HINTERGRUND
Im Januar 2016 wurde auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams der alle fünf Jahre übliche Wechsel der Parteiführung vollzogen. Im Mai 2016 bewarben sich rund 900 von zentralen oder lokalen Behörden nominierte Mitglieder der Kommunistischen Partei sowie elf selbstnominierte Kandidaten um die 500 Abgeordnetensitze in der Nationalversammlung. Über hundert parteilose Kandidaten, die versucht hatten, sich für die Wahlen registrieren zu lassen, wurden aus fadenscheinigen administrativen Gründen nicht zugelassen. Zu ihnen gehörten bekannte Regierungskritiker wie Nguyễn Quang A. Einige von ihnen wurden drangsaliert und eingeschüchtert. Die für Juli 2016 vorgesehene Implementierung einiger Gesetze von grundlegender Bedeutung wurde aufgrund von Fehlern im novellierten Strafgesetzbuch verschoben. Hiervon betroffen waren neben dem abgeänderten Strafgesetzbuch die Strafprozessordnung, das Gesetz über die für strafrechtliche Ermittlungen zuständigen Institutionen und das Gesetz über Gewahrsam und zeitweilige Inhaftierung.
UNTERDRÜCKUNG ANDERSDENKENDER
Menschen, die friedlich Kritik an der Regierungspolitik übten, wurden weiterhin durch strafrechtliche und andere Maßnahmen zum Schweigen gebracht. Aktivisten wurden umfassend überwacht und schikaniert. Dies galt auch für die Teilnehmenden an Demonstrationen gegen die vom Stahlwerk der Formosa Plastics Group verursachte Umweltkatastrophe, die verheerende Auswirkungen auf das Leben von schätzungsweise 270000 Personen hatte (siehe unten). Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger waren an der Tagesordnung.
Die Behörden nutzten weiterhin die im Abschnitt über nationale Sicherheit des Strafgesetzbuchs von 1999 enthaltenen vage formulierten gesetzlichen Bestimmungen, um friedliche Aktivisten anzuklagen und zu verurteilen. Folgende Paragraphen wurden insbesondere zu diesem Zweck herangezogen: Paragraph 258 (“Missbrauch demokratischer Freiheiten zur Verletzung der Interessen des Staates, der legitimen Rechte und Interessen von Organisationen und/oder Staatsbürgern”), Paragraph 88 (“Verbreitung von Propaganda gegen die Sozialistische Republik Vietnam”) und Paragraph 79 (“Aktivitäten, die den Sturz der Regierung zum Ziel haben”).
Im März 2016 wurden während eines Zeitraums von acht Tagen sieben Aktivisten und Regierungskritiker wegen ihrer friedlich zum Ausdruck gebrachten Ansichten schuldig gesprochen und zu Haftstrafen verurteilt. Zu ihnen gehörten Nguyễn Hũ,u Vinh, Gründer des Blogs Anh Ba Sàm, und seine Assistentin Nguyễn Thị Minh Thúy, die für schuldig befunden worden waren, Straftaten nach Paragraph 258 des Strafgesetzbuchs begangen zu haben. Sie wurden zu Gefängnisstrafen von fünf bzw. drei Jahren verurteilt. Fast zwei Jahre hatten sie bereits in Untersuchungshaft verbracht.
Der bekannte Menschenrechtsanwalt Nguyễn Văn Đài und seine Assistentin Lê Thu Hà wurden weiterhin ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Sie waren im Dezember 2015 nach Paragraph 88 des Strafgesetzbuchs angeklagt und inhaftiert worden.
Im Oktober 2016 wurde die prominente Menschenrechtsverteidigerin Nguyễn Ngọc Nhu, Quỳnh, die als Bloggerin unter dem Namen Mẹ Nầm (Mother Mushroom) bekannt ist, wegen ihrer regierungskritischen Blogs auf Grundlage von Paragraph 88 des Strafgesetzbuchs festgenommen. Gemäß diesem Paragraphen drohen bei einer Verurteilung zwischen drei und 20 Jahre Haft.
Menschenrechtsverteidiger und ihre Angehörigen wurden weiterhin routinemäßig geschlagen. Im April 2016 wurde Trần Thị Hồng, Ehefrau des gewaltlosen politischen Gefangenen Pastor Nguyễn Cộng Chính, festgenommen und in Gewahrsam heftig geschlagen. Kurz zuvor hatte sie eine Gruppe aus den USA getroffen, die Vietnam einen Besuch abstattete.
VERSAMMLUNGSFREIHEIT
Es gab immer wieder friedliche Großdemonstrationen wegen der vom Unternehmen Formosa Plastics Group verursachten Umweltkatastrophe. Im April und im Mai 2016 fanden im gesamten Land wöchentlich Demonstrationen in Innenstädten statt. Dabei kam es zu Massenfestnahmen und Angriffen auf Teilnehmende durch die Polizei und Personen in Zivilkleidung, die mutmaßlich Polizisten waren oder im Auftrag der Polizei handelten. Viele der Festgenommenen wurden gefoltert oder anderweitig misshandelt, u. a. mit Schlägen und Elektroschocks. Die Kundgebungen hielten während des ganzen Jahres an. An den Demonstrationen in den von der Formosa-Umweltkatastrophe betroffenen Provinzen beteiligten sich immer mehr Menschen. Im August 2016 sollen 30000 Menschen in Vinh in der Provinz Nghệ An demonstriert haben.