Gemeinschaften – betroffen sind. Im Verlauf der vergangenen fünf Jahre wurden zahlreiche dieser Migranten wieder nach Guatemala abgeschoben. Bisher verfügt das Land jedoch über keinen umfassenden Mechanismus zur Unterstützung der Rückkehrer. Laut Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge suchten 2016 zwischen Januar und August 11536 Guatemalteken Asyl in anderen Ländern. Im September verabschiedete der Kongress ein neues Einwanderungsgesetz. Es soll das existierende veraltete Migrationsgesetz ersetzen.

LANDKONFLIKTE

Im Februar 2016 ordnete der Oberste Gerichtshof die vorübergehende Aussetzung der Abbaulizenz der Goldmine El Tambor mit der Begründung an, dass das Recht auf vorherige Anhörung der betroffenen Bevölkerung missachtet worden sei. Das Ministerium für Energie und Bergbau erklärte jedoch, dass die Lizenz bereits erteilt wurde und deshalb nicht suspendiert werden könne. Daraufhin hielten die Bewohner der umliegenden Gemeinden ab März 2016 vor dem Ministerium für Energie und Bergbau Sitzblockaden ab und forderten die Umsetzung der vom Obersten Gerichtshof angeordneten vorläufigen Maßnahmen. Ende Juni 2016 ordnete der Oberste Gerichtshof schließlich die definitive Aufhebung der Abbaulizenz an.

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